24.07.2018

Startup Gender Gap: Von Präpotenz und Kompetenz

Kommentar. Kompetenz ist bei Frauen und Männer etwa im gleichen Maße vorhanden. Bei der Präpotenz liegen die Männern klar vorne. Eine Beobachtung.
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Startup Gender Gap
(c) fotolia.com - F8studio

Die Sachlage ist klar: Nur rund ein Zehntel der österreichischen Startups werden von Frauen gegründet. Die Statistiken zur Startup Gender Gap variieren zwar, als Richtwert kann man die zehn Prozent aber wohl heranziehen – auch gefühlsmäßig. Nach den Gründen dafür wird immer wieder gesucht – und es werden derer einige besonders häufig ins Treffen geführt. Oft ist etwa die Rede von zu geringem Selbstbewusstsein bei Frauen. Die Gesellschaft funktioniere auch 2018 noch so, dass Mädchen zur Bescheidenheit und Buben zum Draufgängertum erzogen werden.

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Nicht einfach gesundes Selbstbewusstsein

Doch ist es wirklich ein gesundes Selbstbewusstsein, das den jungen Burschen da vermittelt wird? Ist es nicht in vielen Fällen mehr eine chauvinistische Selbstgerechtheit, die auch hinter anderen gesellschaftlichen Problemen wie sexueller Belästigung steht? Das österreichische Deutsch hat einen sehr treffenden Begriff für – nach meiner Beobachtung – tendenziell typisch männliches Verhalten hervorgebracht: Präpotenz. Etwas ungenau kann der Begriff mit Überheblichkeit ins deutsche Deutsch übersetzt werden, doch die Präpotenz ist eben mehr.

Sie glauben selber, dass sie die Größten sind

Man(n) braucht sie, um eine Idee, von der man noch nicht weiß, wie man sie umsetzen kann, als “the next big thing” zu verkaufen. Man(n) braucht sie, um sich als Experte für etwas darzustellen, von dem man keine Ahnung hat. Man(n) braucht sie, um eine “fake it till you make it”-Strategie zu fahren. Man(n) braucht sie also, um das zu tun, was in der Startup-Szene gang und gäbe ist: Zuerst mal das Blaue vom Himmel versprechen und dann sehen, ob man das Produkt überhaupt liefern kann. Das schöne an der Präpotenz ist für die Betroffenen freilich, dass sie sich ihrer etwaigen Inkompetenz selbst gar nicht bewusst sind. Sie glauben selber, dass sie die Größten sind.

“Um ein skalierbares Unternehmen zu gründen braucht es eben entweder viel Kompetenz oder viel Präpotenz.”

Bei der Präpotenz liegen die Männer klar vorne

Warum ich das schreibe? Weil ich als Startup-Journalist gerne nachhake und sich eines immer wieder zeigt: Die Startup-Welt ist voller hochtrabender Versprechen, deren Erfüllung völlig unsicher ist. Es gibt die einen, die merkbar durchdachte Antworten auf kritische Fragen haben. Und sehr viele, die ihnen ausweichen. Das heißt nicht, dass zweitere nicht am Ende erfolgreich sein können. Und auch nicht, dass ersteren der Erfolg bereits sicher ist. Um ein skalierbares Unternehmen zu gründen braucht es eben entweder viel Kompetenz oder viel Präpotenz (wobei GründerInnen mit Kompetenz tendenziell im Vorteil sind).

Meine Beobachtung ist jedenfalls: Die Kompetenz ist bei Frauen und Männern etwa im gleichen Maße vorhanden. Bei der Präpotenz liegen die Männer klar vorne. Nur sehr selten entsteht im Gespräch mit einer Gründerin der Eindruck, sie hätte irgendetwas nicht zu Ende gedacht. Bei Gründern passiert es ständig.

Präpotenz allein erklärt nicht die Startup Gender Gap…

Statistiken, wonach Teams mit Gründerinnen im Durchschnitt erfolgreicher sind, unterstützen diese These. Eine Schlussrechnung auf die Verteilung von Präpotenz und Kompetenz bei Männern ist aber natürlich nicht möglich. Schließlich gibt es für die Startup Gender Gap gewiss noch einige andere Gründe. Etwa, dass sich die präpotenten (und auch kompetenten) Männer im Investoren- und Corporate Management-Bereich lieber mit präpotenten (und auch kompetenten) Männern abgeben und sich gegenseitig beweihräuchern. Auch die teilweise schier unglaubliche Respektlosigkeit gegenüber Frauen (verpackt hinter Bekundungen, dass Gleichberechtigung wichtig ist) fällt dem sensibilisierten Beobachter ständig auf.

… dafür noch viele andere gesellschaftliche Schieflagen

Was will ich mit all dem sagen? Mädchen nach bestem Wissen und Gewissen zu einem gesunden Selbstbewusstsein zu erziehen, ist richtig und wichtig. Vielleicht würde es aber auch helfen, Buben nicht zur Präpotenz zu erziehen, sondern ebenfalls zu einem gesunden Selbstbewusstsein, das auf ihren tatsächlichen Kompetenzen aufbaut. Das könnte die die Startup Gender Gap erheblich reduzieren. Und auch die Scheiterrate (ja ich weiß, Scheiterkultur und so). Und es würde der gesamten Gesellschaft gut tun. Denn auch gesamt gesehen, lassen sich viele Schieflagen mit (männlicher) Präpotenz erklären.

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith
Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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