05.09.2018

Unlearn: Vom „Verlernen“ als Grundlage für die digitale Transformation

Interview. Hanno Burmester, Gründer der Berliner Consulting-Firma Unlearn, hat das Konzept des Verlernens zur zentralen Strategie seiner Beratungstätigkeit gemacht. Im Gespräch erklärt er, warum es in der digitalen Transformation notwendig ist.
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Unlearn: Hanno Burmester über das Verlernen als Basis für digitale Transformation
(c) Unlearn: Hanno Burmester

Immer mehr neue Inhalte im Kopf gleichsam „aufeinander zu stapeln“, hilft noch nicht, mehr zu lernen. Wirklich wirksames Lernen erfordere die bewusste Wahrnehmung der Denkmuster, von denen man gesteuert wird und in Folge das aktive Verlernen eben dieser Gewohnheiten. Das ist die Ausgangsthese von Hanno Burmester, Gründer Unlearn Consulting & Development Gmbh. Eigenverantwortung, Selbststeuerung und vor allem die Behandlung der Frage, wie persönliche Werte und Organisationswerte zusammenhängen und welche Verhaltensweisen sich daraus für den Alltag ergeben, seien die wichtigsten Werkzeuge für die Transformation von Unternehmen. Wir haben Burmester im Interview dazu genauer befragt.

Dieses Interview wurde von Julia Weinzettl geführt und erstmals auf dem Blog der Plattform Taskfarm veröffentlicht.

+++ Fokus: Corporate Innovation +++


Der Unlearn-Gründer spricht am 11.Okt. 2018 am Austrian Innovation Forum in Wien. Dort steht dieses Jahr der „Umbruch“ und seine Auswirkungen auf Innovationsstrategien und deren menschliche Komponente im Zentrum.

Video-Interview mit Initiator Helmut Blocher beim Austrian Innovation Forum 2017

Live vom Austrian Innovation Forum, mit dem Gründer und GF Helmut Blocher, Walter Kreisel CEO von Kreisel Systems, Martin Johann Fröhlich, Startup-Manager der Deutsche Bahn Konzern und Christina Rami-Mark, GF des österreichischen Weltmarktführers MARK Metallwarenfabrik.

Gepostet von DerBrutkasten am Donnerstag, 12. Oktober 2017


‘Um Zukunft zu werden, müssen wir verlernen’ – was bedeutet das?

Ich glaube, dass wir kulturell, individuell und auch als Unternehmen, Lernen immer verstehen als „Ich hole mir etwas Neues, lege es auf etwas Bestehendes drauf und dann kann ich es besser als vorher“. Aber wirklich wirksames Lernen erfordert ein paar Schritte mehr. Bevor man lernt, sollte man eine Bestandsaufnahme machen und überlegen von welchen Mustern, Glaubenssätzen und Gewohnheiten man gesteuert wird und was davon hinderlich ist, um Neues zu lernen und eine Änderung hervorzurufen.

Denn permanentes Aufladen von Neuem auf Bestehendes verändert noch nicht die Perspektive. Eingelernte Denk- oder Verhaltensmuster bremsen neue Erkenntnisse. Daher ist das Verlernen vor dem Neulernen elementar wichtig. Sich diesen Schritt bewusst zu machen, ist die Basis für jede Art der Transformation, sowohl für die individuelle als auch für die Transformation von Organisationen und Gesellschaften.

Eines eurer Schlagwörter bei Unlearn ist „agile Organisationsentwicklung“. Ist das die Weiterführung von agilem Projektmanagement?

„Agile Organisationsentwicklung“ ist eine Begriffsneuschöpfung. Wir glauben, dass man aus dem agilen Mindset, der Art und Weise wie man agile Prozesse steuert, sehr viel über Organisationsentwicklung lernen kann. In großen Organisationen wird häufig von einzelnen Menschen oder kleinen Gruppen ein Plan gemacht. In der Umsetzung fragt sich oft die Hälfte der Ausführenden nach der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme, da viele Aspekte nicht berücksichtigt wurden. Das passiert sogar sehr guten Systemikern. Bei der Projektsteuerung gerade in komplexen Veränderungsprozessen und durchwegs immer, wenn es um menschliche Veränderung geht, ergibt sich ein hohes Maß an Komplexität. Da reicht schon eine sehr kleine Gruppe von Personen.

Im agilen Ansatz sind Selbstorganisation und Selbststeuerung fundamentale Bestandteile. Kollaboration ist essenziell, um die Inhalte zu verbessern und die Akzeptanz zu erhöhen.Wir setzen bei Unlearn daher im Prozessdesign stark auf eine enge, kreative Kollaboration mit unseren Kunden, die diesen Prozess von Anfang an mitdesignen. Für den Erfolg ist die Einbindung aller Funktions- und Hierarchieebenen wichtig, denn die Perspektivenvielfalt, die bereits während des Prozesses entsteht, ist schon ein Lernenprozess.

Die Kulturprägung und Veränderung beginnt bereits an dieser Stelle. Auch wird das Ergebnis durch die Einbindung von multihierarchischen Teilnehmern besser, als wenn nur die Führungsetage etwas ausbrütet. Wir haben damit nicht nur gute Erfahrung im Outcome gemacht, sondern auch den Spaßfaktor in der Konzeption erhöht und somit die oft träge Umsetzung und Akzeptanz der Ideen erleichtert, weil sie aus einem sinnvollen Mix an handelnden Personen besteht.

Mit welchem Auftrag kommen Unternehmen zu Euch? Ist Kulturentwicklung etwas, das ihr aktiv anbietet? Oft versteckt sich das Kulturthema hinter einem Umzug oder der Umgestaltung der Büros und geht dann Hand in Hand mit Kulturentwicklung.

Ich teile diesen Eindruck, und ich würde fast sagen, der Kulturbegriff, ist an vielen Stellen eher hinderlich als förderlich. Weil Kultur ist ja alles und nichts.

Unternehmen kommen immer mit einem Labelthema, unter dem sich dann Kultur versteckt. Wir haben beispielsweise ein Projekt mit einem Automobilhersteller umgesetzt, der einen Umzug von unterschiedlichen Standorten des Unternehmens in einen Campus plante. Die Abteilungen hatten unterschiedliche Arten miteinander zu kommunizieren, ganz unterschiedliche Rituale, Gewohnheiten und Codices.
Wir arbeiteten in diesem Kontext an der Überwindung der Gegensätze um eine gemeinsame Kommunikation, ein Miteinander und eine gute Zusammenarbeit zu ermöglichen.

„Wir haben ganz unterschiedliche Spielfelder, der roten Faden bei allen ist Transformation.“

Ein weiteres Beispiel ist ein mittelständisches Produktionsunternehmen in Baden-Württemberg, das seine Zeiteinteilung nach einem sehr rigiden Arbeitszeitmodell ausrichtete. Die Arbeit begann für alle Mitarbeiter um 7:30 und endete ebenfalls für alle um 17:30. Wenn es eine Pause gab, läutete ein Gong und dann standen alle auf. Dieses Modell wollte man auf Vertrauensarbeitszeit umstellen. Hinter dieser Umstellung verbargen sich aber die Themen: „Wie können wir einander vertrauen?“ und „Woran merken wir, dass wir das können?“. Die Frage wofür Führung zuständig wäre, wurde aufgeworfen. Bisher waren Führungsaufgaben hauptsächlich Kontrolle und Personen, die die Uhr checkten. Plötzlich ging es um ganz andere Inhalte, wie die Definition von Selbststeuerung und Eigenverantwortung. Diese Aufgabenstellungen sind starke Kulturthemen, denen mentale Modelle und stille Grundannahmen, die nicht explizit verhandelt werden, zugrunde liegen.

Als letztes Beispiel betreuen wir eine Landespartei, die zwar mit dem Status quo zufrieden ist, sich aber im Hinblick auf die Zukunft organisatorisch und kulturell weiter entwickeln möchte. Wir arbeiten hier mit einem kleinen Team in der Führung, das aber eine Freiwilligen-Organisation mit 40.000 Leuten leitet. Aufgrund dieser Situation haben wir eine andere Projekt Logik als beispielsweise in einem Konzern. Die Anzahl der Menschen ist allerdings ähnlich, sowie die unterschiedlichen Ebenen auf denen gearbeitet wird. Prozesse und Strukturen müssen genauso überlegt werden, bis hin zur Frage wie tatsächlich kommuniziert wird und mit welcher Haltung man einander begegnet. Das sind komplexe Projekte, deren Umsetzung über mehrere Jahre gehen. Wir haben ganz unterschiedliche Spielfelder, der roten Faden bei allen ist Transformation.

Viele Personen sind nicht veränderungsbereit, weil sie Angst haben, durch die Änderungen Nachteile zu erfahren, zum Beispiel ihre Position oder ihren Status zu verlieren oder auch gekündigt zu werden. Welchen Ansatz verfolgt ihr in dieser Situation?

Wir starten mit einer offenen Haltung und der Einladung zum Mitmachen. Es ist aber wichtig klarzustellen, dass für die Partizipation ein gewisser Rahmen vorgegeben ist. Gerade wenn es um Veränderungsaufgaben und neues Arbeiten geht, ist es wesentlich, dass vorher von den Verantwortlichen strategisch einige Parameter gesetzt werden, die erstmal nicht verhandelbar sind. Dadurch stecken wir ein Spielfeld ab. Die Gestaltung des Spielfelds ist partizipativ. Dieses Setup hilft, um dem Prozess eine Orientierung zu geben. Aufgrund der Transparenz können sich die Menschen überlegen, ob sie mitgehen wollen und wenn nicht, was die Alternative wäre.

Hier gibt es unterschiedliche Reaktionen, in denen oft interessante Informationen stecken. Manche überlegen sich, wie sie sich verändern möchten, andere gehen in den Widerstand, dritte blockieren und verlassen das Unternehmen. Alles sind valide Verhaltensweisen. Wir analysieren welche Auslöser im Widerstand stecken und ob es Möglichkeiten gibt, den Prozess zu verbessern.

Zum zweiten haben wir bei Unlearn die Grundhaltung, extrem transparent und ehrlich zu kommunizieren. Wenn wir jemanden einladen mitzumachen, dann ist das immer genau so gemeint. Wir machen keine Pseudo-Partizipation. Hier haben Menschen oft andere Erfahrungen gemacht und misstrauen uns anfänglich. Wenn die Mitarbeiter im Verlauf des Prozesses aber gemerkt haben, dass wir es wirklich ernst meinen, beginnen oft erstaunliche Erfahrungen. Bei Menschen von denen wir zu Beginn unsicher waren, ob sie den Weg mitgehen, erlebten wir teilweise unglaubliche Veränderungsgeschichten mit extremen Konsequenzen, auch für das Leben der Einzelnen. Denn wenn der Arbeitsbereich verändert wird, hat das Auswirkungen auf den Rest des Lebens. Hier gibt es Beispiele, wo ich wirklich den Hut ziehe, denn es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen so eine hohe Veränderungsbereitschaft haben.

Du sprichst auch davon, dass Spiritualität für Unternehmen eine immer grössere Rolle spielt.

Das ist natürlich ein Grenzthema. Ich verstehe Spiritualität nicht im Sinne von Esoterik, sondern mir geht es um Fragen, wie „Warum sind wir hier?“, „Welchen Beitrag wollen wir leisten?“, „Was ist unsere Funktion im Gesamtsystem?“. Das sind spirituelle Fragen, weil sie nicht final beantwortbar sind und es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern immer unterschiedliche Wahrheiten als Antwort.

„Als einziges Ziel zu haben, dass die Profit-Marge gleich bleibt und der Marktanteil nicht sinkt, funktioniert auch wirtschaftlich immer schlechter in der heutigen Welt.“

Ich glaube, dass diese Fragen gerade für Unternehmen, die sich in einer starken Umorientierung befinden, ganz wichtig sind. Die Umorientierung fußt oft darin, dass man merkt, dass an vielen Stellen falschen Zielen hinterher gelaufen wird und die Zukunftsperspektive nicht mehr gegeben ist. Als einziges Ziel zu haben, dass die Profit-Marge gleich bleibt und der Marktanteil nicht sinkt, funktioniert auch wirtschaftlich immer schlechter in der heutigen Welt. Viele vergessen, was eigentlich der größere Sinnzusammenhang ist, in dem sie bestehen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Menschen wie ausgetrocknet sind, wenn man fragt, wie persönliche Werte und Organisationswerte zusammenhängen und welche Verhaltensweisen sich daraus für den Alltag ergeben. Wenn wir beginnen über Sinnstiftung, den größeren Sinnzusammenhang, den persönlichen und Unternehmensbeitrag sprechen, dann geschehen die erstaunlichsten Dinge.

Diese Themen sind über die letzten Jahre verkümmert und werden jetzt dankbar aufgenommen. Die Beschäftigung mit der persönlichen, beruflichen Einordnung um eine Antwort auf die Frage zu finden, was unser sinnhafter Beitrag im großen Ganzen ist, ist sehr bedeutsam.
Daraus ergibt sich eine extreme Strategiefähigkeit, denn wenn es eine übergeordnete Idee gibt, dann kann der/die Einzelne in die Selbststeuerung gehen und eine Richtung einschlagen in der er/sie konsistent ist, selbst wenn es Widerstände gibt. Diese Durchdringung zu erreichen, ist deutlich schwerer, wenn man oberflächliche Ziele hat, auf denen es einen auf dem Weg nach vorne schnell aus der Kurve werfen kann.

Selbststeuerung ist bei Unlearn ein wichtiges Element.

Stimmt. Selbststeuerung ist deshalb wichtig, weil wir zum Einen immer mehr mit Führungs- und Organisationsmodellen zu tun haben, bei denen nicht mehr die Präsenz, sondern das Ergebnis zählt und zweitens, weil niemand mehr sagen kann, was richtig und was falsch ist. Es gibt keine Führung mehr die en detail vorschreiben kann, was zu tun ist, das funktioniert gerade in businessgesteuerten Unternehmen einfach nicht mehr. Daher ist es besonders wichtig zu wissen, was der eigene Kern und die eigene Ausrichtung ist.

Die Klärung dieser Fragen ermöglicht es dem Einzelnen auch dann zu agieren, wenn nicht ganz genau vorgegeben wird, wo es gerade hingehen soll. Was soll denn sonst helfen? Policies und Compliance Regeln sind es in der Regel nicht. Übergeordnete Fragen und Diskussionen eröffnen eine Dimension, die vielen erst mal schwammig erscheint, tatsächlich ermöglicht es den Menschen aber, sich individuell und kollektiv selbst zu steuern.

Wenn du aus deiner Perspektive 10 Jahre in die Zukunft schaust, welche Organisationsformen wird es geben?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns gerade in einem historischen Prozess befinden. Das hegemoniale Organisationsmodell ist am Sterben, auch wenn es gerade noch die große Mehrheit darstellt. Ein anderes Organisationsmodell ist im Kommen, gewisse Kerneigenschaften dieses neuen Modells sind bereits zu erkennen.

Das erste Merkmal ist Dezentralität. Ich glaube, es werden Organisationen entstehen, die kleiner als die heute Maßgeblichen sind. Ich denke, dass wir es in Konzernen in höherem Maß mit Zerschlagung zu tun bekommen werden, einfach weil mit einer kleineren Größe die Steuerbarkeit und die Wendigkeit wächst.

Das Zweite ist, dass sich eine gewachsene Form von Selbstorganisation ausbildet, einer weiteren Form von Selbststeuerung. Es wird zwar weiter hierarchische Führungen geben, aber die Funktion ändert sich. Hier steht die rechtliche Verantwortung und das Sicherstellen von funktionierenden Schnittstellen im Vordergrund, die Entscheidungsgewalt ist nicht mehr an erster Stelle.

Weiters denke ich, dass es zu einer größere Sinnorientierung in Unternehmen kommen wird, dass sich dadurch der politische Kontext ändert und wir eine viel rigidere Politik bekommen werden, die auch wirtschaftlich einiges ändern wird. In unserem derzeitigen Modell ist beispielsweise Kostenexternalisierung selbstverständlich, das wird in zehn Jahren noch legal sein, ob das aber in 20 oder 30 Jahren noch so ist, bezweifle ich. Wir stehen gerade am Anfang des Paradigmenwechsels. Diejenigen, die Veränderung nicht wollen, fangen an das argumentieren zu müssen. Personen mit guten Ideen haben das Recht sie auszuprobieren. Diese Haltung wird sich noch verstärken, dadurch werden wir eine bessere Anpassungsfähigkeit an die Umwelt bekommen und das brauchen wir ganz dringend.

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Zur Gastautorin

Julia Weinzettl startete ihre Karriere nach dem Wirtschaft-, Politik- und Kommunikationswissenschaften-Studium als Marketingmanagerin der damaligen Startups sms.at, uboot.com und handy.at. Nach Tätigkeiten als Mobile Business Development Manager bei bwin (damals auch noch im Startup-Stadium) und als Data Protection Counselor bei der Personensuchmaschine www.123people.com wurde Weinzettl selbst zur Gründerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Mike Weinzettl startete sie 2011 www.taskfarm.com als Marktplatz zur Projektvermittlung. Später folgte der Pivot zu einem Fokus auf Softwareentwicklung und Consulting. Mit dem Taskfarm-Blog legt die Gründerin eine große Interview-Serie zum Thema „Future of Work“ vor.

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vl.: Michael Seifner, Antonín Jaroš und Philipp Haslinger | Foto: Philipp Haslinger
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0,045 Nanometer – das ist aktuell die Auflösungsgrenze der leistungsstärksten Transmissionselektronenmikroskope. Ein großes Virus mit bis zu 150 Nanometern Durchmesser kann man damit schon recht gut erkennen, aber wenn es um die Untersuchung von einem DNA-Strang mit rund 2,5 Nanometer Durchmesser geht, sieht man nicht mehr viel – und das obwohl man im Prinzip einzelne Atome mit etwa 0,1 Nanometer Durchmesser sehen kann. Das Problem ist, dass der Elektronenstrahl die biologischen Bindungen, die die Atome zusammenhalten, zerstört.

Zukunftstechnologie Quantenoptik

Hier kommen der TU-Wien-Professor Philipp Haslinger und sein Team ins Spiel. „Mit klassischer Elektronenmikroskopie stößt man irgendwann an die Grenzen. Zudem werden organische Samples wie etwa Viren durch die Elektronenstrahlen zerstört“, erklärt Haslinger im Gespräch mit brutkasten. Seine Antwort: Quantenoptik – übrigens eine von 105 Zukunftstechnologien, die sich auf der neuen Innovation Map der WKÖ finden.

Genauer und „zerstörungsfrei“

Konkret ist es Quantenelektronenoptik, an der Haslinger und sein Team arbeiten. Dabei kombinieren sie zwei Technologien: Das Elektronenmikroskop (konkret: Transmissionselektronenmikroskopie) und die Spinresonanzspektroskopie, die aus der Magnetresonanztomografie (MRT) bekannt ist. “MRT ist eine nicht-invasive, also zerstörungsfreie Methode“, erläutert Haslinger. „Unsere Vision ist es, diese Idee auf die Nanowelt zu übertragen und damit kleinste Objekte sichtbar zu machen. Damit könnte man beispielsweise Protein-Strukturen auslesen, ohne sie zu beschädigen.“

Ungeahnte Möglichkeiten

Das ist aber nur eine von vielen potenziellen Anwendungsmöglichkeiten. Auch für die Materialforschung oder Energiespeichertechnologien könnte die Methode neue Perspektiven eröffnen. „Wir wissen heute noch gar nicht, welche Türen sich damit öffnen werden“, sagt Haslinger. „Im Grunde verleihen wir der Elektronenmikroskopie eine neue Charakterisierungmöglichkeit, eine neue Farbe. Sie liefert dann Informationen, die bisher unsichtbar waren. Das kann zu vielen neuen Erkenntnissen führen.“

Es sei vergleichbar mit dem Erkenntnisgewinn, den MRT gegenüber klassischer Computertomografie auf Röntgenbasis bringe: „Man sieht Dinge, die man vorher nicht gesehen hat“, so Haslinger, „als der erste Computer gebaut wurde, war auch noch nicht klar, dass einmal das Internet und später Künstliche Intelligenz folgen würden.“

„Können schon jetzt Dinge machen, die vorher nicht möglich waren“

Noch ist die Forschungsgruppe aber nicht am Ziel. „Mit unserem Prototypen können wir schon jetzt Dinge machen, die vorher nicht möglich waren, etwa die quantenmechanischen Eigenschaften von mikroskopischen Objekten mit dem Elektronenstrahl vermessen“, sagt der Forscher. Die angestrebte atomare Auflösung habe man aber noch nicht erreicht. Dafür brauche es weitere Prototypen, für die erst kürzlich unter anderem eine Förderung im Rahmen des Programms „Transfer.Science to Spin-off“ der „Christian Doppler Forschungsgesellschaft“ eingeworben wurde – brutkasten berichtete.

Antonín Jaroš am Prototyp im Labor der Forschungsgruppe | Foto: Philipp Haslinger

Diese Förderung schaffe Raum dafür, weiterzuforschen und gleichzeitig bereits an einer Spin-off-Ausgründung zu arbeiten, sagt Haslinger. Denn er forscht nicht alleine, sondern mit einem starken Team: Antonín Jaroš (PhD-Student) und Michael Seifner (PostDoc) sollen weiter die Möglichkeit haben, auch wissenschaftlich auf hohem Niveau zu arbeiten. Dennoch soll bereits in zwei bis drei Jahren gegründet werden – hierbei wird Haslingers Team auch mit den neu geschaffenen Spin-off-Strukturen innerhalb der TU Wien, zu denen unter anderem Noctua Science Ventures (brutkasten berichtete) zählt, unterstützt.

Mikroskopie als Milliardenmarkt

Und für die Zukunft gibt es durchaus große Pläne. „Elektronenmikroskopie ist ein Milliarden-Dollar-Markt mit weltweit zehntausenden Geräten – jedes große Krankenhaus, wie zum Beispiel das Wiener AKH, hat so ein Gerät“, sagt Haslinger. Und er gehe davon aus, dass die von seinem Team entwickelte Technologie in Zukunft neue Anwendungen in dem Bereich ermöglichen wird. „Es gibt jetzt schon mehrere Gruppen, die unser Produkt für die Forschung haben wollen“, so der Wissenschaftler.

Mit dem nächsten Prototypen werde man dann bereits erste Kooperationen umsetzen können. Und in weiterer Folge soll in einigen Jahren der Rollout der Technologie folgen. Ob man dann selber die Technologie herstellen werde, oder Lizenzen an Partner vergeben werde, sei aktuell aber noch nicht klar, so Haslinger. „Erst einmal müssen wir sehen, wie gut die nächsten Prototypen wirklich funktionieren und wie groß das Interesse dann tatsächlich ist.“


Entdecke die Innovation Map

Die Forschung von Philipp Haslinger und seinem Team steht exemplarisch für die Innovationskraft, die an Österreichs Universitäten steckt – und dafür, wie wissenschaftliche Erkenntnisse Schritt für Schritt ihren Weg in die Anwendung finden. Technologien wie die Quantenelektronenoptik zeigen, dass der nächste große Durchbruch oft dort entsteht, wo Grundlagenforschung auf Unternehmergeist trifft.

Wer mehr solcher Zukunftsprojekte kennenlernen möchte – von neuen Energiespeicherlösungen über MedTech-Innovationen bis zu Quantentechnologien – findet auf der „Innovation Map“ der Wirtschaftskammer Österreich einen Überblick über mehr als 100 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Die interaktive Plattform macht sichtbar, wo bereits heute an der Zukunft gearbeitet wird – und lädt dazu ein, selbst einzutauchen in die Welt der Innovation.

👉 Jetzt entdecken, welche Technologien Österreichs Innovationslandschaft prägen: innovationmap.at

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