13.05.2020

Wie viel ist dein Startup wert?

Spätestens wenn neues Kapital benötigt wird, stellt sich jeder Selbständige die Frage, wie viel das eigene Unternehmen aktuell wert ist. Denn dieser Wert bestimmt unter anderem auch, wie viele Anteile man für frisches Kapital an einen Investor abgeben muss.
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(c) envato

Es gibt viele Gründe, warum es für Gründer im Vergleich zu etablierten Firmen besonders schwer ist, den genauen Unternehmenswert ihres Start-ups zu ermitteln. Umso wichtiger ist es für sie, zumindest eine realistische Vorstellung vom eigenen Unternehmenswert zu haben. Denn jedes Prozent, das Gründer in Frühphasen ihrer Entwicklung zu viel abgeben, kann einmal Hunderttausende oder gar Millionen Euro wert sein. Wir zeigen, wie du dir einen realistischen Überblick über den Wert deines Start-ups verschaffst.

Bei etablierten Unternehmen werden in der Praxis meist sog. Ertragswert- oder Discounted-Cash-Flow-Methoden zur Ermittlung des Unternehmenswertes verwendet. Diese beruhen auf der intuitiven Logik, wonach jeder Investor für das Bereitstellen von Kapital eine entsprechende Rendite erwartet. Die Renditeerwartung richtet sich dabei nach dem Risiko, das er mit seinem Investment eingeht. Bei einem Investment in ein Start-up erwarten Investoren somit eine deutlich höhere Rendite als bei einem bereits etablierten, weniger risikoreichen Unternehmen.

Zur Bestimmung des Unternehmenswertes werden zukünftige Cash Flows, also Auszahlungen an den Investor, auf den heutigen Zeitpunkt abgezinst. Diese Cash Flows können beispielsweise durch laufende Gewinnausschüttungen, den Verkauf von Unternehmensanteilen oder einen Börsengang generiert werden. Durch das Abzinsen oder Diskontieren wird der heutige Wert dieser zukünftigen Cash Flows bestimmt. Dies erlaubt es also, den Wert zukünftiger Auszahlungen auf den heutigen Tag umzurechnen und damit vergleichbar zu machen. Somit bestimmen die prognostizierten Cash Flows und die erwartete Rendite, wie viel das Unternehmen heute wert ist.

Keine zwei Start-ups sind gleich

Je nach Art des Start-ups spielen ganz unterschiedliche Aspekte bei der Wertermittlung eine Rolle. Dies beginnt schon bei der Frage, welches die Werttreiber des Start-ups sind. Bei einem klassischen Retailprodukt, wie einem neuen Smoothie, sind dies sicherlich auch klassische Werttreiber wie Umsatzwachstum, Margen etc.

Der Wert einer neuen Gaming-App wird hingegen eher von Download- und Nutzerzahlen abhängen. Bei einem Biotech-Start-up kann der wesentliche Werttreiber wiederum in den vorhandenen Patenten oder Technologien liegen. Dies alles sind zwar sehr unterschiedliche Werttreiber, letztlich münden sie aber alle in der gleichen Frage: Wie viel Geld lässt sich mit dem Smoothie, mit der Gaming App, mit der neuen Technologie oder mit den Patenten verdienen?

Natürlich verschafft eine innovative, im besten Fall geschützte Technologie einem Start-up einen Wettbewerbsvorsprung. Und natürlich sind Skalierbarkeit, Disruption, Netzwerkeffekte, Internationalisierbarkeit und nicht zuletzt das Gründerteam entscheidend für die Unternehmensbewertung eines Start-ups. Dennoch sind dies alles Bedingungen und Eigenschaften, welche sicherstellen sollen, dass ein Unternehmen langfristig möglichst hohe Gewinne generiert.

So wird’s gemacht!

Wo liegt der Mehrwert für den Kunden? Warum und wie viel ist der Kunde bereit für das neue Produkt zu zahlen? Wie kann das Start-up möglichst schnell wachsen? Was ist der USP des Start-ups? Wer sind die Wettbewerber? Wie groß ist der Vorsprung vor den Wettbewerbern und wie kann dieser ausgebaut werden? All diese Fragen müssen Gründer beantworten können. Diese Antworten müssen sich auch im Businessplan wiederfinden, welcher die Basis einer fundierten Unternehmensbewertung bildet.

Discounted-Cash-Flow-Verfahren

Die methodische Grundlage der Start-up-Bewertung liegt im bewährten Discounted-Cash-Flow-Verfahren. Dabei ist es entscheidend, systematisch durch den Bewertungsprozess zu gehen und in jedem Schritt die Besonderheiten des Start-ups zu berücksichtigen. Die zwei tragenden Säulen einer systematischen Unternehmensbewertung stellen die prognostizierten zukünftigen Cash Flows und der unternehmensspezifische Abzinsungssatz dar, mit welchem die Cash Flows auf den heutigen Tag diskontiert werden.

Bei der Prognose zukünftiger Cash Flows ist es wichtig, nicht allein Umsatz und Gewinn zu schätzen, sondern auch die dazwischenliegenden Kennzahlen, wie operative Kosten, Investitionskosten, Steuern etc. zu bestimmen. Nur so können Gründer eine für den Investor nachvollziehbare Gewinnableitung sicherstellen. Gerade für Start-ups ist es dabei wichtig, einen ausreichend langen Planungshorizont zu haben. Auch wenn es deutlich schwerer fällt, den Umsatz in fünf Jahren zu schätzen als für das nächste Jahr, ist eine gewisse Unsicherheit einem zu kurzen Planungshorizont immer vorzuziehen.

Orientierungshilfen für die einzelnen Kennzahlen lassen sich dabei häufig in branchenspezifischen Marktstudien und bei anderen Unternehmen finden. Grundsätzlich gibt es zwei Vorgehensweisen, die der Prognose der Geschäftszahlen dienen.

Top-down-Ansatz und Bottom-up-Ansatz

Beim Top-Down-Ansatz werden Umsatzzahlen über Marktgröße, Marktwachstum und den angestrebten Marktanteil abgeleitet. Dieser Ansatz ist vor allem für Start-ups wie beispielsweise Software-Unternehmen geeignet, die keinen wesentlichen Kapital- oder Produktionsbeschränkungen unterliegen. Beim Bottom-up-Ansatz starten Gründer mit einer Schätzung, wie viel produziert bzw. verkauft werden kann und leiten hiervon Umsatz, operative Kosten, Investitionskosten etc. ab.

Dieser Ansatz ist für Start-ups geeignet, die etwa durch Produktions- oder Kapitalbeschränkungen restringiert sind. Im Allgemeinen führt der Top-down-Ansatz zu höheren prognostizierten Umsätzen und Cash Flows als der Bottom-up-Ansatz.

Abzinsungssatz

Da der Abzinsungssatz zur Diskontierung der Cash Flows die Renditeerwartung von Investoren widerspiegelt, wird dieser über die Risikokosten der Kapitalgeber ermittelt. Hat ein Start-up bereits Fremdkapital in Form von Krediten aufgenommen, muss dies durch den Einbezug der Fremdkapitalkosten berücksichtigt werden. Viele Start-ups sind naturgemäß allerdings rein durch Eigenkapital finanziert.

Die Risikokosten hierfür werden über den sog. Betafaktor ermittelt, welcher im Falle von Start-ups sowohl das markt- wie auch das unternehmensspezifische Risiko widerspiegelt. Dieser Betafaktor wird in der Praxis durch die Analyse historischer Volatilitäten von Vergleichsunternehmen ermittelt. Grundsätzlich sollte bei der Bestimmung des Abzinsungssatzes eine Adjustierung im Zeitverlauf stattfinden. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass das Investitionsrisiko eines Start-ups über seinen Lebenszyklus abnimmt.

Terminal Value

Neben den prognostizierten Cash Flows und dem Abzinsungssatz gibt es einige weitere Faktoren bei der Bewertung zu berücksichtigen. Zum einen muss festgelegt werden, was am Ende des Prognosezeitraums mit dem Unternehmen passiert. Dies wird durch den sog. Terminal Value abgebildet, der den Unternehmenswert am Ende des Prognosenzeitraumes darstellt. Normalerweise wird hierbei von einer Going-concern-Prämisse ausgegangen, was bedeutet, dass der Terminal Value die Fortführung der Cash Flows in die Unendlichkeit reflektiert. Des Weiteren sollte eine Anpassung des Unternehmenswertes hinsichtlich eines möglichen Scheiterns des Start-ups vorgenommen werden. Hierfür können Gründer auf zahlreiche Studien zurückgreifen, die branchenspezifische Wahrscheinlichkeiten für Survival Rates auf Basis historischer Marktdaten bereitstellen.

Key Person Discount

Darüber hinaus ist gegebenenfalls ein Key Person Discount notwendig, welcher der Wahrscheinlichkeit Rechnung trägt, dass eine Schlüsselperson des Start-ups dieses verlässt. Dies wird in der Praxis oftmals über sog. Sensitivitätsanalysen dargestellt. Gibt es unterschiedliche Mitbestimmungs- oder Ausschüttungsrechte oder hat ein Investor einen Verwässerungsschutz, kann dies für die Unternehmensbewertung erhebliche Auswirkungen haben. Je nach Art und Umfang dieser Rechte bietet die Praxis unterschiedliche Verfahren und Methoden, die genauen Wertauswirkungen zu bestimmen. Letztlich sollte bei der Bewertung eines Start-ups ein Liquiditätsabschlag vorgenommen werden. Dieser trägt der im Vergleich etwa zu börsennotierten Unternehmen erschwerten Wiederveräußerung von Start-ups Rechnung. Der Abschlag für die Illiquidität eines Unternehmens wird in der Praxis dabei häufig anhand sog. Restricted Stocks Studien ermittelt.

Eine anspruchsvolle Aufgabe

Im Gegensatz zu etablierten Unternehmen weisen Start-ups Eigenschaften auf, die eine genaue Wertermittlung erheblich erschweren können:

  • Naturgemäß erzielen Start-ups geringe oder noch keine Umsätze und in den meisten Fällen auch in naher Zukunft noch operative Verluste. Somit würden die bewährten Bewertungsmethoden zu einer Abzinsung von negativen Cash Flows und letztlich zu einem negativen Unternehmenswert führen.
  • Selbst wenn ein Start-up bereits profitabel ist, verfügt es nur über eine kurze Unternehmenshistorie. Dies macht es sehr schwer, von einer Analyse der Vergangenheit auf die zukünftige Entwicklung des Start-ups zu schließen. Somit sind die prognostizierten Cash Flows mit großer Unsicherheit behaftet.
  • Viele Start-ups überleben schlichtweg nicht. Da es aber insbesondere in frühen Phasen der Unternehmensentwicklung sehr schwierig vorauszusagen ist, ob sich ein Geschäftsmodell tatsächlich durchsetzt, fügt dies weitere Unsicherheit bei einer Unternehmensbewertung hinzu.
  • Start-ups haben eine sehr heterogene Gesellschafterstruktur. Insbesondere wenn schon Investoren mit an Bord sind, sind unterschiedliche Mitbestimmungs- und Ausschüttungsrechte sowie ein Verwässerungsschutz für Investoren keine Seltenheit. Dies kann die Wertbestimmung einzelner Anteile erheblich erschweren.

Exkurs: Vorsicht vor der Venture-Capital-Methode

Viele Investoren nutzen die sog. Venture-Capital-Methode zur Ermittlung des Unternehmenswertes von Start-ups. Diese stellt eine Abwandlung der klassischen Multiple Verfahren dar. Bei der Venture-Capital-Methode wird in einem ersten Schritt der KPI des Start-ups, beispielsweise der Umsatz, für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt geschätzt. Im Falle von Venture Capital Investoren ist dieser Zeitpunkt der geplante Exit, welcher in der Regel nach drei bis fünf Jahren stattfindet.

In einem zweiten Schritt wird der prognostizierte Umsatz in Relation zu den aktuellen Umsätzen von Vergleichsunternehmen gesetzt und ein entsprechender Unternehmenswert des Start-ups zum Exit-Zeitpunkt abgeleitet. Schätzt der Investor den Umsatz des Start-ups in fünf Jahren auf 50 Mio. Euro und werden Vergleichsunternehmen mit aktuell 500 Mio. Euro Umsatz mit 400 Mio. Euro bewertet, so läge der Unternehmenswert des Start-ups folglich in fünf Jahren bei 40 Mio. Euro.

Um den heutigen Wert des Start-ups zu ermitteIn, wird in einem dritten Schritt der abgeleitete zukünftige Unternehmenswert mit einem pauschalen Zinssatz in Höhe der Renditeerwartung des Investors diskontiert. Somit erhält man den sogenannten Pre Money Value des Start-ups. Investoren erwarten dabei eine Rendite, die hoch genug ist um all ihre Risiken abzudecken. In der Praxis werden oft Zielrenditen von 50 bis 70 Prozent pro Jahr bei Early Stage Investments angesetzt. Renditeerwartungen späterer Finanzierungsrunden liegen auf Grund des geringer werdenden Investitionsrisikos normalerweise darunter.

Im letzten Schritt wird auf Basis des Pre Money Values des Start-ups die Anteilshöhe bestimmt, welche der Investor für sein Kapital erhält. Hierzu wird das frische Kapital des Investors zum Pre Money Value addiert, um so den Unternehmenswert nach Abschluss der Finanzierungsrunde (Post Money Value) zu erhalten. Der Anteil am Unternehmen, den der Investor erhält, errechnet sich durch Division des neuen Kapitals und des Post Money Value des Start-ups. Beträgt der Pre Money Value also bspw. vier Mio. Euro und sollen weitere eine Mio. Euro aufgenommen werden, würde der Investor entsprechend 20 Prozent des Unternehmens erhalten (eine Million neues Kapital zu fünf Mio. Post Money Value).

Die Schwächen der Methode

Die Venture-Capital-Methode hat sich bisher vor allem auf Grund ihrer einfachen Anwendung bei der Bewertung von Start-ups durchgesetzt. Sie ermöglicht es Gründern mit wenig Aufwand den ungefähren Wert ihres Unternehmens zu bestimmen. Jedoch bringt diese Methode zahlreiche Schwächen mit sich, welche teilweise zu erheblichen Ungenauigkeiten führen können.

Zuerst einmal müssen Gründer geeignete Unternehmen finden, deren Geschäftsmodell, Größe, Vertriebs- und Ertragsstruktur und Risikoprofil vergleichbar mit dem eigenen Start-up sind. Dies kann vor allem für junge, innovative Start-ups eine besondere Herausforderung darstellen. Da sich die Venture-Capital-Methode in der Regel auf einzelne KPIs wie Umsatz, Gewinn oder Nutzeranzahl stützt, wird der Unternehmenswert von Start-ups oftmals zum reinen „Game Playing“. So finden Gründer viele Argumente für einen rasanten Anstieg des Umsatzes oder der Nutzerzahlen. Investoren hingegen werden immer argumentieren können, dass die prognostizierte Entwicklung viel zu optimistisch und marktunüblich ist. In letzter Konsequenz können sich die Parteien in solchen Verhandlungen schnell in subjektive Rechtfertigungsschleifen verstricken statt einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Zudem ist die Methode so angelegt, dass sie den KPI des Start-ups zum Zeitpunkt des Exits schätzt und diesen in Relation zu den heutigen KPIs von Vergleichsunternehmen setzt. Hier wird eine wertbestimmende Größe wie der Umsatz des Start-ups in 3 bis 5 Jahren mit den Umsätzen der Vergleichsunternehmen von heute verglichen. Hätte man somit ein Start-up beispielsweise Mitte 2007, also vor Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise, mit der Venture-Capital-Methode bewertet, wäre man auf einen sehr hohen Wert gekommen, da die Vergleichsunternehmen vom Markt ebenfalls sehr hoch bewertet wurden. Eine Bewertung ein Jahr später, nach Einbruch der Börsenkurse von Vergleichsunternehmen, hätte sicherlich zu einem deutlich geringerem Wert geführt. Und das für ein und dasselbe Start-up. Somit ist der Wert durch Anwendung der Venture-Capital-Methode stark davon abhängig, wie hoch die Bewertung der Vergleichsunternehmen gerade ausfällt und weniger von selbst beeinflussbaren Größen.

Eine weitere Schwäche der Methode liegt darin, dass sie einen pauschalen Diskontierungssatz zur Abzinsung der zukünftigen Cash Flows verwendet. Dieser soll das gesamte Risiko eines Investors widerspiegeln. Damit gehen zwei nicht zu vernachlässigende Probleme einher. Zum einen werden alle Risiken unter einem Pauschalsatz subsummiert. Es lässt sich also nicht differenzieren, wie hoch die Risiken sind, dass sich das Geschäftsmodell nicht am Markt durchsetzt, dass ein Gründer oder eine Schlüsselperson das Start-up verlässt, welche Auswirkungen künftige Verwässerungen haben können oder wie stark die Auswirkungen einer Konjunkturkrise sind. Da diese Risiken bei Start-ups sehr unterschiedlich sein können, sollte grundsätzlich von einer Pauschalisierung der Risiken abgesehen werden. Darüber hinaus verändert sich das Risikoprofil des Start-ups über die Zeit. So nimmt das Risiko normalerweise mit der Entwicklung des Unternehmens ab. Auch dies steht einem pauschalen und über den Investitionszeitraum gleichbleibenden Diskontierungszinssatz entgegen.

Letztlich wird der Post Money Value bei der Venture-Capital-Methode durch Addition des neuen Kapitals zum Pre Money Value bestimmt. Sofern das neue Kapital oder Teile davon benutzt werden, um bisherige Investoren auszulösen, dürfen diese Teile nicht in die Berechnung des Post Money Values einfließen. Vielmehr fließt dieses Kapital nicht in das Unternehmen und trägt somit auch nicht zur Erhöhung seines Wertes bei.


Der Autor Pascal Koch ist Geschäftsführer der Münchner stratup UG, die auf die Wertermittlung von Start-ups und Wachstumsunternehmen spezialisiert ist, www.stratup.de

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Fallen für Scaleups
(c) Canva/Ferry Fischer - Wirtschafts-Coach und Sport-Mentaltrainer.

Scale-Ups sind in einem permanenten Change. Mehr Mitarbeiter:innen, immer wieder Sturkturanpassungen, laufend neue Produkte, bzw. Produktanpassungen und vieles mehr. Wenn aus dem Startup ein Scale-Up wird, sind die Founder meist (zu Recht) glücklich, denn die Idee hat gegriffen, die Investoren sind überzeugt und spendabel. Und doch ist es eine Krise, die es jetzt zu bewältigen gilt. Denn, wenn hier in zu viele Fallen getappt wird, scheitert das Unternehmen oder findet sich in unangenehmen Diskussionen mit den Investoren wieder.

In den letzten Jahren habe ich einige Scale-Ups begleitet und mit dem Thema „Change von und in Unternehmen“ beschäftige ich mich als Coach und Unternehmensberater seit 30 Jahren. Aus all den Erfahrungen habe ich die 5 Fallen des Changes für Scale-Ups definiert und gebe Tipps, wie sie vermieden bzw. bewältigt werden können.

Falle Nr. 1: Ein unpräzises unemotionales Zielbild

Motivation entsteht aus dem persönlichen Entdecken meines Lustgewinns oder meiner Schmerzvermeidung beim Erreichen des Zielbildes. Kenne oder verstehe ich das unternehmerische Zielbild des nächsten Jahres nicht, dann kann ich auch keine Motivation daraus entwickeln.

Der zählbare Erfolg des Unternehmens wird über die Mitarbeiter:innen an der Basis vorangetrieben, nicht vom C-Level. Wenn also diejenigen, die mit den Kunden Kontakt haben oder die, die Apps für die Kunden programmieren, nicht emotional vom Zielbild begeistert sind, arbeiten sie mehr für Geld (denn dort finden sie dann ihren minimalen Lustgewinn) und nicht, um das junge Unternehmen zu leuchtenden Höhen zu führen.

Lösung: Entwickle ein Zielbild für die Situation in einem, max. in zwei Jahren, das die Menschen im Unternehmen berührt und wo möglichst alle ihren Lustgewinn/ihre Begeisterung dafür finden können! Die Formulierung muss dabei nicht präzise und vollständig sein.

Das ist der Fehler, den die meisten machen. Sie formulieren ganze Absätze mit möglichst jeder Kleinigkeit, die zu erreichen ist und quetschen dadurch jede Fantasie und Emotion aus dem Bild. Es geht hier um ein klares Bild, das von allen im Unternehmen als Bild verstanden werden soll. Denn: Unser Gehirn denkt in Bildern und nicht in Worten.

Praxistipp: Entwerft euer Zukunftsszenario und lasst es von einigen ausgewählten Mitarbeit:innen challengen (ob es für sie klar ist und ob es für sie erstrebenswert erscheint). Wenn das Bild fertig ist, wird es von allen Führungskräften persönlich deren Teams präsentiert und mit ihnen besprochen. Die Führungskräfte sollten auch helfen, dass jede/r im Team den persönlichen Nutzen beim Erreichen des Bildes findet. (Frei nach Viktor Frankl: „In allem ist stets ein Sinn vorhanden, er muss jedoch von jedem Menschen selbst entdeckt werden“)

Falle Nr. 2: Zu wenig Präzision im Tracking der täglichen Fortschritte (nach dem Motto: „passt schon“)

Gerade im permanenten Krisenmanagement eines Scale-Ups hat das laufende Tagesgeschäft Vorrang. Ups – und wieder in die Falle getappt, diesmal massiv. Der Teufelskreis beginnt: Ich weiß nicht, was ich zum Erreichen des gemeinsamen Ziels beitragen kann. Ich bin aber begeistert und würde gerne was beitragen. Also mache ich mir Gedanken. Nein geht jetzt nicht, es gibt eine Anfrage. Ich sollte aber was beitragen, aber was? Ui eine neue Anfrage einer Kollegin. Usw.

Am Abend geht jede/r unbefriedigt aus dem Unternehmen, weil soviel zu tun war und mir im Stress nichts Konkretes eingefallen ist, was ich zum Ziel beitragen kann oder, weil ich nicht weiß, ob das, was ich beigetragen habe auch das ist, was hilft. Die meisten Scale-Ups haben ein OKR (Objectives and Key Results) System eingeführt, das dafür ideal wäre, aber aus meiner Sicht nicht sauber angewandt wird. Meist ist es mehr ein KPI (Key Performance Indicator – Zielerreichungs)-System als ein strategisches Umsetzungs-Tool.

Lösung: Jeder im Unternehmen hat eine tägliche(!) ToDo-Liste, wo der eigene Beitrag zum gemeinsamen Ziel definiert ist und wo sichergestellt ist, dass das der bestmögliche Beitrag innerhalb des Teams ist.

Wenn Stress da ist – und der ist ja immer da – und wenn im Change sich ständig was verändert, dann ist es wichtig, dass ich eine simplifizierte Klarheit meines Beitrags habe. Den arbeite ich zügig ab und voila, jetzt habe ich nicht nur ein gutes Gefühl, meinen Beitrag für heute schon geleistet zu haben, sondern auch noch viel Zeit für Kunden, Kolleg:innen und Unerwartetes.

Klingt simpel, ist es auch. Es braucht nur die Bereitschaft von allen im Team, dieses (saubere OKR) System aufzusetzen und die Einhaltung, bzw. notwendigen Anpassungen auch laufend vorzunehmen.

Praxistipp: Frage deine Mitarbeiter:innen, ob sie genau wissen, was sie zur Zielerreichung heute beitragen können. Wenn Unsicherheit besteht, legt die Tätigkeiten gemeinsam so präzise fest, dass ihr sie wie in einer Checkliste abhaken könnt. Merke: Ich kann heute nur erledigen, was ich mir heute vorgenommen habe, daher braucht eine Strategie Aktionen, die auch heute erledigt werden können, sonst wird die Strategie nie umgesetzt werden.

Falle Nr. 3: Es gibt aktuell gerade Wichtigeres oder Dringenderes zu tun

Das Unternehmen ist nun klar ausgerichtet mit einem emotionalen Bild, die täglichen Tätigkeiten sind festgelegt und jedem/r klar. Alle sind motiviert. Aber gerade jetzt ist was ganz Wichtiges reingekommen und die Geschäftsführung muss sich fokussiert darum kümmern. Rummms – die nächste Falle hat zugeschlagen.

80% der Changes gehen schief oder verlaufen im Sand, weil die Priorität bis zum Erreichen des Ziels nicht gnadenlos bei allen auf 1 gestanden ist. Meist beginnt das im C-Level („Der Change läuft ja eh recht gut, da können wir uns anderem widmen“).

Lösung: Der Change muss die oberste Priorität haben. Bevor andere Aufgaben erledigt werden, müssen die täglichen To-Dos im Change-Prozess bearbeitet sein. Das gilt auf allen Ebenen, vom CEO bis zu den einzelnen Teammitgliedern. Wenn der Wandel auf der Prioritätenliste nicht an erster Stelle steht, wird er im Alltag untergehen.

Meine Erfahrung dabei: wenn nur ein Teil im Unternehmen die Priorität nicht auf 1 hat, ist der Change nach recht kurzer Zeit im ganzen Unternehmen zu Ende. (ist wie ein Schimmel, der sich rasant ausbreitet. Je prominenter und höher in der Hierarchie der Schimmel startet, umso rascher die Ausbreitung).

Praxistipp: Einfordern der Prio 1 von sich selbst und allen anderen. Nach dem Motto: „heimgegangen oder Bildschirm im Homeoffice abgedreht wird erst, wenn die tägliche ToDo-Liste abgearbeitet wurde“. Disziplin ist aus meiner Erfahrung essentieller Baustein des Erfolges (siehe auch Jim Collins „From Good to Great“). Ich stelle Disziplin sicher, indem ich konsequent auf die Prio 1 aufmerksam mache und darauf bestehe. Das löst dann die Motivation „Schmerzvermeidung“ aus: Ich habe zwar heute keine Lust auf meine To-Dos, aber bevor ich mir die Diskussion mit meinem Vorgesetzten oder Kolleg:innen antue, mache ich es dann doch.

Falle Nr. 4: Mangelndes Ressourcen-Bewusstsein

„Den Willen hätt ich schon, allein mir fehlt der Glaube.“ Mephistopheles in Goethes Faust bringt’s auf den Punkt, wo es nach der Vermeidung der ersten drei Fallen dann doch noch scheitern kann.

Jetzt kommen wir zum Bereich „mentale Stärke“. Wir können nur das nutzen, was uns bewusst ist. Unsere selektive Wahrnehmung ist hier oft das Problem. Wir glauben, die (neue) Situation nicht meistern zu können, weil wir ja hier kaum eine oder gar keine Kompetenz haben. Und deshalb geben wir auf. Die gute Nachricht hier ist: Es ist (nur) eine Falle und kein echter Show-Stopper.

Lösung: Wir müssen uns unsere zur Verfügung stehenden Ressourcen bewusst machen. Sie miteinander teilen, aufschreiben, clustern und dann auswählen und anwenden. Je mehr wir für eine bestimmte Aufgabe finden, umso besser. Dazu haben wir: innere Ressourcen (das eigene Wissen, die Erfahrungen, die Talente, Glaubenssätze, Fähigkeiten etc.), interne Ressourcen (die inneren Ressourcen der Kolleg:innen im Team oder Unternehmen) und externe Ressourcen (Berater, Bench-Marks von anderen Unternehmen, Cloud Wissen, AI, etc.).

Praxistipp: Jede/r im Team schreibt für ein zu lösendes Thema die inneren Ressourcen auf. Dann tauschen alle deren Findings aus und überlegen noch welche externen Ressourcen hilfreich wären. Wieder möglichst viele finden! Danach wählen alle gemeinsam die besten Ressourcen aus und beschließen wie sie angewandt werden sollen. Hat in all meinen Projekten IMMER funktioniert, um den Change sehr gut weiter voranzutreiben!

Falle Nr. 5: Das Mindset als Killer

Was immer je von Menschenhand entstanden ist, war zu aller erst ein Mindset. Wenn also das Mindset von jemanden im Change z.B. lautet: „das wird eh nix“ oder „das schaffen wir nie“, dann stoppt dort der Change und schimmelt sich voran.

Lösung: Ein auf den Change ausgerichtetes Mindset soll formuliert werden. Ein kurzer Satz, den jede/r im Change täglich oftmals anwendet, um sich selbst und andere immer wieder auf das Ziel und den Glauben daran auszurichten. Es werden so unterstützende Glaubenssätze wie „Wir schaffen das gemeinsam“, „Jeder Schritt zählt“ oder „Wir lernen aus jedem Fehler“ geformt und gefestigt, die die neue Wirklichkeit erschaffen.

Praxistipp: Beginnend beim C-Level wird ein Master-Mindset festgelegt, das dann als Unternehmens-„Mantra“ für den Change angewandt wird. Parallel dazu ist es Aufgabe aller Führungskräfte, mit deren Mitarbeiter:innen in persönlichen Gesprächen zu helfen, deren Zugang zum Master-Mindset zu finden, bzw. eigene individuelle Mindsets zu finden, die helfen, im Change dranzubleiben.

Fazit: Die 5 Fallen sind in jedem Change aufgestellt und schnappen öfter zu, als man sich eingestehen möchte. Sie können mit den Tipps in diesem Artikel vermieden werden, bzw. kann man mit ihnen aus der Falle herauskommen. Diese Tipps anzuwenden, benötigt Zeit. Die dafür aufgewandte Zeit kommt x-fach wieder rein.

Jetzt gibt es noch zwei zusätzliche Fallen für jeden Change: 1: Ich habe keine Zeit („Ausrede, um die Bequemlichkeitszone nicht verlassen zu müssen“) oder 2: Da fang ich erst an, wenn ich es genau geplant habe (auch eine Ausrede – kein Change kann ausreichend genau geplant werden. Einfach loslegen und darauf vertrauen, dass jeder Prozess ein progressives Learning auslöst – siehe Mindset!)


Mit dem folgenden Download findest du eine Checkliste zu den 5 Fallen. Diese Change-Fallen-Vermeidungs-Checkliste sollte in allen 5 Punkten mit einem eindeutigen JA von JEDEM/R Mitarbeiter:in (inkl. Führungkräften) beantwortet werden, sonst startet dort der Change-Stopper. Dieses Vorgehen ist kein hoher Anspruch, sondern eine Notwendigkeit.

Hier ist dein ToDo für heute: Starte bei deinem Team und gehe mit jedem Teammitglied die Checkliste durch. Ist nur ein Checkpunkt kein JA, dann weißt du ja jetzt, was zu tun ist…

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