11.07.2023

Sexismus in der PR: Vom Sonnenkönig, “der sich nicht mehr spürt”

Mehrere ehemalige Mitarbeiter:innen einer Wiener PR-Agentur meldeten sich bei brutkasten, um im Rahmen von #growrespect über Erfahrungen bei ihrem früheren Arbeitgeber zu sprechen. Sie erzählen von Sexismus und Belästigung. Auch der CEO meldet sich zu Wort und schildert seine Sichtweise.
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“In Agenturen findet man oft diese Kultur der Sonnenkönige, die sich nicht mehr spüren. Der Geschäftsführer war einer dieser Sonnenkönige”, sagt eine Kontaktperson im Gespräch für #growrespect © Wikimedia Commons
“In Agenturen findet man oft diese Kultur der Sonnenkönige, die sich nicht mehr spüren. Der Geschäftsführer war einer dieser Sonnenkönige”, sagt eine Kontaktperson im Gespräch für #growrespect © Wikimedia Commons

+++ Triggerwarnung: Die folgende Reportage enthält bildhafte Beschreibungen sexistischer Grenzüberschreitungen +++


Ehemalige Mitarbeiter:innen erinnern sich an ein Teamfoto, das in den Räumlichkeiten der Wiener PR-Agentur hing. Der Geschäftsführer hat sich in der Mitte platziert, seine – überwiegend jungen, überwiegend weiblichen – Angestellten stehen um ihn herum. Für die PR-Branche ist das nicht unüblich. Viele junge Mitarbeiterinnen und wenige ältere Männer in der Führungsriege. Der Chef steht im Mittelpunkt. 

“In Agenturen findet man oft diese Kultur der Sonnenkönige, die sich nicht mehr spüren. Der Geschäftsführer war einer dieser Sonnenkönige”, sagt eine Person im Zuge der Recherche-Gespräche. Sexismus-Vorwürfe in dieser Agentur gab es immer wieder mal, nicht zuletzt auch in Online-Bewertungsportalen. 

Insgesamt neun Männer und Frauen, die in den vergangenen Jahren im Unternehmen gearbeitet haben, sprachen mit brutkasten über ihre Eindrücke. Die geschilderten Ereignisse liegen zwei Jahre oder länger zurück. Viele von ihnen haben ihren Berufseinstieg dort erlebt. Einige erzählen, dass ihnen erst im Nachhinein klar wurde, dass das Verhalten ihres Geschäftsführers, aber auch anderer männlicher Kollegen, oft unangebracht war. Dass es oft die eigenen Grenzen überschritten hat. Manche sprechen sogar von einer Übersexualisierung im Arbeitsalltag.

Anwaltliche Einschätzung

Einige der Frauen haben zudem im Rahmen eines anwaltlichen Aufarbeitungsberichts eine rechtliche Einschätzung ihrer Erlebnisse eingeholt. Der Anwalt Alexander Stücklberger bestätigte darin, dass in der Agentur arbeitsrechtlich relevante Grenzüberschreitungen gemäß des Gleichbehandlungsgesetzes stattgefunden hätten. Die Ansprüche können laut Stücklberger allerdings aufgrund der Verjährungsfristen nicht mehr geltend gemacht werden.

Doch nicht alle bestätigen die Vorwürfe. Eine der Frauen sagt, dass sie keinen Sexismus wahrgenommen hat. Es habe zwar eine Zweideutigkeit in der Sprache gegeben, die war aber scherzhaft gemeint und wurde für sie selbst nie als unangenehm wahrgenommen. Sie meint, letztlich komme es auf die individuelle Dynamik im Team an, die sich durch die ständige Fluktuation oft geändert habe. Und damit tut sich eine zentrale Frage auf: Geht es um die individuelle Wahrnehmung oder um einen problematischen Umgang, der System hat? 

“Flirty” und “touchy”

Auffallend “flirty” und auffallend “touchy” sind zwei Anglizismen, die bei der Beschreibung des Agenturchefs in beinahe jedem Gespräch aufkommen. Dies galt teils für eigene Erfahrungen, teils für Beobachtungen in Meetings oder Kundengesprächen. Im Büro beobachtete ein Kollege einmal, wie der Geschäftsführer einer Kollegin am Schreibtisch über die Schulter sah und dabei ihren unteren Rücken berührte, um sie zu loben. Auch vor Kunden sei es laut anderen Mitarbeiterinnen dazu gekommen, dass der Chef seiner Mitarbeiterin über den Rücken streichelte und auffallend “flirty” wurde. Beobachterinnen beschreiben diese Momente als “extrem peinlich”. 

Auch der Ton im Unternehmen war oft speziell. Männliche Kollegen erklären, dass verniedlichende Kosenamen wie “Schatzi” oder “Darling” und ein übermäßiger Körperkontakt vom Chef sowohl Männer als auch Frauen im Unternehmen betroffen haben. Letzteres könne man zwar als Herzlichkeit verstehen, aber eben nur solange es für alle in Ordnung ist, betonen ehemalige Angestellte. Ob es für die einzelnen Personen in Ordnung ist, berührt zu werden, hat der Geschäftsführer laut mehrerer Aussagen aber nie gefragt. 

“Verniedlichende Spitznamen haben wir früher sowohl bei Kolleginnen wie auch bei Kollegen manchmal verwendet – auch für mich haben die Mitarbeiter*innen manchmal Spitznamen gefunden. Wir handhaben das seit mehreren Jahren anders, da sich unser professionelles Bewusstsein in den letzten Jahren weiterentwickelt hat”, schreibt der Geschäftsführer in einem Statement gegenüber brutkasten.

Die Frauen erzählen

“Bei einer Kollegin hat der Chef mal versucht, von ihrer Gabel zu essen. In einem anderen Moment hat er derselben Kollegin in die Hüfte gekniffen. Letzteres hat der Chef auch bei mir gemacht”, meint eine Ex-Mitarbeiterin. Beobachtungen und Erfahrungen wie diese gehören zum Arbeitsalltag vieler ehemaliger Angestellter der Wiener PR-Agentur. Es spiegelt Realitäten wider und vielleicht auch ein Sittenbild. Die Frauen erzählen: 


+++ Alle Namen wurden für die folgende Berichterstattung von der Redaktion geändert. Auch der Geschäftsführer wurde vom brutkasten mit den Vorwürfen konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Seine Statements wurden in entsprechenden Stellen des Textes eingefügt. +++


Gespräche über Sex und ein Pograpscher

Eine dieser Frauen ist Anna. Grenzüberschreitungen hat sie nicht nur mit dem Chef, sondern vor allem auch mit anderen männlichen Kollegen erlebt. Sie habe sich bei Gesprächen über sexuelle Erfahrungen oder Empfehlungen zu Sexualpraktiken in der Agentur oft unwohl gefühlt, erzählt sie. Einmal habe ein Kollege zu ihr gesagt: “Du musst unbedingt Analsex haben. Und wenn du es hast, dann denk dabei an mich.”

Ganz am Anfang wertete sie Gespräche über Sex eigentlich sogar noch anders, gibt sie zu. Mit dem Geschäftsführer und einer Kollegin ist sie ab und zu im Rahmen eines Afterworks etwas trinken gegangen. Auch dann sei das Gesprächsthema schnell auf Sexualität umgeschwenkt. “Damals fand ich das sogar extrem cool, weil ich fand, dass mein Chef dadurch total offen und entspannt wirkte. Heute finde ich es daneben”, meint Anna rückblickend. 

Von brutkasten dazu befragt, ob er Kolleginnen im Arbeitsalltag Tipps zu Sexualpraktiken oder Datingverhalten gegeben oder dies zumindest mitbekommen habe, antwortete der Geschäftsführer der PR-Agentur folgendermaßen: 

“Ich selbst habe solche Themen in meiner Erinnerung niemals initiiert. Dass in unserem Unternehmen auch über sexuell konnotierte Themen in der Runde gesprochen wurde, kann ich nicht ausschließen – vor allem in der länger zurückliegenden Vergangenheit. Ich kann mir etwa vorstellen, dass sich Mitarbeitende über das Thema Dating ausgetauscht haben. Aufgrund meiner und unserer grundlegenden Haltung – gegen Sexismus, für Diversität und Chancengleichheit – haben wir das Bewusstsein für Sprache, Tonalität und den Umgang miteinander in unserer Organisation geschärft und auch die Gesprächskultur hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt.”

Anna berichtet auch von mehreren prägenden Grenzüberschreitungen, die ihren direkten Personalverantwortlichen aus dem Management-Team betrafen. Mit diesem hatte sie beispielsweise ein folgenschweres Erlebnis im Lift. “Als ich in den Lift einstieg, hat er mir auf den Hintern geklatscht und meinte dabei ‘Ciao, schöne Ferien’. Ich habe ihn völlig entgeistert angesehen, dann hat sich auch schon die Aufzugstür geschlossen und ich bin in den Urlaub gegangen.” 

Nach ihrem Urlaub wandte sich Anna an eine weibliche Kollegin aus dem Management-Team. Diese reagierte mit dem Hinweis, dass man zwar ein klärendes Gespräch aufsetzen könne. Anna müsse aber letztlich mit den Konsequenzen leben. Denn sie sei diejenige, die mit dem Kollegen weiterarbeiten müsse. 

Im darauffolgenden Gespräch zu dritt bestritt der Kollege den Vorwurf. “Das Meeting hat dann damit geendet, dass wir drei uns an den Händen hielten und gemeinsam versprechen mussten, dass das niemals diesen Raum verlassen wird”, erinnert sich Anna. Der Geschäftsführer habe zum damaligen Zeitpunkt nichts von dem Ereignis gewusst, erst durch ihren späteren Kommentar auf einem Firmen-Bewertungsportal habe er davon erfahren, schildert sie.

Workshop zur internen Aufarbeitung

Sarah gehört zu den Angestellten, die miterlebt haben, wie im Unternehmen über den Eintrag auf dem Firmen-Bewertungsportal gesprochen wurde. Sie war bei einem internen Workshop anwesend, der das Ziel hatte, den Vorwurf und die Online-Bewertung aufzuarbeiten. Geleitet wurde dieser Workshop vom Geschäftsführer, einer weiblichen Managerin und dem betroffenen Manager. Letzterer bekam die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge zu erklären. “Der Geschäftsführer und die Managerin haben dabei beide sein Narrativ verfolgt. Sie haben erklärt, dass der Kollege so etwas nie tun würde. Dass wir ihn schließlich alle kennen würden”, erklärt Sarah. Beide hätten betont, dass sie dem Kollegen glauben würden. Sarah empfand das als sehr problematisch, “denn schließlich waren sie nicht dabei und wissen nicht, was stimmt und was nicht.” Für Sarah war nach diesem Workshop klar: “Wenn mir so etwas passiert wäre, würde ich mich jetzt noch weniger trauen, etwas zu sagen.”

Auch der Geschäftsführer wurde im Zuge der Recherchen zu diesem Artikel befragt, ob er je mitbekommen hat, dass eine Mitarbeiterin von einem männlichen Kollegen am Po berührt wurde. Entgegen der Aussagen der Kontaktpersonen, kam es laut CEO zu lediglich einem Vorfall, der allerdings aufgearbeitet wurde:

“Es gab einen solchen Vorfall im Jahr 2019, zu dem wir eine klare Haltung haben und der unter der Leitung eines nicht betroffenen weiblichen Mitglieds des Management-Teams gemeinsam mit allen Beteiligten sofort nach Meldung des Vorfalls besprochen wurde. Solche Körperberührungen sind absolut inakzeptabel. Der Vorfall wurde aufgeklärt und auch mit Protokollen dokumentiert. Die Entschuldigung des Mitarbeiters wurde von der Mitarbeiterin angenommen. Die ins Vertrauen gezogene Kollegin aus dem Management hat die vom Vorfall betroffene Kollegin – nach intensivem Austausch – konkret angesprochen, ob der Vorfall aus ihrer Sicht geklärt ist, was die Kollegin bejahte.”

Sarah ist außerdem eine von vielen Kontakten, die im Zuge der #growrespect-Recherchen auf unangenehme Beobachtungen im Arbeitsalltag verweist. Sie selbst habe zwar keinen körperlichen Übergriff erlebt, allerdings habe sie sich als Mitarbeiterin oft sehr unwohl gefühlt. Ihre Wahrnehmungen erklärt Sarah wie folgt:

“Ich habe häufig eine Verniedlichung der weiblichen Mitarbeiterinnen wahrgenommen, dabei wollte ich immer gern für meine Leistung gesehen werden. Auf unserer Weihnachtsfeier wurden einmal verschiedene Preise vergeben. Meine Kolleg:innen haben einen Award für den besten Manager oder die beste Beraterin des Jahres bekommen. Ich habe einen Award für mein Lächeln erhalten, weil ich immer so gute Laune mitbringe. Aber was hat mein Lächeln mit meiner Arbeit oder meiner Leistung zu tun?”

Inzwischen ist Sarah klar, dass sie damit auf ihr Äußeres reduziert wurde. “Mein Manager hat das damals übrigens genauso gesehen”, sagt sie. 

“Das sind alles Buben, die du dir da aussuchst. Du brauchst mal einen älteren Mann”

Ein weitere ehemalige Mitarbeiterin, die Grenzüberschreitungen erlebt hat, ist Helena. In der Zeit, als sie in der PR-Agentur arbeitete, war es noch üblich, dass Mitarbeiterinnen mit unpassenden Spitznamen angesprochen wurden, erklärt sie. Ihr Chef begrüßte sie beispielsweise einmal als “Prinzessin” im Lift. Ein anderes Mal ging Helena ins Büro des Geschäftsführers, um etwas mit ihm zu besprechen. Noch bevor sie ihr Anliegen aussprechen konnte, rief dieser: “Na, du bist heute aber ein heißer Feger!” Das war ihr unangenehm, doch sie blieb zunächst sprachlos und wechselte dann das Thema zu ihrem beruflichen Anliegen. 

Den raschen Themenwechsel habe sie auch bei einem Gespräch auf der Weihnachtsfeier gesucht. Zuvor hatte Helena mit einer Kollegin über ihren Liebeskummer gesprochen. Das schien ihr Chef mitbekommen zu haben. “Er hat mich auf meinen Liebeskummer angesprochen und begonnen mir zu erklären, dass das alles Buben sind, die ich mir da aussuche und dass ich mal einen älteren Mann brauche. So etwas vom eigenen Chef zu hören, ist einfach sehr unangenehm”, meint sie.

Ein anderes Erlebnis, das ihr bis heute im Gedächtnis blieb, geschah an einem gewöhnlichen Arbeitstag in der Büroküche. Dort stand sie mit ihrem Geschäftsführer und einem anderen Kollegen aus dem Management. “Der Kollege hat mir im Vorbeigehen auf den Hintern geschnipst. Ich war so perplex, dass ich in dem Moment nur ‘Hey!’ gesagt habe. Der Kollege ist kichernd davongelaufen”, erzählt Helena. 

Ihr Chef, der daneben stand und alles beobachtet hatte, sei anschließend auf sie zugekommen und habe gefragt, ob er den besagten Kollegen auf den Vorfall ansprechen soll. “Ja, natürlich”, habe sie darauf geantwortet und hielt bereits die Frage an sich für unnötig. Der Chef habe den Vorfall dann aber vor ihr relativiert: Es sei nur ein Bubenscherz gewesen und der Kollege würde es nicht so meinen, wenn er das mache. “Ob mein Chef dann tatsächlich mit dem Kollegen gesprochen hat, weiß ich nicht. Dieser kam zumindest nie auf mich zu, um sich zu entschuldigen”, erinnert sich Helena im #growrespect-Gespräch.

Auf brutkasten-Anfrage, ob er mitbekommen habe, dass Mitarbeiterinnen von männlichen Kollegen am Po berührt wurden, bestätigt der Geschäftsführer allerdings nur “einen solchen Vorfall im Jahr 2019”. Dabei dürfte es sich um den vorher geschilderten Fall von Anna handeln. Davon unabhängig bestätigt der Geschäftsführer “eine unpassende körperliche Berührung eines Mitarbeiters bei einer Mitarbeiterin”, die im Management-Team sowie mit den Beteiligten besprochen und geklärt werden konnte. Auch arbeitsrechtliche Konsequenzen im Wiederholungsfall seien definiert und ausgesprochen worden. Ob sich der Geschäftsführer dabei auf den von Helena geschilderten Fall bezieht, ist unklar.

Die Mutter habe ihn zum Feministen erzogen

Auch eine weitere Mitarbeiterin, Linda, hielt den Geschäftsführer von Anfang an für einen außergewöhnlichen Chef. Das begründet sie unter anderem damit, dass er sehr viel Privates mit Beruflichem vermische. Die Kosenamen gegenüber Angestellten fielen auch Linda schnell auf. Anfangs sei es noch üblich gewesen, dass man “Schatz” oder “Prinzessin” genannt wurde. Das habe nach interner Kritik aber aufgehört. 

Außerdem habe der Chef stets darauf bestanden, dass man vor ihm gehe, vor ihm in den Aufzug steige oder dass er einem in den Mantel helfe. Das ist für Linda grundsätzlich nichts Schlechtes, betont sie im brutkasten-Gespräch. Der Geschäftsführer habe das aber immer so übertrieben gemacht, dass es unangenehm wurde. “Diese Punkte haben wir in einer anonymen Mitarbeiter-Umfrage angemerkt. Darauf hat er sehr cholerisch reagiert und meinte: Wenn man das an ihm kritisiere, beschimpfe man seine Mutter, denn sie habe ihn zum Feministen erzogen”. Linda habe es generell schwierig gefunden, negative Kritik zu äußern.

Wie Helena erzählt auch Linda von einem Moment in der Küche der Agentur. An einem Tag trug sie ein schwarzweiß gestreiftes Oberteil mit einem aufgedruckten Kussmund auf der linken Seite. “Bei so einem T-Shirt kann ich dir ja nur auf den Busen schauen”, habe ihr Chef zu ihr gesagt, als die beiden alleine in der Küche standen. “Ich habe das T-Shirt danach weggeworfen”, erinnert sich Linda.

Auf die Frage, ob er äußere Merkmale seiner Mitarbeiterinnen kommentiert habe, die sich auf deren Intimsphäre bezogen, antwortet der Geschäftsführer dem brutkasten:

“Im Rahmen unserer Feedbackkultur haben mein Team und ich stets nur auf jene Punkte aufmerksam gemacht, die im Zusammenhang mit unserem professionellen Auftreten als Berater*innen stehen. Dies wurde – in allen Fällen, die jedoch selten aufgetreten sind – im Rahmen eines konstruktiven Gesprächs gemeinsam mit den jeweiligen direkten Personalverantwortlichen besprochen und geklärt.”

“Wenn der Chef einen an der Hüfte berührt, ist man halt die, die mit dem Chef vögelt”

Im Zuge der Recherchen spricht auch Nora – eine ehemalige Mitarbeiterin, die sagt, dass sie selbst für einige Zeit lang in einer intimen Beziehung mit dem Geschäftsführer war. Im Unternehmen sei die Beziehung allerdings nicht offiziell gewesen. Zum Arbeitsalltag erklärt sie: “Es ist Teil der Agentur-Kultur, dass die Beziehungen dort sehr nah sind”, erklärt sie. Im Laufe der Zeit und durch übermäßig viele gemeinsame Projekte, die sich auch abseits der üblichen Arbeitszeiten bewegt haben, habe sich Schritt für Schritt eine private Beziehung entwickelt.

Doch im Arbeitsalltag brachte dies Probleme mit sich. Der Chef habe sie in Kundengesprächen an der Hüfte berührt und sie zu sich herangezogen. Das war ihr unangenehm: “Ich habe ihm oft gesagt, dass ich das in der Agentur und vor den Kunden nicht möchte. Denn dann ist man halt die, die mit dem Chef vögelt und deshalb dorthin kommt, wo man ist – und nicht aufgrund der eigenen Kompetenz.” Irgendwann sei es dann auch dazu gekommen, dass Kunden mit witzelnden Kommentaren reagierten. 

Die Beziehung zu ihrem Chef beendete Nora nach einiger Zeit und brach mit ihrem Jobwechsel auch den Kontakt zu ihm ab. Heute hinterfragt sie einiges an der Beziehung, aber auch am Umgang in der Agentur – besonders wenn es darum geht, Kritik zu äußern oder Probleme anzumerken. 

Feedback-Kultur für Sonnenkönige

“Die Feedback-Kultur im Unternehmen war sehr einseitig. Eher von den oberen Positionen abwärts”, erklärt Nora rückblickend. Diese Wahrnehmung überschneidet sich mit nahezu jeder anderen Quelle, die im Zuge der Recherchen mit dem brutkasten sprach. “Leider ist der Chef nicht gut mit Kritik umgegangen. Er hat immer zu Feedback eingeladen, wenn es dann aber negativ ausgefallen ist, ist er damit nicht gut zurechtgekommen”, sagt eine andere Kontaktperson. 

Der Geschäftsführer der PR-Agentur dürfte dazu eine andere Wahrnehmung haben: In seiner Stellungnahme gegenüber brutkasten betont er wiederholt das Thema Feedback-Kultur. Er verweist darauf, dass eine anonyme Meldeplattform, der Code of Conduct und Feedbackregeln im Unternehmen kontinuierlich ausgebaut und weiterentwickelt würden. 

Es drängt sich allgemein die Frage auf, was es mit der Unternehmenskultur macht, wenn Angestellte eine problematische Feedback-Kultur wahrnehmen, in der negative Kritik anscheinend wenig bis gar nicht angenommen wird. Außerdem stellt sich generell die Frage, wie schnell ein lockerer, familiärer Umgang unter Kolleg:innen eine individuelle Grenze überschreiten kann.

Eine der Quellen verwies auf einen weiteren Aspekt: Männer wie der Geschäftsführer seien in einer Zeit sozialisiert worden, in der kaum Bewusstsein für Geschlechterungleichheit existierte. Die Frage sei, ob man sich dem stelle und sich hinterfrage: “Ob man signalisiert, dass man offen und dankbar ist für Feedback. Das ist etwas, das manche Menschen einfach nicht haben. Und Sonnenkönige haben meist keine Feedbackgespräche.”


Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz: Bis heute fehlt in Österreich das Wissen und die Aufklärung darüber, dass Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zivilrechtlich geschützt sind. Hier könnt ihr euch informieren und kostenlos beraten lassen.


DisclaimerMit unserer Inititative #growrespect möchten wir für die Themen Sexismus und auch sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag sensibilisieren. Dabei wollen wir investigativen Journalismus leisten und sowohl als Informationsplattform, als auch als Austauschplattform für betroffene Personen auftreten.

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Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Eine Download-Möglichkeit befindet sich am Ende des Artikels.


Das Linzer Startup Diamens entwickelt einen nicht-invasiven Selbsttest zur Diagnose von Endometriose. In den folgenden Zeilen liest sich ihre Geschichte über Hürden rund um Entwicklung und Zulassung eines Medizinproduktes sowie eine Forderung nach mehr Unterstützung für Medtech-Startups.

400 Millionen Frauen sind erkrankt.

Bei Endometriose handelt es sich um eine Krankheit, bei der Schleimhaut um die Gebärmutter und sogar um umliegende Organe wuchern kann. Das bewirkt bei Betroffenen Schmerzen, irreguläre und starke Begleitsymptome, eine deutlich reduzierte Lebensqualität bis hin zu Unfruchtbarkeit. Bislang kann man Endometriose nicht ohne Operation leistbar diagnostizieren. Heilmittel gibt es keine. Weltweit ist jede zehnte Frau betroffen. Das entspricht 400 Millionen Frauen, wobei ein hohe Dunkelziffer vermutet wird.


„Das stärkste, das Sie im Sortiment haben, bitte.“ Die Augen der Dame hinter der Theke vergrößern sich. Das stärkste. Schon wieder? „400 Milligramm, 800 Milligramm. Egal – das stärkste, das sie haben.“ Die Apothekerin wundert sich, dass Lisa alle dreieinhalb Wochen um die stärkste Dosis Ibuprofen fragt.

„Derzeit haben wir nur die 400erDosis im Sortiment. Reicht das?“ Lisa kneift die Augen zusammen. Ein Stich zieht sich durch ihren Unterleib. „Ja, ist okay. Kann ich davon zwei auf einmal nehmen?“ Lisas Fall ist keine Seltenheit. Sie ist wie sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter. Einmal im Monat steht ihre Welt für fünf bis sieben Tage kopf; manchmal sind es auch zehn.

„Danke – bis in drei Wochen“, bringt Lisa noch über die Lippen, bevor sie die außergewöhnlich schwere Apothekentür nach außen aufdrückt. Sie verzieht das Gesicht. Noch ein Stich. Das Ibu muss schnell wirken, sonst schafft sie es nicht nach Hause. Ihr Unterleib krampft, sticht, schmerzt. Sie hockt sich auf den Gehsteig, fummelt ihre Wasserflasche aus der Tote-Bag und drückt sich zwei rosa Tabletten aus dem silbernen Alu-Blättchen. Drei Schlucke und die Tabletten sind unten. „Bitte macht schnell“, flüstert Lisa in ihren Schoß. Ihr Kopf ist nach unten geneigt, ihr wird schwarz vor Augen.

Was Lisa erlebt, ist weit mehr als herkömmlicher Periodenschmerz. Überdies ist es schon ein Warnzeichen, dass Frauen einen Schmerz, der alle vier Wochen an die Tür klopft und erst nach fünf bis sieben Werktagen wieder verschwindet, als herkömmlich bezeichnen.

Lisa hat nicht nur ihre Periode, sie hat auch Endometriose. So wie jede zehnte Frau auf der Welt. Viele der Betroffenen wissen es nicht, viele wollen es nicht wahrhaben, viele haben Angst vor der Diagnose und ihren Folgen.

Endometriose muss man nämlich immer operieren, um sie diagnostizieren und dann eventuell therapieren zu können. Eine Heilung ist nicht möglich. Minimal oder nicht invasive Diagnosemethoden gibt es bislang erst eine: Ein Speichelabstrich für 800 Euro – die Krankenkassa übernimmt davon nichts.

Zur Diagnose braucht es also eine Operation. Und mit einer ist es meistens nicht getan: Bei jeder zweiten Patientin können innerhalb von fünf Jahren nach der OP neue Endometrioseherde auftreten. Denn bei Endometriose wuchert die Schleimhaut rund um die Gebärmutter. Manchmal strahlt die Wucherung auch auf Darm, Blase und andere Organe aus. Das verstärkt die Symptome und macht die Krankheit meistens intensiver, kann Diagnosen verfälschen und den Leidensweg der Betroffenen intensivieren. Konkret: Unterleibsschmerzen, Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzen beim Sex. Und: Unfruchtbarkeit.

Im Jahr 2022 wurde bei Lisa nach einem mehrjährigen Leidensweg Endometriose diagnostiziert. Eine Operation hat sie schon hinter sich. Seither haben sich die Schmerzen beruhigt; auch, wenn ihr ihre Periodenkrämpfe hie und da unnormal intensiv erscheinen. Zum Arzt will sie vorerst nicht wieder. Sie manifestiert: „Es sind nur Periodenschmerzen.“ Lisa ist eine reale Person und will anonym bleiben. Ihre Situation gleicht allerdings Zigtausenden anderen.

Warum Endometriose genau entsteht, ist bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Ohne Operation lässt sich in den meisten Fällen nichts sagen. Ein Ultraschall hilft wenig, denn die wuchernde Schleimhaut schwillt unregelmäßig an und ab.

Wertlos?

“Das kann’s nicht sein. Das kann es einfach nicht sein! Es gibt zu allem und jedem Studien und Forschungsergebnisse, aber zu Endometriose nicht”, meint Clara Ganhör. Sie ist Co-Founderin eines Linzer Startups, das Frauen wie Lisa helfen möchte. Das Team von Diamens arbeitet an einem nicht invasiven Endometriose-Test.

Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Es gibt eine extreme Lücke, was Daten von Frauen betrifft“, erklärt Clara. Untersuchungen zeigennämlich: Eine Vielzahl an Studien inkludiert weibliche Probandinnen nicht. Weibliche Zellen werden oft auch bei Zellkulturversuchen in Laboren ausgeschlossen.

„In Summe führt das dazu, dass wir einen Gender Data Gap haben. Viele Normen und viel Wissen zu typischen Erkrankungszeichen basieren auf den Daten von Männern“, erklärt Clara. Das bringt Nachteile im Hinblick auf die Gesundheit von Frauen: „Angefangen von falscher Interpretation bei Symptomen, etwa bei einem Herzinfarkt, bis hin zu falscher Medikamentendosierung.“

Dementsprechend seltener wird auch das Blut von Frauen in Studien verwendet. Der Grund: „Dessen Zusammensetzung divergiert je nach Zyklusphase. Bei Tierversuchen werden hauptsächlich männliche Mäuse verwendet. Denn weibliche Mäuse haben einen Zyklus und das bringt keine konsistenten, sondern zyklusabhängige Ergebnisse – und damit natürlich eine riesengroße Lücke an Daten“, merkt Clara weiter an.

„Stell dir vor, jeder zehnte Mann hätte monatlich solche Schmerzen. Was würde dann passieren? Wir hätten sicherlich keinen Gender Data Gap mehr und viel mehr Grundlagenforschung zu Endometriose. Es gäbe klinische Studien dazu und schon lange eine nicht invasive Diagnosemethode“, so die Co-Founderin.

Das will sie sich nicht länger gefallen lassen. Sie ist Grundlagenforscherin in der Biomedizin und lebt in Linz. Sie selbst ist nicht von Endometriose betroffen – aber sie will es Frauen wie Lisa ersparen, sich für eine Diagnose gleich unters Messer legen zu müssen. Deshalb hat sich Clara drei ihrer Kolleginnen an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) in Linz angeschlossen.

Das Team von Diamens (v.l.n.r.): Clara Ganhör, Marlene Rezk-Füreder, Angelika Lackner, Peter Oppelt und Eva Scharnagl (c) Diamens

Alle vier forschen aktuell am dortigen Zentrum für Medizinische Forschung an ihren Doktorarbeiten in den Bereichen Gynäkologie, Pathophysiologie, Tumorforschung und Dermatologie. Gemeinsam mit Peter Oppelt, Professor für Gynäkologie und Leiter des Endometriosezentrums am Kepler Universitätsklinikum (KUK), will das Team eine Lösung finden, um Endometriose nicht-invasiv zu diagnostizieren.

Aus dem Willen der jungen Doktorandinnen entstand ein Weg, aus dem Weg mittlerweile ein Startup – nämlich das FemtechStartup Diamens. CEO und Co-Gründerin Marlene Rezk-Füreder ist ausgebildete Molekularbiologin; an ihrer Seite sind die Chemikerin Clara Ganhör, die Physikerin Angelika Lackner und die medizinische Biologin Eva Scharnagl.

Offiziell steht Diamens seit dem 15. November dieses Jahres im Firmenbuch. „Marlene hat angefangen, Studien zu Endo metriose neu zu analysieren. Sie hat alle bestehenden Daten zusammengefasst, neu ausgewertet und Biomarker im Blut von Menstruierenden mit Endometriose gesucht“, erzählt Clara über die ersten Forschungsschritte.

Biomarker sind Substanzen, die bei Betroffenen einer Krankheit häufiger vorkommen als bei Gesunden. „Menstruationsblut ist so nah an Endometriose dran. Es besteht aus Blut und aus Gebärmutterschleimhaut, die so ist wie jene, die bei Endometriose wuchert. Wir verwenden so oft venöses Blut beim Arzt und beim Blutabnehmen; Menstruationsblut aber wird immer als Abfallprodukt gesehen. Bislang gibt es noch keinen diagnostischen Test, der auf Menstruationsblut basiert.

Diamens arbeitet an einer nicht-invasiven Methode zur Diagnose von Endometriose – basierend auf Menstruationsblut. (c) Diamens

Und das finden wir extrem schade, denn dieses Blut kann uns so viel sagen.“ Selbsttest Das fünfköpfige Team entwickelt einen Test, der Endometriose auf Basis des Menstruationsbluts diagnostiziert. Der Plan: Bei Krankheitsverdacht können sich Frauen ein Testkit von Diamens in der Apotheke oder online kaufen; mit dem Kit wird Menstruationsblut gesammelt, in Probenröhrchen stabilisiert und dann in einem Briefkuvert per Post an ein Partnerlabor von Diamens geschickt.

Das Testergebnis kommt innerhalb weniger Tage per Mail zurück. Der Prototyp des Produkts steht, der Launch soll 2027 erfolgen. Gestartet hat das Forschungsteam bereits vor zweieinhalb Jahren. Mittlerweile konnte Diamens beweisen, dass Biomarker im Menstruationsblut funktionieren und auch der Prototyp anschlägt, aber: „Wir würden nie behaupten, dass die Forschung abgeschlossen ist. Diamens ist eine laufende Entwicklung. Jetzt braucht es klinische Studien und eine Sammlung an Menstruationsblut von Gesunden und Erkrankten.“

Bis zum Launch heißt es also, das Medizinprodukt mit viel Geduld zu zertifizieren. Denn das dauert. „Und das ist – zum Glück – nicht so einfach wie vor 20, 30 Jahren. Ein Medizinprodukt muss sicher sein“, meint Clara. Gleichzeitig ist die Zulassung und Zertifizierung allerdings eine große finanzielle Hürde. Im nächsten Jahr will das Team den Prototyp weiter optimieren. Biomarker werden im finalen Produkt noch einmal validiert, damit genauer feststeht, wie spezifisch und sensitiv der Test ist. Erst dann wird zertifiziert.

Der Markteinführung steht nicht nur der lange Zulassungsprozess im Weg, sondern auch fehlende Daten in der Gesundheitsforschung rund um Frauengesundheit. „Der Gender Gap in der Forschung hat uns immer schon gestört; schon damals, als wir angefangen haben, an unseren Doktorarbeiten zu forschen. Daten von Frauen werden so selten in der Forschung berücksichtigt, denn der Zyklus könnte ja ‚nicht zu den Ergebnissen passen‘“, sagt Clara. „Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent der 14- bis 49-Jährigen.“

„Frauen haben einen Zyklus. Das ist halt einfach so. Das ist kein Ausreißer und keine Lücke, sondern das betrifft gut 50 Prozent aller 14-bis 49-Jährigen.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Schamgefühl

Das Thema Frauengesundheit ist allerdings kein viel diskutiertes – schon gar nicht in der Business-Bubble, meint Clara: „In der StartupSzene sind wir viel häufiger von Männern umgeben. Da macht es uns schon Freude, mal über ein Thema zu reden, über das unsere männlichen Kollegen bislang noch eher selten geredet haben. Da erklärst du die Symptome von Endometriose, plötzlich geht es um Menstruation, Schmerzen beim Sex und Unfruchtbarkeit. Und wenn du dann vor Männern stehst und ‚Periode‘ und ‚Sex‘ sagst, kommt meistens ein ‚Oh mein Gott!‘ zurück – oder Wangen werden rot. Dann merkt man, dass da ein Schamgefühl mitschwingt und das Thema im Businesskontext ein Tabu ist.“

Aktive Missionsarbeit leistet Diamens dabei gar nicht gezielt, sondern organisch: „Warum sollen wir in unserem Pitch Deck andere Begriffe als Menstruation, Blut oder Sex verwenden? Warum sollte das ein Tabu sein? Niemand muss deshalb rot anlaufen oder sich verlegen räuspern, niemand muss Blickkontakt vermeiden. Das ist die Realität, die endlich normalisiert und zum Gegenstand der Forschung gemacht gehört“, so Clara. Neben Räuspern und roten Wangen sammelt Diamens aber auch andere Erfahrungen: „Wir sind immer wieder erstaunt, wie viele Menschen nach einem Pitch auf uns zukommen und sagen, dass bei der Partnerin oder einer guten Freundin Verdacht auf Endometriose vorliegt. Wir merken, dass das Thema viele bewegt, die unseren Pitch hören. Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, oder ihren Angehörigen. Unser Thema ist kein Wellness-Thema. Es betrifft so viele, wird aber so selten vor den Vorhang geholt.“

„Teilweise stecken extreme Leidensgeschichten hinter den Menschen, die im Investor:innenBoard sitzen, aber nicht darüber reden.“

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

Selten vor den Vorhang geholt wird auch die Summe an Geld, die Clara und ihr Team zur Produktentwicklung benötigen. Bekannterweise haben Medizinprodukte rund um Forschung, Zulassung und Zertifizierung einen relativ langen Entwicklungsweg. „Dafür braucht man einen ziemlich hohen Betrag“, meint Clara.

Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung

Clara Ganhör, Co-Founderin von Diamens

„Alleine ISO-Normen kosten sehr viel Geld; genauso wie die Beratungsleistungen, die man dazu in Anspruch nimmt. Wir sprechen hier nicht von Hunderten, sondern von Tausenden Euros. Das hindert so viele Startups daran, klinische Studien durchzuführen. Ein großes Unternehmen kann diesen Kostenpunkt meist viel leichter stemmen. Da wäre aus unserer Sicht eine gezielte Förderung für Studien gut; oder Zulassungsstellen verlangen bei Startups geringere Summen“, so Clara.

Forscherseele

„Aus der Forscherseele gesprochen sehe ich es positiv, dass es Hürden zur Zulassung gibt; dass man ein Medizinprodukt nicht ‚einfach so‘ schnell auf den Markt bringen kann“, meint Clara weiter.

„Allerdings braucht es auch schon ewig, um überhaupt herauszufinden, in welche MedizinproduktKlasse wir fallen; es braucht ewig, bis wir einen Zulassungsberater finden, den wir uns leisten können. Und es braucht ewig, bis wir wissen, wie eine klinische Studie zu unserem Thema ausschauen darf. Diese Informationen sind nicht gut zugänglich oder kosten enorme Summen.“

Finanziert hat sich das Startup bislang über Förderungen des oberösterreichischen Inkubators tech2b. Diamens war auch Teil des aws First Incubators und des #glaubandich Accelerators der Sparkasse Oberösterreich; weitere Förderungen stehen in Aussicht.

Auch mit Investor:innen sei man im Gespräch: „So ehrlich muss man sein: Ein Medizinprodukt entwickelt sich nicht über eine einzelne Förderung. Das Gesamtvolumen, das benötigt wird, ist extrem groß“, sagt Clara. Der rein wirtschaftliche Nutzen steht damit – zumindest kurzfristig – infrage: „Bis es uns erlaubt ist, unser Produkt zu verkaufen und Umsätze zu machen, müssen wir ein sehr großes Investment aufnehmen, das für viele Investor:innen unattraktiv ist. Das geht in anderen Ländern einfacher.“ Investor:innen sucht das Startup deshalb auch über europäische Grenzen hinweg.

In Österreich bleiben will Diamens vorerst allerdings schon. Markttechnisch will man sich auf Österreich und Deutschland konzentrieren. Irgendwann soll der Diamens-Selbsttest auch europaweit oder sogar global erhältlich sein.

Schmerzverzerrt

Der Prozess gestaltet sich schwierig, die Hürden sind groß und die finanziellen Mittel klein. Warum Clara und ihr Team dennoch an Diamens festhalten? Damit es Menschen, die wie Lisa schmerzverzerrt am Gehsteigrand hocken und auf den IbuKick warten, schneller besser geht. Damit Menschen wie Lisa schnell Klarheit über ihre Gesundheit erlangen. Doch damit es auch Menschen wie Clara und ihren Kolleginnen leichter fällt, jeder zehnten Frau auf der Welt bei der Diagnose von Endometriose zu helfen, braucht es Rahmenbedingungen, wie wir sie aktuell noch nicht vorfinden.

„Es braucht klare und effektive Prozesse, offene Kommunikation und leichter erhältliche Informationen, die nicht nur von teuren Zulassungsberatern kommen, sondern öffentlich zugänglich sind. Es braucht geringere finanzielle Hürden für Medtech-Startups, ja, vielleicht braucht es sogar ein Startup-Budget. Überprüfung, Regulierung und Zertifizierung sind nichts Schlechtes – eine Umschichtung finanzieller Mittel allerdings auch nicht.“

Immerhin arbeiten Clara und ihr Team für knapp 50 Prozent der Bevölkerung: „Wir merken wirklich jeden Tag, dass diese Zahl ‚eine von zehn Frauen‘ real ist. Eine von zehn Frauen weltweit belastet diese Krankheit im täglichen Leben. Und weit mehr Frauen leben täglich in der schmerzenden Ungewissheit, ob sie an Endometriose erkrankt sind oder nicht.“

Für die Zukunft hat Clara deshalb einen ganz besonderen Wunsch: „Dass bei jedem Stammtisch und bei jedem Startup-Event so offen über Themen der Frauengesundheit und Female Technology geredet wird wie über alles andere auch. So viele geniale Menschen arbeiten im Femtech-Bereich, und trotzdem werden wir behandelt, als wären wir eine Nische. Sind wir aber nicht. Wenn wir also das nächste Mal die Worte ‚Periode‘, ‚Menstruationsblut‘ oder ‚Unfruchtbarkeit‘ in den Mund nehmen, braucht es kein ‚Oh Gott‘, sondern Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung.

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