21.06.2024
KAPITALGENERIERUNG

Die Kunst des Fundraising: Kings, Queens und ein Ass

Fundraising ist wohl das wichtigste Instrument für Gründer und Gründerinnen, um ihre Vision des eigenen Startups voranzubringen. Welche Fehler man vermeiden sollte und was die richtigen Schritte dabei sind, erklärt Startup-Advisor und Entrepreneur Jasper Ettema.
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Fundraising, Ettema, richtig fundraisen, wie Investment erhalten
(c) JET Growth - Jasper Ettema von JET Growth.

Unterhält man sich mit Investor:innen und Business Angels, so erfährt man, dass Gründer und Gründerinnen auf der Suche nach Kapital oftmals blind durchs Ökosystem rennen. Es werden ungebeten Pitch-Decks verschickt, nicht selten wortlos oder ohne Kontext bzw. direkt bei der ersten Kontaktaufnahme auf Social Media etwa.

Was viele Founder:innen dabei missverstehen, ist, dass Fundraising eine Kunst ist, bei dem man nicht nur geschickt vorgehen sollte, sondern es einiges an Vorarbeit bedarf. Wie diese aussehen kann, erklärt Jasper Ettema von JET Growth.

Fundraising: Investor:innen als Zielgruppe behandeln

Ettema ist seit vielen Jahren Entrepreneur und seine Startups wurden mehrfach international ausgezeichnet. Seit einiger Zeit fokussiert er unter der Marke JET Growth auf die europaweite Unterstützung von Acceleratoren, Venture-Capital-Fonds und Early-Stage-Startups. Bisher wurden von ihm über 4.000 Startups in Deal Flows begutachtet, über 500 Gründer:innen nahmen an seinen Workshops teil und über 75 Teams hat er als Mentor begleitet.

Seiner Erfahrung nach gibt es viele Gründer:innen, die beim Fundraising Vieles richtig machen. Dabei aber etwas Essentielles übersehen: “Was manche aber nicht realisieren, ist, dass Investoren genau so eine Zielgruppe sind, die Interessen und Bedürfnisse haben, die man bedienen kann. Vielleicht nicht mit deinem Produkt oder Software, aber trotzdem mit einem Ergebnis des eigenen Startups: ein attraktives Investment”, sagt er. “Wenn man das so betrachtet, dann kann man Investoren genauso akquirieren wie Kunden, nur mit einer anderen Leistung. Dadurch kommen Gründer:innen weg vom einfachen und ineffizienten Streuen von Decks zu ausgeklügelte Investmentstrategien, die viel eher und effizienter zum Erfolg führen.”

Kein “one-fits-all”

Ettema nach gibt es dabei nicht die eine richtigen Strategie, keine “one-fits-all”-Regel. Jedes Gründerteam sollte sich die passende Herangehensweise für das eigene Startup selbst erarbeiten. Helfen hierbei könnten kompetente Ansprechpartner, die es dem Experten nach in Österreich ausreichend gebe.

“In meinen Beratungen gehe ich zunächst meist von der gesamten Unternehmensstrategie aus. Daraus leiten wir gemeinsam die langfristigen und kurzfristigen Ziele ab, die wiederum Maßnahmen ergeben, die es umzusetzen gilt”, so Ettema weiter. “Diese Maßnahmen bestimmen den gesamten Finanzierungsbedarf, aus welchem wir den Bedarf an Investorenkapital ableiten können. Dann gilt es natürlich zu überlegen, was, oder eher welche Perspektive, wir einem Investor oder einer Investorin im Gegenzug anbieten können.”

Bezüglich des richtigen Investment-Instruments verlässt sich der Advisor auf Kooperationspartner, wie Steve Jeitler von E+H Rechtsanwälte. Jene würden anhand der jeweiligen Finanzierungsstrategiegeeignete Instrumente wie das Wandeldarlehen, eine einfache Beteiligung oder Ähnliches identifizieren.

“Sie erklären die Vor- und Nachteile und die Möglichkeiten und Einschränkungen jedes Instruments”, präzisiert Ettema. “Mit der neuen Gesellschaftsform FlexCo gibt es hier für die Rechtsanwälte einen neuen Spielraum, die in der Praxis zunächst erarbeitet werden muss.”

Fundraising: Pitch verstehen

Eines der wichtigsten Kommunikationsmedien im Fundraising, und ein weiterer wichtiger Faktor, ist der Pitch. Meistens wird hierbei das Deck gemeint, doch laut Ettema ist hier Vorsicht geboten. Es liege nämlich in der Verantwortung der Gründer:innen zu verstehen, was mit Pitch gemeint sei, wenn danach verlangt werde.

“Bei einem Bühnenpitch geht es nämlich vor allem auch darum zu beweisen, dass man kommerzielle Skills hat” sagt er. “Es geht also um den Gründer oder die Gründerin selbst. Wenn allerdings um die Zusendung des Pitches gebeten wird, dann ist meist ein selbsterklärendes Slide-Deck gemeint. Das sind zwei komplett unterschiedliche Pitches. Eine weitere Erkenntnis ist, dass es einfacher klingt, als es ist, sein Publikum zu begeistern. Das geht am besten, wenn man eine packende, emotionale ‘Story’ erzählt.”

Der richtige Partner

Ein weiterer Tipp des Autors (“1M€ Pitching”) liegt in der – in der Szene gängigen – Aussage “ein Gesellschaftsvertrag bindet stärker als ein Ehevertrag”. Man sollte sich gut überlegen, mit wem man sich “ins Bett” legt: “Ist das jemand, mit dem man die ganze Reise unternehmen will? Oder eher ein ‘Abschnittspartner’. Beides ist in Ordnung, wenn die Bedingungen dazu passen. Prüfe also deinen Investor oder Investorin genauso wie er oder sie dich. Eine persönliche Verbindung ist sicher ein klarer Vorteil.”

Laut Ettema sind es hierzulande Organisationen wie Invest.Austria, die dafür sorgen, dass es zwischen Kapitalgeber:innen und Gründer:innen ein gutes Matching gibt. “Zudem sorgen wir mit der ‘Fundraising Summer School powered by FFG‘ dafür, dass Gründer:innen vorbereitet sind. Red Flags hierbei wären zum Beispiel, wenn Investor:innen kaum oder keine Investitionen im Fachbereich von Gründer:innen vorweisen können. Zudem muss man die Frage klären, ob er oder sie vom Typ her eher ein Business Angel ist. Fall ja, dann sollte zumindest der persönliche Werdegang oder das Netzwerk zum eigenen Fachbereich passen”, sagt Ettema.

Und ergänzt: “Ich verwende gerne eine Methode, die ich ‘3 Kings/Queens & ein Ass’ nenne. Dabei geht es darum den ‘Blind Spot’ des Gründerteams zu entdecken, und diesen mit den Stärken eines Investors oder Investorin zu matchen. Diese Methode empfehle ich auch Investoren, wenn sie Startups im Rahmen vom ‘Deal Flow’ begutachten.”

Fundraising und Funnel

Ein weiterer Punkt der zum Fundraising gehört, ist der Begriff Funnel. Laut Ettema ist die erste Phase eines Funnels immer das Matchen anhand von drei Kriterien: Phase, Technologie und Industrie. Und folgende Fragen wären zu klären: Investiert der Investor oder die Investorin in der Phase, in der ich mich befinde? Kann er oder sie mit meiner Technologie etwas anfangen? Und hat derjenige oder diejenige ein Netzwerk in einem Markt, wo ich tätig bin? Danach kommen Themen wie Ticketgröße und Liquidität.

“Es gibt, auch in Österreich, immer wieder sehr gute Beispiele von Startups, die besonders früh, besonders schnell oder besonders große Investitionen bekommen” so Ettema weiter. “Alles in allem ist es aber fast wichtiger, die Masse zu betrachten. Wir als Ecosystem müssen gemeinsam bewirken, dass es einerseits mehr Geld für Investments in Startups gibt, und andererseits die Investmentmöglichkeiten, sprich die Startups, immer besser werden. Ich versuche daran, meinen Teil beizutragen.”

An einer Vertiefung des Themas Interessierte können bei der “Fundraising Summer School powered by FFG” vom 19. bis 23. August teilnehmen. Dort werden gemeinsam mit Steve Jeitler und dem Team von Minted zehn Teams an die Hand genommen und erarbeiten die wichtigsten Faktoren rund um Fundraising (von der Unternehmensstrategie zur Finanzierungsstrategie, Pitches, Terms und Instrumente). Bewerbungen sind hier möglich.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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