06.12.2018

MeineSV: Wie die Sozialversicherung sich digitalisiert

Der Ruf der Sozialversicherung in Sachen Bürokratie ist verbesserungswürdig. Mit "MeineSV" will man das Service ins digitale Zeitalter bringen. Wir sprachen dazu mit Dr. Alexander Biach, dem Vorstandsvorsitzenden des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger.
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MeineSV
(c) Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
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“Bei über acht Millionen Kundinnen und Kunden ist es natürlich eine große Herausforderung, für alle das passende Service zu bieten”, sagt Alexander Biach im Gespräch mit dem Brutkasten. Er ist Vorstandsvorsitzender des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger und leitet damit eine Mega-Institution. Denn fast alle rund 8,8 Millionen ÖsterreicherInnen sind bei einem der 21 österreichischen Sozialversicherungsträger (mit-)versichert. Und der Hauptverband, kurz HVB, steht koordinierend darüber.

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Ein Ende des “Hin und Her”?

Den Organisationen haftet noch immer ein wenig schmeichelnder Ruf an, wenn es ums Thema Bürokratie geht. Viele Services setzten etwa bis vor Kurzem das Ausfüllen von gedruckten Formularen und deren Versendung auf dem Postweg voraus. “Dass dieses Hin und Her, etwa bei der Rückerstattung von Wahlarzt-Kosten, für viele Menschen nicht befriedigend war, war uns natürlich bewusst”, sagt Biach. Er bringt damit gleich eines von mehreren Beispielen, derer man sich bei der SV in den letzten Jahren annahm.

MeineSV: “Zügig alle Services online verfügbar machen”

Nun können etwa die besagten Wahlarzt-Rechnungen über das Portal “Meine SV” online eingereicht werden. Gesichert wird dabei über die Handy-Signatur. Das Service-Portfolio geht aber noch deutlich weiter. Auch Anträge auf Selbstversicherung, das Einreichen von Rechnungen für Heilbehelfe und die Gesundmeldung sind nun online möglich, um nur ein paar Beispiele zu nennen. “Wir konnten seit 2015 bereits den Großteil der Services online verfügbar machen. Der Rest ist in Arbeit”, erklärt der Vorstandsvorsitzende. Und die Digitalisierung der Services helfe letztlich nicht nur den Versicherten. “Wir können damit auch den bürokratischen Aufwand innerhalb der Organisation deutlich reduzieren und dadurch effizienter werden”, sagt Biach.

Auch Brief und Fax bleiben erhalten

Er schränkt aber ein: “Klar ist auch, dass wir ein Dienstleister für alle 8,8 Millionen Versicherten bleiben”. Da wären eben die Tech-affinen Bevölkerungsgruppen ebenso dabei, wie die über 90-jährigen, die noch nie einen Computer bedient haben. “Auch wenn wir natürlich möglichst viel Kundenkommunikation online abwickeln wollen, müssen wir weiterhin alle Kanäle vom Telefon über das Fax bis zum Brief abdecken”. Zumindest mittelfristig. Anders wäre die Service-Orientierung nur zur Hälfte gedacht. Und klar sei: “Unsere MitarbeiterInnen kommen weg vom Image des Sachbearbeiters hin zum echten Servicepartner”.

Mit Machine Learning zu mehr Effizienz

Zugleich passiere die Digitalisierung auch innerhalb der Organisation. “Es ist das eine, was man nun über “MeineSV” nach außen hin sieht. Eine große Herausforderung ist es natürlich auch, die Systeme und Datenbanken dahinter zu optimieren”, erklärt Biach. Schließlich müsse man eben auch die besagten Briefe und Faxe effizient verarbeiten und in die Systeme einspeisen können. Dabei setzt man etwa auf Machine Learning-gestützte Texterkennung. Auch hier stehen die Wahlarzt-Rechnungen im Zentrum eines Pilotprojekts. Sie werden bereits (teil-)automatisiert ausgelesen.

Auch Unternehmer-Services sollen digitalisiert werden

Mittelfristig will man es bei der SV freilich nicht bei der Digitalisierung der Dienstleistungen für Versicherte belassen. Auch UnternehmerInnen sollen zukünftig noch stärker in den Genuss von Online-Services kommen. Mittelfristig will man es bei der SV freilich nicht bei der Digitalisierung der Dienstleistungen für Versicherte belassen. Auch UnternehmerInnen sollen zukünftig noch stärker in den Genuss von Online-Services kommen. “Das Unternehmensserviceportal USP bietet ja bereits viele Leistungen online an. Unser Ziel ist es, hier auf Dauer auch die unternehmensseitigen Services der SV komplett abzubilden”, sagt Biach. Die Servicierung von Unternehmen sei ein wichtiger Punkt in der gesamten Innovationsstrategie.

Großprojekt zur Automatisierung

Die Grundlage für eine Vereinfachung der bürokratischen Abläufe wird gerade in einem Großprojekt umgesetzt: “Wir stehen unmittelbar vor einer großen Reform der Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge. Die Software wurde in einem umfassenden Projekt so umgestellt, dass ab 1.1 2019 die 350.000 Arbeitgeber in Österreich die Sozialversicherung für die Mitarbeiter monatlich akkurat abrechnen können. Dafür wurden manuelle Tätigkeiten in automatisierte Prozesse umgewandelt, sowie das inzwischen unübersichtliche und unhandlich gewordene – nur in Papier – verfügbare Beitragsgruppenschema durch das neue vereinfachte elektronisch verfügbare Tarifsystem ersetzt. Damit entfallen bisher notwendige Doppelgleisigkeiten und Nachverrechnungen im Folgejahr. Das wird vor allem den Arbeitgebern und Lohnverrechnern eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung bringen”, erklärt Biach im Gespräch.

Unternehmensserviceportal (USP)

Weiters bietet das Unternehmensserviceportal USP viele Leistungen online an. Unser Ziel ist es, hier auf Dauer auch die unternehmensseitigen Services der SV komplett abzubilden”, sagt Biach. Die Servicierung von Unternehmen sei ein wichtiger Punkt in der gesamten Innovationsstrategie. “Die österreichische Sozialversicherung schreitet in ihrer Digitalisierungsstrategie rasch voran, jetzt müssen die Services noch breitenwirksam bekannt gemacht werden”, so Biach.


=> zum SV-Portal 

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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