Würden Sie zu einem Service-Mitarbeiter „Ich liebe dich!“ sagen? Wahrscheinlich nicht. Im Interview verrät Chatbot-Expertin Barbara Ondrisek, wieso dies vorkommt.
Die Startup-Szene in Wien hat einen neuen Trend: Chatbots. Der breiten Masse ist der Begriff noch weitgehend unbekannt– und das, obwohl die meisten bereits unbewusst mit einem der „intelligenten Bots“ kommuniziert haben. In einer digitalen Welt, die von Schnelligkeit geprägt ist, sollen Chatbots das Optimum in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden herausholen. Statt mit einem Service-Mitarbeiter am Telefon spricht man künftig mit einem Roboter im Facebook-Chat. Was nach Science-Fiction klingt, ist längst in der Realität angekommen.
Barbara Ondrisek hat mit dem Launch des ersten Facebook-Chatbots aus Österreich für Aufsehen gesorgt. „Mica, the Hipster Cat Bot“ gibt einem lokale Auskünfte zu Restaurants oder Bars, zu Hause und im Ausland. Untermalt wird die Konversation mit Katzenbildern und Antworten, die einen durchaus zum Schmunzeln bringen. Beim Schreiben mit „Mica“ kann es durchaus vorkommen, dass man vergisst, dass hinter der Konversation ein Algorithmus steckt – und kein Mensch. Die Wienerin hat zuvor viele Jahre als Softwareentwicklerin gearbeitet und etwa die Banking-App „George“ der Ersten Bank mitentwickelt. Mit ihrer Chatbots Agency entwirft sie nun „intelligente Bots“ für ihre Kunden. Wieso sich Firmen nun auf Liebesbekundungen freuen dürfen, erzählt sie uns im Interview.
Ist der Chatbot Hype ein schnelllebiges Phänomen oder wird er in Wien bleiben?
Ich würde es weniger als Hype bezeichnen denn als Trend. Chatbots gibt es bereits seit den Sechzigerjahren, die dahinter liegende Technologie hat sich allerdings stark verbessert. Wir sind am Anfang einer Re-Evolution, denn die neue Generation von Chatbots ist ausgereifter, als diese es bisher waren. Auch immer mehr größere Firmen springen auf den Zug auf. Sie sehen die Chance, den Customer-Support in einen Chatbot auszulagern oder ihre Marketing-Kanäle zu erweitern.
Was ist der Vorteil des Service zu einer klassischen Telefon Hotline?
Chatbots sind „intelligente Programme“, mit denen man auf Messenger-Plattformen kommunizieren kann. Das kann auf Facebook, Skype oder anderen Kanälen sein. Sie werden auch oft als virtueller Assistent bezeichnet. Jedenfalls sind sie eine neuartige Schnittstelle, mit der man direkt mit Kunden kommunizieren kann. Der große Vorteil der Chatbots: Sie befinden sich dort, wo sich Kunden und User normalerweise auch aufhalten. Sie müssen dafür nicht einmal Facebook verlassen.
Gibt es Beispiele, wo Chatbots bereits im Alltag akzeptiert sind?
WeChat, der chinesische Klon von WhatsApp mit rund 800 Millionen Nutzern pro Monat, ist ein Beispiel. Dort sind Bots als kleine Apps in der App integriert. Obwohl in China andere Dienste wie Facebook nicht benutzt werden dürfen, sind Bots dort bereits ein paar Schritte weiter. Die Plattform wurde viel früher für Services und Bots geöffnet. Unternehmen können sich dort präsentieren, man kann online im Chat bezahlen, seine Stromrechnung begleichen oder ein Taxi rufen; dafür muss man den Messenger-Dienst WeChat nicht einmal verlassen. Daran sieht man, was alles auf Facebook und Co. möglich sein könnte…
Hier kommt das Thema Daten ins Spiel. Wie sicher kann es denn sein, wenn Messengerdienste auch Zugriff aufs Geld und sensible Daten haben?
Ich bin da naturgemäß etwas kritisch, da ich auch meine Dissertation über IT-Security verfasst habe. Menschen, die mit Bots kommunizieren, führen oft Gespräche mit dem Service, als würden sie mit einem echten Menschen sprechen. Sie schreiben dabei sehr privat; so, wie sie niemals mit einem Mitarbeiter einer Hotline sprechen würden, und fragen etwa: „Wie geht es dir?“
Was erzählen die Menschen denn einem Chatbot?
„Mica, the Hipster Cat Bot“ ist ein gutes Beispiel. Der Chatbot schlägt dir Orte vor, wo du hingehen kannst. Restaurants zum Beispiel, in denen du gleich auch reservieren kannst. Und trotzdem kommen Fragen an den Chatbot wie „Bist du Single?“ oder Bekundungen wie „Ich liebe dich!“ Das ist eines der Key Learnings, die ich mitgenommen habe: Die Menschen gehen mit Bots anders um als mit Hotline-Mitarbeitern.
Woran liegt das?
Die Konversation mit dem Chatbot findet in einem für den User intimen Medium statt. Auf Facebook spricht man meist mit Freunden oder Bekannten. Der Chatbot wird somit mit
einer realen Person, vielleicht einem digitalen Kleinkind, gleichgesetzt.
Wie schwierig ist es dann, einen Chatbot zu konzipieren?
Die anfängliche Prämisse war, dass 80 Prozent aller Callcenter-Anfragen gleich sind und man sie mit einem Chatbot relativ einfach beantworten könnte. Der User erwartet allerdings von einem Service, das menschliche Sprache verwendet und humanoid agiert wird, dass es alles kann und alles weiß. Wenn wir uns Science-Fiction-Filme ansehen, dann sehen wir Computer oder Androiden, mit denen man wie mit einem Freund reden kann. So weit sind wir jetzt noch nicht, aber wir erleben gerade den ersten Schritt in diese Richtung. Wenn Mica eine Frage nicht beantworten kann, schickt sie ein Katzenfoto. Man kann einen Chatbot so konzipieren, dass es, wenn er nicht weiter weiß, zum „Human Takeover“ kommt, dann übernimmt den letzten Schritt wieder der Mensch, etwa ein Callcenter-Mitarbeiter.
Wie bildet man den Charakter eines Chatbots?
Man kann es vielleicht mit dem Skript eines Buchs oder eines Theaterstücks vergleichen. Man überlegt sich einen Charakter und einen Avatar. Und man muss wissen, was die Intention des Bots, also sein Sinn und Zweck, sein soll. Es muss immer einen USP geben. Das kann etwa sein, dass eine Hotline 24/7 erreichbar und immer freundlich ist. Ein Chatbot kann dann übernehmen, wenn kein Mitarbeiter in der Zentrale ist. Wir in der Chatbots Agency gehen bei der Konzeption von oben nach unten: Zuerst überlegen wir uns die Vision des Chatbots, dann den Charakter und die Biografie, zum Schluss geht es in die Use Cases und die Dialoge. Wir fragen auch unsere Kunden immer nach den häufigsten Fragen im Customer-Support oder auf ihrer Facebook-Page.
Ihr habt große Kunden, zum Beispiel Falstaff. Ist die Zusammenarbeit zwischen Corporate und Startup schwierig?
Ein Vorteil bei der Zusammenarbeit ist bestimmt, dass ich mehr als fünfzehn Jahre Berufserfahrung mitbringe. Da ich als Softwareentwicklerin unter anderem für IBM, HP und die Erste Bank gearbeitet habe, weiß ich, wie Corporates funktionieren. Als Chatbots Agency können wir als externe Agentur besser helfen, modernes Kom-munikationsdesign für Kunden zu entwickeln. Denn oft sind Corporates offen für Veränderungen, aber dann wird viel Politik ins Spiel gebracht, die den Innovationsprozess hemmt. Die Kunden, die an uns herantreten, haben allerdings bereits verstanden, dass sie in neue Technologien investieren müssen. Mit Chatbots können sie ihre Kunden auf eine emotionalere Weise an sich binden.
“Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis
Nachlese. Der Hype um künstliche Intelligenz ist längst im Rollen. Doch wie schaffen Unternehmen den Durchbruch in der Praxis? In der dritten Folge der neuen brutkasten-Serie “No Hype KI” schildern Expert:innen, welche Erfolgsfaktoren wirklich zählen und wie sich Herausforderungen souverän meistern lassen - von Datenlücken bis hin zur Einbindung der Belegschaft. Klar wird, dass die Technik nur ein Teil der Gleichung ist.
“Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der KI-Praxis
Nachlese. Der Hype um künstliche Intelligenz ist längst im Rollen. Doch wie schaffen Unternehmen den Durchbruch in der Praxis? In der dritten Folge der neuen brutkasten-Serie “No Hype KI” schildern Expert:innen, welche Erfolgsfaktoren wirklich zählen und wie sich Herausforderungen souverän meistern lassen - von Datenlücken bis hin zur Einbindung der Belegschaft. Klar wird, dass die Technik nur ein Teil der Gleichung ist.
Wie lässt sich KI “richtig” in Unternehmen integrieren? Wieso erleben Unternehmen einen “Bottom-Up-Push” und warum sprechen viele dabei noch von großen Hürden? Um diese und viele weitere Fragen ging es in der dritten Folge von “No Hype KI”. Zu Gast waren Alexandra Sumper von Nagarro, Manuel Moser von CANCOM Austria, Moritz Mitterer von ITSV sowie Clemens Wasner von AI Austria und EnliteAI.
Der Bottom-Up-Push
“Der AI-Hype ist jetzt circa zehn Jahre alt”, startet Clemens Wasner die Diskussionsrunde. Was als “vorausschauende Warnung und Betrugserkennung” im B2B-Sektor begann, hat sich eine knappe Dekade später zu einer Bottom-Up-Push-Bewegung entwickelt. “Einzelne Mitarbeitende verfügen teilweise über weitaus mehr praktische Erfahrung mit Generativer KI”, als “das oft auf einer Projektebene passiert”, so Wasner.
Um KI federführend in Unternehmen zu verankern, sei es wichtiger denn je, Mitarbeitende einzubinden und ihnen intern eine Bühne für den Best-Practice-Austausch zu geben, erklärt Wasner weiter. Aktuell ginge der KI-Push immer intensiver von Mitarbeiter:innen aus. Vergleichbar sei diese Bewegung mit dem Aufkommen der Smartphones vor etwa fünfzehn Jahren.
Daten mit Qualität
Als Basis sollte zuerst allerdings der Datenhaushalt eines Unternehmens sauber strukturiert und reguliert werden, sagt Manuel Moser, Director Digital Innovation & Software Engineering bei CANCOM Austria. “Wenn ein Unternehmen in puncto Daten hinterherhinkt, kann das jetzt durchaus ein Stolperstein sein”, sagt der Experte. In CRM- und ERP-Systemen finden sich häufig unvollständige Angaben. Die dadurch entstehende unzureichende Datenqualität könne jede KI-Initiative ins Stocken bringen, so Moser.
“Der größte Feind ist Zettel und Bleistift”
Schon allein das Notieren von Informationen auf Zetteln gilt nicht nur als scheinbar banale Hürde, wie Moser im Talk erläutert. Analoge Gewohnheiten können enorme Auswirkungen auf den gesamten Digitalisierungsprozess des Unternehmens haben: “Ich sage immer: Bei Digitalisierungslösungen ist der größte Feind der Zettel und der Bleistift am Tisch, mit denen man das digitale Tool am Ende des Tages umgeht.”
Gerade der öffentliche Sektor sollte im KI-Einsatz sowie in der Verwaltung von Daten sorgfältig agieren. Moritz Mitterer, Aufsichtsratsvorsitzender der ITSV, spricht von besonders sensiblen Daten aus der Sozialversicherung, die ein enges rechtliches Korsett und damit ein höheres Maß an Vorsicht mit sich bringen.
“Wir haben 2017 in der ITSV damit begonnen, innerhalb der Struktur damit zu experimentieren”, erzählt Mitterer. Ein essentielles Learning daraus: Gerade große Prozessmengen stellen sich als ideales Feld für KI heraus – wenn man vernünftige Leitplanken, klare Haftungsregeln und eine unternehmensweite Governance definiert.
Im Fokus stehen User:innen
Datenqualität, Governance und gleichzeitig reichlich Agilität? Worauf sollten sich Unternehmen in erster Linie konzentrieren, um KI lösungsorientiert einzusetzen? Alexandra Sumper, Director Delivery Österreich bei Nagarro, betont, dass KI-Projekte weit mehr als reine Technik voraussetzen: “Meine Erfahrung zeigt wirklich, nicht zu groß zu beginnen, wenn man erst am Anfang steht.“ Viele Firmen würden sich gerade anfangs in Strategiepapieren verlieren, anstatt realitätsgetreue Use Case zu definieren, so die Expertin.
“Man muss gut darauf achten, dass man liefert. Sowohl an Datenqualität, als auch an optimierter User Experience”, erläutert Sumper. Als Erfolgsbeispiel nennt sie die Asfinag, die einen KI-Chatbot erfolgreich eingeführt hat. Das Besondere dabei: Ein Kernteam entwickelte die KI-Lösung, achtete auf Datenqualität und band die künftigen Nutzer:innen ein. Die Akzeptanz im Unternehmen stieg rasant, erzählt Sumper von den Projektanfängen.
Ähnliche Schlüsse zieht Sumper aus der Beobachtung anderer Kund:innen: In erster Linie gelte es zu testen, ob KI in einem kleinen Rahmen Nutzen bringt. Sobald Mitarbeiter:innen erleben, dass KI ihre Arbeit wirklich erleichtert, wächst das Vertrauen und die Bereitschaft, weitere Schritte zu gehen.
“Am Anfang gibt es nichts, dass zu 100 Prozent funktioniert”
Dass sich eine Trial-and-Error-Phase gerade in den Anfängen des KI-Einsatzes nicht vermeiden lässt, scheint ein allgemeiner Konsens der Diskussionsrunde zu sein. “Es gibt nichts, was sofort 100 Prozent top funktioniert”, so Sumper. Um Fehlerquellen und deren Auswirkungen jedoch möglichst gering zu halten, empfiehlt die Expertin Qualitätssicherung durch ein Key-User-Team, um Fehler festzustellen, zu korrigieren und Daten-Gaps zu schließen.
Hierbei sollen die Möglichkeiten von generativer KI intelligent genutzt werden, wie Clemens Wasner hervorhebt: “Wir haben das erste Mal eine Technologie, die es ermöglicht, unstrukturierte Daten überhaupt auswertbar zu machen.” Nun gilt es, Effizienz in der Datenstrukturierung und -auswertung zu fördern, um mit der aktuellen Welle der digitalen Transformation mitzuhalten. Denn KI ist, wie Manuel Moser von CANCOM Austria bestätigt, ein wesentlicher Teil der digitalen Transformation: “Ein Baustein, wenn man so will, wie ein ausgestrecktes Werkzeug eines Schweizer Taschenmessers.”
KI-Bereiche mit Potenzial zur Ausgründung
Das Gespräch zeigte insgesamt, dass Unternehmen viel gewinnen können, wenn sie KI nicht als fertige Lösung, sondern als Lernprozess verstehen, in den die Belegschaft aktiv mit eingebunden wird. Auf einer soliden Datenbasis mit klarer Kommunikation ließe sich schon in kleinen Projekten ein spürbarer Mehrwert für das Unternehmen erzeugen.
In manchen Branchen, darunter Sozialversicherungen, E-Commerce sowie Luftfahrt und Logistik, sind Fortschritte unvermeidlich, um den steigenden Anforderungen von Markt- und Mitarbeiterseite gerecht zu werden.
Wasner spricht hierbei von einem Fokus auf Digital Business, der sich bereits in der Entstehung neuer Geschäftsfelder am Markt zeigt: Immer häufiger bündeln Unternehmen Wissensträger:innen zu den Bereichen Data, IoT und Machine Learning in einer eigenen Organisation oder Ausgründung. Gezielt wird hier das Potenzial eines eigenen KI-Kernteams zu nutzen und auszubauen versucht.
Luft nach oben
Dass es in vielen Branchen noch reichlich ungenutztes Potenzial gibt, haben mittlerweile einige Reports aufgeschlüsselt dargestellt. Gerade im Healthcare-Bereich sei “mit Abstand am meisten rauszuholen” – unter anderem im Hinblick auf den sicheren und effizienten Umgang mit Patienten- und Amnesie-Daten zur schnellen und akkuraten Behandlung.
Laut Moritz Mitterer der ITSV besteht eine große Herausforderung darin, sensible Patientendaten und strenge Regulatorik mit dem Wunsch nach Fortschritt zu vereinen. Gerade in Sozialversicherungen sei es wichtig, eine klare Governance zu schaffen und den Einsatzrahmen von KI zu definieren. Nur so könne Vertrauen gefestigt und sichergestellt werden, dass neue Technologien nicht an bürokratischen Hemmnissen oder Sicherheitsbedenken scheitern.
Vertrauen ist “noch ein starker Blocker”
“Am Ende des Tages probieren Unternehmen aus: Wie reagiert die Technologie, wie geht man damit um, welche Art von Projekten macht man?”, rundet Manuel Moser von CANCOM Austria die Diskussion ab. Der nächste Schritt liege darin, immer “mehr in die Kernprozesse von Unternehmen reinzukommen”, so Moser. “Und das, glaube ich, ist ein sehr wesentlicher Punkt.” Das Vertrauen, dass es die Technologie braucht. Das ist aktuell noch ein “starker Blocker in Unternehmen”.
Die Expertenrunde teilt einen universellen Konsens: Der Mensch sowie sein Know-how und Vertrauen in KI spielen bei der digitalen Transformation eine erhebliche Rolle. Sobald KI-Anwendungen auf eine verlässliche Datenstruktur und klare Organisation treffen, kann sich KI im Unternehmensalltag entfalten. Erst durch das Zusammenspiel von Technik, Datenkultur und motivierten Teams wird KI zum Treiber neuer Chancen.
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