06.09.2022

Sexuelle Belästigung und Fachkräfteverlust: “Erhebliche Folgen für Unternehmen”

Sexuelle Belästigung und Sexismus am Arbeitsplatz hat sowohl für Betroffene als auch für Unternehmen erhebliche Folgen. Rechtsanwältin Yara Hofbauer erklärt, was Einzelpersonen und Institutionen machen können und dürfen.
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Yara Hofbauer erklärt im Interview die Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in Österreich © Hofbauer
Yara Hofbauer erklärt im Interview die Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in Österreich © Hofbauer

Die Rechtsanwältin Yara Hofbauer ist Teil des Expertinnen-Kollektivs upright, das Unternehmen bei der Auseinandersetzung mit verschiedensten Diskriminierungsformen am Arbeitsplatz berät. Dazu gehört auch die professionelle Auseinandersetzung mit sexueller Belästigung und Sexismus. Upright vereint Kompetenzen aus den Faktoren Recht, Diversity und Unternehmensberatung. Im brutkasten-Interview zu unserer Initiative #growrespect gibt die Anwältin mit besonderer Expertise in antidiskriminierungsrechtlicher Compliance und wertschätzender Kommunikation einen Überblick über das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Dabei erklärt sie, welche Handlungsmöglichkeiten Betroffene haben und warum ein unerwünschtes Streicheln über den Rücken bei der Arbeit andere rechtliche Konsequenzen hat als im Privatleben. 

Was genau beinhaltet eure Arbeit bei upright?

Wir arbeiten mit Arbeitgeber:innen zusammen und schulen unterschiedliche Angestellten-Ebenen nach verschiedenen Diskriminierungsschwerpunkten. Mehr als 50 Prozent unserer Kund:innen kommen auf uns zu, da es zu einem Vorfall kam und sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Die andere Gruppe widmet sich bspw. in einem Jahr schwerpunktmäßig dem Thema ‘Diskriminierung am Arbeitsplatz’. Sexuelle Belästigung ist eine Form der geschlechtsbezogenen Diskriminierung, was dementsprechend auch zu unserer Arbeit gehört.

Was ist der rechtliche Rahmen in Österreich in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?

Für Personen in der Privatwirtschaft, und damit auch für Startups, gilt in Österreich das Gleichbehandlungsgesetz. Damit sexuelle Belästigung vorliegt sieht das Gesetz hier fünf Komponenten vor, die gegeben sein müssen: 

  1. Die sexuelle Komponente: Das Verhalten muss sich also darauf beziehen
  2. Der Vorfall muss am Arbeitsplatz passieren: Dazu gehört nicht nur das Büro, sondern auch Bewerbungsgespräche, Mittagspausen, Firmenfeiern etc.
  3. Es muss für die betroffene Person unerwünscht sein: Diese Komponente ist rein subjektiv zu bewerten
  4. Durch die Behandlung wird die Würde der Person beeinträchtigt: Diese Komponente ist objektiv von außen zu beurteilen, wodurch Sätze wie “heute darf man ja überhaupt nichts mehr sagen” entschärft werden
  5. Die Handlung muss für das Arbeitsleben der betroffenen Person nachteilige Folgen haben  

Das heißt, das Gesetz ist bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz strenger als bei sexueller Belästigung im Privatleben?

Ja, das kann man so sagen. Das Gleichbehandlungsgesetz regelt die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. In diesen Bereichen darf nicht durch sexuelle Belästigung diskriminiert werden. Was nicht darunter fällt ist der private Kreis (private Feiern, auf der Straße etc.), da hier das Strafrecht greift. Auch im Strafrecht gibt es den Tatbestand der sexuellen Belästigung (§218 StGB). Dieser verlangt allerdings eine physische Komponente – d.h. ein Streifen am Rücken würde niemals die strafrechtliche sexuelle Belästigung erfüllen.

Im Arbeitskontext ist die Geschlechtssphäre allerdings nicht notwendig, damit die Berührung eine sexuelle Belästigung darstellt. Das vermeintlich zufällige Streicheln des Rückens, oder an der Hüfte nehmen, jmd. umarmen oder ungefragt massieren – das sind alles Dinge, die im Gleichbehandlungsrecht unter sexuelle Belästigung fallen.

Welche Rolle spielt Drogeneinfluss in solchen Fällen?

Eine sexuelle Belästigung ist im Gleichbehandlungsrecht schuldunabhängig. Ob die handelnde Person betrunken war, unter Drogeneinfluss stand, oder ob sie wirklich verliebt war etc., spielt keine Rolle. Auch ob man fahrlässig, vorsätzlich oder mit Absicht handelt – das Motiv ist egal. Das Einzige, worauf es ankommt, sind die vorher erwähnten Komponenten. 

“Die ist überhaupt nicht mein Typ und ich bin sexuell nicht an ihr interessiert. Ich würde sie nie anmachen”.

Dazu kenne ich eine Geschichte von der Gleichbehandlungskommission, als ein Beschuldigter versucht hatte, sich mit folgender Erklärung zu rechtfertigen: “Die ist überhaupt nicht mein Typ und ich bin sexuell nicht an ihr interessiert. Ich würde sie nie anmachen”. Diese Aussage zeigt, dass der Beschuldigte grundlegend missverstanden hat, worum es bei sexueller Belästigung geht. Es geht nicht um sexuelles Interesse, sondern um Machtbeziehungen und Demütigung.

Sind bei eurer Arbeit gewisse Muster zu erkennen? Gibt es Dynamiken, Branchen oder Fälle, die besonders häufig vorkommen?

Aus meiner mehrjährigen Erfahrung würde ich sagen, dass man nie von außen erkennen kann, ob jemand ein/eine Belästiger:in ist oder nicht, und dass wirklich jede:r von sexueller Belästigung betroffen sein kann. Auch ein noch so sympathischer, charmanter Mensch kann durchaus andere Seiten aufzeigen. Daher muss man aufpassen, sich nicht von seinen eigenen Vorurteilen des typischen ‘schmierigen Belästigers’ fehlleiten zu lassen. 

Das einzige Muster, das ich halbwegs erkennen kann, ist jenes, dass junge Frauen besonders häufig von dieser ‘klassischen sexuellen Belästigung’ betroffen sind. Das hat selbstverständlich nichts damit zu tun, ob sie hübscher sind, sondern damit, dass sich diese Frauen meistens besonders schlecht wehren können. Nach meinem Eindruck passiert diese Belästigung eher am Anfang der beruflichen Karriere, da die belästigenden Personen genau wissen, dass die Betroffenen in ihrer Position keine Macht haben – und fehlende Macht ist ein wesentliches Risiko. Als Praktikantin oder Uni-Absolventin kann die Überforderung besonders groß sein. Häufig kommt ein Scham- und Schuldgefühl hinzu, was die Betroffenen zusätzlich extrem schwächt. Solche Dynamiken spüren die belästigenden Personen und nutzen das aus.

Beeinflussen solche Erlebnisse die Arbeitsleistung der Betroffenen?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt Studien, die nicht zuletzt gesundheitliche Auswirkungen belegen. Sexuelle Belästigung hat sowohl für Betroffene, als auch für die Unternehmen erhebliche Folgen. Dazu gehören unter anderem:

  • weniger Arbeitszeit, da man sich in der Arbeit nicht mehr wohl fühlt
  • weniger Konzentrationsleistung, da man extrem viel Denkleistung damit verbraucht, nach Möglichkeiten zu suchen, der belästigenden Person aus dem Weg zu gehen
  • man vermeidet bestimmte Meetings etc. um der belästigenden Person aus dem Weg zu gehen
  • man vermeidet soziale Ereignisse, die nach der Arbeit stattfinden
  • man trägt das Problem mit nach Hause – beispielsweise können die Erfahrungen am Arbeitsplatz zu viel Stress in der Partnerschaft führen
  • Schlafprobleme
  • Kündigung

Startups bzw. kleinere Unternehmen sind von flachen Hierarchien und einer gewissen Nähe zu Kolleg:innen oder zum Vorstand geprägt. Das macht es oft schwerer, über sexuelle Belästigung oder Sexismus-Erfahrungen zu sprechen. Was empfehlt ihr hier?

Ganz grundsätzlich gilt für alle Unternehmen, Interessenkonflikte zu vermeiden. Mögliche Abhängigkeiten zwischen Vertrauenspersonen und der Person, die beschuldigt wird, muss man mit bedenken und verhindern. Hier ist es ratsam, bspw. eine externe Stelle hinzuzuziehen. Diese muss nicht permanent im Auftrag des Unternehmens arbeiten, die Kontaktdaten können aber den Mitarbeiter:innen zur Verfügung gestellt werden, um sich gegebenenfalls in den Prozess einzuschalten, wenn die betroffene Person das möchte. Bei der Auswahl einer solchen externen Stelle kommt es immer darauf an, worauf das Unternehmen Wert legt – bspw. ob der psychologische Aspekt oder die rechtlichen Hintergründe stärker ausgeprägt sein sollen.

Ein Beispiel?

Eine Mitarbeiterin hat erfahren, dass sie in derselben Position signifikant weniger als ihre Kolleg:innen verdient und hat sich an uns gewandt. Ich habe daraufhin mit ihr besprochen, was sie sich als nächsten Schritt wünscht: Ob wir ein Gespräch mit der Geschäftsführung führen sollen und sie das Problem dabei unter ihrem Namen verifiziert, oder ob ich das Thema Gehalt ganz allgemein bei der Geschäftsführung ansprechen soll, ohne dass der Hinweis auf sie zurückzuführen ist. 

Ihr beschäftigt euch bei eurer Arbeit mit sämtlichen Formen der Diskriminierung. Erkennst du mit Blick auf sexuelle Belästigung und Sexismus am Arbeitsplatz Überschneidungen von mehreren Diskriminierungsformen? 

In Österreich erkennt man diese intersektionale Diskriminierung unter anderem stark bei muslimischen Frauen. Das heißt, sichtbar muslimische Frauen werden häufig diskriminiert, weil sie muslimisch und weil sie Frauen sind. In Unternehmen erkennt man dann beispielsweise, dass muslimische Männer und Frauen eingestellt wurden, während keine sichtbar muslimischen Frauen im Unternehmen arbeiten. Dieses Konzept der Intersektionalität ist sehr wichtig und betrifft natürlich verschiedene Bereiche. 

Was gilt es zu beachten, wenn man Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung und Sexismus im Arbeitsumfeld ergreift?

Es steht fest, dass singuläre Maßnahmen nicht ausreichen. Egal ob einmalige Workshops, oder eine Schulung im Zuge des Onboarding-Prozesses – eine kurze Aufklärung ist nicht genug, um das Mindset einer Person zu verändern. Damit sich etwas bewegt, muss jede einzelne Person für sich entscheiden, an den eigenen Stereotypen zu arbeiten und hinterfragen, wie man seine Mitmenschen sieht. Das bedeutet nicht, dass man ein Rassist oder ein Sexist ist – aber das heißt, dass man gegebenenfalls unreflektiert durch die Welt geht. 

Damit sich grundlegend etwas ändert, muss man auch in Unternehmen kontinuierliche Maßnahmen ergreifen. Studien zeigen sogar, dass es schädlich sein kann, wenn nur singuläre Maßnahmen gesetzt werden, da Menschen das Gelernte dann sozusagen von ihrer ‘To-Do-Liste’ streichen und sich nicht mehr länger damit auseinandersetzen. Wissenstransfer ist zwar ein guter erster Schritt, für mehr Tiefe braucht es allerdings kontinuierliche gemeinsame Reflexionsprozesse. Regelmäßige Workshops wären eine Möglichkeit.


Disclaimer: Mit unserer Initiative #growrespect möchten wir für die Themen Sexismus und auch sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag sensibilisieren. Dabei wollen wir investigativen Journalismus leisten und sowohl als Informationsplattform, aber auch als Austauschplattform für betroffene Personen auftreten.

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Remitly, ein US-Online-Anbieter für Finanzdienstleistungen, hat 4.200 erwerbstätige Erwachsene aus 22 Ländern in einer Studie rund um das Thema Work-Life-Balance befragt. Im Zuge dessen ging es um tägliche Arbeitsstunden, die Länge des Arbeitsweges, die Schlafdauer vor einem Arbeitstag und und die Länge der täglichen Pausen. Auch die Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsleben fand Einklang in die Studie. Nach Erhebung der Daten wurden die einzelnen Faktoren bewertet. Das Ziel: Herauszufinden, welche Länder weltweit die “beste Work-Life-Balance bieten”. Erfasst wurden die Daten diesen September.

Der Norden ist am Balance-freundlichsten

Nach dem Ranking des US-Finanzdienstleisters steht Österreich gar nicht so schlecht da: Platz 11 erreichten wir im Rahmen der Studie. Wenig überraschend gingen Platz eins und zwei wieder in den Norden – konkret an Finnland (Platz eins) und Dänemark (Platz zwei). An dritter Stelle im Work-Life-Ranking steht die Schweiz.

Finnland ist laut Remitly mit 73 von 100 Punkten im Index das Land mit den besten Rahmenbedingungen für eine Work-Life-Balance. Der Studie zufolge soll Finnland seinen Erwerbstätigen schon seit fast 30 Jahren flexible Arbeitsbedingungen bieten.

Dänemark auf Platz zwei erreichte 70 von 100 Punkten. Die Durchschnittsarbeitszeit pro Tag belief sich hier auf sieben Minuten und 25 Stunden. Auch laut OECD Better Life Index liegt die Zufriedenheit im Beruf sowie die allgemeine Lebenszufriedenheit in Dänemark über dem weltweiten Durchschnitt.

Trotz längerer täglicher Arbeitszeit und längerer Pendelzeit als Platz 1 und 2 landet die Schweiz auf Platz drei, was Remitly unter anderem mit den vier bis fünf bezahlten Urlaubswochen begründet. Auch die Pausenzeiten umfassen mit 56 Minuten täglich ein Maximum unter den befragten Ländern.

Platz vier ergattert Frankreich – unter anderem auch deshalb, da die Normalarbeitszeit in Frankreich bei 35 Wochenstunden liegt. Alles darüber wird als Überstunde gerechnet und dementsprechend in Zeitausgleich oder Bezahlung vergolten.

Für Work Life Balance wird umgezogen

Neun der zehn führenden Länder befinden sich in Europa. Der einzige Ausreißer: Neuseeland auf Platz 5. Außerdem gaben vier von zehn (42 Prozent) Befragten an, dass sie in den nächsten fünf Jahren auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen ins Ausland ziehen möchten.

In den Top zehn befinden sich nach den ersten vier Platzierten – nach Rangliste Finnland, Dänemark, Schweiz und Frankreich – schließlich Neuseeland (Platz 5), Schweden (Platz 6), die Niederlande (Platz 7), Portugal (Platz 8), Belgien (Platz 9) und Tschechien (Platz 10).

Österreich belegt Platz 11, gefolgt von Deutschland (Platz 12), Spanien (Platz 13), Italien (Platz 14) und Kanada (Platz 15).

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