19.04.2018

Nahgenuss: Viertel Million Jahresumsatz für Grazer Bio-Fleisch-Startup

Die Brüder Micha und Lukas Beiglböck haben 2016 mit der Online-Plattform Nahgenuss einen Direktvertiebs-Kanal für Bio-Fleisch gestartet. War es am Anfang nur Schweinefleisch, das Konsumenten über die Plattform direkt beim Bauern kaufen konnten, so wurde im Vorjahr die Palette um Rind und Lamm erweitert. Nun bietet das Startup auch Bio-Hühner zum Erwerb an.
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Nahgenuss
Micha (li.) und Lukas (re.) Beiglböck von nahgenuss.at (c) Lukas Sauseng

Die Zahlen in Österreich zum Fleischkonsum sprechen eine klare Sprache. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2017  österreichweit insgesamt 5.124.007 Schweine und 83.834.847 Hühner geschlachtet. Das ergibt grob einen pro-Kopf-Verbrauch von über 50 Kilo an Schweine- und mehr als 20 Kilo an Hühnerfleisch. Bei Zweiterem bedeutet das einen leichten Anstieg um 0.5 Prozent im Vergleich zu 2016. Kein Wunder also, dass das Bio-Startup Nahgenuss nun sein Sortiment um Bio-Hühner erweitert.

+++ Gar nicht schweineteuer: Startup verkauft Bio-Fleisch im Netz+++ 

Es begann vor zwei Jahren. Die Gebrüder Micha und Lukas Beiglböck hatten 2016 das Vorhaben im Sinn, das Teilen eines ganzen Tieres ins digitale Zeitalter zu übertragen und haben damit sogar Preise eingeheimst, wie der Brutkasten berichtete. “Anstatt es wie früher unter Verwandten und Nachbarn zu teilen, kaufen und teilen sich auf der Plattform nahgenuss.at Menschen via Internet ganze Schweine, Rinder und Lämmer. Um eine artgerechte Tierhaltung mit biologischem, heimischem Futter garantieren zu können, wird ausschließlich Fleisch in Bio-Qualität angeboten”, heißt es in einer Aussendung. Das ganze funktioniert nach einem einfachen Prinzip. Möchte ein User ein halbes Schwein kaufen, wird abgewartet, bis die andere Hälfte ebenfalls verkauft ist – erst dann wird das Tier geschlachtet und von kooperierenden Bauern ausgeliefert. Dabei arbeitet die Plattform nur mit kleinen Betrieben zusammen, die ein Muss-Kriterium erfüllen: Die artgerechte Haltung des Tieres.

Nahgenuss: Viertel Million Umsatz

“Wir werden heuer zwei Jahre alt. Anfänglich haben wir Schweinefleisch ausgeliefert und ab Dezember 2017 Rind und Lamm in unser Angebot aufgenommen. Seit Mitte April bieten wir nun auch Bio-Hühner an”, sagt Gründer Micha Beiglböck im Gespräch mit dem Brutkasten und erzählt von spannenden Zeiten, die für seinen Betrieb angebrochen sind. “Wir haben rund 1.100 Bestellungen gehabt und werden die Viertel Million an Jahresumsatz schaffen”, freut sich Beiglböck und nennt weitere Zahlen. Nahgenuss sorgte als Plattform dafür, dass seit Bestehen bisher rund 11.000 Kilogramm an Fleisch ausgeliefert wurden. Das soll nun mit dem Bio-Huhn-Angebot steigen.

Österreichweite Lieferung

“Die artgerechte Tierhaltung und die biologische Haltungsweise kommt Tieren und Umwelt gleichermaßen zugute. Die Konsumenten können mit gutem Gewissen genießen und bekommen höhere Qualität, die man auch schmeckt, auf den Teller”, fasst Micha Beiglböck die Vorzüge der Bio-Hühnerhaltung zusammen. Das Startup kooperiert dabei mit dem Biohof Pichler von Karin und Gerhard Forcher aus Judenburg in der Steiermark. Die Hühner können auf nahgenuss.at bestellt und dann am Betrieb selbst abgeholt werden. Der Zweck: Kunden können sich vor Ort ein persönliches Bild über die artgerechte Haltung der Tiere machen. Im Murtal wird persönlich von der Bio-Bäuerin Karin Forcher zugestellt.  Österreichweit bringt die Post per Kühlversand die vakuumverpackten Hühner innerhalb eines Tages zum Kunden.

Nahgernuss
(c) Pichler – Der Biohof Pichler von Karin und Gerhard Forcher kooperiert nun mit dem Grazer Startup Nahgenuss.

Neue Absatzmärkte Deutschland und Schweiz: Investoren angedacht

Bio-Hühner anzubieten, ist aber nicht die einzige Neuerung, die für die Beiglböcks ansteht. Bisher hat das Startup auf Investoren verzichten können, da es sich laut Micha Beiglböck “immer ausgegangen ist”. Nun haben sich aber Interessenten aus Deutschland gemeldet, wie er im Gespräch mit dem Brutkasten erzählt: “Es stellt sich nun natürlich die Frage, welche neuen Wege es gibt, und ob wir dafür Investoren an Bord holen. Neben dem deutschen ist auch der schweizer Markt für uns sehr interessant”, sagt er und kündigt für Ende 2018 und 2019 eine Expansion an. Zur Sortiment-Palette soll dann Fisch und weiteres Geflügel (Truthahn), sowie Wild hinzugefügt werden.


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Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan
Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan | Foto: brutkasten / Wiener Börse (Hintergrund)

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach, darunter etwa FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth, mit PlanRadar-Co-Founder Sander van de Rijdt und mit Storebox-Co-Founder Johannes Braith.

Zum Thema Kapitalmarkt haben wir nun bei Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, nachgefragt.


brutkasten: Die Regierungsverhandlungen befinden sich in der entscheiden Phase. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die in Österreich umgesetzt werden sollten, um Kapitalmarkt und Börse zu stärken?

Christoph Boschan: Die schnellste und einfachste Maßnahme wäre die Wiedereinführung der Behaltefrist für Wertpapiere bzw. die Einführung eines Vorsorgedepots. Das lag alles fix fertig auf dem Tisch und stand im letzten Regierungsprogramm.

Gewichtiger wäre eine bessere Abstimmung des Pensionssystems auf den Kapitalmarkt, also eine teilweise Veranlagung der ersten Säule am Aktienmarkt. Da spreche ich übrigens nicht mit dem reinen Blick durch die “Kapitalmarkt-Brille”. Das würde zugleich den Staatshaushalt entlasten und die Pensionsfinanzierung nachhaltig absichern und Geld für die Innovations- und Wachstumsfinanzierung bereitstellen.

Sie haben in einem brutkasten-Studiotalk im September gefordert, “zentrale, mächtige, große Kapitalsammelstellen zu errichten”. Was genau verstehen Sie darunter, beziehen Sie sich primär auf Pensionsfonds oder verstehen Sie das Konzept breiter?

In der teilweisen Veranlagung der ersten Säule am Kapitalmarkt liegt tatsächlich das größte Potenzial, ein bis zwei Prozent machen hier auf einige Jahre gesehen bereits viel aus. Die zweite Säule könnte mit einer verpflichtenden betrieblichen Vorsorge gestärkt werden. Oder man kreiert einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild.

Abseits davon gibt es in Österreich 330 Mrd. Euro an niedrigverzinstem privatem Kapital, die nicht nur keine Rendite abwerfen, sondern den Unternehmen auch bei der Innovationsfinanzierung fehlen. Die Liste an Möglichkeiten ist lang, wie auch jene der schon existierenden Blaupausen in Europa.

Welche Maßnahmen bräuchte es konkret? Welche dieser Schritte können in Österreich gesetzt werden und welche nur auf europäischer Ebene?  

Die entscheidenden Schalthebel sind tatsächlich bei den Nationalstaaten. Vorlagen, die für den österreichischen Anwendungsfall angepasst werden können, gibt es genug. Norwegen mit dem Staatsfonds, Schweden mit der teilweisen Veranlagung der Pensionen am Kapitalmarkt, die Schweiz mit der verpflichtenden betrieblichen Altersvorsorge. In Deutschland kommt nun das Vorsorgedepot mit steuerbegünstigter Wertpapierveranlagung. Alles, was eine zu befürwortende Harmonisierung betrifft, etwa beim Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht, ist auf EU-Ebene zu lösen.

Stichwort EU-Ebene. Sie sprechen auch oft von der “unvollendeten Kapitalmarktunion”. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um diese Kapitalmarktunion zu vollenden?

Das deckt sich mit den zuvor diskutierten Ansätzen, die jedoch in der langen Liste der – grundsätzlich zu befürwortenden – Ziele der Kapitalmarktunion nur unzureichend adressiert werden können, da derzeit die großen Kapitalsammelstellen nur durch die Mitgliedsstaaten geschaffen werden können. Ohne große Kapitalsammelstellen werden wir die europäische Konkurrenzfähigkeit nicht entscheidend ankurbeln können.

Inwiefern können Kapitalreserven in privaten Altersvorsorgesystemen oder Pensionsfonds als „Treibstoff“ für tiefe und liquide Märkte dienen? 

Indem sie in börsennotierte Unternehmen investieren. Damit schaffen wir die besagten großen Liquiditätspools bzw. Kapitalsammelstellen. Die Unternehmen haben somit eine umfassendere Kapitalquelle für Innovation und Wachstum. Das erklärt auch, warum wir in Europa mit Abwanderung von Listings in Richtung USA zu kämpfen haben. Wachstumsorientierte Unternehmen gehen dorthin, wo sie potenziell das meiste Kapital bekommen können.

Wenn wir wollen, dass das nächste Google, Meta oder Amazon aus Europa kommt, müssen wir hier anpacken. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten wachsen schneller und erholen sich rascher von Krisen.

Sie haben bereits angesprochen, dass die nun scheidende Regierung die Wiedereinführung der Behaltefrist für Aktien im Regierungsprogramm vereinbart hatte, ohne sie dann tatsächlich umzusetzen. Für wie wichtig – verglichen mit anderen Möglichkeiten, Anreize zu schaffen – wäre diese Maßnahme, um die private Vorsorge über die Börse attraktiver zu gestalten?

Ich bin immer dafür, Individuen zu ermächtigen und zu stärken und genau das macht die Behaltefrist. Die Befreiung von der KESt (Kapitalertragssteuer) für die langfristige Altersvorsorge ist als Anreiz nicht zu unterschätzen. Sie ist längst überfällig.

Versteuertes Arbeitseinkommen wird in Unternehmen investiert, diese schütten mit Körperschaftsteuer besteuerten Gewinn aus, auf den nochmal 27,5 Prozent geltend werden. Diese steuerliche Eskalation ist immens. Wer vorausschauend agiert und für sein Alter vorsorgt, sollte dringend entlastet werden.

Sie vertreten mit der Wiener Börse die österreichische Nationalbörse. Aktuell kursieren einige Vorschläge, die einen anderen Bereich, nämlich den vorbörslichen Kapitalmarkt betreffen und diese attraktiver machen sollen, etwa die Schaffung eines Dachfonds, der in bestehende Venture-Capital-Fonds investiert, oder einen Beteiligungsfreibetrag für Business Angels und andere private Kapitalgeber. Wie blicken Sie darauf?

Ich halte Ansätze, die Innovation, junges Unternehmertum und Wachstum fördern immer für begrüßenswert. Von jungen Unternehmen, die am Beginn ihrer Reise mit genügend Kapital ausgestattet werden, wird in weiterer Folge auch die Börse, die am oberen Ende der Finanzierungsstufen steht, profitieren.


Aus dem Archiv: Christoph Boschan im brutkasten-Studiotalk (September 2024):


Aus dem brutkasten-Printmagazin: Warum ein Börsengang nicht nur etwas für Großkonzerne ist


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