16.02.2023

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

JobTwins-Founderin Sigrid Uray erläutert den von Minister Martin Kocher entfachten Diskurs über Teilzeit und Sozialleistungen.
/artikel/teilzeit-debatte-in-der-wirtschaft-muss-ich-in-produktivitaet-denken-und-weniger-in-stunden
Teilzeit, Jobtwins, Martin Kocher, Sozialleistungen
(c) JobTwins - Sigrid Uray, Gründerin von JobTwins, ordnet den Teilzeitdiskurs ein.

Arbeitsminister Martin Kocher hat mit seinem Vorschlag, Sozialleistungen für Arbeitende in Teilzeit zu kürzen, für große Aufregung und Kritik gesorgt. Mittlerweile ruderte der Minister zurück und nahm von seiner Idee Frauen mit Betreuungspflichten heraus. Nichtsdestotrotz zeigt der Umgang mit dem Thema “Teilzeitarbeit” vonseiten des ÖVP-Politikers und anderen Wirtschaftstreibenden eine äußerst negative Haltung für ein Modell, das zwar diskutiert gehört, aber dennoch in heutigen Zeiten essentiell zu sein scheint.

“Teilzeit für Kocher nicht das Traummodell”

JobTwins-Founderin Sigrid Uray hat mit ihrer Plattform, die sie gemeinsam mit Partnerin Katharina Miller gegründet hat, einen Marktplatz für Talente in Teilzeit und „Jobsharing-Matching“ erschaffen. Das Unternehmen wurde im Vorjahr vom aws (Austria Wirtschaftsservice) im Rahmen von „aws Seedfinancing – Innovative Solutions“ mit einem mittleren sechsstelligen Betrag gefördert. Hierbei ist es möglich, dass sich zwei (passende) Personen eine Arbeitsstelle als Teilzeitkraft teilen.

Die Gründerin weiß, dass für Kocher und Teile der Wirtschaft die Teilzeitarbeit nicht das Traummodell darstellt: “Das verstehe ich, aber wir haben keine besonderen Teilzeit-Sozialleistungen”, sagt sie. “Viele erhalten die Kinderbeihilfe und den Familienbonus, aber jeder, der in Teilzeit ist, weiß ja, dass er weniger bekommt. Ich bin nicht ganz sicher, was der Minister mit seiner Aussage meint.”

Problemfeld Betreuung

Laut der Gründerin muss bei diesem Diskurs vor allem eines unterschieden werden. Die Thematik sei gesellschaftlich ein Thema, weil sich Eltern, vorrangig Mütter, die Teilzeit aussuchen dürfen. Personen ohne Kinder, die Teilzeit anstreben, arbeiten nicht zwangsweise zwölf bis 15 Stunden, sondern vielleicht um die 30. Jenen würde es da eher um die Idee der 4-Tage-Woche und work-life-balance gehen, so die Gründerin.

“Die Teilzeitproblematik ist ja eigentlich, dass vielerorts das Betreuungsangebot nicht vorhanden ist”, präzisiert sie. “Es gibt Regionen, die Kinder erst ab dem Alter von eineinhalb oder gar drei aufnehmen oder wo die Öffnungszeiten an den Arbeitsmarkt nicht angepasst sind. Manche Eltern haben zudem wenig Vertrauen in das Erziehungssystem für die Kleinsten und wollen sie daheim betreuen. Ein bis zwei Personen, die sich um 25 Kinder kümmern, freut die Eltern nicht. Und solange das nicht gut funktioniert, schlägt man sich mit Teilzeit herum.”

In ihren Augen wollen viele Eltern einfach auch bei ihren Kindern sein und bleiben freiwillig länger im Teilzeitmodus. “Das ist meistens selbst gewählt. Die Entscheidung, weniger zu verdienen und dafür beim Kind zu sein, ist eine auf individueller Basis. Das wird schwierig werden, den Leuten diese Option wegzunehmen”, denkt Uray.

Teilzeitdiskurs muss sich von Emotionalität lösen

Wie in vielen gesellschaftlichen Diskursen der heutigen Zeit ist die Polarisierung auch hier das Ur-Problem. Vollzeit-Beschäftigte würden meinen, sie müssten “alles tragen” und die in Teilzeit “legen die Füße hoch”. Umgekehrt heiße es, “wir können nicht anders und sind die armen Eltern”, denkt Uray.

“Wir müssen die Emotionalität aus der Diskussion nehmen, denn davon gibt es genug, aber zu wenig echte Lösungsansätze, ohne jemandem etwas wegzunehmen. Die Teilzeit werden wir nicht wegoperieren können und es wäre auch der falsche Weg, jemanden zu bestrafen.”

In Wahrheit und hinter die Worte geblickt, handelt es sich ihrer Meinung nach hierbei um eine Diskussion über “Stunden”.

“Jemand der 60 Stunden im Büro sitzt, ist nicht automatisch produktiver”, so die Arbeitsexpertin weiter. “Alles über einen Kamm zu scheren, ist gefährlich und macht das ‘fingerpointing’ auf. Gerade in der Wirtschaft muss ich ‘in Produktivität’ denken und weniger in Stunden.”

Mehr Stunden in den Arbeitsmarkt bekommen

Uray selbst versucht mit ihrem Jobsharing-Startup das negativ behaftete Dogma, das der Teilzeitarbeit anhängt, aufzulösen. Ihr Marktplatz fokussiert auf hoch qualifizierte Fachkräfte und arbeitet mit Incentives, um mit Teilzeit mehr Stunden in den Arbeitsmarkt zu bekommen, statt weniger.

Teilzeit, JobTwins
(c) JobTwins – Katharina Miller (l.) und Sigrid Uray von JobTwins versuchen beim Thema Teilzeit aufzuklären.

“Man muss sich überlegen, wie man diesen ‘Karriereknick’ umgehen kann, wenn man nach sieben Jahren etwa aus der Karenz zurückkehrt, quasi aus der ‘Versenkung’ wieder auftaucht, Beförderungen und Gehaltserhöhungen verpasst hat.”, sagt Uray. “Da ist eine Jobsharing-Option eine Möglichkeit, den Job weiterzuführen, aber eben mit einer zweiten Person, die vielleicht in einer ähnlichen Situation ist. 25 statt 15 Stunden Teilzeit sind dann sogar vielleicht attraktiver, wenn man diesen Job ohne Überstunden machen kann. So fördert man die Motivation, mehr zu arbeiten.”

Zudem würde man Talente, die sich üblicherweise nicht für Vollzeitstellen bewerben können, nicht verlieren. Und sie aus der Unsichtbarkeit holen.

Teilzeit mehr als nur “15 Stunden die Woche”

“Unserer Erfahrung nach ist das Interesse an solchen Modellen groß. Unternehmen sind verzweifelt auf der Suche nach qualifizierten Kräften. Allerdings herrscht hierbei noch stark Aufklärungsbedarf”, führt die Founderin die Problematik ins Feld.

Und erklärt weiter: “Das Modell ‘Teilzeit’ ist ja flexibel. Nicht bloß ’20 plus 20 Stunden’, sondern auch zweimal 40, zweimal 25 oder auch 15 und 35 sind möglich. Da gibt es verschiedene Kombinationen, wie auch etwa ‘shared leadership’. Das verständlich zu machen, ist eine große Herausforderung; es entstehen für Unternehmen ja auch keine zusätzlichen Lohnnebenkosten. In Summe bleiben sie gleich. In Österreich gilt allerdings oft die Einstellung, ‘was der Bauer nicht kennt…’. Doch es ist an der Zeit, das Potential der Teilzeitbeschäftigung zu zeigen, weil die Not groß ist. Und Teilzeit eine wichtige Lösung sein kann, um mehr Arbeitskraft zu mobilisieren.”

Deine ungelesenen Artikel:
21.11.2024

Deloitte: B2B-Kunden sind der größte Hebel für Nachhaltigkeit in Unternehmen

Der jüngste Sustainbility Check von Deloitte zeigt: Die Hälfte der Unternehmen in Österreich spürt den Klimawandel. Es fehlt jedoch noch immer an der strategischen Verankerung in Unternehmen. Am meisten Druck kommt von B2B-Kunden.
/artikel/deloitte-sustainbility-check-2024
21.11.2024

Deloitte: B2B-Kunden sind der größte Hebel für Nachhaltigkeit in Unternehmen

Der jüngste Sustainbility Check von Deloitte zeigt: Die Hälfte der Unternehmen in Österreich spürt den Klimawandel. Es fehlt jedoch noch immer an der strategischen Verankerung in Unternehmen. Am meisten Druck kommt von B2B-Kunden.
/artikel/deloitte-sustainbility-check-2024
(c) Adobestock

Wie steht es um die Haltung und Aktivitäten rund um Nachhaltigkeit in der heimischen Wirtschaft? Ein umfassendes Bild liefert eine neue Befragung der Unternehmenberatung Deloitte, die gemeinsam mit Foresight im Herbst 2024 über 400 Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeiter:innen befragt hat.

Strategische Verankerung fehlt

Das Ergebnis: Unternehmen erkennen zunehmend die Relevanz von Nachhaltigkeit. So schätzen 86 Prozent der Befragten das Thema als entscheidend für ihren künftigen Geschäftserfolg ein. Zudem haben mehr als die Hälfte der Unternehmen Maßnahmen zur Dekarbonisierung eingeleitet, etwa durch Photovoltaikanlagen oder den Umstieg auf grünen Strom. Diese Maßnahmen bleiben laut Deloitte jedoch häufig oberflächlich. Die strategische Verankerung von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft – inklusive klarer Zielsetzungen – ist oft nicht ausreichend ausgeprägt.

“Zwar setzen viele Betriebe bereits Einzelmaßnahmen um, aber es fehlen die strategische Verankerung sowie klar definierte und laufend überprüfte Nachhaltigkeitsziele. Die nachhaltige Transformation kann allerdings nur mit einem klaren strategischen Fokus gelingen“, so Karin Mair, Managing Partnerin Risk Advisory & Financial Advisory bei Deloitte Österreich.

Geschäftskunden üben Druck aus

Besonders der Druck aus den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen treibt Unternehmen an. 60 Prozent der Befragten berichten, dass ihre Geschäftskunden (30 Prozent) sowie öffentliche und private Kunden die Haupttreiber für Nachhaltigkeitsmaßnahmen sind. Dieser Druck wird durch strikte Berichtspflichten und die zunehmende Nachfrage nach Transparenz verstärkt.

Im Fokus vieler Nachhaltigkeitsagenden steht vor allem die Reduktion der CO2-Emissionen. 61 Prozent der Befragten haben dazu zwar mit der Umsetzung konkreter Maßnahmen begonnen, hinsichtlich der erwartbaren Kosten für eine umfassende Dekarbonisierung herrscht aber große Unsicherheit. So kann oder will über ein Drittel (39 Prozent) derzeit keine Angaben über die diesbezügliche Kostenveranschlagung des Unternehmens machen.

Investitionsbereitschaft geht zurück

Gleichzeitig geht auch die Investitionsbereitschaft zurück: Der Anteil jener Betriebe, die von 500.000,- bis über fünf Millionen Euro pro Jahr für Maßnahmen zur Dekarbonisierung aufwenden wollen, ist von 26 Prozent im Vorjahr auf 17 Prozent gesunken.

Ein wesentlicher Stolperstein ist die fehlende Klarheit bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht. Rund ein Viertel der Unternehmen in Österreich weiß noch nicht, ob sie von der neuen Berichtspflicht betroffen sind, was Unsicherheiten bei der Planung verstärkt. Gleichzeitig bleibt die Bürokratie für viele kleinere Unternehmen eine fast unüberwindbare Hürde.



Toll dass du so interessiert bist!
Hinterlasse uns bitte ein Feedback über den Button am linken Bildschirmrand.
Und klicke hier um die ganze Welt von der brutkasten zu entdecken.

brutkasten Newsletter

Aktuelle Nachrichten zu Startups, den neuesten Innovationen und politischen Entscheidungen zur Digitalisierung direkt in dein Postfach. Wähle aus unserer breiten Palette an Newslettern den passenden für dich.

Montag, Mittwoch und Freitag

AI Summaries

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Inhalt dieses Artikels?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Innovationsmanager:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Investor:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Welche Relevanz hat der Inhalt dieses Artikels für mich als Politiker:in?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Was könnte das Bigger Picture von den Inhalten dieses Artikels sein?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Personen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”

AI Kontextualisierung

Wer sind die relevantesten Organisationen in diesem Artikel?

Leider hat die AI für diese Frage in diesem Artikel keine Antwort …

Teilzeit-Debatte: “In der Wirtschaft muss ich in Produktivität denken und weniger in Stunden”