06.07.2021

Wie die Regierung die “neuen Arbeitswelten” besser verstehen möchte

Die Strategie-Stabstelle "Think Austria" im Bundeskanzleramt unter der Leitung von Antonella Mei-Pochtler hat ein neues Paper erstellt, um Handlungsfelder für die Arbeitswelten von morgen zu identifizieren. Der Brutkasten hat im Doppelinterview mit Mei-Pochtler und Arbeitsminister Martin Kocher im Bundeskanzleramt über die Ergebnisse gesprochen.
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Think Austria
Antonella Mei-Pochtler und Martin Kocher im Doppelinterview | (c) martin pacher

Eines steht fest: Wo und wie wir arbeiten, wird sich in Zukunft ganz massiv verändern. Damit in Österreich bereits jetzt schon die politischen Rahmenbedingen für die Arbeitswelten von morgen geschaffen werden, hat sich die im Bundeskanzleramt angesiedelte Strategie-Stabstelle “Think Austria” auf eine “Fact-Finding-Mission” begeben und mit 40 Unternehmen über die Zukunftsthemen der Arbeitswelt gesprochen.

Dafür wurden Vorstände und Personalchefs von September 2020 bis April 2021 befragt, wobei mit Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen gesprochen wurde – unter anderem auch mit Österreichs erstem Unicorn Bitpanda. Am Montag präsentierte Antonella Mei-Pochtler gemeinsam mit Arbeitsminister Martin Kocher das sogenannte Paper “Auf zu neuen Arbeitswelten” im Bundeskanzleramt.


Warum wurde das Paper in Auftrag gegeben und was ist die Zielsetzung?

Antonella Mei-Pochtler: Unser Anspruch ist es, dass wir das lebenswerteste, innovativste und lernfähigste Land im Herzen von Europa werden. Wir haben uns daher die Frage gestellt, was der Nucleus der Innovation und Lernfähigkeit ist. Wir haben sehr schnell erkannt, dass der besagte Nucleus gute und erfüllende Arbeitsplätze sind. Auf Grundlage dieser Erkenntnis wollten wir natürlich genauer verstehen, was die erfüllenden Arbeitsplätze von morgen ausmacht.

Martin Kocher: Wir wollten eine Vorhersage darüber machen, wie die Arbeit der Zukunft aussehen wird und welche Herausforderungen sich dadurch ergeben. Zudem wollten wir wissen, wie wir ein System schaffen können, das so flexibel und innovativ ist, damit die Arbeitsplätze der Zukunft in Österreich entstehen und möglichst attraktiv sind. Hier haben wir sehr viel im Dialog mit den Unternehmen gelernt und Aspekte erkannt, die teils überraschend und teils nicht überraschend waren.

Das Paper umfasst rund 60 Seiten | (c) martin pacher / der brutkasten

Sie haben mit 40 Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen gesprochen. Was war überraschend?

Antonella Mei-Pochtler: Überraschend für mich war, dass die Unternehmen trotz ihrer unterschiedlichen Branchen durchgängige Themen adressierten. Wir haben wirklich sehr unterschiedliche Gruppen von Unternehmen befragt, angefangen von Dienstleistungsbetrieben bis hin zur Industrie. Zudem unterscheiden sie sich auch in ihrer Größe. In der ganzen Gruppe kamen durchgängig drei Metathemen zur Sprache. Nummer Eins war die Digitalisierung und die Frage, wie wir diese für uns am besten nutzen können. Das zweite Thema umfasste die Fachkräfte und die Frage, wie man an die richtigen Fachkräfte kommt. Hier zeigte sich bei fast allen Befragten ein struktureller Mismatch. Und das dritte Metathema umfasste die Vereinbarkeit und Inklusion.

Welches Thema spielte die Rot-Weiß-Rot-Karte dabei? Im “War for Talents” wird sie besonders häufig von Unternehmen als großes Problem genannt.

Martin Kocher: Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist nicht vollständig im Arbeitsbereich meines Ressorts, aber sie ist mir ein großes Anliegen. Wir werden im zweiten Halbjahr darüber diskutieren, wie wir die Rot-Weiß-Rotkarte attraktiver machen können. Ein Punkt der Attraktivität war, dass wir die Zeitdauer verkürzen. Mit zu langen Wartezeiten handeln wir uns einen Wettbewerbsnachteil ein, der nicht notwendig ist. Die benötigte Fachkraft geht dann nach Berlin oder Amsterdam und nicht nach Wien.

Antonella Mei-Pochtler: Think Austria ist dafür da, dass wir die Wunschliste formulieren und dann muss man sehen wie auf diese Wunschliste reagiert werden kann. Dieses Thema ist jedenfalls ganz oben auf der Wunschliste, da lange Wartezeiten dazu führen, dass ganze Unternehmen ihre Bereiche nicht in Österreich ansiedeln können. Zudem wird es auch nötig sein, dass wir Fachkräfte nach Österreich holen, die dann als Ausbilder aktiv werden.

Martin Kocher: Hier möchte ich noch ergänzen: Oftmals besteht die Vorstellung, dass dies nur den großen Konzernen zu Gute kommt. Das ist aber falsch, da diese meist einen Workaround finden. Es geht eher um die kleinen und mittleren Betriebe und Startups, die Fachkräfte aus dem europäischen Ausland brauchen.

Wo gibt es weiteren Verbesserungsbedarf?

Antonella Mei-Pochtler: Österreich ist unter den Top 5 in der Arbeitsproduktivität. Wir haben allerdings das Problem, dass diese seit 2008 nicht steigt. Hier müssen wir mit Unterstützung von Technologien gegensteuern. Beim Thema “Best-Country-to-Work-in” müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das auch für die neuen Qualifikationen sind. Wird beispielsweise ein Data-Analyst in Österreich arbeiten wollen? Dies wird natürlich davon abhängen, ob wir ihnen die Möglichkeit geben, ein erfülltes und sicheres Leben in Österreich zu führen. Diese Themen müssen wir nach unterschiedlichen Bereichen und Sektoren tracken.

Martin Kocher: Oftmals entsteht der Eindruck, dass es hier nur um die Fachkräfte aus dem Ausland geht. Das wäre aber zu kurz gedacht. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir auch die Attraktivität für die Österreicher erhöhen, damit sie in Österreich bleiben. Wir haben aufgrund der Demographie eine Entwicklung, dass in ganz Europa Fachkräfte gesucht werden und wenn es viel attraktiver ist nach Deutschland oder in die Schweiz zu gehen, dann haben wir kein Problem mit der Zuwanderung, sondern auch ein Problem mit der Abwanderung. Es geht darum, auch attraktiv für die Österreicher zu sein.

Ein Thema im Paper ist die Vereinbarkeit und Inklusion. Welche Rolle wird hier künftig Home-Office spielen?

Martin Kocher: Die Vorstellung, dass Home-Office immer ein Beitrag für mehr Vereinbarkeit ist, ist oftmals zu verkürzt. Gleichzeitig zu arbeiten und Kinder zu betreuen, ist eine völlige Illusion. Das ging vielleicht in der Coronazeit für eine kurze Zeit, aber wir haben gesehen, zu welchen Belastungen dies führt. Die Vereinbarkeit muss viel breiter gedacht werden. Hier geht es insbesondere um die Kinderbetreuung in der Fläche.

Antonella Mei-Pochtler: Anhand der Befragungen haben wir gesehen, dass wir dezentrale Lösungen innerhalb der Betreibe schaffen müssen. Wir dürfen nicht starre Regelungen setzen, sondern benötigen die gewisse Flexibilität. Auch Unternehmen wie Bitpanda haben uns gesagt, dass es für ihre Mitarbeiter extrem wichtig ist, wieder ins Office zu kommen. Vielfach sind die Österreicher müde vom “Home-Office”. Insbesondere die jüngeren Mitarbeiter wünschen sich die Möglichkeit, sich im Office wieder zu sozialisieren.


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Das "Expedition Zukunft"-Team, Annamaria Andres (erste links) | (c) FFG

In Zeiten großer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen braucht es mutige Ideen, die nicht nur schrittweise verbessern, sondern bestehende Systeme grundlegend neu denken. Genau hier setzt das Förderprogramm „Expedition Zukunft“ der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) an. Annamaria Andres, die das Programm maßgeblich mitentwickelt hat, betont: “Die EU und auch Österreich sind sehr gut in inkrementellen Innovationen und Grundlagenforschung, doch es braucht auch disruptive Ansätze, um die Welt zu einem besseren, gerechteren und nachhaltigeren Ort zu verändern.”

Mehr als inkrementelle Verbesserungen

Das Ziel von “Expedition Zukunft” ist es, Projekte zu unterstützen, die einen echten Paradigmenwechsel bewirken können. Während traditionelle Innovationsprogramme oft auf Verbesserungen bestehender Technologien und Prozesse abzielen, sucht „Expedition Zukunft“ nach bahnbrechenden Ideen. Es geht darum, mit komplett neuen Ansätzen die jetzigen Herausforderungen anzugehen. Diese Herausforderungen könnten technologischer, gesellschaftlicher oder ökologischer Natur sein.

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Zwei Wege in die Zukunft: #START – Business Edition und #INNOVATION

Das Programm gliedert sich in mehrere Ausschreibungsschienen. Hier ein Überblick zu zwei Förderschienen, die sich besonders für Gründer:innen von Startups und KMU eignen:

  • #START – Business Edition: Hier können Gründer:innen und KMU einreichen, die ganz am Anfang stehen. Sie haben eine visionäre Idee, aber noch kein ausgearbeitetes Konzept. Es geht darum, die Durchführbarkeit zu testen – nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch in Bezug auf soziale Aspekte, strategische und rechtliche Rahmenbedingungen. Für diesen Schritt stellt die FFG bis zu 80.000 Euro zur Verfügung.
  • #INNOVATION: In dieser Schiene wurde ein Problem bereits klar definiert, die Lösung ist jedoch noch offen. Mit einer Förderung von bis zu 150.000 Euro bei einer Förderquote von 50 Prozent unterstützt das Programm die Lösungsfindung in Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern. Hier geht es um iterative Innovationsprozesse, wie zum Beispiel Open Innovation und Design Thinking, um eine optimale Lösung für eine Zielgruppe oder ein disruptives Geschäftsmodell zu entwickeln.

Weitere Ausschreibungsschienen findet ihr auf der Programm-Website.

Mut zum Risiko und zur Veränderung

Disruptive Innovationen sind riskanter als schrittweise Verbesserungen. Sie bewegen sich oft in unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen, müssen neue Märkte erschließen und kulturelle Veränderungen anstoßen. Diese bahnbrechenden Ideen haben ein höheres Umsetzungsrisiko. Deshalb bietet das Programm neben finanzieller Unterstützung auch umfassende Beratungsservices und Expeditionsguides.

Die Expeditionsguides sind Expert:innen, die die geförderten Projekte begleiten. Neben der individuellen Begleitung bietet das Programm auch Netzwerktreffen, bei denen sich die Fördernehmer:innen untereinander austauschen können.

Von der Vision zur Umsetzung

Ein zentrales Kriterium für die Förderung ist der Mut zur großen Vision. Dahingehend werden Fördernehmer:innen gesucht, die größer denken und bereit sind, neue Wege zu gehen. Diese Vision muss auch einen gesellschaftlichen oder ökologischen Mehrwert bieten. Es geht nicht nur um Profit, sondern um Impact – sei es in der Umwelt, der Gesellschaft oder der Wirtschaft.

Ein Beispiel für solche visionären Projekte sind Innovationen in der Raumfahrt, der Krebsbekämpfung, sozialen Inklusion oder Pflegekonzepte für eine alternde Gesellschaft.

Solche Ideen stoßen jedoch oft auf große gesellschaftliche Herausforderungen. So stellt beispielsweise die Bereitschaft der Menschen, eingefahrene Verhaltensmuster zu ändern, eine Hürde dar. Genau hier setzt das Programm an, um den notwendigen Wandel zu unterstützen und den Weg für zukunftsweisende Innovationen zu ebnen.

Unterstützung, die über Geld hinausgeht

Neben der finanziellen Förderung bietet „Expedition Zukunft“ auch umfangreiche Beratungsleistungen. Dazu gehören Workshops zu Geschäftsmodellen, Strategieberatung oder Hilfe bei IP-Fragen. So soll sichergestellt werden, dass die Projekte nicht nur technisch funktionieren, sondern auch erfolgreich umgesetzt werden können.

Das Programm „Expedition Zukunft“ vernetzt die Teilnehmenden gezielt mit relevanten Partner:innen aus Wirtschaft, Forschung und öffentlichem Sektor. Ein starkes Netzwerk aus Wirtschaftsagenturen, Ministerien und internationalen Partnern unterstützt dabei, die richtigen Kontakte zur richtigen Zeit zu knüpfen – oft der Schlüssel zum Erfolg eines Projekts.

Bewerbungsfrist und Kriterien

Die Einreichfrist für die #START Business Edition endet am 28. Januar um 12:00 Uhr. Die Schiene #INNOVATION ist als laufende Ausschreibung angelegt. Bewerber:innen müssen neben einer bahnbrechenden Idee auch den Willen mitbringen, Risiken einzugehen und groß zu denken. Diversität, gesellschaftlicher Impact und die Bereitschaft zur Veränderung sind entscheidend.

Abschließend merkt Andres an: “Wir suchen Visionär:innen, die bereit sind, die Welt zu verändern. Die Expedition Zukunft ist für diejenigen, die über den Tellerrand hinaus denken, die mutig sind und größer denken. Wer bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, findet in dieser Initiative der FFG nicht nur einen Förderer, sondern einen Partner auf dem Weg in die Zukunft.”

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