10.05.2024
INTERVIEW

“Derzeit ist es nicht Usus, dass sich Führungskräfte über Fehler Gedanken machen, wenn ein Mitarbeiter kündigt”

Leadership ist heutzutage ebenso im Wandel wie die Arbeit selbst. Manche sehen eine Unternehmensführung "von oben" weiterhin als essentiell an, andere präferieren einen eher moderneren Zugang. So auch Martin Klässner, der Founder von has.to.be. Er erklärt.
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Leadership, Unternehmensführung, Martin Klässner
(c) Make Vision/Flausen - Martin Klässner, Founder von has.to.be und CEO von von GrowthSquare im Interview.

Martin Klässner, der sein Startup has.to.be. um 250 Millionen Euro verkauft hat, wird oft gefragt, wie eine moderne Unternehmensführung (Leadership) in Kombination mit dem teilweise noch weit verbreiteten hierarchischen Führungsstil gelingen kann. Seine Antwort darauf: Gar nicht.

Dies postete der aktuelle CEO von GrowthSquare vor kurzem auf LinkedIn und hat damit ein essentielles Leadership-Thema der heutigen Zeit eröffnet. Für ihn ist ein grundlegendes Umdenken in Hinsicht auf das Führungsverhalten erforderlich, um zu einer effektiven und effizienten Strategie-Umsetzung zu gelangen.

“Das obere Management muss die Rahmenbedingungen für eine Transformation schaffen und diese aktiv vorleben, ansonsten sind alle Bemühungen auf den unteren Ebenen wirkungslos”, so seine Einstellung. “Merke: Mitarbeiter verlassen nicht das Unternehmen, für das sie arbeiten. Sie verlassen immer nur ihre Führungskräfte.”

Im Gespräch mit brutkasten erklärt Klässner, warum eine Befehlskette nicht mehr zielführend ist, wie er Mitarbeiter:innen unterstützt und was Führungskräfte der Zukunft sind.


brutkasten: Du sprichst in deinem Post von einer notwenigen Veränderung des Führungsverhaltens? Wie meinst du das konkret?

Martin Klässner: In vielen Organisationen herrscht immer noch eine starke Hierarchie-Struktur, die vorrangig Top-Down geprägt ist. Dies bedeutet als Konsequenz, dass Führungskräfte Aufgaben und Anweisungen an Mitarbeiter verteilen, welche die Aufgaben annehmen, ausführen und an die Führungskräften darüber berichten. Dies bildet meistens eine Befehlskette ab.

Ich bin davon überzeugt, dass heutige Mitarbeiter einerseits befähigt sind, eigenständig Entscheidungen zu treffen bzw. dies auch erwarten. In diesem Zusammenhang ist eine Befehlskette und das Zuweisen von Aufgaben nicht mehr zielführend.

Dies erfordert als Konsequenz dann entsprechend eine Änderung im Führungsverhalten. Aus unserer Sicht sind Führungskräfte der Zukunft keine Befehlsgeber mehr, sondern Sparring-Partner, Mediatoren und Moderatoren, die Mitarbeiter im Erfüllen von – selbstdefinierten – Aufgaben und Tätigkeiten unterstützen. Manager müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass Mitarbeiter imstande sind, die beste Leistung zu erbringen. Aber sie geben keine Tätigkeiten mehr vor. Dies erzeugt in Folge eine hohe intrinsische Motivation bei den Beschäftigten.

Warum sind heutzutage hierarchische Führungsstile deiner Meinung nach kontraproduktiv?

Mitarbeiter wollen eigene Entscheidungen treffen. Dies erfordert jedoch einerseits ein klares Verständnis zu den strategischen Zielen und Rahmenbedingungen des Unternehmens; und es erfordert Führungskräfte, die dieses eigenständige Arbeiten zulassen und fördern.

Stichwort Moderator vs. Führungskräfte: Wie lebst du das konkret?

Ich treffe keine Entscheidungen, sondern ich unterstütze meine Mitarbeiter durch konstruktive Fragen, selbst eine Entscheidung herbeizuführen. Und ich gebe ihnen die Sicherheit, dass auch Fehlentscheidungen zugelassen werden. Insbesondere die Schaffung dieser Vertrauensbasis ist essentiell.

Du beschreibst in deinem Beitrag auf LinkedIn ein paar Skills, darunter “Vorbild und Sinnstifter sein”. Das ist zum Großteil selbsterklärend. Aber du erwähnst auch die Begriffe Fokussierung und Zielorientierung? Wie förderst du beides in deinem Berufsalltag?

Das Erreichen von Fokussierung und Zielorientierung in der Arbeit erfordert einiges an Vorarbeiten. Mit unserem Framework “Art of Acceleration” haben wir die Grundlage geschaffen, um strategische Inhalte so zu formulieren, dass sie einfach aber eindeutig verständlich an Mitarbeiter kommuniziert werden können. Mitarbeiter müssen in jeder Ebene ein vollständiges Strategie-Verständnis aufweisen – einerseits hinsichtlich der konkreten strategischen Ziele, andererseits aber auch hinsichtlich der “Shared Reality”, also dem Realitätsverständnis der Führungskräfte und Eigentümer.

Dadurch wird der Mitarbeiter in die Lage versetzt, mit gleichem Wissensstand Entscheidungen zu treffen. Diese werden infolge konsequenterweise stark auf die Erreichung der strategischen Ziele einzahlen, ohne relevante “Abweichungen” oder “Kurven” auf dem Weg zum Ziel zu erzeugen. Dadurch wird Fokussierung erreicht.

Zu deiner Aussage: “Mitarbeiter verlassen nicht das Unternehmen, für das sie arbeiten. Sie verlassen immer nur ihre Führungskräfte” – Ist das ein Mindset, das erst in die Köpfe von heutigen “Leaders” eindringen muss?

Ich denke schon. Derzeit ist es nicht Usus, dass sich Führungskräfte über eigenes Verhalten und Fehler Gedanken machen, wenn ein Mitarbeiter kündigt. Wenn der Mitarbeiter aber ursprünglich von der Vision des Unternehmens überzeugt ist und sich aufgrund dessen für diesen Arbeitgeber entschieden hat, sind meistens Defizite in der Führung die Ursache für die Beendigung von Dienstverhältnissen durch den Arbeitnehmer. Ich habe daher bei Kündigungen den scheidenden Mitarbeiter immer gebeten, mir offenes Feedback zu geben.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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