28.06.2015

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

/artikel/vom-vorstandsbuero-in-die-psychiatrie-es-ist-ein-rantasten-und-entdecken
IT-Manager Rüdiger Striemer redet offen über ein Tabuthema.

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass viele Manager in Top-Positionen überfordert und manche sogar Burnout gefährdet sind. Reden tun die Wenigsten darüber. Es ist eine große Portion Mut nötig, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Den Schritt zu setzen, sich in Therapie zu begeben und auch darüber sprechen – das tun die wenigsten. Einer, der dies getan hat ist IT-Manager Rüdiger Striemer.

Der Co-Vorsitzende des Vorstandes des IT-Dienstleisters Adesso AG mit 1500 Mitarbeitern ist vor drei Jahren in Krankenstand gegangen. Schuld war eine psychische Erkrankung, die ihn gezwungen hat, für zwei Monate aus seinem Job auszusteigen.

Erst Schwindelgefühl, dann Kopfschmerzen. Irgendwann kam Unruhe dazu, aus der mit der Zeit Angst wurde. „Die Entscheidung für die Klinik war alternativlos“, sagt Rüdiger Striemer heute. Im Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt redet er offen über die schwere Zeit.

Herr Striemer, Sie waren draußen aus dem beruflichen Spiel – schreiben Sie. Sind Sie mittlerweile wieder drin?

Ich bin ich seit dreieinhalb Jahren wieder drin. Das war anfangs schwer. Die ersten Wochen waren extrem frustrierend. Eine Angststörung baut sich über viele Wochen auf – und genauso langsam wieder ab. Wenn man zurück in den Job geht, muss einem klar sein, dass das lange dauert. Am Anfang war ich ein, zwei Stunden im Büro und vollkommen erschöpft.

Erstrebenswert?

Das kann man sich fragen. Viele treffen eine andere Entscheidung – bis hin zu Schafe züchten in Neuseeland. Ich habe mich entschieden zurückzukehren, in dem vollen Bewusstsein: Das kann schief gehen. Aber ich habe mich angepasst. Heute gibt es keine Telefonkonferenzen im Viertelstundentakt mehr.

Sie beschreiben ihre Erkrankung mit einmal raus aus dem Leben, Seele auf links krempeln. Alles ohne Rückfahrkarte. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Erstmal war es ein spektakuläres Erlebnis. Der Schritt, raus aus dem Job und in eine Klinik zu gehen, ist ein ganz schwerer Schritt. Vor allem die Erkenntnis: Ich habe für nichts mehr Verantwortung. Es ist ein Rantasten und Entdecken. Jetzt bin ich hier: Mitten im Wald, in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer. Das schlimmste ist die Ohnmacht, weil man vor dem Abgrund steht und keine Idee hat, was dahinter kommt. Die erste Zeit war aber ziemlich entlastend: Jetzt geht es nur noch um mich. Es gab aber auch Phasen der Orientierungslosigkeit. Wie soll es mir besser gehen, wenn ich Bilder male oder auf Specksteinen rumklopfe? Und dann kommen häufiger die Phasen, in denen man sich gut fühlt. Da muss man aufpassen, dass man nicht euphorisch wird. Am Ende hätte ich mir vorstellen können, einen Monat länger zu bleiben. Vorher habe ich gedacht: Auf keinen Fall mehr als zwei Wochen. Mittwochs bin ich raus, am Donnerstag habe ich an der ersten Vorstandssitzung teilgenommen. Aber nur um herauszufinden, wie sich das anfühlt – und um zu merken, lieber wieder nach Hause. Die Kollegen haben die Samthandschuhe schnell wieder abgelegt. Das fand ich gut.

Hat der Machtverlust geschmerzt?

Macht war kein Thema. Aber im Kontrolle-abgeben, war ich nie besonders gut. Das ist wohl eine normale Eigenschaft eines Managers. Davor hat man Respekt.

Was Sie erlebt haben, ist ein Tabuthema. Wie waren die Reaktionen?

Es ist ein Tabu, weil viele Berührungsängste haben. Ein Herzinfarkt passiert. Für eine Angststörung oder Burnout ist man selbst verantwortlich, so denken viele. Privat hat man sehr sorgenvoll auf meine Situation reagiert. Im beruflichen Umfeld ist man glücklicherweise sehr vernünftig damit umgegangen.

Ratschläge wollen Sie potenziell Betroffenen aber im Nachhinein nicht geben?

Ich habe keine allgemeinen Ratschläge. Das ist ja auch keine Managerkrankheit. Die damalige Belastungssituation im Job war der Auslöser, aber nicht der alleinige Grund. Was man sinnvollerweise tun sollte: Es möglichst schnell akzeptieren, dass es so ist. Was sich im Job geändert hat: Ich will nicht überall jedes Detail verstehen – und wenn mal was schief geht, dann akzeptiere ich das.

Quelle, Seine Erfahrung kann man übrigens in seinem Buch „Raus! Mein Weg von der Chefetage in die Psychiatrie und zurück“ nachlesen.

Deine ungelesenen Artikel:
16.09.2024

neoom-Gründer Walter Kreisel: “Wir stellen wieder neue Leute ein”

Inflation, hohe Zinsen und Preisdruck setzen der Solarbranche zu. Doch neoom-Gründer Walter Kreisel bleibt optimistisch. Im brutkasten-Talk spricht er darüber, wie er das Unternehmen auf Wachstumskurs halten möchte.
/artikel/neoom-walter-kreisel-im-talk
16.09.2024

neoom-Gründer Walter Kreisel: “Wir stellen wieder neue Leute ein”

Inflation, hohe Zinsen und Preisdruck setzen der Solarbranche zu. Doch neoom-Gründer Walter Kreisel bleibt optimistisch. Im brutkasten-Talk spricht er darüber, wie er das Unternehmen auf Wachstumskurs halten möchte.
/artikel/neoom-walter-kreisel-im-talk
Walter Kreisel | (c) brutkasten / viktoria waba

Die Solarbranche erlebt derzeit eine Achterbahnfahrt. Nach dem Boom während der Energiekrise bremsen nun steigende Kreditzinsen und Inflation das Wachstum. Erst im Sommer gab das oberösterreichische Technologiekonzern Fronius bekannt, dass es in seiner Solarsparte über 800 Jobs abbauen muss. Parallel dazu kämpft auch das deutsche Unicorn Enpal mit rückläufigen Gewinnen. Und auch heimische Energy-Scaleups mussten aufgrund der schwierigen Marktbedingungen ihre Wachstumsstratgien anpassen – darunter auch neoom. Das Unternehmen rund um Walter Kreisel musste Ende Dezember letzten Jahres 27 Stellen abbauen (brutkaten berichtete)

Walter Kreisel: “Wir haben Zeit gewonnen”

Doch wie ist es um die Branche bestellt? “Die Nachfrage ist nach wie vor hoch,” erklärt Kreisel im Interview. Der Markt sei nicht eingebrochen, aber die Entscheidungszeiten für Solarspeicherkraftwerke im privaten und gewerblichen Sektor hätten sich verlängert. Kreisel betont, dass die Conversion Rate – also der Prozentsatz der Kunden, die sich für ein Produkt entscheiden – weiterhin hoch ist.

Im Dezember 2023 sah sich das Unternehmen gezwungen den Wachstumskurs anzupassen. Aus Sicht des Gründers sei der Schritt jedoch eine notwendige Maßnahme gewesen – zur langfristigen Stabilisierung des Unternehmens. “Es fühlt sich fast an wie eine Vollbremsung, aber in Wirklichkeit haben wir Zeit gewonnen, um Effizienz- und Effektivitätsmaßnahmen umzusetzen.”

Trotz dieser internen Anpassungen wächst neoom stetig weiter und beschäftigt mittlerweile über 300 Mitarbeiter:innen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. “Wir stellen bereits wieder neue Leute ein und sehen großes Potenzial in unseren internationalen Märkten,” so Kreisel.

neoom setzt auf neue Geschäftsmodelle

Doch wie gelingt neoom in dem schwierigen Marktumfeld der Turnaround? Kreisel argumentiert es mit der zunehmende Digitalisierung, auf die sein Unternehmen setzt. So hätte das Unternehmen über die letzten Jahr den Schritt weg vom reinen Hardware-Verkauf (Stromspeicher) hin zu umfassenden digitalen Lösungen gemacht hat. “Wir sind längst kein reines Stromspeicher-Unternehmen mehr,” erklärt er. “Mittlerweile haben wir über 58.000 Geräte in der Cloud vernetzt, die von 15.000 Standorten aus gesteuert werden.”

Diese Vernetzung ermöglichte es neoom, nicht nur Solaranlagen effizienter zu betreiben, sondern auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Durch die Einführung von Subscriptions und Transaktionsmodellen hat das Unternehmen begonnen, einen signifikanten Teil seines Umsatzes durch wiederkehrende Einnahmen zu generieren. “Bis Jahresende werden knapp zehn Prozent unseres Umsatzes aus wiederkehrenden Erlösen bestehen,” so Kreisel.

Erst Anfang September stellte neoom neue Produkte im digitalen Bereich vor. Dazu zählt unter anderem die Energiemanagementsoftware Connect AI. Dieses System ermöglicht es, durch die intelligente Analyse von Daten automatisch die bessere Entscheidungen für den Energieverbrauch zu treffen.

Besonders in Deutschland und der Schweiz sieht Kreisel großes Potenzial für weiteres Wachstum. In Deutschland, wo neoom bereits 40 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet, wächst das Unternehmen schneller als in Österreich. “Deutschland ist ein riesiger Markt, und wir haben dort viel von unseren Mitbewerbern gelernt,” erklärt Kreisel.

Deutschland und Schweiz als neue Märkte

Walter Kreisel erklärt, dass neoom theoretisch jederzeit bereit für einen Börsengang wäre, aber die Marktbedingungen derzeit nicht optimal sind. “Wir könnten theoretisch jederzeit einen Börsengang machen, aber die Börse ist nicht bereit,” so Kreisel. Er merkt an, dass das Unternehmen eine bestimmte Umsatz- und Gewinnschwelle erreichen müsste, bevor ein Börsengang Sinn macht. “Stand heute musst du wahrscheinlich 600, 700, 800 Millionen Euro Umsatz machen und 100, 150 Millionen Euro Gewinn, das sind wir natürlich noch nicht.” Gleichzeitig hebt er hervor, dass neoom in Zusammenarbeit mit seinen 1.000 Partnern bereits indirekt Umsätze in dieser Größenordnung generiert.

“Die Energiewende wird bis 2040, 2050 dauern, du musst dir denken, 80% der Dächer sind noch nicht belegt, also wir haben unglaublich viel Potenzial.” Und merkt an: “Ich habe keinen Stress, ob wir den Börsengang 2029 oder 2026 haben.”

Hinsichtlich der gegenwärtigen Unvorhersehbarkeiten an den Finanzmärkten nennt Kreisel steigende Zinsen, Inflation sowie die geopolitischen Unsicherheiten, wie den Krieg in der Ukraine und die Konflikte in Israel und Palästina, als Faktoren, die eine stabile Planung für einen Börsengang erschweren. “Die Zinslage, steigende Zinsen, die Inflation, der Krieg – die Börse ist brutal volatil,” erklärt er.


Toll dass du so interessiert bist!
Hinterlasse uns bitte ein Feedback über den Button am linken Bildschirmrand.
Und klicke hier um die ganze Welt von der brutkasten zu entdecken.

brutkasten Newsletter

Aktuelle Nachrichten zu Startups, den neuesten Innovationen und politischen Entscheidungen zur Digitalisierung direkt in dein Postfach. Wähle aus unserer breiten Palette an Newslettern den passenden für dich.

Montag, Mittwoch und Freitag

AI Summaries

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Innovationsmanager:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Investor:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Politiker:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Was könnte das Bigger Picture von den Inhalten dieses Artikels sein?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Personen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Organisationen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Vom Vorstandsbüro in die Psychiatrie: “Es ist ein Rantasten und Entdecken”