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Jede:r von uns hat wahrscheinlich eine Geschichte parat, wo am Amt die Dinge nicht so gelaufen sind, wie man sich das gewünscht hätte. Geschichten von Bescheiden, die lange nicht kommen oder von Förderungen, die kompliziert abzurechnen sind. Wahr ist aber auch: iPhone, Internet und Co. wären ohne den Staat niemals möglich gewesen, trotzdem haftet ihm ein Image von Langsamkeit und Innovationsfeindlichkeit an. Die Ökonomin Mariana Mazzucato räumte schon vor Jahren in ihrem Buch „The Entrepreneurial State“ mit vielen Vorurteilen gegenüber dem Staat auf: Er fördert oft riskante Innovationen lange bevor es Venture Capitalists jemals tun würden.
Wie Startups Kooperationen mit dem Staat einfädeln können
Der Staat kann also auch anders – aber wie kann man dieses Potential als Social Startup ausschöpfen?
Eine Antwort versuchen wir mit Bildünger zu finden. Wir von der Sinnbildungsstiftung und meiner Organisation Ashoka sind 2018 angetreten, um Bildungsprojekte in Schulen und Pädagogischen Hochschulen zu unterstützen. Diese zeigen, wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen kann: partizipativ, adaptiv und befähigend. Gemeinsam mit der staatlichen „Innovationsstiftung für Bildung“ suchen wir nach Wegen diese Innovationen in den Regelbetrieb an Schulen zu überführen. Dabei geht es auch darum zwischen den Bildungsprojekten und dem Staat zu vermitteln, um die Stärken beider Seiten zu nutzen: Flexibilität und Zielgruppen-Orientierung auf der Seite der Bildungsprojekte und Breitenwirksamkeit gepaart mit wissenschaftlicher Evidenz auf der des Staates.
Die wichtigsten Schritte und Tipps
Damit diese zwei Seiten zusammenfinden, greifen wir auf die Expertise von Ashoka zurück: Seit mehr als 40 Jahren arbeitet Ashoka mit über 4000 Sozialunternehmer:innen zusammen. Die erfolgreichsten unter ihnen kooperieren mit dem Staat, um mehr zu bewirken. Dabei sind drei Dinge wichtig:
1. Bewusstsein für das Problem schaffen
Der Staat hat in seiner hierarchischen Organisation oft Probleme, dass Information schnell von Punkt A nach Punkt B kommt. Der sogenannte Dienstweg sorgt zwar für eine gute Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, kann aber langsam sein. Darüber hinaus dauert es, bis harte wissenschaftliche Evidenz zu einem Problem vorliegt, die der Staat jedoch für die Begründung seiner Handlungen braucht. In der Praxis muss es aber oft schnell gehen, der erste Lockdown hat das eindrücklich gezeigt: Die ersten, die mitbekommen haben, dass benachteiligte Schüler:innen im distance learning zurückfallen, waren Bildungsprojekte. Schnell entstand eine Allianz, die auf die Probleme aufmerksam machte und den Dialog über mögliche Lösungen anstieß: #weiterlernen war geboren. Das Bildungsministerium wurde schnell auf die Initiative aufmerksam und hat sich der Auftaktveranstaltung angeschlossen.
2. Willen zum Handeln aufbauen
Im nächsten Schritt muss man dem Staat verdeutlichen, was passiert, wenn er nicht handelt und welche positive Effekte sein Handeln bewirken kann. Wenn viele Menschen von dem Problem betroffen sind oder dem Staat daraus Kosten, z.B. an Sozialleistungen, entstehen, oder Interessensgruppen wie Fridays For Future Druck machen, dann verstärkt das den Handlungswillen des Staates. Wenn Bildungsprojekte den Staat mit ins Boot holen wollen, ist ein Bezug auf staatliche Strategien wie Regierungsprogramme oder Entwicklungspläne von Schulen wichtig. Der Staat definiert darin Ziele und als Bildungsprojekt muss ich einen Beitrag leisten, um diese zu erreichen, wenn ich mit dem Staat kooperieren möchte.
Im Beispiel #weiterlernen haben die Bildungsprojekte gezeigt, dass Schüler:innen Monate, wenn nicht sogar Jahre in ihrer Bildungslaufbahn zurückgeworfen werden, wenn man nicht sofort handelt – was wiederum negativ für die Erreichung der Bildungsziele des Staates wäre. Das Bildungsministerium erkannte: Hier muss man schnell handeln und neue Programme schaffen, die die benachteiligten Jugendlichen beim distance learning unterstützen.
3. Handlungsfähigkeit (weiter)entwickeln
Wenn der Staat das Problem in seiner Tiefe verstanden hat und nachvollziehen kann, was passiert, wenn man (nicht) handelt, dann kann man gemeinsam mit dem Staat dessen Handlungsfähigkeit (weiter)entwickeln. Der Staat braucht Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft, wenn er nicht oder nicht schnell genug passende Angebote entwickeln kann, die das Problem adressieren. Das kann z.B. die Bereitstellung von Daten und Best Practice Beispielen sein, spezielle Schulungen für Beamt:innen bis hin zum Verfassen eines Gesetzesentwurfs. Im Fall von #weiterlernen war es der gemeinsame und rasche Aufbau einer österreichweiten Plattform, über die Schüler:innen unkompliziert digitale Lernbegleiter:innen finden können, die von zivilgesellschaftlichen Initiativen gestellt werden. Die Initiative wurde durch eine Anschubfinanzierung der Innovationsstiftung für Bildung gefördert, mittlerweile ist die Initiative beim Bildungsministerium angesiedelt und wird von dem Sozialunternehmen talentify umgesetzt.
Vorurteile gegen Staat hinterfragen
Diese drei Schritte helfen, (Social) Startups und Staat zusammen zu führen. Sie helfen aber alle nichts, wenn man nicht das eigene Bild des Staates hinterfragt. Selbst wenn manche Vorurteile gegenüber dem Staat stimmen mögen, gibt es immer Gründe, warum der Staat und seine Beamt:innen so handeln, wie sie handeln. Ein Staat, der rechtliche Ansprüche (wie Arbeitslosenhilfe) garantieren muss, kann diese nicht ständig unter Gesichtspunkten der Innovation umbauen – und so mancher Bescheid dauert dann etwas länger, ist aber rechtsstaatlich garantiert. Denn ein Staat kann und darf nicht willkürlich handeln.
Maßnahmen, die der Staat setzt, erreichen potenziell Millionen von Menschen und verbessern im besten Fall deren Leben. Genau hier liegt massives Potential für (Social)Startups: Erst mit dem Staat gemeinsam kann man richtig in die Breite wirken. Andreas Reckwitz, der deutsche „Star-Soziologie“, sieht im Staat den möglicherweise dominanten gesellschaftlichen Akteur der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Nicht zuletzt, weil Pandemie oder der Krieg in der Ukraine ihn dazu zwingen.
Aus dieser Entwicklung heraus ist es für (Social)Startups eigentlich unumgänglich, sich mehr mit dem Staat zu befassen. Dann haben wir hoffentlich in Zukunft alle mehr Geschichten parat, die zeigen: Wir haben gemeinsam mit dem Staat viel bewegt – auch wenn ein Bescheid mal länger unterwegs oder die Abrechnung für eine Förderung mühsam war.
Kurstipp
Wer einen gratis online Kurs machen will, wie man als Sozialunternehmer:in mit dem Staat kooperiert, findet diesen hier: https://www.ashoka.org/el/working-with-government
Über den Autor
Michael Hagelmüller arbeitet bei der NGO Ashoka und leitet gemeinsam mit Christina Purrer von der Sinnbildungsstiftung Bildünger. Bildünger baut ein auf abgestimmtes Handeln fokussiertes Netzwerk zwischen Bildungs-Projekten, der öffentlichen Hand, Stiftungen und Unternehmen.