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Am Weg zu einer agilen Organisation müssen sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter zahlreiche Herausforderungen meistern, da klassische Autoritätsstrukturen ihre Bedeutung verlieren. Im Zuge der Transformation geben Führungskräfte ihre Top-Down-Autoritäten an Teams ab und Mitarbeiter organisieren sich selbst.
Gregor Habinger, Topic Owner Digital Excellence bei TietoEVRY Austria, hat uns erläutert, welche Hürden es in diesem Prozess zu meistern gilt. TietoEVRY Austria, die österreichische Sparte des nordeuropäischen IT-Dienstleisters TietoEVRY, hat 2018 ihre Organisation auf eine “Purpose Driven Organization” umgestellt und ließ sich dabei vom sogenannten Spotify Modell inspirieren.
Im Interview mit dem brutkasten erläutert Habinger, der damals die Transformation verantwortete, welchen Mehrwert das Spotify-Modell bietet und wie eine konkrete Umsetzung erfolgen kann. Zudem geht er darauf ein, warum Startups zwar “purpose driven”, aber oftmals alles andere als “agile” sind.
Was waren die ersten Schritte von TietoEVRY Austria am Weg zu einer „Purpose Driven Organization“, die sich durch Agilität und Selbstorganisation auszeichnet?
Zuallererst: Agilität in Organisationen darf nie einen Selbstzweck erfüllen, sondern muss immer ein Mittel zum Zweck sein. Daher haben wir uns als erstes die Frage gestellt, was wir mit der Agilität überhaupt erreichen wollen? Im Kern umfasste das die Frage nach dem “Warum”, die wir in einem weiteren Schritt mit konkreten Zielen verknüpft haben.
Welche Ziele habt ihr an dieses “Warum” geknüpft?
Im Prinzip waren es drei konkrete Ziele, die wir definiert haben. Erstens wollen wir damit unser Wachstum vorantreiben, zweitens schneller und flexibler auf neue Marktsituationen reagieren und drittens “Digital im Blut” auch wirklich selbst leben.
Wie lange hat der Weg zur „Purpose Driven Organization“ bei TietoEVRY gedauert?
Im Mai 2018 haben wir mit den ersten Schritten gestartet und im September 2018 erfolgte bereits der Rollout. Die ersten zwei Monate waren sehr intensiv. In Workshops haben wir die Ziele erarbeitet und definiert. Im Juli erfolgte dann eine breitere Kommunikation innerhalb der Organisation, an unser gesamtes Team.
Selbstorganisation bedeutet Autorität dorthin zu verlagern, wo das Wissen ist.
Am Weg zur agilen Organisation habt ihr euch vom Spotify-Modell inspirieren lassen, warum?
Wenn wir über das Spotify-Modell sprechen, muss uns zunächst bewusstwerden, dass Spotify nie die Absicht hatte, ein Framework zu schaffen, das für alle agilen Organisationen funktioniert. Das einzige was Spotify gemacht hat, war, dass sie 2010 zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Organisationsform veröffentlicht haben. Mittlerweile hat sich die Organisation von Spotify weiterentwickelt und sieht ganz anders aus. Daher haben wir uns nicht primär das Framework an sich, sondern vielmehr die entsprechende Kultur angesehen.
Welche Kultur steckt dahinter?
Spotify ist eine Organisation, die sehr stark auf Vertrauen aufbaut und auch lernend ist. Dafür haben sie verschiedenste Organisationsformen gebildet, die als Squads, Tribes, Chapters und Guilds beschrieben werden. Im Prinzip haben wir nur diese Überschriften genommen und sie als Grundbausteine für unser eigenes Modell herangezogen. Warum bezeichnen wir es dennoch als Spotify-Modell? Ganz einfach: Weil es unter diesem Begriff bekannt ist.
“In der Regel wissen es nämlich die Mitarbeiter bzw. Teams selbst besser, wohin sie gehen müssen, als irgendein Manager im Elfenbeinturm.”
Wie erfolgte die konkrete Umsetzung?
Der Grundbaustein von agilen Organisationen liegt in kleinen, selbstständigen Teams. Diese nennen wir in Anlehnung an das Spotify-Modell Squads, Tribes, Chapters und Guilds. Jedes dieser Teams hat einen klaren Purpose. Zum Beispiel haben wir den Chaptern mitgegeben, dass sie sich um die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter kümmern sollen. Und nun folgt der wichtigste Schritt: Innerhalb dieses Purpose können sich die Teams selbst organisieren. Das betrifft auch den Aspekt, wie Entscheidungen getroffen werden. Damit dafür eine gute Basis geschaffen wird, hat jedes Team einen eigenen Coach. Zudem verwenden wir ein Tool, das sich Delegation Poker nennt. Darüber können die einzelnen Teams transparent den Freiheitsgrad ihrer Verantwortungen definieren.
Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?
Nehmen wir das Beispiel der persönlichen Mitarbeiterentwicklung. In einer klassischen Organisation gibt es in der Regel einen Vorgesetzten, der sich einmal im Jahr mit den Mitarbeitern zusammensetzt und sagt, welche Ausbildung der jeweilige Mitarbeiter machen soll. In einer agilen Organisation ist dies anders, da die Entscheidungsfindung einem ganzen Team übertragen wird. Autonom bestimmt dieses Team, wohin es wachsen möchte. In der Regel wissen es nämlich die Mitarbeiter bzw. Teams selbst besser, wohin sie gehen müssen, als irgendein Manager im Elfenbeinturm. Selbstorganisation bedeutet Autorität dorthin zu verlagern, wo das Wissen ist.
“Startups sind stark von deren Gründern geprägt, denen das “Loslassen” oftmals schwerfällt.”
Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Selbstorganisation?
Die Abgabe von Autorität bedeutet eine Herausforderung sowohl für Führungskräfte als auch Mitarbeiter. Einerseits haben die Führungskräfte gewisse Verlustängste, andererseits ist es für die Mitarbeiter am Anfang nicht einfach, wenn auf einmal keine Führungskraft mehr da ist. Damit dies nicht aus dem Ruder läuft, müssen auf beiden Seiten Regeln aufgestellt werden. Dies bedeutet, dass klar definiert werden muss, was Selbstorganisation bedeutet und was es nicht bedeutet. Zudem bedarf es Transparenz, damit die Mitarbeiter wissen, was von ihnen erwartet wird.
Welche Learnings habt ihr am Weg zur agilen Organisation gemacht?
Rückblickend betrachtet haben wir natürlich auch Learnings gemacht. Beispielsweise hätten wir am Anfang unseren Teams noch stärker einen Kontext mitgeben müssen. Wir haben unseren Teams zwar gesagt, dass sie selbstorganisierte Entscheidungen treffen können, allerdings war der Rahmen zu schwach definiert. Zum Beispiel haben wir unseren Chaptern gesagt, kümmert euch um die Ausbildung der Mitarbeiter. Dies erfordert allerdings auch die Kommunikation eines finanziellen Rahmens. So war es dann ein Fazit für uns: Damit die Selbstorganisation klappt, braucht es Transparenz. Daher versuchen wir soviel Information weiterzugeben wie möglich.
Sind Startups eine Parade-Beispiel für „Purpose Driven Organizations“?
In Startups ist die Purpose-Komponente in der Regel stark ausgeprägt, da sie meist ein Problem lösen wollen. In Hinblick auf Agilität und Selbstorganisation sieht die Sache allerdings schon wieder anders aus. Startups sind stark von deren Gründern geprägt, denen das “Loslassen” oftmals schwerfällt. Dies wirkt der Agilität entgegen, da sich im schlimmsten Falle alles bei einer Person konzentriert. Hier bestehen durchaus Parallelen zu eigentümergeführten Unternehmen aus dem KMU-Sektor.