28.06.2021

Wann kommen Unicorns gegen den Klimawandel?

In seiner aktuellen Kolumne beschäftigt sich Mic Hirschbrich mit der Frage, warum es unter den weltweit 728 Unicorns kaum welche gibt, die sich direkt der Problemstellung "Klimawandel" verschrieben haben.
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Hirschbrich
Brutkasten-Kolumnist Mic Hirschbrich | Hintergrund: (c) AdobeStock

Als vor kurzem der Artikel „The Uninhabitable Earth“ (frei übersetzt: „Die unbewohnbare Erde“, Anm.) im New York Magazine erschien, gingen die Wogen hoch. Zugegeben, man braucht einen guten Magen beim Lesen, denn die Szenarien, die die Autoren zeichnen, sind so dystopisch, wie es sonst nur Hollywood kann. Beim Thema Klimawandel gibt es zwei Dinge, die wirklich helfen: Die konsequente Anpassung im eigenen Verhalten an diese Bedrohung sowie innovative Antworten darauf.

Unicorns im Vormarsch.

Daher liegt es nahe, sich zu fragen, welche besonders erfolgreichen Technologie-Unternehmen sich eigentlich dem Thema Klimawandel stellen. Warum aber ist es relevant, ob dies Unicorns tun und nicht einfach irgendwelche Startups? – Weil Unicorns durch ihre Value Proposition signalisieren, wo eine Nachfrage besonders groß ist, wo ein Problem technisch besonders erfolgreich gelöst werden kann und – nicht zuletzt – wo Kapitalgeber mit ihrem Markt-Wissen darauf wetten, dass große Skalierungspotentiale vorhanden sind.

Gäbe es also kein „Klimawandel-Unicorn“, würde das heißen, dass es entweder keine Lösungs-Technologie gegen den Klimawandel mit derart großem Skalierungspotential gäbe, oder aber der Markt diesen Lösungen nicht die (finanzielle) Bedeutung beimessen würde, was auch ein (sattsam bekanntes) Bepreisungs-Problem sein könnte. Quasi das Urproblem in der Ökologie. Böser Markt also? Nein, nur Marktteilnehmer die ihre Preise und Kosten der kommunizierten Problemstellung (noch?) nicht angepasst haben. Aber wieso eigentlich? Kaum ein Problem ist größer und global bedrohlicher. Aber machen wir mal einen Blick auf die Einhörner selbst.

Enttäuschend scheint, dass von 59 Unicorns, die im Bereich Künstlicher Intelligenz angesiedelt sind, ansonsten kein einziges dem Klimawandel direkt oder indirekt zuordenbar ist.

Michael Hirschbrich

Unicorns, die die Welt retten?

728 Unicorns haben wir derzeit weltweit, 221 kamen allein dieses Jahr hinzu – Brutkasten berichtete. Sprich, die Welt lernt, digital schneller zu skalieren und die digitalen Wertschöpfungsketten dringen in immer mehr Bereiche vor. Das alleine sind schon gute Nachrichten, weil sie zeigen, dass mit digitalen Anwendungen der Wohlstand zusätzlich gesichert und immer mehr hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können.

Im Ranking nach der Unternehmensbewertung steht Bytedance (TikTok) mit 140 Mrd. auf Platz 1. Unter den führenden Unicorns finden wir eigentlich nur „Rivian“, die mit dem Klimawandel in einem gewissen Bezug stehen. Amerikaner lieben traditionell SUVs mit besonders starken Verbrennungsmotoren. Und CEO Robert RJ Scaringe möchte mit Rivian seinen Landsleuten einen vollelektrischen SUV bieten, aber an die Emotion und das Aussehen der Benziner-Generationen anschließen, Transformation quasi leicht gemacht.

Anders als bei Gesundheits-, Fintech oder Service-Ventures, scheint es bei Klimawandel-bezogenen Startups noch nicht die herausragend skalierenden Geschäftsmodelle zu geben. Oder sie sind erst am Kommen.

Michael Hirschbrich

Skalierbare Innovation bei Mobilität & Transport

Gleich 32 weitere Unicorns schaffen es im Bereich „Auto und Transport“ ins Ranking und zeigen ganz klar: Bei Mobilität und Transport sind besonders starke und skalierbare Innovationen am Kommen bei denen viele Nachhaltigkeit zum Ziel haben. In der Kategorie „KI“ finden sich ebenfalls Unicorns wie Argo Ai oder Pony Ai, deren Kernfunktion im Bereich Mobilität angesiedelt ist. Sie entwickeln Software für selbstfahrende Autos, die bei elektrischen Antrieben zum Einsatz kommen.

Enttäuschend scheint, dass von 59 Unicorns, die im Bereich Künstlicher Intelligenz angesiedelt sind, ansonsten kein einziges dem Klimawandel direkt oder indirekt zuordenbar ist. Viele darunter machen beeindruckende Dinge, im Bereich Robotik, Finanz oder Retail. Aber es hat sich keines der Bekämpfung des Klimawandels bzw. einer wichtigen Zielsetzung aus diesem Themenkomplex verschrieben. (Beurteilt habe ich die Unicorns hier:, man kann die Listen nach Klassen sortieren und danach einzeln die Kernziele durch Klick auf den Firmennamen eruieren.) Lilium Aviation könnte noch einen guten Beitrag zu Carbon-Reduktions-Zielen leisten.

Unicorns
Das im deutschen Wessling angesiedelte Unicorn hat gerade die magische 1-Milliarden Bewertungs-Marke erreicht und positioniert sich als senkrecht-startender, rein elektrischer Kurzstrecken-Jet. | (c) Lilium Aviation

Fehlt es an Geschäftsmodellen oder Investoren?

Anders als bei Gesundheits-, Fintech oder Service-Ventures, scheint es bei Klimawandel-bezogenen Startups noch nicht die herausragend skalierenden Geschäftsmodelle zu geben. Oder sie sind erst am Kommen. 2015 analysierte der erfolgreiche Valley-Investor Andy Rachleff, dass Cleantech-Ventures es nicht nach ganz oben schaffen würde. Der Grund, man könne damit nicht genug Geld verdienen. Dennoch, an Ideen oder Geld für CT-Startups mangelt es nicht.

Y-Combinator, einer der prominentesten Investoren im Valley, suchte etwa 2018 nach „disruptiven CO2-Technologie“-Startups mit Unicorn-Potential. Der ganzen Welt ist bewusst, dass wir die kommenden 1,5 bis zwei Grad Erwärmung verhindern müssen. Somit sollten besonders gute, hilfreiche Technologien auch hohe Bewertungen schaffen können. Das Beratungsunternehmen PwC bewertete deshalb die Chancen für „Klimawandel-Unicorns“ 2020 als groß und zahlreiche Initiativen, wie etwa „Net Zero“ widmen sich intensiv der Suche danach. Es gibt auch zahlreiche Startups, die sich dem Thema widmen. Bei uns etwa hat Tech-Veteran Andreas Tschas mit Glacier ein Venture dieser Art im Aufbau.

Rettet uns Cleantech vor dem Klima-Kollaps?

Die jüngste Zeit spricht jedenfalls für eine mehr als positive Entwicklung in der Branche. Drei Jahre in Folge flossen fast 15 Milliarden pro Jahr in jeweils 1.000 Clean-Tech-Deals. Dass die über 700 Unicorn-Ventures noch kaum Aspiranten aus diesem Bereich in ihren Rankings haben, ist alarmierend, denn wir brauchen jetzt Modelle mit großer globaler Hebelwirkung. Aber die Hoffnung lebt, dass die Dynamik in dieser noch jungen Industrie erst jetzt an Fahrt aufnimmt. Das Potential ist da, die Basisfinanzierungen sind breit und gut gestreut. Es muss auch gelingen. Alles andere wäre, aus Sicht der Menschheit, ziemlich ungeschickt. Quasi ein Marktversagen, das unbezahlbar teuer wäre.

Auf die Bereitschaft der Masse der globalen Bevölkerung zu hoffen, rein durch ihre Verhaltensänderung den Klimawandel in den Griff zu kriegen, hielte ich für eine gewagte Wette. Ohne richtig stark skalierende Innovationen wird’s daher nicht gehen. Noch haben wir Grund zur Hoffnung!


Zum Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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Cocoon Capital Advisory Sebastian Kurz - Startups und Beteiligungen - Dream Security
Sebastian Kurz | (c) EVP via Wikimedia Commons

Vor gut zwei Jahren co-gründete der österreichische Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz das Cybersecurity-Startup Dream Security. Mit an Bord ist Shalev Hulio, Ex-CEO der Spionagefirma NSO. Bereits zum Start holte sich das Unternehmen 20 Millionen US-Dollar Kapital. Kurz hielt danach ein Drittel der Anteile.

Investment an Gaza-Grenze

Im November 2023 holte sich Dream ein neues Investment in Höhe von 33,6 Millionen US-Dollar. Kurz hielt danach noch rund 20 Prozent der Anteile. Das Kapital kam primär von den Bestandsinvestoren Aleph und Group 11 – beide aus Israel. Kurz darauf bezifferte das Wall Street Journal die Bewertung der Kurz-Startups mit rund 200 Millionen US-Dollar.

“Die heutige Cyberlandschaft erfordert innovative Ansätze, um aktuellen Bedrohungen effektiv und zielgerichtet zu begegnen. Dank dieser Finanzierungsrunde sind wir in der Lage, weiterhin rasch zu wachsen”, kommentierte der Ex-Kanzler in einem Statement, das brutkasten damals erhielt.

Seither zeigt der eskalierte Gaza-Konflikt Auswirkungen auf Dream Security. So war CEO Shalev Hulio zum Zeitpunkt des letztjährigen Investments selbst als Reservist in der israelischen Armee tätig. Unterschrieben wurde der damalige Investment-Vertrag von Hulio in Uniform an der Grenze zu Gaza.

125 Millionen US-Dollar Umsatz

Im November 2023 zählte das Unternehmen noch 70 Mitarbeiter:innen – 60 davon in Israel. Mittlerweile sei die Belegschaft auf 150 Mitarbeitende gewachsen. “Ihr seid der Grund dafür, dass wir heute dort stehen, wo wir sind”, so der Ex-Kanzler in einem seiner jüngsten LinkedIn-Postings. Gedankt wird auch den bisherigen Investor:innen, darunter Dovi Frances, der Group 11 und Michael Eisenberg, Partner bei Aleph. Überdies verkündet Ex-Kanzler Kurz, mit Dream bereits “über 125 Millionen US-Dollar Umsatz in Europa, dem Nahen Osten und Asien” erreicht zu haben.

Party in der Wüste

Darüber hinaus schreibt Kurz auf LinkedIn: “Für uns als Österreicher war es eine neue Erfahrung, eine Party in der Wüste zu feiern, und dazu noch dem Thema entsprechend gekleidet zu sein… das hat auf jeden Fall eine Menge Spaß gemacht!” Gefeiert wurden die genannten Meilensteine laut dem Posting im Rahmen eines “Tribe-Events”.

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