08.03.2021

“Maschinen haben das Potenzial, die Vorurteile von Menschen auszugleichen”

Wie kann man den Frauenanteil in Männerdomänen heben und welche Rolle spielen dabei Anreize und Algorithmen? Eva Czernohorszky von der Wirtschaftsagentur Wien im Interview.
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Eva Czernohorszky leitet bei der Wirtschaftsagentur Wien die Technologie Services © Wirtschaftsagentur/Husar
Eva Czernohorszky leitet bei der Wirtschaftsagentur Wien die Technologie Services © Wirtschaftsagentur/Husar

In Österreich machen sich zwar viele Frauen selbstständig, hoch innovative Unternehmen sind aber nach wie vor eine Männerdomäne. Die Wirtschaftsagentur Wien unterstützt Startups und Unternehmen mit Fördergeldern und bei Herausforderungen rund um Innovationen – und legt dabei immer wieder einen starken Fokus auf Diversität. Eva Czernohorszky leitet bei der Wirtschaftsagentur den Bereich Technologie Services und ist dort auch Diversitäts-Beauftragte. Sie erzählt im Interview, warum es explizite Fördercalls für Frauen braucht, wie schwer es Menschen manchmal fällt, über eigene Vorurteile hinwegzusehen und faire Entscheidungen zu treffen und warum es auch rein wirtschaftlich betrachtet wichtig ist, dass mehr Frauen bei Innovationen an Schlüsselpositionen sitzen.

Wenn es darum geht, den Frauenanteil in Männerdomänen zu heben, gibt es zwei Lösungsansätze, die immer wieder genannt werden: Role Models und Kindererziehung bzw. frühe Bildung. Siehst du das auch so?

Eva Czernohorszky: Ich würde noch eines ergänzen: die Anreize. Wenn wir die FemPower-Calls ausschreiben und gezielt in der betrieblichen Forschung Projekte fördern, die von Frauen geleitet werden, bewirken wir damit etwas. In den Unternehmen werden Frauen gefunden, die kompetent sind für Projektleitungen. Wir haben auch mit Partnern evaluiert, dass diese Frauen dann in Folge weitere Projektleitungen bekommen haben oder sogar Führungspositionen in ihren Unternehmen.

Also es braucht explizite Fördercalls für Frauen und es genügt nicht, bei allgemeinen Calls ein stärkeres Gewicht auf Diversität zu legen.

Wir glauben, es braucht beides.

Wie gestaltet ihr bei herkömmlichen Calls die Auswahl der eingereichten Projekte – oft spielt bei solchen Verfahren ja Bias, also eine gewisse Vorverurteilung, eine Rolle, ob man will oder nicht.

Das ist ein Thema, das uns sehr beschäftigt. Wir haben uns im Haus mit diesem unconscious bias – also unbewusstem Vorurteil – stark beschäftigt. Wir stellen sicher, dass alle Mitarbeitenden bei uns entsprechend geschult werden. Wir haben genau analysiert, ob die Chance von Projekten von Frauen, die bei uns eingereicht haben, genauso hoch ist, wie die von männlich geführten Projekten. Wir haben mit Schrecken festgestellt, dass das nicht der Fall ist. Auch in unseren Jurys hat also der unconscious bias zugeschlagen. Die Reaktion darauf war, dass wir ein Schulungstool entwickelt haben, in dem man mit diesen eigenen Vorurteilen konfrontiert wird.

Glaubst du allgemein, dass in Zukunft Algorithmen einen positiven Beitrag zu Diversität leisten können. Bisher gibt es ja nicht nur gute Erfahrungen damit.

Im Moment ist es eher so, dass Algorithmen den Bias eher verstärken. Wir haben in Wien aber mit IEEE eine Standardisierungs-Organisation, die weltweit führend daran arbeitet, trustworthy AI zu entwickeln, die diese Biases nicht zulässt. Ich hoffe sehr, dass das auch dazu beiträgt, Wien international zu positionieren – mit einer humanistischen Digitalisierung. Maschinen haben das Potenzial, die Vorurteile von Menschen auszugleichen und gerechter zu agieren, vorausgesetzt, sie werden mit den richtigen Daten trainiert.

Das ist also schon eine Perspektive, dass in der ferneren Zukunft Förderentscheidungen in der Wirtschaftsagentur von einem Algorithmus vollständig fair und ausgeglichen entschieden werden?

Ich glaube schon, dass Algorithmen zu gerechten Entscheidungen beitragen können, ich bin allerdings unsicher, ob ein Algorithmus Innovation erkennen kann. In der Jury geht es ja nicht nur um Gleichberechtigung, sondern auch darum, bei Projekten im Vergleich zu schauen, wo das größte Potenzial steckt. Das traue ich einer Maschine weniger zu.

Warum?

Weil es Maschinen an der Kreativität mangelt – das ist nach wie vor etwas, was Menschen Maschinen voraus haben.

Der Frauenanteil in der Gründungsstatistik Österreichs ist sehr hoch – ist das ein gutes Zeichen?

Da sind sicher viele Existenzgründungen dabei, also von Menschen, die keine andere berufliche Perspektive sehen. Es sind sicher auch Gründungen in Branchen dabei, wo Selbstständigkeit Unselbstständigkeit ablöst und das primär auf Kosten der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das sind wahrscheinlich oft Branchen, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist. Insofern ist es sicher nicht nur positiv.

Frauen machen sich also oft selbstständig, gründen aber eher selten Tech-Startups – warum wäre das aus deiner Sicht aber wichtig?

Erstens, weil es dort positiv ist. Weil das ein selbstbestimmtes Leben ist, in dem man die Zukunft gestaltet. Zweitens, weil es nachweislich auch die Erfolgschancen der Startups erhöht. Die Boston Consulting Group hat mit vielen Partnern bei vielen Investments in den USA erhoben, ob Frauen die gleichen Chancen haben, zu Venture Capital zu kommen wie Männer. Das ist bedauerlicherweise nicht der Fall. Männlich geführte Startups haben durchschnittlich zwei Millionen Dollar geraised, Frauen ungefähr eine Million Dollar. Das Überraschende und Beeindruckende ist aber, dass dann die Rendite bei von Frauen gegründeten Startups viel besser war. Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass diverse Teams auch die bessere Qualität liefern und bessere Erfolgsaussichten haben.

Das hat ja auch mitunter damit zu tun, dass Investoren meist Männer sind.

Ja, und wieder mit diesem unconcious bias. Wir haben das in unseren Trainings auch gesehen. Die gesamte Gruppe hat einen Lebenslauf bekommen und eine Job Description. Wir mussten dann von 0 bis 100 quantifizieren, wie gut dieser Kandidat oder diese Kandidatin auf den Job passt. Der Lebenslauf war immer gleich, es waren nur die Geschlechter und die Nationalitäten verschieden. Und dennoch haben die Einschätzungen von 20 Prozent Übereinstimmung bis 80 Prozent gereicht. Das hat uns die Augen geöffnet. Man tappt immer wieder in diese Vorurteils-Falle, selbst, wenn man bei dem Thema schon sensibilisiert ist. Man muss sich das immer wieder bewusst machen.

Es gibt zwar immer mehr Frauen in der IT, aber nach wie vor ist der Bereich sehr Männer-dominiert – wie war eigentlich dein erster Kontakt mit der IT, wie bist du in diesem Bereich gelandet?

Ich bin ausgebildete Politologin und habe mich während des Studiums auf Forschungspolitik spezialisiert. Meine nächsten Stationen waren das Wissenschaftsministerium und die Universität Wien und ich bin dann eher durch Zufall bei der Wirtschaftspolitik gelandet, weil dort in den späten 1990ern das Thema Technologietransfer sehr relevant war. Insofern war es gut, dass ich wusste, wie Universitäten funktionieren. Dann bin ich immer stärker in diese Wirtschaft- und Technologie-politischen Themen hineingewachsen. Die IT ist als Schwerpunkt in Wien immer größer geworden – zum Beispiel auch in den COMET-Forschungszentren, die wir fördern.

Gibt es in diesen Bereichen mittlerweile mehr Frauen als früher?

Es ist noch immer eine Männerdomäne. Zum Glück gibt es aber nicht mehr diese Veranstaltungen, wo von 100 Menschen nur fünf Frauen sind. Die sind die Ausnahme geworden und auch das Bewusstsein für Diversität ist sehr stark gewachsen. Ich kann mich erinnern, als wir 2004 einen ersten Call gemacht haben, in dem wir nur betriebliche Forschungsprojekte gefördert haben, die von Frauen geleitet wurden. Das war damals relativ revolutionär. Andere Förderagenturen haben damals noch betont, dass sie Exzellenz fördern unabhängig vom Geschlecht. Das würde heute niemand mehr sagen. Sowohl FFG als auch aws würden betonen, dass Diversität wichtig ist für Innovation. Das Mindset hat sich also verändert und langsam sieht man das auch in den Zahlen. In der betrieblichen Forschung war der Frauenanteil 2004 bei 12 Prozent und jetzt ist es ungefähr ein Viertel. Ähnlich ist es auch in der Startup-Community, wo wir jetzt auch ein Wachstum von 12 auf 19 Prozent bei Gründerinnen hatten. Aber bis zu einer Gleichberechtigung gibt es noch viel zu tun.

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AnovonA
Das Team von AnovonA (c) AnovonA

In den rund 1.300 Billa-Filialen in Österreich sind bereits drei “mucki”-Getränke des Wiener Startups AnovonA flächendeckend erhältlich, zudem bei Mpreis und Metro. Und auch jenseits der Grenzen gibt es bereits einige Listungen, zum Beispiel bei coop in der Schweiz, bei Rewe in Bayern und bei Edeka deutschlandweit. Man habe die Umsätze seit Marktstart jährlich im Durchschnitt um den Faktor 3,5 steigern können, heißt es vom Startup.

Weitere Expansion im DACH-Raum geplant

Und so soll es auch weitergehen. “Deutschland und insbesondere Bayern wird 2025 neben dem weiteren Wachstum in der Schweiz und in Österreich ein ganz besonderer Wachstumsfokus sein”, so AnovonA in einer aktuellen Aussendung. Dazu sollen auch weitere Produkte auf den Markt gebracht werden, etwa ein Müsli.

Weitere Finanzierung für AnovonA bereits im Jänner

In den vergangenen Jahren kommunizierte AnovonA bereits mehrere Finanzierungsrunde – teilweise in Millionenhöhe. Anfang Jänner dieses Jahrs berichtete brutkasten zuletzt über eine siebenstellige Finanzierung aus dem davorliegenden Dezember mit SalzburgMilch als strategischem Investor. Bei dieser wurde die Firmenbewertung mit 9,2 Millionen Euro angeben. Bereits kurze Zeit später, noch im Jänner 2024, habe man eine weitere Investmentrunde mit dem deutschen Getränkehersteller VILSA über die GreenRock Brands GmbH zu einer Bewertung von 10,8 Millionen Euro abgeschlossen, heißt es nun vom Startup.

Aktuelles Millioneninvestment mit 14-Millionen-Euro-Bewertung

Nun befinde man sich in einer weiteren Finanzierungsrunde in Millionenhöhe durch Bestandsinvestoren zu einer Bewertung von mittlerweile mehr als 14 Millionen Euro, heißt es von AnovonA. Bei dieser werden die Bestandsgesellschafter “zu einer knappen Million Euro mitziehen”, sagt CEO Alexander Novotny auf brutkasten-Anfrage. “Der Zielbetrag, den wir in den nächsten Monaten einwerben möchten, ist zwei Millionen Euro”, so der Gründer.

AnovonA: Weitere Investoren u.a. im Lebensmittelbereich gesucht

Dieses Kapital diene zur Finanzierung eines Maßnahmenpaketes zusätzlicher Werbe- und Vertriebsmaßnahmen in der Schweiz und in Deutschland. Ein Großteil der Maßnahmen sei für Bayern geplant. “Bei der Suche nach neuen Investoren sind wir – ohne uns darauf einzuschränken – insbesondere auch an Partnern aus anderen Bereichen der Lebensmittelindustrie interessiert, da die Vision unseres Unternehmens ist zu einem der führenden Anbieter für Proteinlebensmittel zu werden”, erklärt Novotny.

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