08.07.2020

Shermin Voshmgir: “Ich werde mich nicht mundtot machen lassen”

Lange Fassung: Blockchain-Expertin Shermin Voshmgir nimmt im exklusiven Interview zum Plagiatsvorwurf, der Dienstfreistellung durch die WU Wien und der möglichen Aberkennung ihres Doktortitels Stellung.
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(c) Hutan Vahdani: Shermin Voshmgir
(c) Hutan Vahdani: Shermin Voshmgir

Shermin Voshmgir gilt als eine der wichtigsten Blockchain-Expertinnen im deutschsprachigen Raum. Sie ist Direktorin des 2018 gegründeten Forschungsinstituts für Kryptoökonomie an der WU Wien. Doch seit Jänner ist sie dienstfrei gestellt. Grund dafür ist ein Plagiatsvorwurf durch die Online-Plattform VroniPlag Wiki.

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Im Exklusiv-Interview nimmt Shermin Voshmgir nicht nur direkt zu den erhobenen Vorwürfen, sodern auch zum Umgang der WU mit ihr und einer geplanten Berufung gegen die Entscheidung, ihr den Doktortitel zu entziehen Stellung. In dieser langen Fassung erzählt sie zudem unter anderem über die genaue Chronologie der Ereignisse. ⇒ Zur kurzen Fassung


Laut einem Bericht der FAZ wurde bzw. wird dein Doktortitel widerrufen. Was ist der Hintergrund?

Die Aberkennung ist nicht rechtskräftig, deswegen will ich mich inhaltlich noch nicht äußern. Es gibt aber einige andere Dinge, die ich sagen kann. Anfang des Jahres kontaktierte mich der FAZ-Journalist erstmals und bat mich und die Uni um einen Kommentar. Jemand hatte meine Dissertation auf die Plattform VroniPlag hochgeladen. Die funktioniert so ähnlich wie Wikileaks. Da gibt es Freiwillige die wissenschaftliche Arbeiten und Bücher etwa von bekannten Wissenschaftlern und Politikern hochladen und analysieren. Die meisten davon sind anonym – man weiß also nicht wer dahinter steht. Sie haben dort zwar ihre eigenen Statuten, aber den wissenschaftlichen Kriterien entspricht das nicht.

Sie nennen das dann einfach Plagiat. Das ist eine begriffliche Unschärfe, weil es viele Formen von “Plagiaten” gibt, die unterschiedlich gravierend zu werten sind. Im Bericht wirkt es, als wäre alles abgeschrieben. Dabei geht es – wie im Fall meiner Dissertation – sehr oft um “Fehlzitate” – es wurden also etwa Passagen mit Quellenangabe direkt übernommen, aber nicht mit Anführungszeichen als direktes Zitat ausgewiesen. Ein indirektes Zitat müsste eigentlich paraphrasiert sein. Diesen Zitierfehler habe ich etwa in meiner Arbeit öfters gemacht.

Diese Differenzierung passiert im FAZ-Artikel gar nicht und auf der Plattform VroniPlag nicht ausreichend. Man agiert insgesamt ziemlich reißerisch. Zuerst kommt die Anzahl der betroffen Seiten [Anm. 100 von 111] und nicht etwa der Prozentsatz des betroffenen Texts, der natürlich maßgeblich niedriger ist. Aber das würde sich als Schlagzeile nicht so gut verkaufen.

Wieso sind dir diese vielen Fehlzitate passiert?

Es gibt sehr unterschiedliche Arten, wissenschaftlich zu arbeiten. In der für Geisteswissenschaften typischen Exegese etwa ist das korrekte Zitieren besonders wichtig, weil aus den Gedanken anderer neue Überlegungen geformt werden – das muss klar ausgewiesen werden. In der Informatik geht es primär um das Erstellen von Modellen. Das habe ich in meiner Arbeit gemacht und das von mir entwickelte Modell steht auch überhaupt nicht zur Debatte. Das “Rundherum” nennen wir den “common body of literature”, in dem das Bestehende aufgearbeitet wird, um das Modell darauf aufzubauen. In diesem “Allgemeinwissen-Teil” sind die Zitierfehler passiert. Auch dieser Aspekt wird auf VroniPlag gar nicht beurteilt, ist aber entscheidend.

Doch natürlich muss trotzdem richtig zitiert werden und dieses richtige Zitieren muss auch auf der Uni richtig vermittelt werden. Ich habe 1998 begonnen, meine Arbeit zu schreiben und sie 2001 abgeschlossen. Damals waren die Standards des wissenschaftlichen Arbeitens andere und sie wurden anders vermittelt. Es gab kaum Pflichtkurse dazu. Wir haben damals einfach ein Handout bekommen, aber eigentlich muss man das korrekte Zitieren wirklich lernen. Die WU hat in den vergangenen 20 Jahren mehrmals das Dissertations-Studium abgeändert, sodass inzwischen mehr Kurse belegt werden müssen, wo man wissenschaftliche Methoden besser lernt, mehr Betreuer hat und besser begleitet wird.

Zudem sollte man wissen, dass ich die Dissertation damals freiwillig online gestellt habe. Das war 2001 eine relativ neue Möglichkeit und sollte auch anderen helfen, leichter zu recherchieren. Ich habe mir natürlich nicht gedacht, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich ging also fest davon aus, dass ich nichts zu verstecken habe.

Also nochmal konkret: Waren dir diese Fehler damals, als du die Arbeit geschrieben hast, bewusst?

Wenn sie mir bewusst gewesen wären, hätte ich die Arbeit nicht hochgeladen. Weil blöd bin ich nicht. Habe ich vielleicht schlampig gearbeitet? Ja.

Worüber hast du eigentlich geschrieben?

Ich habe über das semantische Web, also XML geschrieben. Das war damals, 1998, ein sehr neuer Web-Standard. Ich habe dabei ein Investitionsbewertungsmodell entwickelt. Dieses Modell ist, wie gesagt, nicht infrage gestellt. Das hat VroniPlag nicht analysiert. Ich wurde übrigens damals von zwei WU-Professoren mit der Note Sehr Gut beurteilt. Niemand fragt, wie sie zu dieser Note gekommen sind.

Wie hat dann die Uni auf die Vorwürfe reagiert?

Es wurde ein Verfahren eingeleitet, das bis heute nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Die WU hat mich dienstfrei gestellt, ohne mich zu befragen. Mein Vorgesetzter war nicht dabei, das Rektorat war nicht dabei. Die Personalabteilung hat mich angerufen und darüber in Kenntnis gesetzt. Nachdem zwei Gutachter sich das angesehen hatten, konnte ich nach einigen Monaten erstmals Stellung nehmen.

Wichtig ist: Die Uni hat auf VroniPlag reagiert und vorerst nicht selbst die Arbeit analysiert. Schon gar nicht untersucht die Uni alte arbeiten proaktiv – heute passiert das ja mittels Big Data und AI, die Textdouböetten erkennt, regulär. Die wissenschaftlichen Standards haben sich dadurch sehr geändert.

Wieso glaubst du, ist das jetzt aktuell geworden?

Für den FAZ-Journalisten ist es eine Story. Er musste mich dazu als “Blockchain Queen” titulieren – übrigens ohne Quellenangabe von einem Beitrag der Deutschen Welle übernommen – um mich größer zu machen. In Deutschland bin ich schließlich nicht so relevant zumal das Blockchain Hub nicht mehr aktiv ist.

Wirst du gegen die Entscheidung der Uni berufen?

Ich werde natürlich gegen die Aberkennung vorgehen. Die WU hat mir diesen Titel ja schließlich verliehen. Und sie hat mir auch mehrmals einen Arbeitsvertrag gegeben, wo ich immer den Link zu meiner Dissertation präsentiert habe. Ich finde es erstaunlich, dass der Titel mir jetzt aberkannt werden soll.

Was werden deine Hauptargumente, wenn du berufst?

Die zentralen Fragen sind: Hat die WU die damaligen Standards berücksichtigt? Hat die WU die Standards unseres Faches berücksichtigt? Hat die WU den Unterschied zwischen den damaligen österreichischen und deutschen Standards berücksichtigt [Anm.: VroniPlag referenziert auf die aktuellen deutschen Standards]? Hat die WU die Art der Fehlzitate berücksichtigt, oder nicht? Hat die WU die eigenständige wissenschaftliche Leistung gewürdigt, oder nicht? Hat die WU sich alle anderen Dissertationen aus dem Zeitraum angesehen? Hat die Uni die Leute, die damals wissenschaftliches Arbeiten unterrichtet haben befragt, was sie wirklich unterrichtet haben? Hat die WU überhaupt meine Stellungnahme berücksichtigt? Und hat sie die Stellungnahme der Betreuer meiner Dissertation berücksichtigt? All diese Fragen sind noch nicht geklärt. All diese Sachen müsste man eigentlich untersuchen, bevor man etwas beurteilen kann.

Was hat das alles eigentlich mit Blockchain zu tun?

Mit Blockchain hat das erstmal gar nichts zu tun. Aber nicht nur meine Blockchain-Kompetenz steht nicht zur Diskussion, sondern wie gesagt auch der eigentliche Inhalt meiner Dissertation.

Du hast auch den Begriff “Public Shaming” in Spiel gebracht…

Ja, hier geht es vielleicht auch um Public Shaming oder Cyber Bullying. Schließlich weiß ich nicht, wer das war. War es jemand, der eine persönliche Vendetta gegen mich hat? War das jemand, der frauenfeindlich ist? War das jemand, der ausländerfeindlich ist? War das jemand, der auf den Erfolg unseres Forschungsinstituts neidig war? Wir wissen nicht, was die Motivation dieser Leute ist.

Die Software erkennt jedenfalls nur Textdoubletten. Also müssen fünf, zehn oder zwanzig Leute über Monate hinweg manuell überprüft haben, ob ich die anderen Autoren zitiert habe, oder die mich und ob das korrekt passiert ist. Es müssen Hunderte Arbeitsstunden gewesen sein, die ohne Bezahlung investiert wurden, um mich meiner Fehler zu überführen.

Warum ich und nicht jemand anderer? Da wird jemand auf einer Online-Plattform denunziert. Dann meldet sich ein Journalist und sagt, er ist von der FAZ und dann wird man panisch und stellt mich dienstfrei. Das ist, was passiert ist. Niemand diskutiert meine Blockchain-Kompetenz, niemand diskutiert meine bisherige Leistung am Forschungsinstitut.

Ich bin ja eine Außenseiterin. Nach einer kurzen Zeit in der Wissenschaft mit Mitte 20 habe ich viele verschiedene Dinge gemacht, war etwa beim Film, und bin dann plötzlich gekommen, um ein Forschungsinstitut zu leiten. Das ist ja nicht üblich so. Das hat vielen Leuten sehr gefallen, aber manchen auch gar nicht.

Warum analysiert die WU nicht alle anderen Dissertationen aus der Zeit? Sie kann es sich einfach nicht leisten. Also ist es eine Lotterie. Jemand mag mich nicht. Ich werde zur Zielscheibe. Mir wird der Titel aberkannt. Jemandem anderen, der nicht in der Öffentlichkeit steht, wird er nicht aberkannt. Ich kann zu meinen Fehlern stehen. Kann die WU auch zu ihren Fehlern stehen? Ich werde mich nicht mundtot machen lassen durch so eine Schlagzeile. Ich habe was zu sagen.

Wie ist das alles vor sich gegangen?

Es war im Jänner, drei Tage, nachdem ich meinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben habe. An dem Tag wurde der Server des Blockchain Hub in Berlin gehackt. Es war verwunderlich: Jemand hatte die Daten gelöscht – das ist unüblich für solche Attacken. Und wir hatten kein Backup mehr. Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob diese Ereignisse nicht miteinander in Verbindung stehen. Jedenfalls: Nach zwölf Stunden, als wir das Problem endlich gelöst hatten, wollte ich noch schnell meine Mails checken und da war diese Email von dem Journalisten.

Und da rutscht dir natürlich das Herz in die Hose. Was bedeutet das? Ein Plagiat – das ist in der Wissenschaft der Todesstoß. Das ist, wie wenn du jemanden Nazi oder Rassist nennst. Das ist einer jener Begriffe – wenn du damit assoziiert wirst, wirst du zu einer Persona non grata.

Der Journalist hat mir also einen Link zu VroniPlag geschickt mit bitte um Stellungnahme und einer Deadline. Ich habe das sofort meinem Vorgesetzten gemeldet. Die Uni war scheinbar bereits informiert. Ich bin natürlich auf VroniPlag gegangen und war erst einmal selbst schockiert über all die markierten Passagen und fragte mich auch: Bin ich eine schlechte Wissenschaftlerin?

Ich habe dem Journalisten dann gesagt: Die Uni untersucht das und er soll sich wieder melden, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist. Der Journalist hat sich am Freitag dann wieder gemeldet und mir eine neuerliche Deadline bis Sonntagnachmittag gesetzt. Weil ich meine Blockchain Hub-Mails nicht täglich checke, habe ich die Mail erst knapp vor ende der Frist gesehen. Aber ich will mich ohnehin nicht so unter Druck setzen lassen. Ich habe das gleich der Uni gemeldet und sie gefragt, ob sie das auch bekommen haben. Sie haben das bejaht und haben dem Journalisten auch geantwortet. Ich habe nicht geantwortet, weil mir der Umgangston nicht gefällt.

Wie nahe geht dir das?

Natürlich geht es mir nicht gut, weil das ein massiver Vorwurf ist. Das grenzt ja an Rufmord, was der Journalist geschrieben hat. Die meisten Leute kennen wissenschaftliches Arbeiten gar nicht und fallen leicht auf so eine Schlagzeile herein. Ich werde hier als Betrügerin dargestellt.

Ich fühle mich natürlich umso schlechter, nachdem die eigene Uni mich, ohne mich zu befragen wie einen Schwerverbrecher dienstfrei gestellt hat. Und das, nachdem ich aus einem anderen Land gekommen bin, und hier eigenhändig ein Forschungsinstitut mit Blockchain- und Kryptoökonomie-Kompetenz aufgebaut habe. Man kann auch anders mit Menschen umgehen und trotzdem genau analysieren, ob es ein Fehlverhalten gibt.

Was ich nun auch gelernt habe: Wenn sie an der Universität einmal Angst bekommen haben, dass etwas falsch läuft, dann schlägt die bürokratische Krake zu. Und dann ist es relativ egal, was du vorher geleistet hast. Das ist besonders enttäuschend. Man wird zu einem Problemfall degradiert. Vorher gab es noch Face-to-Face-Meetings – plötzlich redet man nur mehr mit Rechtsabteilung und Personalabteilung.

Glaubst du, es ist jemand aus dem Blockchain-Umfeld, der dir mit dem Hochladen der Arbeit absichtlich schaden wollte?

Kann sein, wir wissen ja nicht, wer es hochgeladen hat. Das ist ja das ganze Problem bei VroniPlag. Sie geben vor, dass sie die Retter der wissenschaftlichen Integrität sind. Aber es gibt ganz andere Arten von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität hat etwa acht Arten definiert. Eine davon ist falsches Zitieren. Es gibt auch Ghostwriting – das ist viel schlimmer, weil man seine Arbeit gar nicht selber geschrieben hat, wie Berichten zufolge im Fall von Guttenberg [Anm. Karl-Theodor zu; ehem- deutscher Wirtschaftsminister], mit dem ich verglichen werde, der scheinbar öffentliche Angestellte seine Arbeit hat verfassen lassen. Studien Fälschen ist auch ein viel größeres Vergehen. Und, und, und…

Das falsche Zitieren ist also nur eine Form. Da muss man auch die Kirche im Dorf lassen und sich fragen, warum sich Universitäten und die Politik Plattformen wie VroniPlag treiben lassen. Und selbst die Wissenschaften sind hier nicht einheitlich. Für Juristen etwa ist das falsche textuelle Zitieren sehr viel gravierender als für einen Computer Science-Experten, weil hier der wissenschaftliche Kern der Arbeit eben in der Entwicklung eines Modells liegt. Da kannst du nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Der Journalist selbst ist Jurist.

Wirst du gegen den Journalisten vorgehen?

Ich brauche nicht gegen den Journalisten vorgehen. Meine Arbeit spricht für sich. Die Frage ist einfach. Warum hat er sich nicht all diese Fragen gestellt? Warum hat er nicht ergründet, ob die WU diese Fragen gestellt hat. Das wäre Qualitätsjournalismus. So ist das Rufmord.

Warum hat sich der Journalist genau am 3. Juli gemeldet? Wurde an dem Tag eine Entscheidung von der WU getroffen?

Einen Tag davor. Man muss fragen: Was ist die Agenda? Leute, die mich nicht kennen lesen das und sind schockiert, weil wir den Medien vertrauen. Warum wird man plötzlich jetzt aktiv, nach sechs Monaten Inaktivität VroniPlag ist einen Tag vor dem Journalisten aktiv geworden. Es gibt hier Auffälligkeiten.

Wie geht es dir heute?

Die vergangenen sechs Monate waren ein Rollercoaster, weil ich die ganze Zeit in der Warteposition war, was passieren wird. Gleichzeitig hatte mich die WU dienstfrei gestellt. Das heißt ich konnte für mein Team – Leute, die von mir abhängig sind, nicht arbeiten. Ich konnte nichts machen, musste mich aber emotional um mein Team kümmern. Und dann kam auch noch Corona dazu. Ich hatte mich zwar aus den Teammeetings herausgenommen, weil ich nicht arbeiten durfte, musste mich aber trotzdem um die Leute kümmern. Die Leute waren unter Druck und selbst in die Warteposition gezwungen. Da geht es etwa auch um die Akquise, weil das Institut ja zu 100 Prozent selbstfinanziert ist.

In dieser Ohnmacht zu sein, ist wirklich, wirklich hart. Ich bin eine Macherin. Wer mich kennt, weiß: Ich baue immer Sachen auf. Was wirklich das härteste war, war wirklich nichts beeinflussen zu können. Das einzige, was ich hatte, war meine persönliche Stellungnahme. Und dann musste ich Monate lang warten und konnte nichts machen. Das wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass ich so eine Situation niemandem wünsche. Das ist ein potenzielles Karriere-Aus.

Was mich in dieser unglaublich harten Zeit wirklich gerettet hat, waren meine Freunde und meine Familie. Ich wäre heute nicht so stark, wie ich bin, wenn ich nicht dieses resiliente Netzwerk von Freunden, Familie und Kollegen hätte. Auch einige Kollegen an der WU und meine Mitarbeiter haben mich sehr unterstützt.

Aber ich bin froh, dass es jetzt raus ist. Jetzt kann ich darüber reden.

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“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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