02.01.2018

Von Autos, die miteinander sprechen und in die Zukunft blicken

Im Mobility-Bereich wird die Disruption in den kommenden Jahren greifen, wie kaum woanders. Die Kapsch Factory1 bot einen Ausblick auf die (nahe) Zukunft.
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(c) fotolia.com - Mopic

Von Disruption ist im Startup-Bereich gerne die Rede. Der Vorgang, bei dem das gängige Konzept in einem Bereich komplett ersetzt wird, wird immer wieder heraufbeschworen. Einzig: So revolutionär sind die neuen Modelle oft gar nicht. Schließlich bleibt fraglich, ob die Menschen in einigen Jahren rückbezüglich über die Etablierung von Banking-Apps und praktischen Messenger-Systemen so sprechen werden, wie über den Übergang vom Wählscheibentelefon zum Smartphone. Man verzeihe an dieser Stelle den etwas überspitzten Vergleich.

Auch im Mobility-Bereich kann man sich kaum vor dem großen Begriff Disruption flüchten. Ein etwas genauerer Blick zeigt dann aber: Hier dürfte er besser zutreffen, als in so mancher anderer Sparte. Was in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit auf uns zukommt, dürfte den Alltag tatsächlich spürbar und nachhaltig verändern.

+++ Mobilität: Startups als Triebwerk kommender Revolutionen +++

Ein ziemlich wahrscheinliches Szenario

Man stelle sich vor, man sitzt auf der Rückbank eines selbstfahrenden E-Autos. Es gehört einem nicht – man hat es über seine bevorzugte Messenger-App kommen lassen und kommt damit günstiger davon, als hätte man ein eigenes. Das Auto fährt eine ungewöhnliche Strecke zum gewünschten Zielort. Dafür gibt es kein Stehen bei roten Ampeln, keinen Stau, keine Verzögerung. Sogar als das Auto noch einen eigentlich irrationalen Umweg um einen Block herum macht, wundert man sich nicht. Aus der Ferne kann man dann auch erkennen, dass die „logische“ Straße von irgendetwas blockiert wird. Und dabei hatte man das Hindernis vor dem Umweg doch noch gar nicht sehen können.

Dieses Szenario ist nicht nur nicht unrealistisch. Es ist sogar – wohl mit kleinen Änderungen – ziemlich wahrscheinlich. Und der Zeitpunkt an dem es sich abspielt ist nicht 2050, sondern in ein paar Jahren. Die vielbeschworene Disruption hat bereits begonnen.

Factory1: Man sieht, wo die Reise hingeht

Dass im Mobility-Bereich kein Stein auf dem anderen bleibt, wurde vergangenes Jahr mit wenig Show und doch spektakulär bei der Kapsch Factory1 aufgezeigt. Die internationale Startup-Suche für den Corporate Accelerator brachte sieben Proof of Concept-Projekte hervor, die allesamt einen Baustein zur großen, für alle spürbaren, Disruption liefern. Die Tatsache, dass es kein österreichisches Startup in das Programm schaffte, kann man gewiss bedauern. Sie zeigt aber auch: Kapsch hat sich bei seiner Auswahl eben nur vom Potenzial der Konzepte und ihrer Teams lenken lassen. Und der Mix an beeindruckenden Projekten, die dabei herausgekommen sind, spricht für sich. In der Synthese bieten sie einen guten Blick in die nahe Zukunft. Ob all das letztendlich vom österreichischen Traditionskonzern Kapsch umgesetzt wird, bleibt freilich dahingestellt. Doch – um eine Mobilitäts-Metapher anzubringen – man sieht wo die Reise hingeht.

Umweltfreundliche Batterie für die E-Mobility

Da wäre etwa das finnische Startup BroadBit Batteries. Von sieben Teilnehmern war es der einzige, der explizit das Feld E-Mobility beackert (was angesichts des Hypes um das Thema gewiss verwundert). Eine einfache Erklärung für das technisch komplexe Produkt: Eine Batterie, die auf Salz, Sand und Kohle basiert. Die Kombination dieser Rohstoffe mache die Batterie deutlich umweltfreundlicher und zugleich günstiger als gängige Produkte, sagen die Erfinder. Dazu kämen sogar noch ein höherer Output und eine längere Lebenszeit. Und die Batterie ist im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Akkus nicht brennbar. Die „Downside“: Ausgereift ist das Produkt noch bei weitem nicht. Von Akkus für E-Autos ist man noch weit entfernt. Im Rahmen des gemeinsamen Projekts wurde mit Kapsch intensiv getestet und verbessert.

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Banken als Shared-Mobility-Anbieter

Ganz ohne Hardware kommt das portugiesische Startup Mobiag aus. Das Konzept: Alle Shared-Mobility-Angebote sollen auf einer Plattform vereint werden. Diese Plattform will Mobiag aber nicht unter eigenem Namen als App vermarkten, sondern als Whitelabel-Lösung sprichwörtlich jedem anbieten. Von Hotelketten über Banken bis zu Betreibern öffentlicher Verkehrsmittel kann jeder „virtual operator“ werden und über seine Plattform Sharing-Dienste vermitteln – so die Vision. Bei der Kapsch Factory1 wurde Mobiag mit der Wiener Firma Fluidtime gematcht, an der Kapsch mehrheitlich beteiligt ist. Gemeinsam wird an einer Whitelabel-Mobility-as-a-Service-App gearbeitet, die weltweit an Mobilitätsdienstleister angeboten werden wird.

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IoT, Blockchain und das Kerngeschäft

Das niederländische Startup Quantoz will die Blockchain-Technologie in Kapschs Kerngeschäft bringen: Mautsysteme. Über die vom Unternehmen selbst entwickelte Blockchain kann mit klassischen Währungen wie Euro und Co. bezahlt werden. Zentral für das gemeinsame Projekt ist eine Verknüpfung mit IoT. Autos können die Maut (aber etwa auch Tankfüllungen) damit selbst sofort bezahlen. Der Unterschied zu bisherigen automatisierten Mautsystemen: Die Bezahlung wird bislang eben noch nicht direkt abgewickelt.

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Verkehrsanalyse in Echtzeit

Ein weiteres Kernfeld von Kapsch bearbeitet das ebenfalls niederländische Startup ViNotion. Seine Verkehrsmonitoring-Software kann über Videoanalyse Fahrzeuge nicht nur zählen, sondern auch nach Typ unterscheiden und weitere Parameter erfassen. Damit können Echtzeit-Daten zur Verkehrslage an bestimmten Punkten gewonnen werden. Auch mit ViNotion wurde im Rahmen des gemeinsamen Projekts vorwiegend getestet. Spannend dürfte hier vor allem die Synthese mit anderen Konzepten im Hinblick auf selbstfahrende Autos sein. Denn auch die weiteren drei Projekte sind in diesem Zusammenhang zu sehen.

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Gefahren erkennen und andere warnen

Das israelische Startup i4drive kombiniert mit seiner Software verschiedene Sensoren in Fahrzeugen. Damit sollen einerseits Assistenz-Systeme verbessert werden. Im Mittelpunkt steht aber bereits die Sensorik für selbstfahrende Autos. Im gemeinsamen Projekt mit Kapsch wurde der Ansatz mit einer Connected Vehicle-Technologie verknüpft, an der das Unternehmen bereits seit längerem arbeitet. Das Ziel: Fahrzeuge sollen einander vor Gefahren oder auch einfach nur Hindernissen warnen können.

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Vorher wissen, wann die Ampel rot sein wird

Auch das US-Startup Acyclica arbeitet an einer Ergänzung für die Connected Vehicle-Technologie. Mit deren System erhalten Fahrzeuge über eine Cloud Informationen aus der Verkehrsinfrastruktur und vice versa. Die Autos „wissen“ so etwa vorab über Ampelschaltungen Bescheid und können die optimale Route entsprechend legen. Im Rahmen der Kooperation ist für beide Unternehmen auch der jeweilige Heimatmarkt des anderen ein relevantes Asset.

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Zehn Minuten im Voraus die Verkehrslage kennen

Das niederländische Startup Fileradar schließlich, verspricht nichts geringeres als einen Blick in die Zukunft. Das passiert über einen Machine Learning-Ansatz, der sowohl aktuelle Verkehrsdaten als auch statistische Daten über den entsprechenden Straßenzug und Zusatzinformationen wie Wetter und aktuelle Unfallmeldungen einbezieht. Damit soll die Verkehrslage zehn Minuten im Voraus adäquat vorausgesagt werden. Gemeinsam mit Kapsch wurde ein Testlauf in Madrid umgesetzt. Die Kooperation soll, wenn alles gut geht, einen großen Rollout ermöglichen.

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Disruption wie beim Übergang von Wählscheibe zu Smartphone

Vorgestellt wurden alle Projekte bei einem Demo Day im Rahmen des ITS World Congress in Montreal Ende Oktober. Natürlich handelt es sich bei den Kooperationsprojekten zwischen Kapsch und den Startups teilweise nur um Tests oder Pilotversuche – mit offenem Ausgang. Wie viel davon letztendlich dauerhaft im Kapsch-Portfolio landet ist noch unklar. Dennoch ermöglichte die Kapsch Factory1 mit ihren Konzepten einen Blick in die nahe Zukunft der Mobilität. Und es wurde klar: Das oben genannte Szenario ist bereits in greifbarer Nähe. Wir können uns im Mobility-Bereich auf echte Disruption einstellen – ganz so, wie beim Übergang vom Wählscheiben-Telefon zum Smartphone.

⇒ Zur Homepage der Factory1

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03.02.2025

KI in Europa: „Müssen aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Was braucht es, damit Österreich und Europa bei künstlicher Intelligenz nicht zurückfallen? Diese Frage diskutierten Hermann Erlach (Microsoft), Marco Porak (IBM), Peter Ahnert (Nagarro) und Jeannette Gorzala in der vorerst letzten Folge der brutkasten-Serie "No Hype KI".
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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie „No Hype KI„, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

„Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache“

Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“

Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

AI Act: „Jetzt müssen wir ins Tun kommen“

Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: „Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.“ Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: „Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.“

Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

„Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

IBM-Programm: „Die Angst war weg“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: „Die Angst war weg.“ Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. „Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.“

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

Folge 2: „Was kann KI in Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?“

Folge 3: “Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis”

Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


Die Serie wird von brutkasten in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung unserer Partner:innen produziert.

No Hype KI

03.02.2025

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Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala
Peter Ahnert, Hermann Erlach, Marco Porak und Jeannette Gorzala | Foto: brutkasten

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Wo stehen wir wirklich, was die Adaption von künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft angeht? Diese Frage zu beantworten war eines der Ziele der Serie „No Hype KI„, die brutkasten anlässlich des zweijährigen Bestehens von ChatGPT gestartet hat. Die ersten fünf Folgen beleuchten unterschiedliche Aspekte des Themas und lieferten eine Bestandsaufnahme.

Im Staffelfinale, der sechsten Folge, war der Blick dann in Richtung Zukunft gerichtet. Dazu fanden sich die Österreich-Chefs von Microsoft und IBM, Hermann Erlach und Marco Porak, sowie Nagarros Big Data & AI Practice Lead für Central Europe, Peter Ahnert, und KI-Expertin Jeannette Gorzala, die auch Mitglied des KI-Beirats der österreichischen Bundesregierung ist, im brutkasten-Studio ein.

„Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache“

Eine der Erkenntnisse der Serie: Unternehmen und Institutionen verabschieden sich von überschwänglichen Erwartungen und sehen sich stattdessen an, wie KI tatsächlich in der Praxis eingesetzt wird. „Der Hype ist weg und das ist eine gute Sache, weil jetzt kann man auf den Use Case gehen“, sagt Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich, im Videotalk. Er vergleicht den aktuellen Reifegrad von KI mit dem Beginn einer langen Reise: „Wenn ich so eine Reise angehe, dann brauche ich ein Ziel, einen Plan und Mitreisende. Alleine macht das wenig Spaß.“

Auch Marco Porak, General Manager von IBM in Österreich, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht das abgelaufene Jahr als eine Phase der Erkenntnis. Den Status Quo bei KI in Österreichs Unternehmen beschreibt er im Talk folgendermaßen: „Wir haben allerorts sehr viel ausprobiert, sind vielleicht da und dort auf die Nase gefallen“. Gleichzeitig habe es auch „schöne Erfolge“ gegeben. Für Porak ist klar: „Die Frage der Stunde lautet: Wie machen wir jetzt von hier weiter?“

AI Act: „Jetzt müssen wir ins Tun kommen“

Ein großes Thema dabei ist der AI Act der EU. Jeannette Gorzala, Gründerin von Act.AI.Now, plädiert für eine pragmatische Haltung gegenüber der EU-Verordnung: „Der AI-Act ist ein Faktum, er ist da. Jetzt müssen wir ins Tun kommen.“ Sie sieht in dem Regelwerk einen Wegweiser: „Wir müssen die entsprechenden Kompetenzen aufbauen und die Möglichkeiten nutzen, die diese Regulierung bietet. Das ist der Reiseplan, den wir brauchen.“

Auch Marco Porak sieht den AI Act positiv: „Er hat nicht die Algorithmen reguliert, sondern gesagt, was wir in Europa gar nicht wollen, etwa Sozialpunktesysteme oder Gesichtserkennung in Echtzeit.“ So entstehe für Unternehmen im globalen Wettbewerb ein Vorteil, wenn sie ihre KI-Anwendung nach europäischen Maßstäben zertifizieren lassen: „Das ist wie ein Gütesiegel.“

„Müssen positiv aggressiv reingehen, um unseren Wohlstand zu halten“

Hermann Erlach von Microsoft bezeichnet den Ansatz des AI Act ebenfalls als „gut“, betont aber gleichzeitig, dass es jetzt auf die Umsetzung von KI-Projekten ankomme: „Wir haben eine Situation, in der jedes Land an einem neuen Startpunkt steht und wir positiv aggressiv reingehen müssen, um unseren Wohlstand zu halten.“

Peter Ahnert sieht dabei auch ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung: KI werde tendenziell nicht nur zu klein gedacht, sondern meist auch in Zusammenhang mit Risiken wahrgenommen: „Es werden die Chancen nicht gesehen.“ Woran liegt es? „Zu einem erheblichen Teil daran, dass noch zu wenig Bildung und Aufklärung an dem Thema da ist. In Schulen, in Universitäten, aber auch in Unternehmen und in der öffentlichen Hand.“ Hier müsse man ansetzen, sagt der Nagarro-Experte.

Jeannette Gorzala sieht das ähnlich: „Bildung und Kompetenz ist das große Thema unserer Zeit und der zentrale Schlüssel.“ Verstehe man etwas nicht, verursache dies Ängste. Bezogen auf KI heißt das: Fehlt das Verständnis für das Thema, setzt man KI nicht ein. Die Opportunitätskosten, KI nicht zu nutzen, seien aber „viel größer“ als das Investment, das man in Bildung und Governance tätigen müssen. „Natürlich ist es ein Effort, aber es ist wie ein Raketenstart“, sagt Gorzala.

IBM-Programm: „Die Angst war weg“

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte IBM-Chef Porak mit einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen. IBM lud weltweit alle Mitarbeitenden zu einer KI-Challenge, bei der Mitarbeiter:innen eigene KI-Use-Cases entwickelten, ein – mit spürbaren Folgen: „Die Angst war weg.“ Seine Beobachtung: Auch in HR-Teams stieg die Zufriedenheit, wenn sie KI als Assistenz im Arbeitsablauf nutzen. „Sie können sich auf die komplexen Fälle konzentrieren. KI übernimmt die Routine.“

Microsoft-Chef Erlach warnt auch davor, das Thema zu stark unter Bezug auf rein technische Skills zu betrachten: „Die sind notwendig und wichtig, aber es geht auch ganz viel um Unternehmens- und Innovationskultur. Wie stehen Führungskräfte dem Thema AI gegenüber? Wie steht der Betriebsrat dem Thema AI gegenüber?“, führt er aus.

Venture Capital: „Müssen in Europa ganz massiv was tun“

Soweit also die Unternehmensebene. Einen große Problemstelle gibt es aber noch auf einem anderen Level: Der Finanzierung von Innovationen mit Risikokapital. „An der Stelle müssen wir in Europa ganz massiv was tun“, merkte Ahnert an. Er verwies auf Beispiele wie DeepMind, Mistral oder Hugging Face, hinter denen jeweils europäische Gründer stehen, die aber in den USA gegründet, ihre Unternehmen in die USA verkauft oder zumindest vorwiegend aus den USA finanziert werden.

Der Nagarro-Experte verwies dazu auf eine Studie des Applied AI Institute, für die Startups aus dem Bereich generative KI zu den größten Hürden, mit denen sie es zu tun haben, befragt wurden. „51 Prozent haben Funding genannt. Weit abgeschlagen an zweiter Stelle mit 24 Prozent erst kam die Regulierung und unter 20 Prozent waren Themen wie Fachkräftemangel oder Zugang zu Compute Power.“ Ahnerts Appell: „Bei dem Thema Finanzierung müssen wir was tun, damit wir in der nächsten Welle an der Spitze sind.“

Erlach: Adaption entscheidend

Letztlich sei aber vielleicht gar nicht so entscheidend, wo eine Technologie produziert werde, argumentierte Hermann Erlach von Microsoft. Denn es komme auf die Adaption an: „Vielleicht ist die Diskussion Europa vs. Amerika in Teilbereichen die falsche.“ Die wichtigere Frage sei also: „Wie adaptiere ich diese Technologie möglichst schnell, um meinen Wohlstand zu erhöhen?“

Marco Porak ergänzt: „Ganz, ganz wesentlich ist Mut. Ganz, ganz wesentlich ist unsere kulturelle Einstellung zu dem Thema.“ Man müsse die Chancen sehen und weniger das Risiko. In der Regulatorik könne man dies begleiten, indem man Anreize schafft. „Und ich glaube, wenn wir das als Österreich mit einem großen Selbstbewusstsein und auch als Europa mit einem großen Selbstbewusstsein machen, dann haben wir in fünf Jahren eine Diskussion, die uns durchaus stolz machen wird.“


Die gesamte Folge ansehen:


Die Nachlesen der bisherigen Folgen:

Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?“

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Folge 4: KI-Geschäftsmodelle: “Wir nutzen nur einen Bruchteil dessen, was möglich ist”

Folge 5: Open Source und KI: “Es geht nicht darum, zu den Guten zu gehören”


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