09.07.2020

Shermin Voshmgir: “Ich werde mich nicht mundtot machen lassen”

Blockchain-Expertin Shermin Voshmgir nimmt im exklusiven Interview zum Plagiatsvorwurf, der Dienstfreistellung durch die WU Wien und der möglichen Aberkennung ihres Doktortitels Stellung.
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(c) Hutan Vahdani: Shermin Voshmgir
(c) Hutan Vahdani: Shermin Voshmgir

Shermin Voshmgir gilt als eine der wichtigsten Blockchain-Expertinnen im deutschsprachigen Raum. Sie ist Direktorin des 2018 gegründeten Forschungsinstituts für Kryptoökonomie an der WU Wien. Doch seit Jänner ist sie dienstfrei gestellt. Grund dafür ist ein Plagiatsvorwurf durch die Online-Plattform VroniPlag Wiki.

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Im Exklusiv-Interview nimmt Shermin Voshmgir nicht nur direkt zu den erhobenen Vorwürfen, sodern auch zum Umgang der WU mit ihr und einer geplanten Berufung gegen die Entscheidung, ihr den Doktortitel zu entziehen Stellung. In einer langen Fassung dieses Interviews erzählt sie zudem unter anderem über die genaue Chronologie der Ereignisse. ⇒ zur langen Fassung 


Laut einem Bericht der FAZ wurde bzw. wird dein Doktortitel widerrufen. Was ist der Hintergrund?

Die Aberkennung ist nicht rechtskräftig, deswegen will ich mich inhaltlich noch nicht äußern. Es gibt aber einige andere Dinge, die ich sagen kann. Anfang des Jahres kontaktierte mich der FAZ-Journalist erstmals und bat mich und die Uni um einen Kommentar. Jemand hatte meine Dissertation auf die Plattform VroniPlag hochgeladen. Die funktioniert so ähnlich wie Wikileaks. Da gibt es Freiwillige die wissenschaftliche Arbeiten und Bücher etwa von bekannten Wissenschaftlern und Politikern hochladen und analysieren. Die meisten davon sind anonym – man weiß also nicht wer dahinter steht. Sie haben dort zwar ihre eigenen Statuten, aber den wissenschaftlichen Kriterien entspricht das nicht.

Sie nennen das dann einfach Plagiat. Das ist eine begriffliche Unschärfe, weil es viele Formen von “Plagiaten” gibt, die unterschiedlich gravierend zu werten sind. Im Bericht wirkt es, als wäre alles abgeschrieben. Dabei geht es – wie im Fall meiner Dissertation – sehr oft um “Fehlzitate” – es wurden also etwa Passagen mit Quellenangabe direkt übernommen, aber nicht mit Anführungszeichen als direktes Zitat ausgewiesen. Ein indirektes Zitat müsste eigentlich paraphrasiert sein. Diesen Zitierfehler habe ich etwa in meiner Arbeit öfters gemacht.

Diese Differenzierung passiert im FAZ-Artikel gar nicht und auf der Plattform VroniPlag nicht ausreichend. Man agiert insgesamt ziemlich reißerisch. Zuerst kommt die Anzahl der betroffen Seiten [Anm. 100 von 111] und nicht etwa der Prozentsatz des betroffenen Texts, der natürlich maßgeblich niedriger ist. Aber das würde sich als Schlagzeile nicht so gut verkaufen.

Wieso sind dir diese vielen Fehlzitate passiert?

In der Informatik geht es im wissenschaftlichen Arbeiten primär um das Erstellen von Modellen. Das habe ich in meiner Arbeit gemacht und das von mir entwickelte Modell steht auch überhaupt nicht zur Debatte. Das “Rundherum” nennen wir den “common body of literature”, in dem das Bestehende aufgearbeitet wird, um das Modell darauf aufzubauen. In diesem “Allgemeinwissen-Teil” sind die Zitierfehler passiert. Auch dieser Aspekt wird auf VroniPlag gar nicht beurteilt, ist aber entscheidend.

Doch natürlich muss trotzdem richtig zitiert werden und dieses richtige Zitieren muss auch auf der Uni richtig vermittelt werden. Ich habe 1998 begonnen, meine Arbeit zu schreiben und sie 2001 abgeschlossen. Damals waren die Standards des wissenschaftlichen Arbeitens andere und sie wurden anders vermittelt. Es gab kaum Pflichtkurse dazu. Wir haben damals einfach ein Handout bekommen, aber eigentlich muss man das korrekte Zitieren wirklich lernen.

Zudem sollte man wissen, dass ich die Dissertation damals freiwillig online gestellt habe. Das war 2001 eine relativ neue Möglichkeit und sollte auch anderen helfen, leichter zu recherchieren. Ich habe mir natürlich nicht gedacht, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ich ging also fest davon aus, dass ich nichts zu verstecken habe.

Also nochmal konkret: Waren dir diese Fehler damals, als du die Arbeit geschrieben hast, bewusst?

Wenn sie mir bewusst gewesen wären, hätte ich die Arbeit nicht hochgeladen. Weil blöd bin ich nicht. Habe ich vielleicht schlampig gearbeitet? Ja.

Worüber hast du eigentlich geschrieben?

Ich habe über das semantische Web, also XML geschrieben. Das war damals, 1998, ein sehr neuer Web-Standard. Ich habe dabei ein Investitionsbewertungsmodell entwickelt. Dieses Modell ist, wie gesagt, nicht infrage gestellt. Das hat VroniPlag nicht analysiert. Ich wurde übrigens damals von zwei WU-Professoren mit der Note Sehr Gut beurteilt. Niemand fragt, wie sie zu dieser Note gekommen sind.

Wie hat dann die Uni auf die Vorwürfe reagiert?

Es wurde ein Verfahren eingeleitet, das bis heute nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Die WU hat mich dienstfrei gestellt, ohne mich zu befragen. Mein Vorgesetzter war nicht dabei, das Rektorat war nicht dabei. Die Personalabteilung hat mich angerufen und darüber in Kenntnis gesetzt. Nachdem zwei Gutachter sich das angesehen hatten, konnte ich nach einigen Monaten erstmals Stellung nehmen.

Wichtig ist: Die Uni hat auf VroniPlag reagiert und vorerst nicht selbst die Arbeit analysiert. Schon gar nicht untersucht die Uni alte Arbeiten proaktiv – heute passiert das ja mittels Big Data und AI, die Textdoubletten erkennt, regulär. Die wissenschaftlichen Standards haben sich dadurch sehr geändert.

Wirst du gegen die Entscheidung der Uni berufen?

Ich werde natürlich gegen die Aberkennung vorgehen. Die WU hat mir diesen Titel ja schließlich verliehen. Und sie hat mir auch mehrmals einen Arbeitsvertrag gegeben, wo ich immer den Link zu meiner Dissertation präsentiert habe. Ich finde es erstaunlich, dass der Titel mir jetzt aberkannt werden soll.

Was werden deine Hauptargumente, wenn du berufst?

Die zentralen Fragen sind: Hat die WU die damaligen Standards berücksichtigt? Hat die WU die Standards unseres Faches berücksichtigt? Hat die WU den Unterschied zwischen den damaligen österreichischen und deutschen Standards berücksichtigt [Anm.: VroniPlag referenziert auf die aktuellen deutschen Standards]? Hat die WU die Art der Fehlzitate berücksichtigt, oder nicht? Hat die WU die eigenständige wissenschaftliche Leistung gewürdigt, oder nicht? Hat die WU sich alle anderen Dissertationen aus dem Zeitraum angesehen? Hat die Uni die Leute, die damals wissenschaftliches Arbeiten unterrichtet haben befragt, was sie wirklich unterrichtet haben? Hat die WU überhaupt meine Stellungnahme berücksichtigt? Und hat sie die Stellungnahme der Betreuer meiner Dissertation berücksichtigt? All diese Fragen sind noch nicht geklärt. All diese Sachen müsste man eigentlich untersuchen, bevor man etwas beurteilen kann.

Was hat das alles eigentlich mit Blockchain zu tun?

Mit Blockchain hat das erstmal gar nichts zu tun. Aber nicht nur meine Blockchain-Kompetenz steht nicht zur Diskussion, sondern wie gesagt auch der eigentliche Inhalt meiner Dissertation.

Du hast auch den Begriff “Public Shaming” in Spiel gebracht…

Ja, hier geht es vielleicht auch um Public Shaming oder Cyber Bullying. Schließlich weiß ich nicht, wer das war. War es jemand, der eine persönliche Vendetta gegen mich hat? War das jemand, der frauenfeindlich ist? War das jemand, der ausländerfeindlich ist? War das jemand, der auf den Erfolg unseres Forschungsinstituts neidig war? Wir wissen nicht, was die Motivation dieser Leute ist.

Warum ich und nicht jemand anderer? Da wird jemand auf einer Online-Plattform denunziert. Dann meldet sich ein Journalist und sagt, er ist von der FAZ und dann wird man panisch und stellt mich dienstfrei. Das ist, was passiert ist. Niemand diskutiert meine Blockchain-Kompetenz, niemand diskutiert meine bisherige Leistung am Forschungsinstitut.

Warum analysiert die WU nicht alle anderen Dissertationen aus der Zeit? Sie kann es sich einfach nicht leisten. Also ist es eine Lotterie. Jemand mag mich nicht. Ich werde zur Zielscheibe. Mir wird der Titel aberkannt. Jemandem anderen, der nicht in der Öffentlichkeit steht, wird er nicht aberkannt. Ich kann zu meinen Fehlern stehen. Kann die WU auch zu ihren Fehlern stehen? Ich werde mich nicht mundtot machen lassen durch so eine Schlagzeile. Ich habe was zu sagen.

Wie nahe geht dir das?

Natürlich geht es mir nicht gut, weil das ein massiver Vorwurf ist. Das grenzt ja an Rufmord, was der FAZ-Journalist geschrieben hat. Die meisten Leute kennen wissenschaftliches Arbeiten gar nicht und fallen leicht auf so eine Schlagzeile herein. Ich werde hier als Betrügerin dargestellt.

Ich fühle mich natürlich umso schlechter, nachdem die eigene Uni mich, ohne mich zu befragen wie einen Schwerverbrecher dienstfrei gestellt hat. Und das, nachdem ich aus einem anderen Land gekommen bin, und hier eigenhändig ein Forschungsinstitut mit Blockchain- und Kryptoökonomie-Kompetenz aufgebaut habe. Man kann auch anders mit Menschen umgehen und trotzdem genau analysieren, ob es ein Fehlverhalten gibt.

Aber ich bin auch froh, dass es jetzt raus ist. Jetzt kann ich darüber reden.

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Das Wiener Startup PowerBot automatisiert den physischen Stromhandel an Strombörsen. Damit leistet es einen Beitrag zur Energiewende. CEO Helmut Spindler hat uns vergangenen April mehr über die Technologie erzählt.

Das SaaS-Unternehmen wurde im Jahr 2020 von Felix Diwok, Manuel Giselbrecht und Helmut Spindler gegründet. Mit dem Ziel, Handelsabläufe an den europäischen Strombörsen zu automatisieren und zu verbessern. Und damit die Energiewende voranzutreiben. CEO Spindler war jahrelang als Berater für Energiemarktfragen tätig. Als Spin-off der Energiemarktberatung Inercomp GmbH entstand dann 2020 PowerBot.

Exit an norwegischen Tech-Konzern

Am gestrigen Mittwoch verkündete das Wiener Startup, vom “europäischen Marktführer für Energiesoftware, Volue, offiziell übernommen” worden zu sein. Eine konkrete Summe wird nicht genannt. Gemeinsam habe man sich das Ziel gesetzt, den Markt “im algorithmischen kurzfristigen Stromhandel” anzuführen.

Das Käufer-Unternehmen Volue positioniert sich als Technologielieferant grüner Energie. Das norwegische Unternehmen arbeitet an Lösungen zur Optimierung von Produktion, Handel, Verteilung und Verbrauch von Energie.

Co-Founder Diwok hielt bislang 37,5 Prozent, Spindler und Giselbrecht je 18,74 Prozent. Auch das Partnerunternehmen der Armstrong Consulting GmbH unter Geschäftsführer Roger Armstrong hielt bislang 25,01 Prozent der Firmenanteile.

Schrittweise Integration

Mit dem Kauf des Wiener Energy-Startups soll das bestehende Portfolio von Volue erweitert werden. Die Integration soll Schrittweise erfolgen, ab Jänner 2025 sei die PowerBot-Lösung vollständig in das Volue-Portfolio integriert.

Volue-CEO Trond Straume wird in einem LinkedIn-Post von PowerBot zitiert: „Diese Übernahme ist ein entscheidender Schritt auf unserem Weg, bis 2030 der führende SaaS-Anbieter für das globale Energiesystem zu werden. Die hochmoderne Plattform von PowerBot ergänzt den Volue Algo Trader perfekt, indem sie Quants befähigt und unsere Expansion über Westeuropa hinaus beschleunigt.“

Das Wiener Energy-Startup soll fortan die bestehende Lösung des Käufers – namentlich “Volue Algo Trader Power” ergänzen. Dabei handelt es sich um eine SaaS-Lösungen für den kurzfristigen Stromhandel, kurz für “Intraday”-Stromhandel.

“Keinen besseren Partner”

Wie PowerBot weiter vermeldet, soll die Integration die Entwicklung von traderfreundlichen Benutzeroberflächen und Lösungen für Unternehmen begünstigen. PowerBot wird dabei eng mit dem Team rund um die SaaS-Lösung Volue Algo Trader Power zusammenarbeiten.

Für das PowerBot-Team sei der Exit “nur der nächste wichtige Schritt auf dem Weg des Wachstums”, heißt es. Auch weiterhin soll das bestehende PowerBot-Team, darunter Helmut Spindler, Maximilian Kiessler und Jakob Ahrer, “die Entwicklung des Produkts weiter vorantreiben und für Kontinuität und Innovation sorgen”. Das Startup will indes bereits baldige neue Produkte auf dem Markt verkünden.

Helmut Spindler, CEO von PowerBot, kommentiert: „Wir haben in den letzten Jahren ein unglaubliches Wachstum erlebt, und um weiter zu skalieren und zu internationalisieren, brauchten wir einen starken Partner. Volue ist aufgrund seiner umfassenden Branchenkenntnisse und seiner gemeinsamen Vision die perfekte Wahl. Ich könnte mir keinen besseren Partner vorstellen“.

Stärken kombinieren

Mittlerweile soll das Wiener Energy-Startup über 85 Kunden in 26 Ländern vorweisen. Handeln soll es derzeit an neun Börsen. Das Team sei 25-köpfig und in Wien sitzend. Auch die Zertifizierungen ISO 27001 und SOC2 Typ 2 – beides Zertifizierungen für Cybersicherheit und Datenschutz – weise man vor.

Roland Peetz, SVP von Volue Energy Software, fügt hinzu: „Indem wir unsere Stärken kombinieren, schaffen wir ein unübertroffenes Angebot, das den Anforderungen des sich schnell verändernden Stromhandelsmarktes gerecht wird.“

Aus dem Archiv: PowerBot-CEO Helmut Spindler im Studio

Der PowerBot-CEO und Mitgründer Helmut Spindler war zu Gast im brutkasten Studio.

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