Luft, Wasser, Nahrung, Wärme, ein Dach über dem Kopf – und Internet. Für viele Menschen ist das World Wide Web längst zum (vermeintlichen) Grundbedürfnis geworden. Die Vorstellung, dass die Menschheit sich wieder davon abwenden könnte, scheint also absurd. Doch genau das sagt Geert Lovink, Professor an der Uni Amsterdam in seinem Essay “Extinction Internet” nun voraus.

Vom kommunalen Internet-Pionier zum Untergangspropheten

Der Professor gilt in seinem Umfeld eigentlich als Internet-Pionier, der ab 1994 maßgeblich am Aufbau des kommunalen Projekts “The Digital City” beteiligt war. Mit der Vision eines dezentralen Netzwerks “von den Bürger:innen für die Bürger:innen” sei man “spektakulär gescheitert”, meint Lovink heute, “Tatsache ist, dass das Internet und süchtig machende Apps in den Händen von Big Tech sind, die sich wenig um die Rechte des Einzelnen oder die Gesellschaft als Ganzes scheren”.

Internet auf dem Weg zum “Point of no Return”?

In den vergangenen Monaten habe er sich der Frage gewidmet, ob man das man das Internet “noch reparieren kann”, schreibt Lovink. “Es könnte ein Moment kommen, an dem das nicht mehr möglich ist und die nachteiligen Folgen nicht mehr kontrolliert werden können. Das Internet steuert auf einen Punkt zu, an dem es kein Zurück mehr gibt, und Big Tech ist sich dessen wahrscheinlich auch schon bewusst. Mark Zuckerberg hat sich von seinen Social-Media-Plattformen getrennt und Meta ins Leben gerufen, als ob alles in Ordnung wäre und wir einfach noch einmal von vorne anfangen könnten. Aber es ist offenkundig bereits kaputt”, so der Professor.

Geert Lovink
Geert Lovink | (c) Bob Bronshoff

Menschen müssten einen immer höheren psychischen Preis für die Nutzung des Internets zahlen. Die freie Meinungsäußerung sei bereits soweit eingeschränkt, dass Menschen bewusst vom Kundtun von Ansichten abseits des Mainstreams Abstand nehmen würden, um nicht Job und Co zu gefährden. Und der Staat nutze die Internet- und Social Media-Aktivitäten immer stärker zur Überwachung – in Westeuropa aber noch nicht so stark wie in den USA oder gar China, führt Lovink aus.

Blackout als weiterer Grund

Aus diesen Gründen glaube er, dass die Menschen sich letztlich vom Internet abwenden würden – und er sieht bereits Anzeichen dafür. Zudem führt der Professor die Möglichkeit längerfristiger Internet-Ausfälle ins Treffen. “Vor einem Jahr war die Aussicht, kein Gas zu haben, unvorstellbar. Aber angesichts der Situation mit Russland ist das jetzt durchaus möglich. Genauso ist es möglich, dass angesichts der Klimakatastrophe notwendige Infrastrukturen wie Strom ausfallen und damit auch das Internet nicht mehr funktioniert. Da die gesamte Bevölkerung davon abhängt, werden natürlich Leute wie Elon Musk auftauchen und eine sehr teure und exklusive Satellitenverbindung anbieten”, so Lovink.

Die Entwicklung werde dramatisch sein, meint der Professor. Letztlich sieht er sie aber positiv: “Ich denke, es ist möglich, dass wir uns davon lösen können. Es könnten andere Software oder andere Konstrukte entstehen, die uns weniger abhängig machen”.