19.10.2022

Arbeiterkammer über sexuelle Belästigung: Kein Nein heißt auch Nein

Nicole Reiter von der Arbeiterkammer erklärt im Gespräch mit dem brutkasten, an welche Einrichtungen man sich wenden kann, wenn man im Berufsleben sexuell belästigt wird.
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Nicole Reiter ist Arbeitsrechtsexpertin bei der Arbeiterkamme und berät unter anderem in Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. © Nicole Reiter
Nicole Reiter ist Arbeitsrechtsexpertin bei der Arbeiterkamme und berät unter anderem in Fällen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. © Nicole Reiter

Nicole Reiter ist als Arbeitsrechtsexpertin in der Frauen- und Familienabteilung der Arbeiterkammer tätig. Hier beschäftigt sie sich unter anderem mit der Problematik der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und bietet eine arbeitsrechtliche Beratung an. Im brutkasten-Interview für #growrespect erklärt sie die Möglichkeiten und Handlungsrahmen, die Arbeitnehmer:innen haben, wenn sie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben und gibt Beispiele aus ihrem Arbeitsalltag bei der Arbeiterkammer.

Starten wir mit dem Status quo: Wie ist die Lage in Österreich wenn es um sexuelle Belästigung im Arbeitskontext geht?

Bei der Arbeiterkammer machen wir die Erfahrung, dass vor allem Branchen wie das Gastgewerbe oder der Dienstleistungssektor stark von sexueller Belästigung betroffen sind. Da solche Übergriffe häufig im Zusammenhang mit Machtverhältnissen und Abhängigkeiten stehen, sind junge und in Ausbildungsverhältnissen stehende Arbeitnehmer:innen besonders häufig betroffen.

Woran könnte das liegen?

Es ist natürlich nicht die einzige Gruppe, allerdings sehe ich in meiner Tätigkeit besonders häufig junge Frauen als Betroffene, die nicht wissen, wie sie sich wehren sollen und Angst vor den Folgen haben. Es kommt oft vor, dass die belästigenden Personen Drohungen aussprechen, was die Angst vor negativen Folgen natürlich erhöht. Deshalb ist es besonders wichtig, 

  • alles gut zu dokumentieren, 
  • Vorfälle immer zu melden, 
  • sich, wenn vorhanden, an einen Betriebsrat zu wenden und diesen stets einzubinden 
  • Vorgesetzte zu informieren und 
  • einen Beratungstermin mit der Arbeiterkammer oder der Gleichbehandlungsanwaltschaft auszumachen.

Sehr häufig kommt das Problem auf, dass sexuelle Übergriffe ohne Zeug:innen passieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen eine Art Gedächtnisprotokoll führen. 

Wenn es keine Zeug:innen gibt, steht ggf. Aussage gegen Aussage. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Genau deswegen ist die Dokumentation durch ein Gedächtnisprotokoll so wesentlich. Außerdem darf man nicht vergessen: Der Arbeitgeber hat laut Gesetz eine Verpflichtung zur Abhilfe. 

Abgesehen vom eigenen Arbeitgeber: Welche weiteren Stellen gibt es in Österreich, an die man sich wenden kann?

Außerhalb des Unternehmens können sich die Betroffenen selbstverständlich an die Arbeiterkammer und an Fachgewerkschaften wenden. Hier gibt es die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die die Betroffenen in solchen Situationen berät und vertritt. Außerdem gibt es die Gleichbehandlungskommission, wo man diese Dinge anzeigen kann. Dort wird der individuelle Fall dann geprüft. Weitere Kooperationspartner sind außerdem der Verein Sprungbrett, mit dem wir bei der AK Wien die Kampagne “Act4Respect” gestartet haben. Dabei handelt es sich um ein Unterstützungsangebot für junge Frauen und Männer in Ausbildungen und Berufen, in denen sie sexuell belästigt wurden. Speziell für weibliche Betroffene gibt es außerdem die Frauenhelpline gegen Gewalt, an die man sich wenden kann.

Was sind mögliche Konsequenzen für die belästigende Person, wenn man gegen deren Verhalten vorgeht? 

Das hängt immer von der Schwere der Belästigung ab. Mögliche Konsequenzen sind bspw. eine Verwarnung oder Schadensersatz. Je nach Fall würde der Arbeitgeber eine Verwarnung oder auch eine Versetzung für die belästigende Person aussprechen. Es kann aber auch bis hin zur Kündigung oder Entlassung führen.

Wenn weder der Arbeitgeber noch die belästigende Person reagiert, kann eine Schadensersatzklage eingebracht werden. Diese kann man gerichtlich einbringen oder einen Antrag bei der Gleichbehandlungskommission stellen. Letztendlich muss man glaubhaft machen, was vorgefallen ist und das Erlebte beschreiben. Daher kann ich nicht oft genug sagen, dass ein Gedächtnisprotokoll wichtig und hilfreich ist. Die Verjährungsfrist liegt bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bei drei Jahren. Man kann das Erlebte also nach bis zu drei Jahren einklagen.

Wenn man auf das spezielle Szenario der sexuellen Belästigung in einem Startup schaut, gibt es nur selten einen Betriebsrat, dafür aber flache Hierarchien und eine gewisse Nähe zur Kollegschaft bzw. Geschäftsführung. Was bedeutet das für Betroffene?

Wenn der bzw. die Vorgesetzte sexuell belästigt, ist das natürlich schwierig. Vielleicht schafft man es als betroffene Person dennoch aufzuzeigen, dass das Verhalten unerwünscht ist. Selbstverständlich handelt es sich aber auch um sexuelle Belästigung, wenn man es nicht schafft “Nein” zu sagen. Sexuelle Belästigung setzt nicht voraus, dass sich das Opfer wehrt.

Startups könnten bspw. häufiger von sexueller Belästigung betroffen sein, da die Kontrollmechanismen nicht so groß sind. Bei flachen Hierarchien macht es meiner Meinung nach dennoch Sinn, das Erlebte schriftlich festzuhalten und darauf hinzuweisen, dass von diesem Verhalten Abstand genommen werden muss. Mir ist natürlich bewusst, dass das für das Arbeitsklima nicht förderlich ist. Aber auch bei einem kleinen Unternehmen kann und sollte man sich so etwas nicht gefallen lassen. 

Wie erfolgreich sind solche Fälle denn erfahrungsgemäß, nachdem man sich dazu entscheidet, gegen die belästigende Person vorzugehen?

Es kommt darauf an, was man unter Erfolg versteht. Ich finde den Mindestschadensersatz von 1.000 Euro nicht besonders toll, da diese Summe in keiner Relation zu einer sexuellen Belästigung steht. Natürlich hängt es aber immer stark davon ab, was im individuellen Fall vorgefallen ist. Schließlich kommt es auch häufig zu Mehrfachdiskriminierungen. 

“Nur wenn Institutionen, wie die Arbeiterkammer oder die Gleichbehandlungsanwaltschaft gegenüber dem Arbeitgeber in Erscheinung treten, kann sich langfristig in der Struktur des Unternehmens etwas ändern.”

Welche Bedeutung haben diese Einrichtungen, die im Fall von Diskriminierung am Arbeitsplatz unterstützen?

Ich halte es für sehr wichtig, dass es solche Institutionen gibt und die Bevölkerung diese kennt. Die Menschen sollen wissen, dass sie nicht alleine durch solche Situationen müssen und das Erlebte nicht ignorieren sollten. Diese “Still-halten-Taktik” führt in den seltensten Fällen zum Erfolg. Wir wissen nämlich auch, dass die Betroffenen von sexueller Belästigung häufig an Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Angstzuständen und Panikattacken leiden.

Meiner Meinung nach muss man die Menschen dazu ermutigen, zu handeln. Denn nur wenn Institutionen, wie die Arbeiterkammer oder die Gleichbehandlungsanwaltschaft gegenüber dem Arbeitgeber in Erscheinung treten, kann sich langfristig in der Struktur des Unternehmens etwas ändern. Dann sind sie nämlich gezwungen, etwas zu ändern und Präventivmaßnahmen einzuführen. Für die einzelne Person ist das verständlicherweise ein harter und kräftezehrender Weg, langfristig ist es aber für alle nützlich.


Disclaimer: Mit unserer Initiative #growrespect möchten wir für die Themen Sexismus und auch sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag sensibilisieren. Dabei wollen wir investigativen Journalismus leisten und sowohl als Informationsplattform, aber auch als Austauschplattform für betroffene Personen auftreten.

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Als Leitmedium für die Gestalter:innen der Zukunft starten wir daher bereits zum vierten Mal den “Innovator of the Year” und zeichnen gemeinsam mit unserer Community in den drei Kategorien Startups, Scaleups und Corporate Innovation die innovativsten Köpfe aus.

Den Anfang macht die Kategorie “Startups” mit insgesamt zehn Nominierungen. Die brutkasten-Redaktion ist täglich im Austausch mit den Gründer:innen und hat in mehreren Jurysitzungen eine Shortlist mit jenen erstellt, die 2024 besonders aufgefallen sind. Die Nominierten haben die Redaktion mit innovativen Ideen, Geschäftsmodellen und Produkten besonders überzeugt.

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Anna Abermann | (c) griseldaphotography.com | brutkasten

Anna Abermann, die Gründerin der Bio-Getränkemarke Pona, erlebte 2024 ein Jahr des Neuanfangs. Nachdem ihr Unternehmen, die Pona Sonst Nix GmbH, im Juli 2023 Insolvenz anmelden musste, gelang ihr Anfang 2024 der Neustart. Gemeinsam mit Wolfgang Fojtl, dem Eigentümer der Bio-Frühstücksmarke Verival, gründete sie die Wonderful Biodrinks GmbH, in der sie als Mehrheitsgesellschafterin fungiert. Im Mai 2024 trat die Wonderful Biodrinks GmbH als Sponsor des Vienna Shorts Filmfestivals mit der Marke bitterschön auf, was die aktive Präsenz des Unternehmens in der österreichischen Kulturszene unterstreicht. 

Katharina Unger | Livin Farms

Katharina Unger | (c) Paris Tsitsos / Livin Farms

Katharina Unger, Gründerin und CEO von Livin Farms, trieb 2024 die Expansion ihres Unternehmens entscheidend voran. Der Bau neuer, modular skalierbarer Insektenmastanlagen begann in mehreren europäischen Ländern, darunter Spanien, Österreich, Belgien und Deutschland. Diese Anlagen sind darauf ausgelegt, jährlich bis zu 100.000 Tonnen organisches Material in hochwertiges Insektenprotein umzuwandeln und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Proteinproduktion.

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Das Nähroboter-Startup Silana wurde Mitte 2022 von Michael Hofmannrichter (CEO), Michael Mayr (COO) und Anton Peter Wohlgemuth (CTO) gegründet. Das Wiener Unternehmen erhielt im Mai 2024 ein 1,5 Millionen Euro-Investment von einer US-Milliardärs-Familie, den waterdrop-Gründern Martin und Henry Murray, von der Nachhaltigkeitsexpertin in der Textilindustrie Yoobin Jung und dem Sequoia Scout und ex-CGO von N26 Alexander Weber. Knapp vier Monate danach vermeldete Silana den Gewinn von Trigema als Kunden.

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Achtstellige Umsätze und einem Team von mittlerweile rund 70 Personen. Und das, obwohl das Unternehmen erst im Frühjahr dieses Jahrs an den Start ging und bislang kein Investment aufgenommen hat. Die Rede ist von Heizma rund um Michael Kowatschew, Alexander Valtingojer und Valentin Perkonigg. Mit seinem Ansatz, Kund:innen einen möglichst einfachen und schnellen Zugang zu Wärmepumpen-Systemen inklusive Förderabwicklung komplett aus einer Hand zu bieten, startete das Unternehmen dieses Jahr in kürzester Zeit durch – und Pläne für eine Erweiterung auf den PV-Bereich liegen bereits am Tisch.

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Als Mitgründerin des Wiener Startups Freundeskreis entwickelte Mona Heiß gemeinsam mit Leo Sulzmann und Markus Korn eine pflanzliche Camembert-Alternative namens „Cam-mmh-berta“. Das Produkt wird aus Marillenkernen hergestellt, einem Nebenprodukt der Marillenverarbeitung, und bietet eine vegane sowie laktosefreie Option für Käseliebhaber:innen. Seit Juni 2024 ist „Cam-mmh-berta“ in ausgewählten Wiener Geschäften erhältlich. Mit ihrer Marke „Under the Hours“ brachte Heiß zudem eine nachhaltige Unterwäsche- und Loungewear-Kollektion auf den Markt, die aus Materialien wie Milch- und Orangenfasern besteht. Diese Textilien werden aus überschüssiger oder unbrauchbarer Milch gewonnen, wodurch Lebensmittelabfälle reduziert und umweltfreundliche Alternativen zu synthetischen Fasern geschaffen werden.

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Moritz Lechner | (c) LinkedIn-Profil

Mit 14 Jahren war er der damals jüngste Gründer Österreichs und startete sein Startup Freebiebox “aus dem Kinderzimmer heraus”. 2021 starteten Moritz Lechner und sein Co-Founder Chris Pollak mit New Fluence ein neues Unternehmen, das auf die automatisierte Abwicklung von Micro-Influencer-Marketingkampagnen spezialisiert ist. Drei Jahre später – mit mittlerweile rund 50 Mitarbeiter:innen, 10.000 betreuten Influencer:innen einem siebenstelligen EBIT und Kunden wie Coca-Cola, Beiersdorf, C&A oder Waterdrop – folgte dieses Jahr der Millionenexit. Und auch mit dem neuen Eigentümer 1SP Agency aus Deutschland will Lechner weitermachen und das Wachstum vorantreiben.

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Bild und Ton gibt es bereits lange in digitaler Form. Ein Sinneseindruck, der bislang dagegen nicht von Computern übernommen werden konnte, sind Gerüche. Das Startup Nosi rund um Patrik Aspermair, Klara Brandstätter und Johannes Bintinger ändert das. Seine elektronische Nase “soll überall dort reingesteckt werden, wo der Mensch seine Nase nicht reinstecken soll oder will”. Fokusbereiche sind etwa Smart Home, Indoor Air Quality, Pflege und Hotellerie. Nach jahrelanger Forschung und Entwicklung macht Nosi mittlerweile seine ersten Schritte am Markt – und hat große Pläne.

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Robin Simsa | (c) Revo Foods

Robin Simsa, Gründer und CEO von Revo Foods, hat 2024 bedeutende Fortschritte im Bereich der pflanzlichen Fischalternativen erzielt. Im März stellte das Unternehmen mit “The Kraken” die erste vegane Oktopus-Alternative vor, die durch authentischen Geschmack und Textur überzeugt. Im September eröffnete Revo Foods in Wien die “Taste Factory”, die weltweit größte industrielle Anlage für 3D-Lebensmitteldruck. Diese Einrichtung ermöglicht die Produktion von bis zu 60 Tonnen pflanzlicher Filets und Steaks pro Monat und markiert einen Meilenstein in der additiven Lebensmittelherstellung. Zusätzlich ging Revo Foods eine Kooperation mit dem belgischen Unternehmen Paleo ein, um mithilfe von Präzisionsfermentation innovative Myoglobin-Lösungen für pflanzliche Fischalternativen zu entwickeln.

Sabine Niedermüller und Simone Mérey | Heldyn

Sabine Niedermüller und Simone Mérey | (c) Heldyn

Sabine Niedermüller und Simone Mérey, Gründerinnen des Wiener Pflege-Startups Heldyn, konnten 2024 bedeutende Fortschritte erzielen. Neben der Expansion nach Salzburg im Herbst bauten sie insbesondere den B2B-Bereich aus. Heldyn bietet nun gezielt Pflege- und Therapiedienstleistungen für Geschäftskunden wie Spitäler, Pflegeheime und Hauskrankenpflegeanbieter an, um flexibel auf Bedarfsspitzen und Dienstausfälle zu reagieren. Diese Weiterentwicklung wurde durch eine sechsstellige Finanzierung im November unterstützt, an der sich neben neuen Investoren wie der Weilburg Ventures GmbH auch bestehende Geldgeber wie die AS²K Beteiligungs GmbH von Sebastian Kurz beteiligten.

Sophie Bolzer | Audvice

Sophie Bolzer hat Audvice gegründet © Audvice
Sophie Bolzer | (c) Audvice

Sophie Bolzer ist Gründerin des Salzburger Startups Audvice, das eine Plattform für Corporate-Podcasts und Audio-Kommunikation in Unternehmen entwickelt. Im September wurde Audvice vom deutschen Unternehmen Hype1000, einem führenden Anbieter im Bereich Corporate Podcasting, vollständig übernommen. Bolzer bleibt bis Ende des Jahres operativ tätig und wird anschließend in beratender Funktion für das Unternehmen tätig sein.


Die beiden Kategorien “Scaleups” und “Corporate Innovation” werden demnächst auf brutkasten.com veröffentlicht. Stay tuned!

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