✨ AI Kontextualisierung
Dass besonders reiche Menschen irgendwann zu Philanthropen werden, ist nichts Neues. Ray Dalio macht das aber auf besondere Art und Weise. Er teilt sein Wissen, das ihn zu einem sogenannten Superreichen machte. Und auch wenn das wohl kaum von Wohltätigkeitsorganisationen als Philanthropie eingestuft würde – ich halte es für die beste Form, der Gesellschaft “etwas zurück zu geben”. Das ist wie statt Lebensmittel zu spenden, Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, wie man Saatgut zieht, Traktoren repariert und seine Felder bestellt, um die bekannte Metapher der Entwicklungshilfe zu bemühen.
Ich gönnte mir Dalios knapp 660 Seiten-Schinken “Die Prinzipien des Erfolges” letzte Weihnachten und kurz danach sein Hauptwerk “Principles”. Und wenn man etwas von einem knallharten Hedgefond-Manager erwartet, dann bestimmt nicht solche Inhalte. Von den Details seiner Unternehmenskultur, seiner disruptiven “Prinzipien-Software” bis hin zu Lebenstipps und harscher Kritik am Kapitalismus der USA, lernt man da vieles von und über den Exzentriker Dalio. Glaubt man seiner Erzählung, verdankt er sein Vermögen von rund 18 Milliarden Dollar vor allem seinen konsequent gelebten Prinzipien, die er in seinem Unternehmen, dem Hedgefonds Bridgewater, eingeführt hat.
Radikale Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz
Vermutlich jeder würde diese Werte grundsätzlich positiv einordnen. Doch wenn Ray Dalio davon spricht und schreibt, erkennt man die Radikalität und Konsequenz, die er ihnen einverleibt und lebt. Sein Unternehmen wettet auf steigende und fallende Kurse und sucht nach den höchsten Renditen bei geringen Risiken. Information und Feedbackkultur sind dabei entscheidend. Diese Erkenntnis ließ Dalio auch in eine Software implementieren, die bei Bridgewater “Dot Collector” genannt wird. Vereinfacht gesagt, bewertet jeder der 1500 Mitarbeiter andere, mit denen er zu tun hat. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Meetings gelegt. Kein Herumeiern, keine Höflichkeitsfloskeln und keine falsche Zurückhaltung werden erwartet, sondern knallhart ehrliches Feedback, unabhängig von der eigenen hierarchischen Position. So kann ein Praktikant den Chef negativ bewerten, wenn dieser findet, dass er schlecht auf ein Meeting vorbereitet gewesen sei. Oder ein Manager seinen Kollegen, wenn er dessen Meinung nicht faktenbasiert, sondern schwammig empfand.
Vielleicht nutzen Sie einen Moment, geschätzte Leserinnen und Leser, um in sich rein zu hören, wie sich Ihr Berufsleben mit diesen Prinzipien radikaler Ehrlichkeit anfühlen würde.
Das auf vielen Buch-Seiten beschriebene System dient aber nicht dazu, Leute unmittelbar zu bewerten, geschweige denn vorzuführen, sondern vielmehr dazu, der erfolgreichsten Idee oder der entscheidendsten Sichtweise zum Durchbruch zu verhelfen.
Stellen wir uns eine Matrix vor mit unfassbar vielen Bewertungen und Sichtweisen zu allen Menschen einer Organisation und dazu, was oder wen sie wann unterstützt oder kritisiert haben. Einen komplexen Knowledge-Graph aller intellektuellen Bewertungen und Feedbacks sozusagen. Entscheidend wird in einem solchen System nicht sein, wie Mitarbeiter in dem Moment der Bewertung erscheinen oder abschneiden, sondern ob sie am Ende eines Prozesses, an dem meist eine wichtige Entscheidung getroffen wird, richtig in ihrer Einschätzung lagen oder nicht.
Auch persönliches und fachliches Wachstum sei nur möglich, wenn wir radikal ehrlich miteinander umgingen und viele seien für eine solche Kultur nicht gemacht, so der 1949 in NYC geborene Gründer des Unternehmens. Ein hochrangiger Chef zu Beispiel, der von Apple zum Hedgefond wechselte, hielt Berichten zufolge kein ganzes Jahr durch.
Weitere Ray Dalio-Prinzipien
Für Dalio ist Erfolg nichts Absolutes, sondern zutiefst individuell und persönlich. Dem zufolge ist man dann erfolgreich, wenn man die eigenen Ziele erreicht und nicht die anderer. Das eigene Wachstum – er nennt es die persönliche Evolution – stehe dabei im Vordergrund. Sein radikaler Zugang zu Ehrlichkeit und Transparenz entspringt auch seiner Beobachtung, wonach falsche Theorien von Menschen über andere Menschen, mit zu den größten Übeln einer Gesellschaft gehören. Diese würden zu selten hinterfragt oder korrigiert werden und würden permanent falsche Einschätzungen liefern. Der Kern der von ihm gelebten Prinzipien beinhaltet deshalb auch die permanente Reflexion und Selbstkorrektur, während falsche Glaubenssätze schwer revidierbar und schädlich seien. Diese Kultur der Offenheit lege natürlich Schwächen offen und das empfänden viele als unangenehm. Man könnte auch sagen, die meisten hassen es, auf ihre Schwächen aufmerksam gemacht zu werden. Und hier argumentiert Ray Dalio so, dass nur Menschen mit der richtigen DNA dankbar wären, Schwächen erkennen und ausmerzen zu können. Denn nur erfolglose Menschen würde nicht wachsen wollen. Das “gekränkte Ego” aus einem Feedback bedrohe die persönliche Entwicklung und verhindere die wichtige Lernkurve, die man aber brauche. Dabei helfe es, sich permanent zu bilden und Naturgesetze als legitime Referenz anzusehen. Handlungen sollten demnach Naturgesetzen folgen und Egozentrismen vermeiden – das würde Erfolg fördern. Zusätzlich erfolgsfördernd sei das Geben an die Gesellschaft und weniger das direkte Anstreben etwa von Reichtum.
Ähnlich wie mit den offen kommunizierten Schwächen, sei es auch mit eigenen Problemen. Erfolgreiche Menschen würde Probleme teilweise sogar begrüßen und aktiv an ihrer Beseitigung arbeiten, Strategien dazu entwickeln, während Erfolglose eher darüber klagten oder sie verdrängten. In vielen gravierenden Problemsituationen würden Menschen richtiggehend Schmerzen empfinden. Und auch hier sei entscheidend, zu lernen, diese einordnen und managen zu können, anstatt an ihnen zu brechen. Das aktive Schmerz-Management sei besonders wichtig. Der Schmerz dürfe einen zudem nie davon abhalten, eine richtige Entscheidung zu treffen. Schmerz sei etwas besonders Wichtiges im Wachstum. Zusätzlich hätten erfolgreiche Menschen die Einsicht, dass sie unvollkommen seien, Wissenslücken hätten und wollen zuhören und lernen. Es sei ein fataler Glaubensgrundsatz vieler, dass erfolgreiche Menschen automatisch alle Antworten auf die wesentlichen Fragen hätten.
Pro und Contra der Ray Dalio Prinzipien
Wenn man zum ersten Mal mit Dalios Prinzipien konfrontiert wird, hat man – gelinde gesagt – einen gesunden Respekt vor der Radikalität und Tragweite seiner Kulturvorstellungen. Nach einigen Reflexionen aber begreift man, dass viel Destruktives und Ungesundes in einer “mauschelnden und hintenrum-Kultur” liegt, wie sie ohnedies häufig vorzufinden ist, und einem radikale Ehrlichkeit und Offenheit doch lieber wären. Nun ist eine solche Unternehmenskultur aber keine Familien-Aufstellung und Menschen verfolgen unterschiedlichste Ziele und Motive. Sprich, der Grund weshalb dort radikale Offenheit und Transparenz gelebt werden, dient keinen privaten Zwecken, etwa weniger Streit in der Familie. Das Ziel dient dem persönlichen Wachstum von Mitarbeitern um bessere Leistung zu erbringen, also am Ende immer den am besten getroffenen Entscheidungen für das Unternehmen.
Dalio wird von Kritikern als hart im Umgang beschrieben und seine Software als Versuch der totalen Überwachung. Dass Leute zu feuern für ihn keine große Sache sei, wird dann gerne passend zur Personenbeschreibung zitiert. Andererseits haben seine Prinzipien nicht nur ihn, sondern auch viele seiner Mitarbeiter reich gemacht. Alleine der Pure Alpha Fond soll seit der Erstauflage 45 Milliarden Dollar Gewinn gebracht haben. Insgesamt verwaltet Bridgewater 160 Milliarden Dollar in 150 Märkten.
Schmerz und persönliches Wachstum zählen zu den wichtigsten Faktoren der radikal ehrlichen Unternehmenskultur, mit der Dalio seine Erfolge einfuhr. Kritiker sehen darin Rücksichtslosigkeit und unmenschliche Leistungs-Maximierung.
Wir wissen von außen nicht, welche Sicht die zutreffendere ist. Für uns könnten Dalios Prinzipien aber einfach einladen, offen über Offenheit, ehrlich über Ehrlichkeit und transparent über Transparenz in unseren Unternehmen nachzudenken. Für mich waren seine Gedanken und Sichtweisen dazu äußerst hilfreich. Ob man dann auch eine Art Dot-Collector nachprogrammieren möchte, wie das schon einige Unternehmen taten, oder einen dritten Weg sucht, der besser in die eigene Unternehmenskultur und Menschensicht passt, bleibt ja jedem selbst überlassen. Denn anders als bei Staaten, können wir uns unsere unmittelbar privaten Unternehmens-Führerinnen und -Führer frei aussuchen und entscheiden, ob deren Prinzipien auch gut für uns selbst wären.
Über den Autor
Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.