21.11.2023

App Radar-Gründer: “Große Erleichterung, dass ich mein Lebenswerk nicht sterben lassen muss”

Nach dem Verkauf an das US-Startup SplitMetrics spricht App-Radar-Gründer Thomas Kriebernegg im Interview offen über die vergangenen Monate. Im Juli hatte das Startup Insolvenz anmelden müssen.
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App Radar-Gründer Thomas Kriebernegg | (c) App Radar
App Radar-Gründer Thomas Kriebernegg | (c) App Radar

Im Juli dieses Jahrs musste das Grazer Startup App Radar Insolvenz anmelden und beantragte ein Sanierungsverfahren. Vergangene Woche verlautbarte das Startup dann, vom US-Startup SplitMetrics übernommen worden zu sein. Wie es zur Insolvenz und in weiterer Folge zur Übernahme kam, was er rückbezüglich besser weiß und was er aus all dem gelernt hat, erzählte uns App-Radar-Gründer Thomas Kriebernegg im Interview.


brutkasten: Wie kam es zur Insolvenz im Sommer?

Thomas Kriebernegg: Seit spätestens dem vierten Quartal 2022 war unsere gesamte Branche stark unter Druck. Es ist kaum ein Tag vergangenen, an dem nicht ein großes Tech-Unternehmen mindestens 30 Prozent der Stellen abgebaut hat. Zu unseren Kunden im App-Marketing zählen viele der Unternehmen, die massive Kostensenkungen vorgenommen haben. Dadurch sind uns Kunden weggebrochen. Manche haben auch selbst Insolvenz angemeldet.

In der Zeit haben sich auch mehrere Mitbewerber gemeldet und gefragt, ob die Situation bei uns die selbe ist. Zwei haben sogar angefragt, ob wir sie übernehmen wollen, weil sie es nicht mehr stemmen konnten. Es war also offenbar ein globales Marktphänomen.

Wir haben dann schnell begonnen, darauf zu reagieren und unsere Kosten gesenkt. Wir haben etwa von drei auf eineinhalb Entwickler-Teams reduziert und mussten auch weitere Team-Mitglieder kündigen. Wir haben überall die Daumenschrauben angezogen. Dann ist es natürlich eine unmögliche Aufgabe, trotzdem ein Wachstum darzustellen.

Es wurde immer absehbarer, dass wir zahlungsunfähig werden. Wir haben noch überlegt, das mit einem Investment zu überbrücken, sind aber in den Gesprächen schnell zu dem Entschluss gekommen, dass wir wohl in Insolvenz gehen müssen. Nach all den Jahren Aufbau und mit weltweiter Anerkennung und Millionenumsätzen wollten wir aber ganz klar eine Sanierung und Weiterführung anstreben.

Ab wann war der Verkauf als Option im Spiel?

Es war mir schon vor dem Insolvenz-Antrag bei Thema Sanierung klar, dass wir das nicht alleine schaffen werden. Mitte des Jahres habe ich zu allen Mitbewerbern Kontakt aufgenommen und geschrieben, dass es bei uns finanziell nicht so rosig aussieht und wir einen Partner suchen. 12 von 13 haben sich sofort zurückgemeldet und ein Gespräch vereinbart.

Mehrere waren interessiert, aber es haben sich schnell zwei herauskristallisiert. SplitMetrics war von Beginn an besonders überzeugt – ich muss dazu sagen, dass ich den Gründer schon mehr als zehn Jahre kenne und mit ihm ein gutes, freundschaftliches Verhältnis habe.

Die Gespräche haben also schon vor der Insolvenzeröffnung begonnen?

Ja, etwa zwei Monate davor. Wir haben natürlich gehofft, die Insolvenz damit noch abwenden zu können. Aber die Zeit war zu knapp. Wir waren zahlungsunfähig und mussten alle gesetzlichen Regelungen einhalten. Wir hatten aber Glück mit unserem Insolvenzverwalter, Kanzlei Scherbaum Seebacher, und unserem Anwalt, Kanzlei hba, die uns auf juristischer Ebene guten Beistand geleistet haben.

Ein M&A-Prozess eines insolventen österreichischen Unternehmens mit einem amerikanischen Käufer vor einem Grazer Gericht – da treffen schon Welten aufeinander.

Wir hatten zu dem Zeitpunkt zwei Angebote am Tisch, haben dann aber korrekterweise unsere Assets über die Ediktsdatei zum Kauf angeboten. Das Angebot von SplitMetrics war das bessere, also haben wir den Entschluss gefasst, mit ihnen den weiteren Weg zu gehen. Das war ein wichtiger Meilenstein und eine große Erleichterung für mich, dass ich mein Lebenswerk nicht sterben lassen muss.

Aber es war dann noch durchaus eine juristische Herausforderung. Ein M&A-Prozess eines insolventen österreichischen Unternehmens mit einem amerikanischen Käufer vor einem Grazer Gericht – da treffen schon Welten aufeinander. Es waren sicher die intensivsten Monate meines Lebens.

Können mit dem Geld die Forderungen gegenüber den Gläubiger:innen beglichen werden?

Den genauen Kaufpreis darf ich nicht kommunizieren. Aber wir sind natürlich in einem Insolvenzverfahren und der Masseverwalter muss so viel wie möglich herausholen. Der Großteil des Geldes fließt an die Gläubiger:innen, der Rest fließt in Anwaltskosten und dergleichen und dient vor allem dazu, dass das Unternehmen in der Übergangsphase im kommenden halben Jahr ausfinanziert ist.

Wie bist du zum Thema Exit gestanden, bevor du jetzt in diese Situation gekommen bist?

Das war für uns immer ein Thema. Die Strategie war, das Unternehmen mit mehreren Investitionsrunden immer wertvoller zu machen und irgendwann zu verkaufen. Rückblickend betrachtet wäre 2021 wohl das richtige Jahr gewesen, um einen guten Exit zu schaffen. Aber rückblickend ist man immer schlauer. In dem Moment, wo man doppelt so schnell wächst und alles super läuft, denkt man halt nicht daran, zu verkaufen.

Wie wirkt sich der Verkauf nun auf den Standort Graz aus?

Zuletzt waren wir ungefähr 30 Leute, davon sechs Personen in Karenz. Insgesamt wurden nun 20 übernommen, wovon etwa die Hälfte in Graz sitzt. Wir haben schon in letzter Zeit sondiert, wer mit uns diesen Weg weiter gehen kann und will. Die Situation der letzten Monate war für mich sehr schwer und an meinem Limit, aber auch für die Mitarbeiter:innen alles andere als ein Zuckerschlecken. Ich bin extrem dankbar, dafür, dass so viele dabeigeblieben sind und mit viel Geduld da durchgegangen sind.

SplitMetrics und App Radar haben große gemeinsame Pläne kommuniziert. Die Marke soll trotzdem erhalten bleiben. Wie wird das genau funktionieren?

SplitMetrics ist mit 160 Mitarbeiter:innen vor der Übernahme deutlich größer als wir und ein global etablierter Player mit namhaften Kunden im Enterprise-Segment. Sie haben aber einen kleinen blinden Fleck in den Bereichen App-Store-Optimierung, Keyword-Analyse und Reviewer-Management, den wir mit App Radar genau perfekt abdecken. Es passt also auf Produkt-Ebene grenzgenial zusammen. Auf der anderen Seite haben wir beide ein sehr ähnliches Agentur-Geschäft, das wir zusammenführen wollen und damit eine der weltweit größten Agenturen schaffen.

Die Marke bleibt auf jeden Fall eine Zeit erhalten. Weil SplitMetrics mehrere Marken parallel hat, könnte es auch sein, dass der Bereich App-Store-Optimierung dauerhaft unter der Marke App Radar läuft. Vielleicht wird es aber auch integriert. Das ist noch nicht ganz klar und bleibt abzuwarten.

Jedenfalls werden wir uns in die Gesamtstrategie von SplitMetrics einfügen und das bedeutet: Voller Fokus auf das Thema AI. Es gibt verschiedene Tools und da haben wir nun die strategische Aufgabenstellung, die zusammenzuführen und dabei mit AI so gut wie möglich Prozesse zu automatisieren, um letztlich bessere Ergebnisse liefern zu können.

Kurz und prägnant: Was waren deine größten Learnings aus den vergangenen Monaten?

Das Wichtigste, das ich mitnehme: Wenn du in einer schwierigen Phase bist, lernst du ein gutes Team nochmal mehr zu schätzen und siehst, wer an deiner Seite ist und wer nicht. Beim Thema Hiring weiß ich mittlerweile, an welchem Punkt wir falsch abgebogen sind. Und wie gesagt: 2021 wäre der richtige Zeitpunkt für den Exit gewesen, aber im Nachhinein ist das immer leichter zu sagen.

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(c) AdobeStock

Die FlexCo habe sich “erfolgreich etabliert”, heißt es in einer Aussendung, die das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) heute ausschickte. Dazu die Zahl ein Jahr nach Start der neuen Rechtsform: “rund 800” FlexCos – konkret 784 wurden seit der Einführung gegründet. “Die Zahl zeigt, dass diese neue Möglichkeit bereits gut angenommen wird”, wird dazu Wirtschaftsminister Martin Kocher zitiert. Die Rechtsform werde nicht nur von Startups, sondern auch von anderen kleinen und mittleren Unternehmen genutzt.

FlexCo- und GmbH-Gründungen im Verhältnis 1:17

Setzt man die nun kommunizierte Zahl in den Kontext, kann man allerdings zumindest noch einiges an Luft nach oben attestieren. Den etwas weniger als 800 gegründeten FlexCos stehen laut Daten der “Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes” (EVI) mehr als 13.500 GmbH-Neugründungen zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2024 gegenüber. Auf eine FlexCo-Gründung kamen im Vorjahr also rund 17 GmbH-Gründungen.

Steigerung um 27 Prozent im zweiten Halbjahr

Zudem gab es nur eine moderate Steigerung bei den FlexCo-Gründungen vom ersten auf das zweite Halbjahr. 336 FlexCos wurden von Jänner bis Ende Juni 2024 gegründet, neun GmbHs in FlexCos umgewandelt, wie brutkasten im Sommer berichtete. Entsprechend kamen im zweiten Halbjahr 439 FlexCo-Neu- bzw. Umgründungen hinzu. Das entspricht einer Steigerung um 27 Prozent. Von einem Boom der neuen Rechtsform kann also jedenfalls nach einem Jahr nicht die Rede sein.

Durchsetzung im Lauf der nächste Jahre?

Doch was nicht ist, kann freilich noch werden. Startup-Anwalt und FlexCo-Experte Keyvan Rastegar schätzte gegenüber brutkasten schon bei der FlexCo-Halbjahresbilanz im Sommer 2024, dass die Durchsetzung der neuen Gesellschaftsform einige Jahre dauern dürfte: “Ich persönlich gehe davon aus, dass der österreichische Markt erst überhaupt vom Neuen erfahren und die Änderungen verstehen muss, bis eine gewisse Vertrautheit einkehrt und dann die Mühlen unaufhaltsam mahlen.”

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