31.08.2018

Klimaschutz & Startups: Der größte Zukunftsmarkt von allen

"Es geht um verdammt viel Geld". Wir haben mit Christoph Wolfsegger und Miriam Schönbrunn von greenstart über die globalen und nationalen Klimaschutz-Ziele und die Chancen, die sich daraus für Startups ergeben, gesprochen.
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Miriam Schönbrunn und Christoph Wolfsegger über greenstart, Klimaschutz und Startups
(c) greenstart: Miriam Schönbrunn und Christoph Wolfsegger
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“Die EU schätzt, dass alleine in Europa zusätzliche Investitionen von 180 Milliarden Euro pro Jahr nötig sind, um die Klimaschutz-Ziele zu erreichen”, sagt Christoph Wolfsegger. Er ist beim österreichischen Klima- und Energiefonds, der vom Umwelt- (BMNT) und vom Verkehrsministerium (BMVIT) finanziert wird, für eine Reihe von Programmen zuständig, darunter auch greenstart. “Ich gehe davon aus, dass die Welt diese Ziele ernst nimmt und es zu massiven Investitionen kommen wird. Das Marktpotenzial ist also riesig. Das gesamte Vorhaben, in den wenigen Jahrzehnten eine CO2-neutrale Gesellschaft zu schaffen, ist ein sehr sehr großes Infrastruktur- und Wirtschaftsprojekt, das seinesgleichen wohl noch nicht gesehen hat”, sagt Wolfsegger.

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“Wie bepreist man eine ausgestorbene Art?”

Die Ziele des internationalen Pariser Abkommens, im Kampf gegen den Klimawandel, seien ambitioniert, aber notwendig, ergänzt Miriam Schönbrunn aus dem Greenstart-Kernteam. “Die ‘costs of inaction’, die entstehen, wenn wir mit dem ‘Business as usual’ fortfahren, sind immer höher als nötige Investitionen”. Und sogenannte externe Kosten, also Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf Unbeteiligte, würden nur selten ausgeglichen. “Das bedeutet, dass die Allgemeinheit negative Auswirkungen mittragen muss, während der Verursacher den Hauptnutzen hält”, sagt Schönbrunn. Die Kompensierung dieser Externalitäten sei auf jeden Fall eine große Herausforderung, denn: “Wie bepreist man eine ausgestorbene Art? Oder Tote bei einer Hitzewelle oder einer Überflutung?”

5 nach 12

Um das übergeordnete Ziel des Paris Agreements zu erreichen – die weltweite Durchschnittstemperatur-Steigerung seit Beginn der Industrialisierung auf “nur” zwei Grad zu begrenzen – müsse man die ” Viele Bereiche ganz neu denken”. Und auch das österreichische Ziel, bis 2030 komplett auf erneuerbaren Strom umzusteigen – momentan liegt die Quote bei ca. 70 Prozent – bedürfe erheblicher Anstrengungen. Dabei räumt Wolfsegger, was die Gesamtsituation angeht, ein: “Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein. In einer anderen Metapher: Es ist eigentlich schon 5 nach 12. Aber das ist auch schon abgedroschen.”

“Der Klimawandel alleine ist noch kein Geschäftsmodell”

“Bisherige Erfolge nicht kleinreden”

Sprich, es geht darum, noch schlimmeres zu verhindern. Dabei versprüht Wolfsegger durchaus auch Optimismus. “Man darf die bisherigen Erfolge nicht kleinreden. Das Thema ist seit etwa zwei Jahrzehnten im Fokus der Öffentlichkeit. E-Autos werden langsam, aber sicher zur Erfolgsgeschichte. Photovoltaik-Anlagen sind inzwischen um den Faktor fünf günstiger, als noch vor zehn Jahren”. Bei einzelnen Themen könnten Entwicklungen auch sehr schnell vonstattengehen. Insgesamt stimme das Tempo aber noch nicht.

Video-Interview mit Christoph Wolfsegger und Cornelia Daniel von Tausendundein Dach:

Startups als Lösungs-Lieferanten im Klimaschutz

Stichwort: Tempo. Hier kommen wieder Startups ins Spiel. “Es tun sich enorme Möglichkeiten auf. Der Markt, der durch politische Rahmenbedingungen, Energiekosten, knappe fossile Ressourcen, dem streben nach Energieunabhängigkeit oder Lifestyle-Megatrends in der Ernährung entsteht, ist in einigen Bereichen noch Kapital-intensiver als andere Zukunftsmärkte wie Artificial Intelligence und BioTech. Und Startups haben mit ihrer Agilität die Möglichkeit, schnell bedarfsgerecht die nötigen Lösungen zu bringen”, sagt Wolfsegger. Dabei sei klar: “Der Klimawandel alleine ist noch kein Geschäftsmodell”. Vielmehr ginge es darum, Probleme aufzuspüren und zu lösen, sagt Miriam Schönbrunn. “Und die Alumni bei greenstart haben genau das gezeigt. Dabei gibt es kleine, lokale Projekte, ebenso wie große Tech-Lösungen”.

Skalierbare Ideen

Skalierbarkeit wolle man dabei bewusst anders definieren, als in der Startup-Welt üblich. “Wir wollen, dass die Idee wächst. Das kann durch das Startup selber passieren. Es ist aber auch ein Erfolg für den Klimaschutz, wenn ein gutes Konzept von anderen Projekten, oder auch großen Playern kopiert wird”, sagt Schönbrunn. Viele greenstart-Alumni setzten im Sinne des Klimaschutzes bewusst auf Regionalität und kleinräumigere Modelle. Beispiele sind Hut & Stiel, Unverschwendet oder Nahgenuss.

“Es geht um verdammt viel Geld”

Ganz außer Acht lassen kann man die Skalierbarkeit im klassischen Sinne dann aber natürlich auch nicht – man denke an die erwähnten 180 Milliarden Euro Kapital pro Jahr in Europa. Die sind ganzheitlich gedacht und sollen zu einem großen Teil auch von privaten InvestorInnen kommen. Wobei Wolfsegger zu bedenken gibt: “Auch die Erhaltung und Erneuerung der konventionellen Infrastruktur würde massive Mengen an Geld verschlingen, die so gesehen frei werden”. Die Trends würden bereits in die Richtung gehen. “Im Moment beobachten wir etwa, dass große institutionelle Anleger mit ihren Investments bei Kohle- oder Öl-Konzernen aussteigen und sich, genauso wie viele andere InvestorInnen, nach grünen Investments umsehen”, sagt Wolfsegger. “Ich sage ja gerne, unsere Rendite ist der Klimaschutz. Aber es geht auch um verdammt viel Geld das nach Projekten und Investitionsmöglichkeiten sucht”.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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