27.03.2021

Wir brauchen einen Cooldown

Dritte Welle, Oster-Lockdown: Die Stimmung ist aufgeheizt. Doch das bringt uns nicht weiter. Bei aller berechtigten Kritik sollten wir einmal tief durchatmen und wieder Lösungen suchen.
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Oster-Lockdown: Wir brauchen einen Cooldown
Jetzt gilt es, wieder einen kühlen Kopf zu bekommen (c) Adobe Stock - Ekaterina

Es gibt derzeit viel zu kritisieren – das wurde auch an dieser Stelle getan. Neben Problemen, die die Corona-Situation weltweit mit sich bringt und solchen, mit denen zumindest die gesamte EU konfrontiert ist, sind auch einige offenkundig hausgemacht. Der nun verkündete Oster-Lockdown mag für viele dafür sinnbildlich stehen. Dass auf offizieller Seite niemand Anstalten macht, dem Beispiel der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zu folgen und einmal einen Fehler einzugestehen, macht die Sache nicht besser.

Die Stimmung kocht über

Ja, Kritik ist angebracht. Doch wie wir alle aus Buch X und Seminar Y wissen, bringt Kritik nur dann etwas, wenn sie “konstruktiv”, sprich lösungsorientiert ist. Andernfalls verpufft sie oder ist sogar kontraproduktiv. Längst haben aber Emotionen in den Diskussionen rund um die Coronakrise überhand gewonnen. Und nun, rechtzeitig zur dritten Welle und anlässlich der Ankündigung des Oster-Lockdowns, kocht die Stimmung regelrecht über.

Nicht mehr nur Rechts-Außen-Oppositionelle und andere Corona-Demo-Teilnehmer greifen zu Formulierungen, die den Rahmen eines gesunden demokratischen Diskurses verlassen haben. Gestern etwa schrieb der Präsident des Gewerbevereins in einer Aussendung von “miserablem Krisenmanagement”, “verzweifelten Maßnahmen” und “erbärmlich geschwurbelten Pressekonferenzen”. (Anm.: Er bringt in dem Text auch konkrete Verbesserungsvorschläge.)

Ein Blick auf den eigenen Social Media-Feed reicht, um zu sehen, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Weltanschauungen in einen Modus übergangenen sind, in dem nur mehr “Dampf abgelassen” wird. Und die meisten von uns sind in der aktuellen Situation zumindest ab und an versucht, selbiges zu tun.

Wir schaden uns selbst

Doch aus dem besagten Buch X und Seminar Y wissen wir, dass das zu nichts führt. Im Gegenteil: Es schadet nicht nur der Sache – der Bewältigung der Gesundheits- und Wirtschaftskrise. Es schadet uns selbst.

Es ist freilich nicht nur legitim, sondern im Sinne einer Lösungsorientierung notwendig, andere Meinungen und vor allem andere Vorschläge zur Bewältigung von Problemen zu äußern. Doch das ist auch nach einem Jahr Krise auf sachliche Weise möglich.

Und wenn im demokratisch gewählten Nationalrat ein Beschluss gefasst wurde – und die Regierung hat nun einmal eine Mehrheit dort – kann man seine Energie besser dafür nutzen, das Beste daraus zu machen. Zahlreiche Unternehmen im Land beweisen, dass mit einem konstruktiven Zugang zu den neuen Herausforderungen sogar viel zu gewinnen ist. Schimpfen hingegen führt höchstens zu zustimmenden wütenden Smileys in sozialen Medien, auf jeden Fall jedoch zu noch mehr destruktiver Energie.

Im Oster-Lockdown zu Ruhe kommen

Der vierte Lockdown wird – wie die vorangegangenen – finanziell schmerzhaft für viele Menschen im Land. Die Diskussion, ob er überhaupt notwendig ist, oder angesichts der Lage in den Intensivstationen auch zu spät kommt, zu halbherzig und kurz ist, soll an anderer Stelle erörtert werden.

Wir können den Oster-Lockdown jedenfalls dazu nutzen, innerlich wieder etwas zu Ruhe zu kommen. Wir können ihn dazu nutzen, uns auf einen konstruktiven Zugang zur Krise rückzubesinnen. Denn eines scheint offensichtlich: Wenn wir die kommenden Monate, bis die Pandemie dank Durchimpfung hoffentlich wirklich im Griff ist, gut überstehen wollen, müssen wir wieder klar und zielorientiert denken. Man könnte auch sagen: Wir brauchen einen Cooldown.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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