25.08.2020

“mAIde in Austria”: Ein Blick auf Österreichs AI Hidden Champions

Sie machen Autos sicherer, erkennen Fake News und sorgen dafür, dass in Disney World die Attraktionen reibungslos funktionieren: Österreichs AI-Experten sind wahre „Hidden Champions“, die auch in Corona-Zeiten nützliche Lösungen bieten. Der brutkasten wirft einen Blick auf Vorzeigeunternehmen aus der Alpenrepublik, die mittlerweile global ihre Lösungen anbieten.
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AI
(v.l. oben) Christian Bacher (Jaroona), Anna Bacher (Jaroona), Wolfgang Domann (AVI Systems), (v. l. unten) Marck Pfeiffer (Sail Labs), Gerald Bader (Atos), Franziskos Kyriakopolo (7lytix)

Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Großteil der Gesellschaft Künstliche Intelligenz mit gefährlichen Robotern á la Terminator gleichsetzte. AI kleidet sich heute anders. In Algorithmen und individuellem „Targeting“ von Einzelpersonen.

Sei es bei Geräten, die ideale Raumtemperaturen des Besitzers erlernen und automatisch einstellen, für optimale Lichtverhältnisse ohne Stromverschwendung sorgen oder uns auf unseren Lieblingsseiten im Netz zugeschnittene Werbung so präsentieren, dass manche meinen, sie müssten nur davon träumen und soziale Netzwerke spielen am nächsten Tag die passende Reklame aus.

Auch Mensch-gegen-Maschine-Spiele haben mittlerweile eine neue Dimension angenommen und abseits von Duellen im Schach oder Jeopardy ebenso lyrische Wettkämpfe in ihrem Repertoire– wer schreibt das bessere Gedicht, der menschliche oder maschinelle Geist?

Stille AI aus Österreich

Doch abseits davon gibt es auch „Artificial Intelligence“, die dem Menschen nicht gleich ins Gesicht springt, dafür im Hintergrund arbeitet und ihm den Alltag oder die Arbeit erleichtert. Und für Sicherheit sorgt. Man kann sie in weitgefasster Form als die „stillen AIs“ bezeichnen.

„Die beste KI-Technologie ist die, die man gar nicht als solche wahrnimmt“, sagt Wolfgang Domann, Geschäftsführer von AVI Systems. Sein Unternehmen mit Sitz in Krems ist eines jener heimischen Vertreter eine AI-Riege, die bemerkenswerte, wenn nicht teilweise gar futuristische und vor gar nicht so langer Zeit als utopisch bezeichnete Arbeit leistet.

Das Unternehmen verbindet „Safe Artificial Intelligence“ mit entsprechenden Hightech-Anwendungen für die Mobilität und Industrie. Eines der beeindruckendsten Projekte, an dem AVI Systems aktuell arbeitet, ist die „CarEye Safety Angle Produktsuite“, wie Domann erklärt: „Im Vergleich zu herkömmlichen Abbiegeassistenzsystemen haben wir hier einen komplett anderen technologischen Ansatz gewählt. Anstelle von Radar- oder Ultraschallsensoriken verwenden wir von uns entwickelte Kamerasensoren, die Bildinformationen mittels künstlicher Intelligenz auswerten. Das bedeutet, das System erkennt nicht nur Objekte, es klassifiziert sie auch und trifft zusätzlich verlässliche Bewegungsvorhersagen in Echtzeit.

Die Produktsuite, die 2019 für den „Staatspreis für Mobilität“ (in der Kategorie Betreiben & Sicherheit) nominiert wurde, verknüpft dafür Hightech-Kamera-Monitor-Systeme mit künstlicher Intelligenz und Deep-Learning-Algorithmik“.

Corona: Ampel-Lösung für den Einzelhandel

Neben dieser Automotive-Prognose hat das Unternehmen auch für die Corona-Krisenzeit mithilfe von AI eine Lösung speziell für den Einzelhandel entwickelt: Ein System zur Durchgangskontrolle mit Ampelregelung. Dieses kann beispielsweise in Baumärkten oder Gartenzentren am Ein- und Ausgang sowie in engen Durchgangsbereichen angebracht werden, um Mitarbeitern und Kunden mittels eines einfachen Ampelsignals anzuzeigen, ob ausreichend Platz auf der Fläche ist oder gewartet werden soll.

Das intelligente Durchgangskontrollsystem ist wahlweise mit einer oder zwei Kameras sowie einer ‘Deep Learning Kamera-Sensorik’ ausgestattet und lässt sich so konfigurieren, dass eine zur Ladengröße definierte Personenanzahl erfasst und entsprechend Zugang gewährt werden kann.
“Wir machen Maschinen intelligent sehend. Dass eine Kamera ‘sehen’ kann, ist allen bewusst. Dass aber eine Kamera mit unserer Technologie auch ‘versteht’, was sie sieht und dementsprechend Impulse und Signale aussendet, wenn etwas außerhalb der Norm wahrgenommen wird oder eine unmittelbare Gefahr besteht, das ist dann doch noch ein entscheidender Schritt weiter“, so Domann.

Mit AI-Sensorik zu Disney

Ein weiteres jener lokalen Unternehmen, die mehr oder weniger “hidden“ ihr Championat ausführen, trägt den Namen Atos. Es beschäftigt sich mit „Cloud“, „Cybersecurity“ sowie „High Performance Computing“ und bietet dabei ganzheitliche Lösungen für „Orchestrated Hybrid Cloud“, „Big Data“, „Business-Anwendungen“ und „Digital Workplace“.

Eines der Aushängeschilder der Wiener Firma ist jedoch der Einsatz von „Predictive Maintenance“ (vorausschauender Wartung) bei Fahrgeschäften in Vergnügungsparks. Neben der Qualitätssicherung von Gasflaschen in Grillern – mit Bilderkennung und Algorithmen werden Mängel und Defekte an Gasflaschen erkannt – stattet Atos unter anderem Attraktionen von „Disney World“ mit Sensoren aus. Dabei prognostizieren KI-Sensordaten Probleme, damit Ausfällen vorgebeugt werden kann.

„Im Durchschnitt haben große Vergnügungsparks mehr als 40.000 Besucher pro Tag. Der Eintrittspreis bleibt unabhängig von der Anzahl der Attraktionen, die geöffnet sind, gleich. Es ist also eine Frage des guten Rufs und der Kundentreue, dafür zu sorgen, dass alles einwandfrei funktioniert und ständig für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Heute verfügt jede Attraktion über nahezu 11.000 Sensoren. Sie überwachen ihren Gesamtzustand, um ihre ordnungsgemäße Funktion und Sicherheit zu gewährleisten“, erklärt Gerald Bader, Senior Director AI & Analytics CEE von Atos: „Es ist unerlässlich, diesen immer wichtiger werdenden Datenfluss in Echtzeit zu analysieren, um Fehlfunktionen zu antizipieren, sofort zu reagieren und um mögliche Ausfallzeiten so weit wie möglich zu begrenzen“.

Um die vorausschauende Wartung von Attraktionen zu ermöglichen, setzt das Unternehmen eine AI-Lösung auf Basis von „Edge Data Analytics“ ein, die in Echtzeit auf einem „BullSequana Edge-Server“ ausgeführt wird. Der Edge-Server, der als der weltweit leistungsstärkste gilt, sammelt, sortiert, speichert und analysiert den Datenfluss in Echtzeit und kontinuierlich. Er eignet sich insbesondere für Bereiche, in denen schnelle Antwortzeiten entscheidend sind. Das ist etwa der Fall in der Industrie 4.0, bei autonomen Fahrzeugen, im Gesundheitswesen, sowie bei der Sicherheit im Einzelhandel und an Flughäfen. Kurzum: Überall dort, wo Daten am „Edge“ in Echtzeit verarbeitet werden.

„Mithilfe von ‘Deep Learning-Algorithmen’ werden diese Daten sofort analysiert, um Fehlfunktionen oder Schwächungen von Fahrgeschäft-Komponenten während der Fahrt zu erkennen. Sie lösen dann einen Alarm an die Teams für technische Überwachung, Wartung und Support aus, um einen Einsatz zu planen. Damit verfügen sie über ein Echtzeit-Warnsystem zur Sicherstellung der Kundenzufriedenheit sowie zur Vermeidung von Schließungen einzelner Attraktionen“, erläutert Bader.

Mit EpiSYS gegen die Covid-19-Krise

Im aktuellen Kampf gegen die Pandemie leistet auch Atos einen wichtigen Beitrag. Weltweit sind mehrere Supercomputer des Unternehmens im Einsatz, die es Forschern ermöglichen, mittels AI und Machine Learning Forschungslücken oder „blinde Flecken“ rascher zu entdecken. „Unsere Hochleistungsrechner können tausendmal schneller rechnen als Standardrechner“, sagt Bader.

Das verwendete System dabei heißt EpiSYS und ist ein Epidemie-Management-System (EMS), das Fachleuten im Gesundheitswesen einen genauen Überblick über eine epidemiologische Situation verschaffen soll, indem es relevante Daten im Zusammenhang mit dem Virus (etwa Patientendaten) speichert und verwaltet, einschließlich der Verfolgung und Rückverfolgung von Berichten über Patientenvorfälle in Echtzeit.

EpiSYS wurde Anfang März in Österreich eingeführt. Weitere Betätigungsfelder von Atos beinhalten natürliche Sprachverarbeitung zur Automatisierung von Kundeninteraktionen sowie Bild- und Objekterkennung. Auch der Einsatz von digitalen Assistenten, „Chatbot Ingrid“ etwa, für das Impfmanagement-System der Stadt Wien, „Predictive Maintenance“ zur Vorhersage von Wartungsintervallen und „Fraud Detection“ fallen in diese Sparte.

AISaaS für Handel und Industrie

Das Startup 7Lytix aus Linz hingegen verbindet angewandte Künstliche Intelligenz mit Data Science, „um AI für jedes Business anwendbar zu machen“, wie Martina und Franz Kyriakopoulos erklären.

Die ehemalige Co-Founderin von „simpelctix“, einem Startup für „Predictive Analytics“, entwickelt mit ihrem Partner „AI-Software as a Service“ für die Branchen Handel, Logistik, Industrie und Finance.
Dabei erarbeitet 7Lytix auf „selbstlernenden Technologien basierende KI-Lösungen“, die mit Absatzprognosen, „Recommender“-Systemen, Bilderkennung und Risikoprognosen breit aufgestellt sind.

„Wir implementieren die oben genannten Lösungen sowohl für unsere Investoren, die Raiffeisen Landesbank OÖ und die Mediaprint, als auch für eine Reihe großer Unternehmen in Österreich und Deutschland, etwa die Deutsche Bahn, voestalpine, Salamander oder Daily“, erklärt Kyriakopoulos: „Unsere AI vermag, um konkretere Beispiele zu bringen, anhand des bloßen Bildes eines Schuhes zu prognostizieren, wie viele Paare davon im ersten Jahr in Österreich, Deutschland und weiteren Ländern verkauft werden. Und die Disposition eines weltweit agierenden Konzerns zu vollautomatisieren, mithilfe sehr genauer Absatzprognosen“.

Das Problem an dem Quellcode packen

Jaroona von Anna und Christian Bacher widmet sich indes der Cybersecurity. Das 2018 in Wien gegründete Startup unterstützt Software-Entwickler bei der sicheren Entwicklung von Applikationen, indem sie mittels KI und Machine Learning den Programmquellcode auf Sicherheitslücken überprüfen und dem Entwickler sofort Vorschläge zur Korrektur der Fehler unterbreiten.

„Sicherheitslücken in Applikationssoftware sind mittlerweile die Hauptangriffsziele von Hackern. Die Korrektur von Sicherheitsfehlern bereits beim Kodieren macht die Software nicht nur sicherer, wir erzielen damit massive Effizienzgewinne im Entwicklungsprozess. Denn je später im Prozess die Fehler erkannt werden, desto teurer wird die Korrektur für das Unternehmen – von den Folgekosten eines erfolgreichen Angriffs ganz abgesehen“, erklärt CEO Christian Bacher.

Der Gründer meint zudem, dass Artificial Intelligence enorme Fortschritte in der Erkennung von Sprache gemacht hat, die bis vor einigen Jahren noch undenkbar waren und man nur aus ScienceFiction-Filmen kannte.

„Heute ist es möglich geworden, mit Maschinen in natürlicher Sprache zu kommunizieren und etwa fast perfekte Sprechübersetzungen maschinell zu machen. Wir verwenden ähnlich bahnbrechende NLP-Technologie (Natural Language Processing), um Programmquellcodes auf semantische Probleme zu überprüfen und Verbesserungen maschinell durchzuführen“, so Bacher.

AI gegen Fake News

Apropos Sprache: Mark Pfeiffer, Chief Visionary Officer von Sail Labs, arbeitet mit seinem Team an AI-Projekten, die unter anderem zur Verarbeitung von natürlicher Sprache – beispielsweise zum Zweck der Medienbeobachtung und Medienanalyse – gedacht sind.

„Dazu nutzen wir unser preisgekröntes ‘Media Mining-System’, mit dem durch die Analyse von traditionellen Medien, TV, Radio, Zeitungen, sowie sozialer Medien – Twitter, YouTube, Facebook, Telegram, WhatsApp-Gruppen – in über 30 Sprachen ein umfassendes Lagebild erstellt werden kann.

Das System hilft dabei, einzuschätzen, ob Debatten durch beispielsweise Falschmeldungen oder Propaganda beeinflusst werden. Weiters lässt sich die Reichweite von Medien verschiedenster Art sowie die Resonanz auf die Bevölkerung feststellen“, erklärt er.

Die multilinguale EU und ihr Sprachproblem

Das aktuelle „Vorzeige-Projekt“ des Wiener Unternehmens ist die Zusammenarbeit mit dem ELG (European Language Grid). Dabei geht es um die Erstellung einer europaweiten Plattform für Natural Language Processing.

„Sowohl die Industrie, als auch zahlreiche Forschungsinstitutionen versuchen seit Jahren Policy Maker und EU-Institutionen davon zu überzeugen, dass Sprachtechnologien – insbesondere in einem „Multilingual Digital Single Market“ – kein Luxus sein dürfen, sondern eine fundamentale Rolle spielen – die auch politisch entsprechende Beachtung und ein entsprechendes Interesse verdient“, so Pfeiffer.

Genauer gesagt geht es darum, radikalisierende und polarisierende Inhalte zu erkennen und so ein Bewusstsein zu schaffen. „Wir werden auch weiterhin unsere Technologien zur Detektion von ‘Fake News’ einsetzen, um Desinformationskampagnen in einem frühen Stadium aufzudecken. Unternehmen und Regierungen haben dann ein Werkzeug zur Hand, um schneller faktisch korrekte Antworten zu geben und Akteure in einem möglichst offenen Dialog zu konfrontieren, sodass schlussendlich beide Seiten mit Fakten argumentieren müssen“, meint Pfeiffer.

AI und Österreich: „Man muss jetzt die richtigen Fragen stellen“

Die genannten Beispiele von AI-Betrieben stellt nur einen kleinen Teil der heimischen Arbeit im Bereich der Artificial Intelligence dar und ließe sich noch um weitere Projekte und Startups ergänzen. Denn, die KI-Szene hierzulande ist lebendig, wie etwa Bader meint, oder auf einem guten Weg, wie Pfeiffer beisteuert, jedoch gelte es in dieser Phase die richtigen Fragen zu stellen – und Aktionen zu setzen.

„Warum haben wir keine starke europäische Suchmaschine wie Google, Yandex oder Baidu? Warum haben wir keinen europäischen Onlinehändler, der auch seine Wertschöpfung hier hat und hier Steuern bezahlt? Ich sehe mit Freude, wie ein paar dieser Fragen grade von der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Margarete Schramböck, aber auch von vielen anderen Mitgliedern dieser Regierung aufgegriffen werden. Es wird Zeit, diese Krise richtig zu nutzen“, mahnt der Sail Labs-CVO.

Fehlende „Liebesbeziehung“ zwischen Startups und Unternehmen lässt Wissen abfließen
Ein Thema bei dem auch Kyriakopoulos deutliche Worte findet: „Startup-Unternehmen haben es in Österreich generell nicht leicht. Das ist auch bei KI nicht anders. Neben der noch immer geringen Risikofreudigkeit von Investoren und der fehlenden Breite an Eigenkapitalfinanzierung stellt vor allem die nach wie vor geringe Bereitschaft von etablierten österreichischen Unternehmen, mit Startups zu kooperieren, eine große Hürde bei der Markteinführung dar“, sagt er.

Startups im B2B-Umfeld seien darauf angewiesen, dass etablierte Unternehmen Bereitwilligkeit zeigen, „Proof of Concepts“ durchzuführen und als Referenzkunden zu fungieren. Diese Bereitschaft fehle in Österreich noch immer weitgehend.

Kyriakopoulos dazu: „An Ideen und Know-how mangelt es in Österreich nicht. Experten in der Umsetzung gibt es allerdings viel zu wenige. Da muss im Rahmen der Schule und der beruflichen Ausbildung deutlich mehr getan werden. Auch ‘Hidden Champions’, und dazu zählen wir uns auch, sind oftmals darauf angewiesen, die Experten und Referenzkunden im Ausland zu finden. Damit gehen wertvolle Unternehmen und damit verbundenes Know-how der österreichischen Wirtschaft zu oft verloren.“


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Rituale, Rituale der Startup-Welt, Ritual, Howard, Factinsect, Hadia, Storebox, Instahelp, monkee, Dental Armor, Coinpanion
(c) Hello Again/zVg/Hadia/Die Abbilderei/Storebox/schon nice gmbh/Victor Malyshev - (o.v.l.) Franz Tretter von Hello Again, Romana Dorfer von Factinsect, Anna Lauda von Hadia, Bernadette Frech von Instahelp/ Johannes Braith von Storebox, Saad Wohlgennannt von Dental Armor und Martin Granig von monkee.

Dieser Artikel ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


Ein Pythonkopf aus Stein ragt aus der Dunkelheit hervor. In Kreisen angeordnete, farbenfrohe Speerspitzen verzieren den kalten Höhlenboden; manche davon stammen aus Hunderte Kilometer entfernten Gegenden. Am Ende der Höhle erstreckt sich ein kleiner, versteckter Raum, der Platz für eine Person bietet; üblicherweise versteckt sich ein Schamane darin und spricht zu seinem Stamm, sodass es scheint, die steinerne Schlange selbst lasse donnernde Worte erklingen.

Diese Verehrung des majestätischen Reptils fand vor rund 70.000 Jahren in der Kalahari-Wüste am Fuße der Tsodilo Hills im heutigen Botswana statt. Dies hat im Jahr 2012 die Archäologin Sheila Coulson herausgearbeitet und, so heißt es, damit das älteste wissenschaftlich belegte Ritual der Welt entdeckt.

Seitdem haben sich Rituale in Gesellschaften im Großen und Kleinen gehalten und weiterentwickelt – von religiösen Gepflogenheiten über politisches Zeremoniell bis hin zu privaten, sich wiederholenden Gewohnheiten sind sie in tausendfacher Weise etabliert. Das Küssen des Balls im Sport, das Aufstehen mit dem „richtigen Fuß“, Salz über die Schulter werfen, auf Holz klopfen, Dinge nicht verschreien, Braut und Bräutigam nicht vor der Hochzeit sehen, zu bestimmten Jahreszeiten fasten, den Jahreswechsel laut feiern oder die zum Ritual gewordene Morgen-Rou­tine wiederholen.

Spiritualität und Ordnung

All dies lässt sich komprimiert und per Definition in zwei Bedeutungen unterteilen: in eine spirituelle Handlung und in ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“. Exakt diese Ordnung (also die zweite Definition) ist es, die auch manchen Startup-Gründer:innen dabei hilft, den stressigen Joballtag zu bewältigen, Klarheit zu schaffen und Erfolge zu erreichen.

Sohlen und Poster

So zeigt sich etwa Johannes Braith vom österreichischen Scaleup Storebox als großer Anhänger davon, sich klare Ziele zu setzen und diese zu visualisieren.

„Dabei halte ich es für wichtig, einerseits eine große Vision zu definieren und diese in kleinere Meilensteine herunterzubrechen“, sagt er. „Diese verhältnismäßig kleinen Meilensteine sind leichter zu erreichen, greifbarer und man kann entsprechend auch früher Erfolge verbuchen. Das Wichtigste ist, konstant dranzubleiben. Erfolg ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Das Visualisieren definierter Ziele wurde bereits früh als Ritual bei Storebox eingeführt: Im Office des Logistikunternehmens prangen Vision und Werte als Poster an der Wand und OKRs (Objectives and Key Results) werden in Echtzeit mittels Soll/Ist-Vergleich auf Bildschirmen angezeigt.

Zudem gibt Braith noch eine weitere Besonderheit aus seiner Ritualwelt preis: „Habe ich ein Etappenziel für mich definiert, schreibe ich es mir auf die Sohlen meiner Schuhe“, sagt er. „Das hilft mir, mich daran zu erinnern, dass jeder kleine Schritt zählt.“

Der Knopf des Erfolgs

Franz Tretter, Gründer des Kundenbindungs-Startups Hello Again, nutzt Rituale dazu, um Ziele und Kultur in seinem Team zu verankern. Dazu gehört ein „Global Success Button“, der bei jedem neuen Kunden gedrückt wird, mit anschließender Feier im Büro. Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten oder unterwegs sind, werden per Mail oder Smartphone ebenso informiert; „einfach, damit man Bescheid weiß“, sagt Tretter.

Auch etwas namens „Howard 1000“ gehört zum regelmäßigen Ritual des Linzer Teams dazu. Dabei handelt es sich um eine Wand bestehend aus 1.000 Kästchen mit einer besonderen Bedeutung. „Wir haben diese aufgebaut, als wir 120 Kunden hatten. Mit jedem Kunden, den wir gewonnen haben, haben wir ein Logo hinzugefügt und haben nun knapp 900 Kästchen voll“, erklärt Tretter.

Und zu guter Letzt sind bei Hello Again die „Compliment Cards“ ein weiteres internes Ritual: „Wertschätzung ist total wichtig bei uns“, erklärt Tretter. „Wir haben eigene Kärtchen beim Eingang, da schreibt man gelegentlich etwas Nettes drauf und legt es am Abend Kollegen auf den Tisch. Die freuen sich am nächsten Morgen.“

An diesen beiden Beispielen bemerkt man bereits eine kleine Gemeinsamkeit, die zwischen den Zeilen mitschwingt: Wiederkehrendes, etwas Konstantes ist nicht bloß eine Orientierungshilfe für Startup-Gründer:innen, sondern kann als einer von mehreren Bausteinen eines spezifischen Mindsets gesehen werden; eines Mindsets, das von einem ruhigen Leadership-Skill zeugt und deutlich zeigt, dass manchmal das wilde Gefüge in einem selbst sowie auch das Äußere, das sich unter Mitarbeitenden am Arbeitsplatz entwickelt, gepflegt werden muss.

Gemeinschaft fördern

Das weiß auch Anna Maria Lauda von Hadia, einem Wiener Verein, der weibliches Unternehmertum in Afghanistan fördert. Ihr hilft eine tägliche zehnminütige Meditation, den Tag entschleunigt, entspannt und fokussiert zu beginnen.

„Dadurch kann ich klarere Prioritäten setzen und produktiver arbeiten“, sagt sie. „Früher lag mein Schwerpunkt vor allem auf individuellen Praktiken wie dem Selbstmanagement und der strikten Zeitplanung durch To- do-Listen. Doch im Laufe meiner Reise als Gründerin habe ich erkannt, dass Flexibilität und der wertvolle Austausch mit dem Team genauso entscheidend sind. Heute schätze ich Rituale, die nicht nur den persönlichen Fokus stärken, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl fördern.“

Daher veranstaltet Lauda wiederkehrende Onlinemeetings mit ihren Weberinnen in Afghanistan. „Regelmäßige Check-ins mit den Frauen sind inspirierend und motivierend. Allzu leicht verliert man in der Hektik des Alltags den Bezug zu den Menschen, für die man arbeitet. Und diese Gespräche erinnern mich daran, was unser gemeinsames Ziel ist und wie viel wir schon erreicht haben“, sagt sie.

Saad Wohlgenannt, Gründer und CEO des Zahn-Startups Dental Armor und der Kryptobörse Coinpanion, hatte im Lauf der Zeit verschiedene Rituale, die er jedoch mittlerweile fast alle ab- gelegt hat; darunter eine wöchentliche „Rückschau“, um zu überlegen, was er besser machen könnte, oder Journaling (Anm.: Blick nach innen mit schriftlicher Aufzeichnung, was in einem vorgeht).

Heute plant er an jedem Geburtstag, was er im kommenden Jahr erreichen möchte. Meistens setzt sich der Founder dabei ein monetäres Ziel für sein Business sowie ein paar persönliche Ziele, wie etwa einen neuen Sport zu erlernen, ein Land zu bereisen oder ein bestimmtes Problem zu lösen.

„Die wichtigsten Rituale, die mir langfristig helfen, meine Ziele zu erreichen, haben meistens den Effekt, mich kurzfristig vom Arbeiten abzuhalten“, sagt er. „Zum Beispiel beginne ich meinen Tag mit ein paar Mobility-Übungen, Liegestützen, Klimmzügen und einer kalten Dusche – erst danach schaue ich in meine E-Mails und starte richtig durch. Ab 20.30 Uhr ist mein Handy auf ‚Nicht stören‘, und dann bin ich nur noch schwer erreichbar.“

Drei und nicht mehr

Romana Dorfer beschäftigt sich mit ihrem Startup Factinsect damit, die Fülle an Fake News im Netz aufzulösen und User:innen gesicherte Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie selbst hat sich früher oft viele, unspezifische und große Ziele vorgenommen, die jedoch innerhalb eines Tages kaum zu erreichen waren. Dabei waren Fortschritte nur schwer messbar und am Ende des Tages wurde kein Ziel erledigt, wie sie gesteht. Dadurch ist oft das Gefühl entstanden, wenig erreicht zu haben.

Heute greift sie maximal auf drei Vorhaben pro Tag zurück. „Der Vorteil ist, dass ich fast immer alle Ziele für den Tag erreiche und dadurch meine Motivation steigt. Meistens arbeite ich dann noch an weiteren Themen“, sagt Dorfer.

Bei Martin Granig, Gründer der Spar-App monkee und Vater einer siebenjährigen Tochter, sehen die Morgen oftmals chaotisch aus. Um dem entgegenzuwirken, hat er eine Morgenroutine entwickelt: „Ich stehe meist 30 Minuten früher auf. Das gibt mir die Gelegenheit, mich in Ruhe im Bad fertig zu machen“, sagt er. „Während des Zähneputzens mache ich ein paar Übungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen, bevor ich Frühstück für meine Tochter und Kaffee für meine Frau und mich zubereite. So habe ich noch ein paar ruhige Momente für mich, bevor der Trubel beginnt.“

Am Ende seines Arbeitstags führt der Gründer einen kurzen Check-in durch und klärt für sich, was er heute schaffen möchte, was er tatsächlich geschafft hat und was er noch anpassen muss.

„Das hilft mir, mein Time-Boxing im Kalender zu optimieren, gerade für die Aufgaben, die zwar wichtig sind, aber erst in der Zukunft anstehen“, erklärt er. „Ich habe gelernt, dass es notwendig ist, solche Dinge bewusst zu planen, bevor sie von den dringenden, aber weniger wichtigen Aufgaben verdrängt werden.“

Raus aus der Bubble

Für Granig gibt es zudem noch ein persönliches Highlight der Woche: Freitagabend-Basketball. „Das mag zwar kein typisches Gründer-Ritual sein, aber für mich ist es essenziell. Es hilft mir, Stress abzubauen, den Kopf frei zu bekommen und in einer entspannten Atmosphäre mit Freunden zu lachen. Danach starte ich erfrischt ins Wochenende – und am Montag wieder voller Energie in die neue Woche“, so der Tiroler, der früher oft von „dringenden Dingen“ stark getrieben war, die dazu führten, dass wichtige strategische Aufgaben oftmals zu kurz kamen.

„Man arbeitet in so einem Fall zu viel ‚in the business‘ statt ‚on the business‘“, sagt er. „Heute habe ich meine Timeboxing-Routine deutlich verbessert, damit genau diese wichtigen Dinge nicht untergehen. Früher musste ich auch keine Rücksicht auf Familie und Kind nehmen. Das hat sich natürlich geändert, und ich musste Wege finden, trotz all der Verantwortung auch noch Zeit für mich zu schaffen. Daher meine Morgenroutine und mein Freitagabend-Basketball. Dort geht es einfach nur ums Spielen und um entspannte Gespräche über deutlich unkompliziertere Dinge als Startups, Karriere oder Business. Das tut gut und gibt mir Energie.“

Ankerpunkte fürs Wesentliche

Ähnlich ergeht es Instahelp-Founderin Bernadette Frech. Für die Gründerin des Grazer Health-Startups sind Rituale bewusste Ankerpunkte, um den Fokus auf dem Wesentlichen zu halten – im Beruf wie im Privatleben.

„Eines der wichtigsten Rituale habe ich mit meinen Kindern: Jeden Morgen beginnen wir den Tag mit einer vollen Minute Umarmung, ohne Worte, nur Nähe. Das stärkt unsere Bindung und gibt uns einen liebevollen Start in den Tag“, sagt Frech. „Abends reflektieren wir gemeinsam: Beim Rückenkraulen sprechen wir über Belastendes, bei der kitzligen Fußmassage teilen wir schöne oder lustige Momente und bei der Kopfmassage besprechen wir, wofür wir dankbar sind und was uns gut gelungen ist.“

Ambition vs. Balance

Auch bei ihr haben sich Rituale über die Jahre verändert und sich immer wieder ihren Lebensumständen angepasst. Früher, als berufliche Ambitionen im Vordergrund standen, hatten Frechs Rituale viel mit persönlicher Effizienz und beruflicher Zielerreichung zu tun. Heute, als dreifache Mama und Unternehmerin, haben sich die Prioritäten verschoben.

„Es geht mir jetzt viel stärker darum, eine Balance zwischen Karriere und Familie zu finden, ohne den Fokus auf meine eigene mentale Gesundheit zu verlieren“, erklärt sie. Das Ritual mit ihren Kindern sei ein Beispiel dafür, wie sich Rituale an neue Lebensphasen anpassen.

„Früher hätte ich vielleicht nicht gedacht, dass eine Umarmung am Morgen oder ein Ritual vor dem Schlafengehen so kraftvoll sein könnten. Heute sind es genau diese Momente, die mich erden und mir und meinen Kindern Energie geben“, erzählt sie. „Was sich jedoch nie geändert hat, ist meine wöchentliche psychologische Beratung. Sie ist seit Jahren eine Konstante, die mich sowohl beruflich als auch persönlich auf Kurs hält, auch wenn sich die Themen im Laufe der Zeit wandeln.“

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“mAIde in Austria”: Ein Blick auf Österreichs AI Hidden Champions

Sie machen Autos sicherer, erkennen Fake News und sorgen dafür, dass in Disney World die Attraktionen reibungslos funktionieren: Österreichs AI-Experten sind wahre „Hidden Champions“, die auch in Corona-Zeiten nützliche Lösungen bieten. Der brutkasten wirft einen Blick auf Vorzeigeunternehmen aus der Alpenrepublik, die mittlerweile global ihre Lösungen anbieten.

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Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

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