10.09.2024
LEARNINGS

Bernhard Hauser: “Wir haben einfach 120 Hofer-SIM-Karten gekauft”

Dass Scheitern nicht ein Ende, sondern ein neues Kapitel bedeuten kann, weiß Bernhard Hauser. Im Gespräch mit brutkasten erzählt er über seine Learnings aus der Startup-Insolvenz von oratio.
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Bernhard Hauser vor hellem Hintergrund
Bernhard Hauser, jetzt als Gründer des Micro-Private-Equity-Fond Waterglass (c) Bernhard Hauser

Zu Höchstzeiten verzeichnete oratio 10 Millionen versendete Nachrichten. Zu ihrem Kundenkreis gehörten sowohl die Vereinten Nationen als auch Danone oder Uber. Die Geschichte von oratio wäre also eigentlich keine vom Scheitern, sondern eine über den “kontrollierten Unternehmenssuizid”, erinnert sich Gründer Bernhard Hauser. Gemeinsam mit dem damaligen CTO David Pichsenmeister entwickelte er eine API Schnittstelle für WhatsApp. Heute betreibt er mit Waterglass einen Micro-Private-Equity-Fund und fokussiert sich auf kleine, profitable Unternehmen.

“Chatbots hier, Chatbots da”

Hauser erzählt von seiner Zeit bei oratio, mit einem monatlichen Umsatz von über 20.000 Euro: “Du kommst dann morgens ins Büro, hast eine volle Inbox und verzeichnest Signups von uber.com und boohoo.com”, erinnert er sich. Über das Unternehmen sagt er: “Die Idee war relevant, am Zahn der Zeit und sie hat ein echtes Problem für echte Kunden gelöst.” 2016 war der Chatbot-Hype groß und oratio mittendrin. “Wir hatten halt einfach sehr viel Rückenwind, überall hieß es Chatbots hier, Chatbots da”, erzählt er.

Was kann da also schief gehen? Einiges, weiß Bernhard Hauser. Jetzt im Nachhinhein. Denn da ist man ja meistens klüger. “Wir waren in dieser seltsamen Situation, dass wir ein Produkt hatten, das wirklich organisch sehr viel Nachfrage hatte. Auf der anderen Seite war klar, wenn wir so weitermachen, haben wir keine Zukunft”, sagt Hauser. oratio hatte ein Grundproblem: Das eigene Produkt war auf dem Produkt eines anderen Unternehmens aufgebaut. “Wir haben uns immer gefragt, was wenn WhatsApp irgendwann selbst eine Schnittstelle rausbringt?” Das tat WhatsApp auch 2018, zu der Zeit gab es oratio aber schon nicht mehr.

120 Hofer-SIM-Karten – funktionierendes Chaos

Das Produkt aufrecht zu erhalten war aufwändig. “Wir mussten konstant Ressourcen reinstecken.” Dazu nutzten die Gründer eher ungewöhnliche Methoden: “Wir haben einfach 120 Hofer-SIM-Karten gekauft, die zu virtuellen Telefonnummern gemacht und das dann alles auf unseren Servern ferngesteuert.” Für den Gründer war das “funktionierendes Chaos”.

Ein Term-Sheet lag im Posteingang. Die Terms überzeugten allerdings den ambitionierten Gründer nicht: “Ich habe gesagt, na, wir kriegen einen besseren Namen und mit besseren Bedingungen.” Die Gründer schlugen das Investment aus. Heute sagt Hauser über sich: “Ich muss zugeben, mein Ego war damals viel zu groß.”

Das Fenster schließt sich langsam

Mitte 2017 merkte man bei oratio, dass das Startup ins Schwanken geriet. “Da war dann klar, rein mit dem Umsatz und dem projizierten Wachstum werden wir es wahrscheinlich nicht schaffen”, erzählt Hauser. Die Situation wäre dem Team klar kommuniziert worden. Die Lösungsvorschläge lagen auf dem Tisch: “Entweder ein, zwei große Kunden bekommen oder ein externes Investment aufnehmen oder das Team radikal reduzieren”, erinnert er sich.

Die Gründer entschieden sich dafür, ihr stärkstes Produkt – den WhatsApp-Support – kontrolliert einzustellen. “Wir haben eigentlich einen kontrollierten Unternehmenssuizid gemacht”, sagt Hauser. Die Monate vergingen und keine der oben genannten Lösungsvorschläge materialisierte sich. Es kam kein weiteres Investment-Angebot herein, die großen Kundenzugewinne blieben aus und das Team zu verkleinern kam für die Gründer nicht in Frage. Das Aus von oratio verkündeten sie dann in einem All-Hands-On-Site im Juni 2017.

Nicht jedes Startup sollte Geld aufnehmen

“Eigentlich hätte ich die Firma umsatzmäßig nach vorne bringen sollen, das wäre besser gewesen als Zeit in Fundraising zu stecken”, sagt Hauser. Heute steht er skeptisch zu Investments und dem Fokus, den viele Startups darauf legen. “Ich versuche schon stark, in Frage zu stellen, ob man immer Geld raisen muss, oder ob man sich nicht einfach darauf konzentriert, ein Unternehmen zu bauen und Umsätze zu machen”, erklärt Hauser. Das Problem kennt er selbst: “Ich war auch von dieser Story verleitet: Hol dir Geld, dann sind alle Probleme gelöst, dann kannst du machen, was du willst. Und das stimmt nicht”, sagt der Gründer. Er findet, dass Investments einen Druck ausüben und den Fokus von Unternehmen ungünstig verschieben würden.

Rückblickend gibt er Gründer:innen mit: “Es ist nicht notwendig, dass jedes Startup Geld aufnehmen muss. Wichtig ist es, ein Unternehmen mit einem relevanten Produkt zu bauen, das ein relevantes Problem im Markt löst und dafür bezahlen dann auch Leute.”

Mit Waterglass jetzt Fokus auf profitable Unternehmen

Heute betreibt Hauser einen Micro-Private-Equity-Fund unter dem Namen Waterglass. Damit möchte er sich auf Nischenstartups im B2B- und SaaS-Bereich konzentrieren. Das Ziel von Waterglass ist es, kleine profitable Unternehmen zu kaufen und diese dann weiter ins nachhaltige Wachstum zu führen. Das Geschäftsmodell erklärt er so: “Da geht es nicht darum große VC-Cases zu bauen, von denen eines ein Moonshot werden muss, sondern das Ziel ist es, alle Unternehmen profitabel wachsen zu lassen. Auch wenn sie nur 15 Prozent im Jahr wachsen, ist das absolut okay.”

Hätte Waterglass denn auch oratio gekauft? “Ja, weil oratio organisch viel Nachfrage hatte”, ist sich der Gründer sicher. Auf die umgekehrte Frage, ob er damals an Waterglass verkauft hätte, ist die Antwort nicht mehr so eindeutig. Hier schwankt der Unternehmer zwischen dem Bernhard heute und dem Bernhard von damals: “Ja das ist die Frage …”

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Anyconcept, AnyConcept, Automatiserung, Software testen,
(c) AnyConcept - Das AnyConcept-Team.

Rund 80 Prozent aller Unternehmen testen ihre Anwendungen und Software händisch. Entweder klicken sie sich mühsam durch ihre Software oder ihren Webshop, um zu sehen, was funktioniert und was nicht, oder sie coden sich ihre Tests. Beides langwierige, kostenintensive und mühsame Aufgaben. Das wissen Leander Zaiser, CEO, Manuel Weichselbaum, CTO, und Markus Hauser, die gemeinsam mit Kevin Intering und Pascal Goldschmied das KI-Startup AnyConcept gegründet haben.

AnyConcept und das Problem der No-code-Software

Die Founder haben sich deswegen dazu entschlossen eine Testautomatisierungs-Software zu entwickeln, um den Prozess für Unternehmen zu vereinfachen und günstiger zu gestalten.

Zaiser war sechs Jahre lang RPA-Experte (Robotics Process Automation) bei Raiffeisen und hat dort Automatisierungssoftware automatisiert. Der CEO musste dabei feststellen, dass vermeintliche No-code-Software ohne Entwicklungskompetenzen sich nicht erfolgreich einsetzen ließ. Für gelernte Softwareentwickler wiederum war das Arbeiten mit solch einer Anwendung keine attraktive Tätigkeit.

Weichselbaum indes forscht seitdem er 17 ist an Künstlicher Intelligenz. Und widmet sich dabei vor allem immer den aktuellen Herausforderungen der internationalen Forschung. Das passte hervorragend zu Zaisers erkanntem Problem: aktuelle Automatisierungssoftware ist zu komplex für Non-Coder und nicht attraktiv genug für Coder. Also fragten sich die Founder: Was, wenn man Automatisierung mit einem No-Code-Ansatz macht, mithilfe einer KI, die genau das tut, was man ihr auf dem Bildschirm zeigt? So war AnyConcept geboren.

Das Black Friday-Problem

“Jede Software, jeder Webshop, jede Applikation muss immer wieder getestet werden, ob sie richtig funktioniert. Und da sie auch ständig durch neue Updates von Entwicklern oder bei einem Webshop mit neuen Produkten gefüttert wird, verändern sich Applikationen dauerhaft. Das kann wieder zum Brechen der bisherigen Funktionen führen”, erklärt Hauser, ein per Eigendefinition fleischgewordenes Startup-Kind, das zuletzt Johannes Braith (Storebox) als rechte Hand begleiten und somit Entrepreneurship aus nächster Nähe beobachten und Mitwirken durfte.

Der Gründer präzisiert sein Argument mit einem Beispiel passend zum Black Friday. Jedes Jahr würden Unternehmen Milliarden US-Dollar verlieren, weil sie ihre Preise falsch definieren oder Prozente und Dollar verwechseln, ohne dass es wem auffällt. Außerdem könnten “Trilliarden US-Dollar” an Schäden durch fehlerhafter Software, die nicht richtig getestet wurde, vermieden und “50 Prozent der IT-Projektkosten” gesenkt werden, wenn Testen automatisiert mit No-Code abläuft, so seine Überzeugung.

“Durch unser KI-Modell, das ein User-Interface rein durch Pixeldaten, Mausklicks und Tastatureingaben erkennen und manövrieren kann, schaffen wir es Automatisierung No-Code zu gestalten”, sagt Hauser. “Das Ziel ist es unsere KI-Agenten zukünftig zum Beispiel einen Prozess wie UI-Software-Testing rein durch eine Demonstration, das bedeutet das Vorzeigen des Testfalles, automatisiert durchführen zu lassen. Sie werden sich dabei exakt so verhalten wie es ein Benutzer tun würde, orientieren sich nur an den Elementen des User-Interface und konzentrieren sich nicht auf den dahinterliegenden Code. Das ist unser USP.”

FUSE for Machine Learning

Dieses Alleinstellungsmerkmal fiel auch Google auf. Konkreter Google Cloud Storage FUSE for Machine Learning. Anfänglich noch ein Open Source-Produkt als “Linux Filesystem in Userspace” oder eben als “FUSE” tituliert, wurde die Software von Google in die Cloud integriert und hilft beim Verwalten von Unmengen von Trainingsdaten, Modellen und Kontrollpunkten, die man zum Trainieren und Bereitstellen von KI-Workloads benötigt.

Anwendungen können hierbei direkt auf die Cloud zugreifen (Anm.: anstatt sie lokal herunterzuladen); als wären sie lokal gespeichert. Es müssten zudem keine benutzerdefinierte Logik implementiert werden und es gebe weniger Leerlaufzeit für wertvolle Ressourcen wie TPUs und GPUs, während die Daten übertragen werden.

FUSE sei einfach ein Produkt für Unternehmen, so Weichselbaum weiter, um große Datenmengen bequem zu verwalten und sie verfügbar zu machen: “Wir verwenden es, um viele Terrabytes von Daten auf der Cloud zu lagern, was am Computer nicht möglich ist”, sagt er.

Google sagt Hallo

Weil AnyConcept das Service von FUSE sehr intensiv nutzte, wurde Google auf die Grazer aufmerksam. Und hat konkret nachgefragt, was sie für einen Use-Case mit ihrem Angebot entwickelt haben. “Wir waren einer der ersten, die das genutzt haben, um effizient unsere KI-Agents zu trainieren“, sagt Weichselbaum. “Das Produkt von Google ist ein Teil unserer Datenverarbeitung und des Trainings unserer ganz spezifischen KI und Google wollte wissen, warum und wie wir das so intensiv verwenden. Das hat dazu geführt, dass wir unsere Ideen für Produktverbesserungen und Skripts mit ihnen teilen durften.“

AnyConcept und seine Konzepte

Das Ziel von AnyConcept ist es, ein Foundation-Modell nicht für Texte oder Bilder, sondern für Interaktionen mit dem User-Interface zu entwickeln.

Im Detail reicht hierbei eine Demonstration von einem solchen Interface und AnyConcept analysiert es mit neuronalen Netzwerken. Es erkennt Strukturen, die das Startup seinem Namen getreu “Konzepte” nennt und die auf breites Wissen aufbauen, wie man mit einem Computer interagiert.

“So ein Konzept wäre etwa ein ‘Button’ auf einer Website”, erklärt es Zaiser in anderen Worten. “Die KI versteht dann, dass man ihn anklicken kann und was danach passiert. Oder wie lange eine Website braucht, sich zu öffnen und wie sie aussieht.”

Aktuell forscht AnyConcept an der Generalisierungsfähigkeit ihres Netzwerkes. Zaiser dazu: “Wir testen unsere KI bereits mit Pilotkunden bei der Anwendung von Software-Testautomatisierung und bekommen großartiges Feedback.”

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