05.01.2022

3VC Predictions: Was bringt das Jahr 2022?

Von NFTs über neue Finanzierungsformen bis hin zur Weihnachtsfeier im Metaverse - der europäische Venture Capital Fund 3VC sagt in einem Gastbeitrag voraus, welche Trends wir 2022 erleben werden.
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Peter Lasinger und Roman Scharf haben 3VC gegründet © 3VC/Unsplash/Montage: brutkasten
Peter Lasinger und Roman Scharf haben 3VC gegründet © 3VC/Unsplash/Montage: brutkasten

Europa ist im Aufwind! Nicht nur im Vereinigten Königreich, in Deutschland, Frankreich, Spanien und Skandinavien geht es mit Rekord-Volumina, mehr Mittelaufkommen und höheren Mittelbindungen aufwärts. Auch Mittel- und Osteuropa holen auf. Darum sind wir besonders stolz, schon früh an diese Region geglaubt zu haben. Es ist eine tolle Zeit, Gründer:in zu sein und wir erwarten eine Rekordhöhe an Unternehmensgründungen.

Hier sind einige weitere Entwicklungen, die wir für 2022 voraussehen:

1. Everything tokenized 

Im Jahr 2021 wurden NFTs erstmals in der Gaming- und Blockchain-Szene eingesetzt. Sie bieten die einzigartige Möglichkeit, digitalen Gütern Eigenschaften von physischen Vermögensgegenständen, wie Knappheit oder Eigentum, zu verleihen. Obwohl es einen großen Hype um dieses Konzept gibt und wir wahrscheinlich auch viele Fehlschläge erleben werden, glauben wir, dass 2022 eine weitere kommerzielle Nutzung außerhalb von Gaming oder Collectibles bringen wird. Dies könnte für Endverbraucher:innen, Prosument:innen und kreativen Köpfen den Erwerb von Tokens ermöglichen. Ob in Metaversen, auf bestehenden digitalen Plattformen oder sogar durch die Verknüpfung mit physischen Objekten (digitale Zwillinge) – es gibt noch eine Menge an Werten, die generiert und erfasst werden können. Daher sind wir zuversichtlich, dass Entwickler-Tools sowie Infrastruktur- und Plattformanbieter:innen die schnelle Entwicklung, den Einsatz, den Betrieb und die Wartung dieser neuen Dienste fördern und ermöglichen werden. Interessante Unternehmen in diesem Bereich sind @DappRadar, @AudiusProject, @Helium, @AnimocaBrands, @SoundXYZ, @RTFKT @Single

2. Collaboration 2.0: Wenn Figma und Miro heiraten würden

… und eine Menge Babys hätten! Sag Hallo zu einer erweiterten Feedback- und Kollaborationskultur in 2022! Old-School-Abläufe werden durch produktivere, integrierte, transparente und agile Workflow-Nachfolgemodelle für alle Abteilungen ersetzt: AllOps @tl;dv, DevOps @Fiberplane & @Archbee, LocOps @Lokalise, EventOps & CommunityOps @Talkbase, DesignOps @Collato, BackofficeOps @Passionfroot you name it! 

Der Einsatz solcher Tools bringt enorme Vorteile mit sich. Zum einen, weil sie sowohl Einzelpersonen als auch Teams mit echten Multiplayer-Fähigkeiten ausstatten, die Wissens-Abwanderung zwischen verschiedenen Abteilungen verringern und standardmäßig remote-friendly gestaltet sind, wobei der Schwerpunkt auf asynchroner Kommunikation liegt. Zudem können die Teams dadurch produktiver und zufriedener werden.

3. Wenn prokrastinieren schlauer macht

Wenn es dir wie den meisten Menschen (und uns?!) geht, ist dein Smartphone das Erste, was du morgens checkst, und das Letzte, was du vor dem Schlafengehen siehst. Mit den süchtig machenden UX-Mustern ertappen wir uns oft dabei, wie wir endlos durch altbekannte Plattformen scrollen, die uns mit einer Flut von Informationen versorgen und oft irrelevant sind. Seien wir ehrlich, sie stellen nur eine Verschwendung unserer kostbaren Zeit und Aufmerksamkeit dar. Hast du jemals Angst, dass du zu dem wirst, was du auf deinem Handy konsumierst? Glücklicherweise gibt es einen neuen Trend, bei dem interessenbasierte Plattformen im Snackable-Format entwickelt werden und mit Quality-Content gefüllt sind. Das Beste daran? Du kannst dir aussuchen, wie du prokrastinieren willst, während du schlauer, achtsamer und gesünder wirst: verwandle deine Downtime in Uptime mit 5-Minuten-Wissenshacks von  @Uptime,, die Wissensaustausch-Community – @Insightful  oder @Jodel, und frische dein Allgemeinwissen mit Audio-Content für unterwegs auf – @Gaiali. Viel Spaß beim Procrastination-Hacking! 

4. HR-Tech-Revival: Pflege von Talent

In den vergangenen Jahren gab es eine relativ kleine Anzahl von aufstrebenden globalen Marktführer:innen im HR-Bereich. Wir glauben, dass sich das ändern wird und wir weniger über HR und mehr über Menschen und Talent sprechen werden.

2022 ist definitiv ein Mitarbeiter:innenmarkt: Unternehmen stehen unter dem Druck, Mitarbeiter:innen zu finden und zu binden und ihnen die Möglichkeit zu geben, von überall aus zu arbeiten, ohne dabei Kompromisse in Bezug auf rechtliche Rahmenbedingungen, Vergünstigungen, Zusammenarbeit, Kultur oder Produktivität einzugehen. Wir erwarten, dass Unternehmen ihre Personalprozesse überdenken, bestehende ersetzen oder neue Lösungen einführen – sei es für die Entdeckung und Gewinnung von Talenten, für asynchrones Arbeiten, für die Unterstützung und Verbesserung der Unternehmenskultur oder für die Förderung von Mitarbeiter:innen und deren Wohlbefinden. @Spill, @GoodMonday, @Mindgram, @WithJuno, @SafetyWing, @Symmetrical, @Oviavo

5. Neue Finanzierungsformen

SPACs waren im Jahr 2021 sehr gefragt und für 2022 erwarten wir, dass weitere neue Finanzierungsformen adaptiert werden. Neben der umsatzbasierten Finanzierung für B2B-SaaS, die 2021 auf viel Aufmerksamkeit stieß, werden wir ein ähnliches Angebot für E-Commerce-Unternehmen, Verbrauchersoftware und Unternehmen, die physische Waren anbieten, sehen sofern sie einen wiederholbaren Verkaufsprozess nachweisen können. Wir gehen auch davon aus, dass viele Unternehmen, die an der Dezentralisierung des Internets arbeiten, SAFT (Simple Agreement for Future Tokens) verwenden werden – im Grunde ein SAFE für Tokens, die in der Zukunft erscheinen werden! @Myos, @WeAreUncapped @Tatum

6. IT-Systeme werden robuster werden (müssen)

Die jüngsten Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit Log4j haben uns (erneut) vor Augen geführt, wie anfällig unsere IT-Systeme sind. Die Herausforderungen entstehen nicht nur bei der Abschirmung bestimmter Komponenten oder Netzwerke, sondern sind eine Folge der zunehmenden Komplexität moderner IT-Systeme, die durch die Verwendung von Open-Source-Projekten, APIs und Microservices vorangetrieben wird. Wir befürchten, dass wir derzeit nur ein Prozent der Probleme sehen und erleben. Wir werden 2022 mit weiteren Konsequenzen konfrontiert sein und eine starke Zunahme von Sicherheitsvorfällen und Herausforderungen beobachten.

Viele Unternehmen, die Lösungen anbieten und diese Probleme auf mehreren Ebenen angehen, werden davon profitieren. Diese Unternehmen werden Hunderte von Milliarden Dollar an Wert schaffen und sichern. Sei es die Absicherung der Source-Codes (z. B. @Snyk,, die Absicherung von APIs und Microservices @GraphCDN oder die Bereitstellung neuer Mittel zur Erkennung von Mustern und Abweichungen im Datenfluss (Darktrace, ExeonAnalytics, @Betterstack oder die Ausführung von Diensten (dynatrace) in komplexen IT-Systemen. Prozesse und Arbeitsabläufe müssen automatisiert und stabilisiert werden, um mit den wachsenden Bedrohungen Schritt zu halten @Trickest. Wir freuen uns, dass wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, die zu robusten und zukunftssicheren IT-Systemen beitragen.

7. Self-Service-Datenanalyse für alle

Der moderne Daten-Stack, zu dem Snowflake, RedShift, Fivetran, Segment, Looker und andere gehören, hat große Akzeptanz bei Scaleups und modernen Unternehmen gewonnen. Experten warnen jedoch, dass der “moderne Daten-Stack” nur von Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens 30-40 Mio. Euro leistbar ist. Gleichzeitig sehen wir einen Bedarf auch bei kleineren Unternehmen (zum Beispiel Series A+), die aktiv nach Lösungen suchen, um die von verschiedenen Teams erstellten und gesammelten Daten rationalisieren und nutzen zu können, ohne Millionen zu investieren. Wir glauben, dass No-Code-Lösungen folgen werden, die auch von Non-Data Scientists genutzt werden können, um Teams in verschiedenen Organisationen zu unterstützen und bemerkenswerte neue Erfahrungen zu schaffen! @Dataddo, @Databox, @IFTTT @Gyana @Obviously

8. Weihnachten 2022 im Metaverse?

Im Jahr 2022 wird eine ganz neue Generation von Wearables auf den Markt kommen, die das Metaverse zum ersten Mal tragbar und real machen. Statt klobiger VR-Headsets werden wir sauber designte Brillen tragen, die es ermöglichen, Overlays zur realen Welt zu sehen. Diese Overlays werden uns mit nützlichen Informationen versorgen oder uns die Welt so sehen lassen, wie wir sie gerne hätten. Stell dir vor, du siehst immer einen blauen Himmel, wenn du einen blauen Himmel sehen möchtest. Während die Menschen im Jahr 2021 auf das Metaverse mit “Was ist das?” reagierten, werden sie es im Jahr 2022 akzeptieren und sagen: “OK, das ist es”. 

Die mögliche Markteinführung der intelligenten Brillen von Apple wird mit Spannung erwartet, während die Spectacles von Snap uns bereits eine konkrete Vorstellung davon vermitteln, wohin sich diese Technologie entwickelt. Ein interessantes europäisches Startup, das man sich ansehen sollte, ist das ukrainische @Party. Vielleicht werden die Weihnachts-Partys 2022 im Metaverse stattfinden? 

9. Software continues eating pills

2021 war das Jahr, in dem die Menschheit erkannte, dass es auch ein Jahr nach Covid noch viele Lücken und Probleme in der digitalen Infrastruktur unserer Gesundheitssysteme gibt. Durch die Beschleunigung der Innovationen werden wir 2022 und danach erste Früchte und eine größere Akzeptanz digitaler Gesundheitsmodelle sehen. Die USA sind bei der Einführung von Wearables einige Jahre voraus. Wir gehen davon aus, dass auch die Europäer:innen zunehmend Wearables, die digitale Therapien ermöglichen können, besitzen und nutzen werden. In den Bereichen Diagnose, kontinuierliche Überwachung sowie Vor- und Nachsorge werden wir eine Koexistenz sehen. Da viele wichtige Gesundheitsdaten in die Cloud verlagert werden, werden Datenschutz und Sicherheit in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Eine technologische Lösung für die Speicherung aller Patientendaten könnte die Blockchain sein, ein dezentralisiertes digitales Register für Patientendaten. Damit kann verhindert werden, dass die Daten verändert oder gehackt werden.

Deutschland hat mit DiGA (Digital Health Applications) eine Vorreiterrolle bei der Einführung des digitalen Gesundheitswesens eingenommen. Wir hoffen und erwarten, dass andere europäische Länder ein ähnliches System einführen werden. Erwähnenswert sind hier die Unternehmen @Sympatient and @Mika.

10. Das Klima ins Rampenlicht rücken

Während im Jahr 2021 viele Unternehmen, die grüne Technologie anbieten, durchgestartet sind wird das Jahr 2022 endlich der Beginn sein, in dem Unternehmen tatsächlich etwas bewirken. Sie werden endlich Verhaltensänderungen vorantreiben, die Umweltverschmutzung eindämmen und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie weniger CO2-Fußabdruck produzieren (anstatt Geld für einen ständig wachsenden CO2-Fußabdruck zu bezahlen). Die bösen Überraschungen in der Supply-Chain im Jahr 2021 ermöglichten eine grüne und nachhaltige Gestaltung von globalen Lieferketten. Wir alle wissen, dass es einen echten gesellschaftlichen Wandel geben muss, um die Klimaziele zu erreichen. Leider hat die Pandemie die Aufmerksamkeit von der Klimakrise weggelenkt, im Jahr 2022 wird die sie wieder ins Rampenlicht rücken. Wir werden die ersten Zero-Waste-Unternehmen sehen, die zu bekannten Namen werden, da Unternehmen wie https://www.pieter-pot.nl ihre ersten Finanzierungsrunden durchführen und weiter wachsen. Andere erwähnenswerte Unternehmen sind @Connect, @Minimum, @Vaayu, @Resourciful, and @Tanso..

Über den Autor: 

3VC ist ein europäischer Venture Capital Fund, der in eine sorgfältig ausgewählte Gruppe von europäischen Technologie-Startups mit globalen Ambitionen investiert. Das unternehmerische Team von 3VC konzentriert sich auf die Series A und bietet unermüdliche Unterstützung und Zugang zu einem internationalen Co-Investment-Netzwerk von VC-Partnern. Zum Portfolio von 3VC gehören führende Unternehmen wie Assaia, Kaia Health, Lokalise, PicsArt und Storyblok.

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„Dann ist mir das passiert” – Dejan Jovicevic über 10 Jahre brutkasten

brutkasten ist nun 10 Jahre alt. Aber wie ist das führende Medium für die Gestalter:innen der Zukunft entstanden – und wie hat es sich über die Jahre entwickelt? Gründer und CEO Dejan Jovicevic gibt im Interview Einblicke und wirft einen Blick in die Zukunft.
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brutkasten-Gründer und CEO Dejan Jovicevic beim 10-jährigen Jubiläum im Dezember. (c) brutkasten/Marko Kovic

Dieses Interview ist im brutkasten-Printmagazin von Dezember 2024 erschienen. Eine Download-Möglichkeit des gesamten Magazins findet sich am Ende dieses Artikels.


brutkasten: Wie kam es 2014 zur Gründung von brutkasten?

Dejan Jovicevic: Ich war im Styria-Konzern bei „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ und habe dort die Rechts- und Personalabteilung geleitet. Da kam einmal Christoph Hantschk, der Gründer des Startups goodbag, auf mich zu. Er wollte eine klassische Medienkooperation mit mir vereinbaren, bei der wir 20 Abos verlost hätten. Im Zuge unserer Gespräche dazu hat mich dieser Startup-Spirit fasziniert, den ich so bisher nicht kannte.

Meine ursprüngliche Idee war, dass wir mit „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ für Startups Leistungen erbringen könnten, z.B. das Controlling oder Legal-Themen. Ich wollte einfach irgendwie dabei sein. Ich habe dann gesehen, dass die Styria an einem Startup von Lorenz Edtmayer und Maximilian Nimmervoll beteiligt war, das App-Entwicklung angeboten hat. Die Leistung wollte ich ebenfalls dabei haben und habe dann Kontakt zu Lorenz aufgenommen.

Da hat sich dann herausgestellt, dass er gerade eine Job-Plattform für Startups plant. Für die Job-Plattform hat es Content gebraucht. So haben wir dann gemeinsam brutkasten konzipiert.

Wie ging es in die Umsetzung?

Ich habe von „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ dann die Zusage bekommen, dass wir das umsetzen können. Wir haben eine Website gestartet, mit internen Ressourcen der Styria. Die Styria hat parallel auch einen internen Inkubator für Innovation ausgeschrieben. Dort habe ich brutkasten als Projekt eingereicht. Es wurde als eines der fünf Siegerprojekte von rund 100 Einreichungen ausgewählt. In weiterer Folge konnten wir dann auch die ersten Leute einstellen. Unsere erste Redakteurin war Theresa Breitsching, die ab Ende 2014 Vollzeit für brutkasten gearbeitet hat.

Du selbst hast aber noch nicht Vollzeit an brutkasten arbeiten können?

Nein, ich habe das alles neben der Leitung der Rechts- und Personalabteilung gemacht. Ich war aber noch weit entfernt von dem Unternehmer, der ich heute bin; der weiß, wie man eine Firma aufbaut. Damals war es mehr Enthusiasmus und weniger Wissen. Wir haben dann unsere ersten internen Business Angels gewonnen, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und WirtschaftsBlatt-Chefredakteurin Eva Komarek.

Wir hatten damals zwei Seiten pro Woche in der „Presse“-Printausgabe vom Samstag, und zusätzlich haben wir brutkasten eben online bespielt. Das hat damals Theresa Breitsching weitgehend alleine gemacht. Ich habe meinen Hauptjob gehabt und immer wieder daneben was für brutkasten gemacht. Ich konnte aber aus dieser Management-Rolle nicht ganz raus, und das hat dann 2017 zum Buyout geführt. Den haben Lorenz Edtmayer, Maximilian Nimmervoll, Michael Tillian und ich dann gemacht. So wurde brutkasten ein eigenständiges Unternehmen.

Dejan Jovicevic machte 2017 den Management-Buy-out gemeinsam mit Lorenz Edtmayer, Michael Tillian und Maximilian Nimmervoll (v.l.n.r).

Hattest du früher schon die Vorstellung, dass du eines Tages Unternehmer werden möchtest, oder ist das durch deine Beschäftigung mit der Startup-Szene entstanden?

Weder noch. Wir sind gemeinsam mit „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“ zu dem Entschluss gekommen, dass brutkasten als eigenes Unternehmen bessere Chancen hätte. Aber ich bin nicht einmal durch meine Beschäftigung mit der Startup-Szene auf die Idee gekommen, zu gründen: Ich war eigentlich an einem Karriereweg im Konzern interessiert. Und dann ist mir das passiert.

Als ich es meinem Mentor Michael Tillian erzählt habe, hat er mir gesagt: Dejan, das musst du machen – denn so eine Opportunity kriegst du nicht wieder.

Wie lange hat es gedauert, bis es dann Realität wurde?

Die Verhandlungen liefen noch acht Monate. Parallel dazu habe ich meinen ersten Sohn bekommen, im Dezember 2016. Im Mai 2017 waren die Verhandlungen abgeschlossen. Die Zeit bis dahin war eine brutale Phase, mit wenigen Stunden Schlaf pro Nacht. Ich habe ja noch immer meinen Hauptjob in der Styria gehabt und das parallel verhandelt. Die Verhandlungen waren sehr fair und ich bin der Styria dankbar, dass sie mir diese Möglichkeit gegeben hat.

Wie lief dann der Start als eigenes Unternehmen?

Der Deal war, dass wir den gesamten Betrieb übernehmen. Das waren damals fünf Leute und wir hatten keine Investoren, die uns finanziert haben. Wir hatten damals kein Geld. Die ersten Gehälter habe ich aus dem Stammkapital bezahlt. Mir selbst habe ich nichts ausbezahlt. Für die zweiten Gehälter haben wir dann schon Geld verdienen müssen. Das war eine brutale Phase. Wir waren 24/7 im Einsatz.

Du hast erzählt, dass du in der Anfangszeit von brutkasten gar nicht so stark ins Daily Business involviert warst. Wann hast du begonnen, selbst Content zu produzieren?

Das ist mit den Facebook-Livestreams gekommen. Das wollte ich unbedingt als First Mover machen. Diese Facebook-Livevideos haben uns dann auch den größten Boost gegeben – wir haben überallhin das Handy mitgenommen, Stative aufgebaut und von überall gestreamt. Das war damals neu und ist super angekommen. In dieser Phase hatten unsere Videos oft 10.000 Views und viele Kommentare.

Wie ging es für das Unternehmen brutkasten wirtschaftlich weiter? Wie kam es zur ersten Finanzierungsrunde im Jahr 2018?

Wir sind nach dem Buyout weiter gewachsen. Die ersten beiden Jahre haben wir operativ positiv abgeschlossen. Wir haben eine ordentliche Sogwirkung gespürt. Das hat dazu geführt, dass uns die ersten Investoren angesprochen haben. Wir hatten einfach Buzz erzeugt, weil ständig Gründer bei uns in den Livestreams waren.

Und dann hat mich einmal Runtastic-Co-Founder Florian Gschwandtner bei einem Drink angesprochen, dass wir uns bei ihm melden sollten, wenn wir mal Investoren suchen sollten. Unsere Eigentümerstruktur hatte sich da schon etwas verändert: Michael Tillian ist zur Russmedia gewechselt und hat, um Interessenskonflikte zu vermeiden, dort seinen 15-Prozent-Anteil eingebracht. Von Russmedia gab es dann ebenfalls die Bereitschaft, in brutkasten zu investieren, um eine Expansion auf den deutschen Markt zu finanzieren.

Über Kontakte und WhatsApp-Nachrichten hatten wir plötzlich eine 1,25-Mio.-Euro-Finanzierungsrunde aufgestellt. Andreas Bierwirth und die mySugr-Gründer waren auch mit dabei. Dann hatten wir noch ein brutkasten-Interview mit den Bitpanda-Gründern Eric Demuth und Paul Klanschek. Nach dem Interview hatte ich einen Notartermin, und als sie erfahren haben, warum, wollten sie ebenfalls einsteigen.

Du hast eindrücklich geschildert, wie wenig Geld am Anfang da war. Dann hast du plötzlich 1,25 Mio. Euro am Konto gehabt. Wie war das für dich in dem Moment?

Da konnte ich zum ersten Mal ein bisschen durchatmen. Gleichzeitig ist es jedoch so, dass so ein Betrag zwar nach einer hohen Summe klingt, aber 500.000 davon haben wir dann für die Akquisition von StartingUp verwendet – einiges für den Kaufpreis, aber da kommen ja noch eine ganze Reihe anderer Kosten, etwa für Anwälte, dazu. Beim Rest hast du dann monatlich gesehen, wie es weniger wird. Wir haben ja auch ins Team investiert.

Gleichzeitig haben wir aber unseren Umsatz gesteigert. Es war keine zweite Finanzierungsrunde nötig, weiteres Wachstum haben wir dann über Fremdkapital finanziert.

In der Coronapandemie entstand dann mit den digitalen Events ein neuer Geschäftsbereich …

Das hat uns einen Boost gegeben, das war ein wichtiger Meilenstein mit wirklich coolem Wachstum. Wir waren lange Zeit ganz klar als Medium positioniert; auf einmal war das Agentur-Business megaerfolgreich. Das war aber eine opportunistische Situation, kein Ergebnis eines langen Strategieprozesses. Es war im ersten Corona-Lockdown einfach überlebensnotwendig, sich etwas anderes zu überlegen.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden. Ich habe gewusst, es wird uns etwas einfallen – und das waren die digitalen Events. Wir waren dann sehr gefragt, weil wir ein Must-have-Produkt hatten. Wir haben diese Dinge eben auch viel schneller gelernt als Agenturen, die auf Kurzarbeit waren. Das digitale Event-Business hat uns viele Aufträge gebracht und für Wachstum gesorgt.

Manche haben mir zu Kurzarbeit geraten, ich habe mich aber für „Langarbeit“ entschieden.

Aber wir haben schon auch gelernt, dass unsere mediale Tätigkeit darunter leidet. 2021 war ein starkes Wachstumsjahr für uns: Wir haben in diesem Jahr über 20 Personen eingestellt und das „Venture Capital Magazin“ in Deutschland gekauft. Damit haben wir den Sprung auf rund 50 Mitarbeiter:innen gemacht.

Aus damaliger Sicht war das nachvollziehbar, weil die Prognosen auf starkes Wirtschaftswachstum hindeuteten. Man hat auf den Aufbruch nach der Pandemie gewartet, und dafür haben wir uns aufgestellt. Ich wollte vorne dabei sein, wenn der Aufschwung kommt. Dann ist es aber anders gekommen – mit dem Ukraine-Krieg, der am 24. Februar 2022 begonnen hat.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Im Jänner und Februar war die Wirtschaft noch total im Aufbruch und wir hatten Aufträge, bei denen es um größere Summen ging als jemals zuvor. Dann kamen die Wirtschaftskrise, Inflation, die Venture-Capital-Krise und die ersten großen Layoffs in der Startup-Szene. Das hat uns auch vom Werbemarkt her getroffen. Das Geschäft mit den digitalen Events ist dann gravierend eingebrochen. Die Rezessionsangst in der Wirtschaft war sehr hoch. Eine Firma unserer Größe ohne Cashreserven konnte in so einem Umfeld nicht mehr überleben, auch wenn wir zwischenzeitlich eine Erholung geschafft haben. Das hat dann in einer Notoperation zum Verkauf an die VGN-Gruppe geführt.

Mit dem Deal wurde die VGN neue Mehrheitseigentümerin, du selbst hast die Mehrheit abgegeben. Wie war das für dich?

Es ging alles sehr schnell. Plötzlich standen wir vor dem Aus. Ich habe über tausend unterschiedliche Optionen nachgedacht. Das war eine Phase, in der ich jede Nacht um vier Uhr aufgewacht bin. Für mich persönlich war es die transformativste Phase meines Lebens, im Nachhinein auch im positiven Sinn.

Es hat sich schnell herausgestellt, dass die VGN die einzige Möglichkeit in der notwendigen Geschwindigkeit war. Gemeinsam mit Horst Pirker haben wir mit den Altinvestoren eine für alle gangbare Lösung gefunden. Für mich war es essenziell, auch mir selbst die Frage zu beantworten: Habe ich noch die Kraft, das die nächsten zehn Jahre weiterzumachen? Will ich das? Sehe ich noch die Vision? Und ich bin zum Schluss gekommen: Ja, das möchte ich. Ich habe tatsächlich in meine Kraft zurückgefunden, durch den radikalen Fokus auf die einzige Aufgabe: den Fortbestand von brutkasten zu sichern.

Wir konnten die Restrukturierung dann sehr gut bewältigen. Über den Sommer haben wir strategisch gearbeitet und Klarheit gewonnen. Dann sind wir mit gutem Elan und vielen Hausaufgaben in den Herbst hineingegangen, und wir haben die folgenden 18 Monate bravourös gemeistert; das gesamte Team. Heute stehen wir nach all diesen Erfahrungen mit einer strategischen Klarheit da, die wir nie hatten, mit einem starken kaufmännischen Fundament und mit einem Team, das besser als je zuvor zusammenarbeitet.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wie siehst du den Beitrag, den brutkasten zum Innovations-Ecosystem leistet?

Wir haben Brücken zwischen Startups, Investoren und Corporates gebaut, Innovationen sichtbar gemacht und dem österreichischen Innovations-Ecosystem eine Stimme gegeben. Ohne uns wären viele Erfolgsgeschichten vielleicht unbemerkt geblieben.

Birthday Bash zum zehnjährigen Jubiläum von brutkasten.

Unsere Plattform hat dabei geholfen, die inspirierendsten Köpfe des Landes miteinander zu verbinden und Mut zu machen, neue Wege zu gehen. Mit unseren unterschiedlichen Formaten wie Studiotalks, dem Printmagazin oder unseren Events haben wir dafür gesorgt, dass die Innovationskraft unseres Landes die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Du sprichst jetzt auch die Brückerbauer-Funktion zwischen Startups und Corporates an. brutkasten ist aus der Startup-Szene heraus entstanden, hat sich aber verbreitert und deckt mittlerweile das komplette Innovations-Ecosystem ab. Wie siehst du heute das Verhältnis zwischen brutkasten und der Startup-Szene?

Mich haben die Gründerinnen und Gründer fasziniert. Deshalb habe ich ein Medium für sie gebaut, mit allen Leuten, die den Weg seit Tag eins mitgehen. Aber schon ganz zu Beginn war unser Claim „Bridging the new and the old economy“. Das hatten wir auf der allerersten Website. Ich war von Anfang an überzeugt, dass, wenn man diese beiden Welten zusammenbringt, Startups stärker werden, weil sie Kunden, Partner und Projekte brauchen; und Corporates werden stärker, weil sie Innovation brauchen, die sie alleine nicht schaffen.

Dieser Teil des Brückenbauens hat für mich immer eine große Rolle gespielt, weil ich für die Corporate-Welt große Wertschätzung habe. Das ist letztlich die tragende Säule der Wirtschaft, und wenn man diese durch die Innovationskraft der Startups stärkt, stärkt man beide Seiten.

Ich sehe Startups auch nicht als isoliertes Phänomen – sie sind als Teil der Wirtschaft auch Garant für Wohlstand und das Sozialsystem. Dass alle zusammenarbeiten, ist mir wirklich ein Anliegen – heute mehr denn je, denn Europa muss selbstbewusster werden und die eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken.

In diesem Kontext ist ja auch die neue brutkasten-Initiative Austrian Innovators zu sehen, die 2025 starten wird. Was steckt dahinter?

Wir brauchen die Innovationskraft, die Geschwindigkeit und den Mut von Gründerinnen und Gründern. Aber alleine werden sie die Welt nicht umkrempeln können. Da braucht es Corporates, die bereit sind, Geld zu investieren und Infrastruktur zu teilen. Es braucht Investoren und den Kapitalmarkt, der die Transformation finanziert. Und es braucht Policymaker und die Wissenschaft. Alle diese Stakeholder wollen wir zusammenbringen, aus der Überzeugung, dass wirklich große Dinge möglich werden, wenn die richtigen Leute an einem Strang ziehen.

Viele dieser Communitys, die ich jetzt genannt habe, sind untereinander halbwegs gut vernetzt, aber über den Tellerrand noch nicht so wirklich. Hier kann brutkasten als Ecosystem-Player einen Beitrag leisten, diese Akteure an einen Tisch zu bringen; in einem monatlichen Format mit digitalen Komponenten.

Wir feiern jetzt zehn Jahre brutkasten. Wo könnte brutkasten in weiteren zehn Jahren stehen?

Ich sehe brutkasten als Unternehmen, das weiter Pionierarbeit leistet und neue Standards setzt. Wir wollen nicht nur Trends folgen, sondern sie gestalten; sowohl in der Medienwelt als auch im Innovations-Ecosystem. Unsere Vision ist es, die erste Anlaufstelle für alle zu sein, die Innovation in Europa vorantreiben wollen. Mit einem starken Team, einer klaren Strategie und der Bereitschaft, uns immer wieder neu zu erfinden, sind wir bestens gerüstet, um die nächsten zehn Jahre erfolgreich zu gestalten.

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