16.06.2017

Warum Bahnunternehmen bei der Parkplatzsuche helfen

Analyse. Autobauer, Fluglinien und Bahngesellschaften müssen heute viel mehr können, als nur ihre Kunden zu befördern. Deshalb arbeiten viele Konzerne mit Startups zusammen. Funktioniert das?
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(c) fotolia.com - Jörg Hüttenhölscher

Nur Kunden von A nach B befördern – das war einmal. Heute geht es in der Transportbranche um viel mehr. Denn die Konkurrenz wächst. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) etwa konkurrieren mittlerweile auf der Weststrecke mit der mehrheitlich privaten Westbahn. Und auf der Straße bieten immer mehr Busunternehmen Fernreisen zu Kampfpreisen an und nehmen den ehemaligen Monopolisten ein Stück vom Geschäft weg. Die Kunden sind wählerisch geworden. Deshalb müssen sich Transportunternehmen etwas einfallen lassen.

+++ Mobilität: Startups als Triebwerk kommender Revolutionen +++

Schlagwort “Mobilitätsdienstleister”

Das Schlagwort lautet „Mobilitätsdienstleister“: Den Kunden auf der ganzen Reise begleiten, am besten schon ab dem Zeitpunkt, an dem er das Haus verlässt. So wie Autohersteller heute mehr können müssen, als nur Autos zu bauen – einige bieten zum Beispiel ihre eigenen Carsharing-Dienste an –, müssen auch Bahn- und Flugunternehmen über sich hinauswachsen. Die meisten betroffenen Konzerne haben das längst erkannt. Das Problem dabei: Großunternehmen laufen Gefahr, träge zu werden. Sie beschäftigen sich nur noch mit sich selbst, der Spielraum für neue Ideen geht verloren. Hat man Innovationen erkannt, scheitert es oft an der Umsetzung. Für viele Unternehmen ist es daher eine reizvolle Alternative, mit Startups zusammenzuarbeiten.

Fernab von trägen, festgefahrenen Strukturen

Oft sind diese Units komplett eigenständig, mit eigenen Budgets und Mannschaften, räumlich getrennt vom Konzern – mit dem Ziel, Kundenbedürfnisse schnell zu erkennen, neue Ideen rasch aufzuspüren und für das Unternehmen nutzbar zu machen; fernab von trägen, festgefahrenen Strukturen. „Viele bewährte Produkte sind einfach noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen“, sagt Manuel Gerres, Chef der Startup-Unit der Schweizerischen Bundesbahnen, zum Brutkasten. Diese Produkte ins digitale Zeitalter zu holen ist Teil seines Jobs. Gerres hängte seinen Job als Unternehmensberater an den Nagel und baute stattdessen die Innovationsabteilung der SBB auf, mit dem Fokus auf Zusammenarbeit mit Startups.

SBB hilft mit “park it” bei der Parkplatzsuche

Einerseits gehe es darum, Bewährtes zu digitalisieren, andererseits darum, durch neue Produkte Zusatzgeschäft zu generieren. Ein Beispiel: Rund um die Schweizer Bahnhöfe gibt es rund 25.000 Parkplätze, die für Park + Rail genützt werden. Früher musste man die Tickets klassisch im Automaten kaufen – nicht mehr zeitgemäß. Deshalb arbeiten die SBB mit dem Startup „park it“ zusammen, das eine Parkplatz-Buchungsapp betreibt. Ein zweites Projekt, das gerade in der Pilotphase läuft, richtet sich an Passagiere, die wenig Zeit haben, zum Beispiel Pendler. Sie können schon während der Fahrt im Zug Produkte im Supermarkt Migros bestellen, bezahlen und nach dem Aussteigen abholen. Das Angebot soll auf weitere Geschäfte ausgeweitet werden.

„Gerade im Bereich Mobilität entstehen so viele wichtige Themen außerhalb der großen Unternehmen.”

“Impulse von außen sind wichtig”

Gerres und sein Team sehen sich 100 bis 120 Ideen pro Jahr an, davon werden 20 getestet und circa fünf „in die SBB-Familie integriert“. Wie diese Integration aussieht, ist immer offen – es muss kein Kauf sein. Dass so eine Unit für Großkonzerne im Bereich Mobilität sinnvoll ist, steht für Gerres außer Frage: „Gerade im Bereich Mobilität entstehen so viele wichtige Themen außerhalb der großen Unternehmen. Konzerne sind meistens darauf ausgerichtet, sich selbst organisatorisch am Leben zu halten. Deshalb sind diese Impulse von außen so wichtig.“

+++ Fokus: Corporate Innovation +++

Lufthansa holt sich in Berlin “Startup-Denke”

Ähnlich sieht man das bei der Lufthansa. Der Lufthansa Innovation Hub wird im September zwei Jahre alt. „Wir wollten damit näher an die Welt der Startups und die digitale Technologieszene rücken“, sagt Lufthansa-Sprecherin Mirjam Eberts. Selbsterklärend, dass die neue Unit nicht im Lufthansa-Hauptquartier in Frankfurt sitzt, sondern in der deutschen Startup-Hauptstadt Berlin. Die Assets des Konzerns, der 300.000 Kunden am Tag verzeichnet, sollen dort mit „Startup-Denke“ verbunden werden. Mit an Bord des Innovation Hubs ist auch der Österreicher Reinhard Lanegger. „Die Airline-Industrie steht vor einem großen Wandel“, sagt er und bringt das Beispiel des Fahrdienstvermittlers Uber: „Das ist der größte Autovermieter – und er hat kein einziges Auto.” Man versuche „ganz stark und schonungslos“, den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

„Lieber 1000 Mal etwas ausprobieren”

Etwa wenn es um den Check-in vor Flugreisen geht. „Der muss gemacht werden, ist aber aus Sicht des Kunden völlig unnötig.“ Der Innovation Hub hat deshalb ein Service entwickelt, das sich speziell an Vielflieger richtet, vor allem Geschäftsreisende. „Airline-Checkins“ übernimmt das Einchecken für den Kunden bei rund 100 Fluglinien. Der Kunde kann zum Beispiel den Wunsch deponieren, dass er immer am Gang sitzen möchte, und muss nicht mehr im Blick haben, wann das Check-in-Fenster bei den unterschiedlichen Fluglinien aufgeht. Für jedes Projekt gebe man sich zwischen sechs und neun Monate Zeit – bis dahin muss es einen Prototyp geben, der auch auf dem Markt angenommen wird. Dabei arbeite man nach der Devise: „Lieber 1000 Mal etwas ausprobieren und 1000 Dinge kennen, die nicht funktionieren, als viel in Produktenwicklung investieren und erst am Schluss sehen, ob es dafür einen Markt gibt.“

“Beschleunigung zum Kunden” bei den ÖBB

Auch die Österreichischen Bundesbahnen sind auf den Zug aufgesprungen. Vor etwas mehr als einem Jahr eröffnete im ÖBB-Hauptquartier am Wiener Hauptbahnhof das „Open Innovation Lab“. Auch dort will man die Bedürfnisse der Passagiere schneller aufspüren und besser bedienen. „Wir versprechen uns eine Beschleunigung zum Kunden hin“, sagt Leiterin Kristin Hanusch-Linser. Beschäftigt habe man sich bislang unter anderem mit der Frage, wie man die Sitzplatzsuche im Zug für den Kunden möglichst einfach gestalten könne.

Innovationen statt Beschwerden

„Konzerne sind sehr prozessorientiert, die Strukturen bremsen häufig Innovationen“, sagt Hanusch-Linser. In das „Open Innovation Lab“ können nicht nur Startups ihre Ideen einbringen, sondern auch Kunden selbst: Inzwischen gab es mehrere Ideenwettbewerbe. Schon bei der ersten „Open Innovation Challenge“ wurden 179 Ideen eingereicht. Bisher sei die Beschwerdestelle die einzige Möglichkeit für Kunden gewesen, mit den ÖBB in Kontakt zu treten, sagt Kristin Hanusch-Linser. Oft seien sie dort aber nicht richtig aufgehoben. Mit der Open Innovation Challenge gebe es nun eine neue Anlaufstelle.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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