23.02.2022

ÖBB-Innovationschef: “Ein Computer würde Mobilität ganz anders managen”

Peter Schindlecker ist brutkasten "Innovator of the Year" und spricht im Interview über Innovation bei den ÖBB, Österreich als innovatives Land und den Hyperloop.
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Peter Schindlecker, ÖBB © Valerie Voithofer

Mobilität hat in der Pandemie einen ganz neuen Stellenwert bekommen. Flugscham und Fahrradstraßen sind nur zwei Begriffe, die plötzlich im Zentrum der Debatten standen. Mit “Community Creates Mobility” gibt es in Österreich eine Initiative, die solche Trends beleuchtet und gemeinsam die Zukunft der Mobilität gestalten will. Dahinter steht ganz maßgeblich das Open Innovation Team der ÖBB unter der Leitung von Peter Schindlecker. Der brutkasten “Innovator of the Year” 2021 in der Kategorie Corporate Innovation verrät im Interview sein Erfolgsrezept, um in großen Konzernen mit Innovationen durchzukommen, über den Streit zwischen Fahrrad und Auto, über den Hyperloop und Reisen in der Zukunft.

Head of Open Innovation bei den ÖBB – warum trägt die Innovationsabteilung bei euch den Titel “Open Innovation”?

Peter Schindlecker: Unser Job ist es, neue Impulse in das Unternehmen hineinzubringen. Wir setzen uns mit Mobilität als öffentliches Gut auseinander und das bedeutet auch immer die Auseinandersetzung mit vielen Stimmen von außerhalb. Jede Österreicherin, jeder Österreicher ist auch ein wenig “Bahnchef” und hat eine Meinung zu diesen Themen. Es ist unser Job, diese Stimmen hineinzubringen. Deshalb Open Innovation.

Wie bist du im Bereich Innovation bei den ÖBB gelandet?

Ich bin seit 2016 bei den ÖBB. Davor war ich lange in Deutschland bei einem DAX-Konzern und bin so im Konzernbereich gelandet. Ich habe Industriedesign studiert, weil ich immer schon gerne Probleme gelöst habe. Mich haben die Strukturen und der Dialog von und mit großen Konzernen immer fasziniert und das ist genau das, was ich jetzt tue. Diesen großen Dampfer dazu zu bringen, interaktiv zu sein und auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. 

Vor welchen Hürden steht man mit Open Innovation in einem großen Konzern?

Bei uns funktioniert es, weil wir wie ein Startup im großen Konzern sein dürfen. Wir bekommen viele Freiheiten und arbeiten sehr eigenverantwortlich. Die Hürden sind sicherlich, dass man in so einem Konzern immer sehr viele Menschen abholen muss und sie zu Entscheidungen bringen muss. 

Hast du ein Erfolgsrezept, damit das funktioniert?

Es gibt dieses theoretische Konzept der Ambidextrie von Organisationen. Gemeint ist damit die Beidhändigkeit, dass man große Dinge anstoßen muss aber trotzdem agil und schnell sein muss. Das Erfolgskonzept ist, dass wir auch im Tagesgeschäft Hilfe anbieten, wie Inhouse-Consultants oder mit schnell aufgebauten Teams. Daraus erkaufen wir uns die Freiheit, auch die großen Dinge anzugreifen, die vielleicht Monate brauchen um erste Erfolge zu generieren. In dieser Dualität kann man in einem Konzern gut arbeiten. Man kennt viele Innovationslabs, die bald wieder geschlossen werden, weil sie vom Tagesgeschäft abgehoben sind. 

Welche kleineren und größeren Projekte entstehen da in der ÖBB?

Viele kleinere, kundenzentrierte Produkte und Services sind unser Steckenpferd. Ein Beispiel ist ÖBB 360 – da geht es um intermodale Konzepte für Gemeinden oder Unternehmen. Rund um dieses Thema ist ein eigenes Team entstanden, angetrieben von Anna Mayerthaler, die das jetzt gemeinsam mit Wegfinder herausbringen. Das hat 2019 im Innovationsprogramm seinen Anfang genommen. Ein anderes Projekt ist Postbus Shuttle, da geht es um on-demand Verkehr insbesondere auch in ländlichen Regionen. Und es gibt viele Themen, die wir intern angestoßen haben – im Cargo, also im Güterverkehr, zum Beispiel. Dort läuft ein großes Digitalisierungsprogramm. Aktuell geht die Reise bei uns immer mehr Richtung neue Geschäftsmodelle. 

Was sind neue Geschäftsmodelle für die Bahn?

Die ÖBB hat den Anspruch das Nummer 1 Mobilitätsunternehmen zu sein. In vielen Bereichen sind wir da schon, etwa im Güterverkehr. Der Güterverkehr läuft in ganz Europa, also sind wir es da sogar über die Grenzen hinaus. Darüber hinaus schauen wir uns neue Geschäftsmodelle an, etwa Plattformmodelle in allen Lebens- und Geschäftslagen. Im Agrarbereich sehen wir uns gerade im Zusammenhang mit dem Güterverkehr etwas an. Auch Mobilitätsplattformen im Personenverkehr sind interessant. Wir sehen uns aber auch die Infrastruktur an, das ist der reglementierteste Bereich. Es geht um die Frage, was das System Bahn in Zukunft ist und ob es die Schiene in Zukunft noch braucht. Wie würde man die Bahn erfinden, wenn man sie heute neu erfinden würde? Gar nicht so ähnlich, wie sie jetzt ist. Aber durchaus als Netzwerk. Es hat schon seinen Grund, warum der Hyperloop als Konzept erfolgreich ist. 

Es ist sicher eine sehr schwierige Aufgabe, diese Themen komplett neu zu denken.

Absolut. Mein Lieblingsbeispiel ist der Fahrplan. Wer würde heute noch einen Fahrplan erfinden? Das ist ein Organisationskonzept aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Heute geht es um on-demand Mobilität. Ein Computer würde Mobilität ganz anders managen, als wir das gewohnt sind. 

Mit Community Creates Mobility habt ihr eine auf den ersten Blick sehr ungewöhnliche Community begründet, sie wirkt von außen für eine Corporate-Initiative so selbstlos – worum geht es bei diesem Projekt?

Ein wichtiger Teil dessen, was die ÖBB darstellt ist der öffentliche Anspruch an Mobilität. Mobilität für alle und mit allen. Es gibt heute sehr viele Beispiele, in denen Mobilitätskonzepte Aufreger sein können. Klimaschutz verstärkt das und auch Corona war da ein Katalysator. Der Leitgedanke von Community Creates Mobility ist, ein Ökosystem aufzubauen und in den Dialog zu gehen. Mittlerweile gibt es auch ein Maifest und es dreht sich viel um Mobility as a Common, also Mobilität als Gemeingut. Die Idee ist, die Mobilität der Zukunft im Dialog zu gestalten. Expertinnen und Experten gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Forschung. Da gibt es kein richtig und falsch und kein gut und böse. Wir würden auch nicht sagen, Autoverkehr ist etwas von gestern. Es geht um den besten Mobilitätsmix und wie man dorthin kommt. 

Wie könnte ein guter Mobilitätsmix in der Stadt aussehen oder was macht ihn aus?

Bei einem guten Mobilitätskonzept muss man sich überlegen, was die Einflussfaktoren sind. Bei Beispielen wie Stadtstraße und Lobautunnel wären das zum Beispiel Klimafaktoren. Eine gute Lösung ist es aus meiner Sicht dann, wenn man nicht auf ein Verkehrsmittel zurückgeworfen wird und das für alle Wege nutzen muss. Wir definieren Zielgruppen nicht nur aufgrund ihres Alters oder ihrer Lebensumstände sondern aufgrund der Wege, die sie haben. Wir denken oft, der Weg ist das Ziel, aber eigentlich ist das Ziel das Ziel.

In der Pandemie ist auch die Nachhaltigkeitsfrage rund um den Flugverkehr aufgekommen und unter dem Schlagwort Flugscham laut geworden. Hat das der Bahn stark in die Karten gespielt?

Absolut. Das Nachtzuggeschäft boomt. Insbesondere durch Corona hat das noch einmal einen besonderen Schub bekommen. Wir haben immer mehr Verbindungen in ganz Europa, die es früher vielleicht schonmal gab, die jetzt wieder aktiviert wurden. 

Warum fahren Menschen Nachtzug? Er ist teurer und dauert länger.

Der Preis ist weniger ein Thema, da es im Vergleich zu Flug und Hotel zu sehen ist. Interessant ist zum Beispiel, dass die teuersten Kategorien am schnellsten ausverkauft sind. Allgemein sind Nachtzugreisen ein Thema für Menschen, die klimabewusst reisen wollen und auch für Menschen, die in Gesellschaft reisen wollen. Motorradfahrer oder Hundebesitzer sind hier zum Beispiel unsere “extreme users”. 

Findest du als jemand, der sich beruflich mit Innovation beschäftigt, dass Österreich ein innovatives Land ist?

Da bin ich geteilter Meinung. Wir sind gut im Zurücklehnen und “schauen wir einmal”. Wir haben aber eine interessante Fähigkeit, die mir noch stärker auffällt, seit ich länger in Deutschland war. Wir sind sehr gut im Improvisieren und darin, etwas Temporäres oder ein Provisorium aufzubauen. Ich glaube, dass es genau das braucht. Es braucht nicht immer gleich die perfekte Lösung. 

Fast forward: Wie werden deine Enkelkinder mal zur Arbeit und in den Urlaub reisen?

Ich glaube, es wird weniger Reiseanlässe geben und dafür qualitativ hochwertigere. Mehr Reise und weniger Kurztrips – sowohl privat, als auch beruflich. Ich hoffe, dass es auch eine bessere Ausnutzung der Systeme gibt. Mehr shared und das nutzen, was man gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt braucht. 

Deine Enkel werden noch einen Führerschein machen?

Ja, aber vielleicht mehr, weil es Spaß macht. 

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Lanbiotic, Neurodermitis
(c) Oliver Wolf - Patrick Hart und Katrin Susanna Wallner von Lanbiotic.

Das Grazer Startup Lanbiotic stellt medizinische Hautpflege-Produkte mit lebensfähigen Bakterien speziell für die von Neurodermitis geplagte Haut her. Dabei verwenden die beiden Gründer:innen Patrick Hart und Katrin Wallner den zum Patent angemeldeten Bakterienstamm “Lactococcus Lanbioticus“.

Lanbiotic: “Skalierung als neue Normalität”

“Mit unseren probiotischen Hautanwendungen bringen wir gesundheitsfördernde Bakterien direkt auf die Haut, um die natürliche Balance des Hautmikrobioms wiederherzustellen und Hautprobleme gezielt an der Ursache zu bekämpfen”, erklärt Wallner.

Das letzte Jahr fühlte sich für die Gründerin an, als sei ein Traum nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen worden. Andererseits sei es eine “neue Normalität” an der Skalierung des Unternehmens zu arbeiten.

“Wir haben weitere Produkte mit unserem einzigartigen Bakterienstamm ‘Lactococcus Lanbioticus’ entwickelt, um umfassender auf die Bedürfnisse von Menschen mit zu Neurodermitis neigender Haut eingehen zu können. Neu hinzugekommen sind Flora Bath und Flora Sun”, erklärt Wallner.

Flora Bath ist ein spezieller Badezusatz, der für Menschen entwickelt wurde, die großflächig oder an der Kopfhaut von Ekzemen betroffen sind – ein Bereich, in dem Pflegecremen oft an die Grenzen ihrer Praktikabilität stoßen.

“Der Fokus liegt wie immer bei Lanbiotic auf der Ergänzung des Hautmikrobioms, also ‘der lebende Teil’ der natürlichen Schutzbarriere der Haut, die den gesamten Körper bedeckt, mit probiotischen Bakterien”, so Wallner weiter. “Eine Ausgewogenheit des Hautmikrobioms ist, wie auch im Darm, entscheidend, um die Gesundheit der Haut zu bewahren und Beschwerden zu lindern.”

Flora Sun hingegen ist ein weiteres Produkt, das auf die besonderen Herausforderungen empfindlicher Haut unter UV-Strahlung eingeht. Studien hätten gezeigt, dass das Hautmikrobiom die natürliche Fähigkeit der Haut verbessern kann, mit den Effekten – und häufig auch Schäden – durch Sonneneinstrahlung umzugehen.

EHI-Siegel für Onlineshop

“Parallel dazu haben wir auch international expandiert: Der Eintritt in den deutschen Markt war ein großer Schritt, der mit der Anpassung unserer Produktions- und Logistikkapazitäten verbunden war, um langfristig weitere internationale Märkte beliefern zu können. Unser Webshop wurde außerdem mit dem EHI-Siegel zertifiziert, um unseren Kund:innen einen sicheren und vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen.”

Auch das Team wuchs 2024, zudem konnte durch zahlreiche Medienauftritte und Messeteilnahmen Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte und die Marke gewonnen werden.

“Als weiteres Highlight wurden wir von der Apothekerkammer mit unserer Fachfortbildung akkreditiert, was Apotheker dazu motiviert, unsere Fortbildungen zu besuchen und mehr über das noch recht ‘nischige’ Thema Hautmikrobiom zu erfahren”, sagt Wallner.

Neue Märkte im Fokus

Aktuell arbeitet das Startup intensiv daran, Lanbiotic als Unternehmen und Marke weiterzuentwickeln, strategisch zu positionieren und zu skalieren. Das oberste Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Neurodermitis über ihre mikrobiombasierten Produkte zu verbessern.

“Wir möchten Lanbiotic in weiteren Märkten etablieren, insbesondere natürlich in Ländern, wo die Prävalenz für Neurodermitis hoch ist. Dafür arbeiten wir an effizienten Marketingprozessen, um unsere Markenbekanntheit zu steigern, und bauen unsere Vertriebsstrukturen aus”, erklärt die Founderin. “Um diesen Schritt bestmöglich zu unterstützen, suchen wir gezielt nach vertrauenswürdigen Partnern für den internationalen Vertrieb, die unsere Werte und Qualitätsansprüche teilen. Die Kooperationen sollen es uns ermöglichen, unsere Produkte nachhaltig in weiteren europäischen und außereuropäischen Ländern anzubieten und das Thema Hautmikrobiom international bekannter zu machen.”

Daneben optimiert das Team Produktionsprozesse, um der wachsenden Nachfrage nachkommen zu können. In der Produktentwicklung liegt dabei der Fokus auf der Entwicklung weiterer wissenschaftsbasierten probiotischen Pflegeprodukten, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodermitis und empfindlicher Haut zugeschnitten sind. Dazu steht man intensiv mit Industrie und Spitzenforschung in Kontakt.

Lanbiotic: Strukturen und Prozesse schaffen

Intern sei man vor allem stark mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. Man arbeitet daran, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die das Wachstum langfristig stützen können. Ziel sei es, eine gesunde Organisation aufzubauen, die den Expansions- und Innovationszielen gerecht werde und das Unternehmen flexibel in die nächsten Entwicklungsstufen führt.

Lanbiotic wurde in der Vergangenheit unter anderem auch von der Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt. So absolvierte das Unternehmen den aws First Incubator und erhielt über aws Innovationsschutz eine Förderung, um sein geistiges Eigentum zu schützen. Später folgte eine Preseed- und Seed-Förderung über aws Innovative Solutions. Mit diesem Seed-Förderprogramm unterstützt die aws innovative Gründungsideen, die über die Unternehmensgrenzen hinaus einen positiven gesellschaftlichen Impact bewirken. Der Fokus liegt auf skalierbaren Geschäftsmodellen. Im Fall von Lanbiotic war die Förderung essentiell, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu finanzieren und sich allgemein zu professionalisieren.

“Eine bessere Förderung als aws Seed Innovative Solutions könnte es derzeit, meiner Meinung nach, für uns nicht geben”, sagt sie. “Es handelt sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 400.000 Euro, der für unterschiedlichste Aktivitäten in der Markteinführung und Produkteinführung verwendet werden kann. Naturgemäß ist das Programm sehr kompetitiv, aber wenn man für die Finanzierung ausgewählt wird, hat man wirklich einen gewaltigen Booster, um ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.”

Die weiteren Ziele von Lanbiotic

Im Allgemeinen habe ihnen das Programm bereits jetzt weit mehr gebracht als Geld. “Ich empfand den Bewerbungsprozess per se als wertvolle Erfahrung, um mir unser Business Model noch einmal ganz genau anzusehen und unsere Ziele zu definieren”, präzisiert die Grazerin. “Dass wir sie jetzt so scheinbar ‘locker’ übertreffen konnten, ist natürlich die Draufgabe.”

Durch die positive Resonanz der stetig wachsenden Stammkundenbasis sieht sich Wallner in ihrer Mission bestätigt. “Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Lanbiotic noch nicht kennen und Neurodermitis in vielen Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt”, sagt sie. “Daher wollen wir gezielt skalieren, den Umsatz und Gewinn steigern, innerhalb und außerhalb Europas expandieren und unser Produktportfolio weiter diversifizieren.”

In Sachen Umsatzentwicklung wird Lanbiotic 2024 das gesetzte Umsatzziel voraussichtlich verdoppeln, wie Wallner erzählt. “Unser für 2025 gestecktes Ziel ist ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich, dass wir hier wieder gute Arbeit leisten. Aktuell haben wir einen sechsstelligen Nettoumsatz erreicht, und dank der Unterstützung durch die aws Seed-Förderung werden wir auch heuer, wie jedes Jahr seit unserer Gründung, noch profitabler sein.”


* Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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