✨ AI Kontextualisierung
Noch etwa zwei Monate – dann ist der Expansionsversuch der Berliner Challenger-Bank N26 in das Vereinigte Königreich Geschichte. Wie der brutkasten gestern berichtete, zieht sich das FinTech im April aus dem Markt zurück. Die offizielle Begründung: Weil man nur über eine EU-Banklizenz verfüge, könne man die UK-Kunden nach dem am 31. Jänner vollzogenen EU-Austritt bald nicht mehr bedienen. Doch man muss kein Experte für den FinTech-Markt sein, um zu erkennen: Der Brexit kommt N26 als Ausrede durchaus gelegen.
+++Zum Finance-Channel des brutkasten+++
Fehlende Aussicht
Denn es hätte zwar ohne Zweifel bei N26 einige Ressourcen geschluckt, bis zum Ende der Brexit-Übergangsfrist am Jahresende eine passende Lösung zu implementieren. Doch genau so klar ist, dass man das getan hätte, hätte es denn irgendeine Aussicht darauf gegeben, dass es sich auszahlen würde. Schließlich arbeitet etwa auch der in London ansässige größte N26-Konkurrent Revolut mit einer EU-Bankenlizenz und wird die Brexit-Herausforderung gewiss meistern.
N26 als kleine Nummer 4 im UK-Challenger-Bank-Segment
Hämische Stimmen werden nun behaupten, es sei von Anfang an klar gewesen, dass es mit N26 im Vereinigten Königreich nichts werden kann, kommt doch neben Revolut auch der zweitgrößte europäische Challenger Bank-Konkurrent, Monzo, von dort, der im Land die klare Nummer 1 ist. Hinzu kommt unter anderem der international kleinere UK-Mitbewerber Starling – alle drei hatten im Vereinigten Königreich zuletzt einen maßgeblich höheren Marktanteil im Challenger-Bank-Segment, als N26. Dass man mit den drei Platzhirschen auch in der öffentlichen Wahrnehmung in UK so gar nicht mithalten kann, verrät ein Vergleich der Google-Suchanfragen im Land in den vergangenen Monaten.
Enorme Marketing-Ausgaben – enorme Verluste
Das heißt auch: Die Marketing-Ausgaben von N26 im Vereinigten Königreich dürften sich im Vergleich zu anderen Märkten viel weniger rentiert haben. Und hier geht es – international gesehen – um enorme Summen. Zwar sind die aktuellsten vorliegenden Zahlen jene für das Jahr 2018 – deren Tendenz dürfte sich aber im US-Expansionsjahr 2019 fortgesetzt haben. Demnach machte N26 2018 73 Millionen Euro Verlust bei 43 Millionen Euro Umsatz – und das wird seitens des FinTechs primär mit Mehrausgaben für Marketing und Internationalisierung begründet – der brutkasten berichtete. Die weltweit rund 1500 Mitarbeiter sind freilich auch nicht günstig.
Revolut mit All-In-Wachstumsstrategie zuletzt effizienter als N26
Zum Vergleich: Revolut meldete für 2018 32,8 Millionen Pfund (ca. 40 Mio. Euro) Verlust bei 58,2 Millionen Pfund (ca. 70 Mio. Euro) Umsatz. Eine einfache Gegenrechnung zeigt: Der Londoner N26-Konkurrent gab also bei höheren Einnahmen unterm Strich sogar geringfügig weniger aus. Das ist ein für die Chancenbewertung der beiden Kontrahenten durchaus relevanter Vergleich. Denn beide fahren mit ihrem Ziel, den Weltmarkt zu erobern, eine All-In-Wachstumsstrategie. Wie auch bei den großen Scaleups der USA lautet die Devise: Erst mit allen Mitteln Kunden erobern, dann irgendwann profitabel werden.
Verluste im Wachstum: Die Stimmung schlägt um
Genau an den angesprochenen US-Scaleups zeigt sich jedoch derzeit, das diese Strategie keineswegs mehr gänzlich unkritisch gesehen wird – vor allem am Aktienmarkt. Zuletzt ging eine Reihe von IPOs von Wachstumsunternehmen schief, die zum Zeitpunkt des Börsengangs noch (tief-)rote Zahlen schrieben. Die Tesla-Aktie hingegen ging nach schwarzen Zahlen in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen durch die Decke. Es ist ein Stimmungsumschwung, der – eingeschränkt – auch auf die Risikokapital-Geber übergreifen könnte. Sie könnten gerade im Hinblick auf einen möglichen IPO von ihren Portfolio-Unternehmen verlangen, den Beweis der Profitabilität schon früher – zumindest vor dem Börsengang – zu erbringen.
Schluss mit aussichtslosen Abenteuern
Während eine aggressive Wachstumsstrategie in den allermeisten Fällen auch weiterhin nur über Kundenakquise und Infrastruktur-Aufbau auf Pump möglich sein wird, müssen Scaleups also wohl trotzdem etwas vorsichtiger werden, als sie es jetzt noch sind. Für N26 bedeutet das: Relativ aussichtslose Abenteuer, wie der Markteintritt im Vereinigten Königreich, gilt es zu vermeiden. Hier ist freilich einschränkend zu erwähnen, dass dieser vor dem Brexit tatsächlich noch “nebenbei” gemacht werden konnte, was jetzt nicht mehr möglich wäre.
UK-Rückzug als Image-seitiger Einschnitt für N26
Dass man den Markt nun offiziell aufgibt, ist ein Einschnitt – vor allem Image-seitig. Er deutet auf den Anfang einer Konsolidierung des Unternehmens hin, mit dem Ziel, die Profitabilität in greifbare Nähe zu rücken. So hochtrabend das zuletzt ausgegebene Ziel, langfristig 100 Millionen Kunden weltweit zu erreichen, auch derzeit noch ist – es werden wohl in den kommenden Jahren weitere Opfer zu bringen sein.
US-Markt als nächster Wackelkandidat
So ist aus heutiger Sicht auch der Expansionsmarkt USA ein Wackelkandidat. Jahre lang vorbereitet verlief der Marktstart dort nicht gerade bombastisch. Nach rund einem halben Jahr vermeldete man 250.000 Kunden im 300 Millionen Einwohner-Land. Dabei hatte man schon vor dem Launch Vormerkungen von rund 100.000 interessierten Potenziellen Kunden gehabt. Gelingt es nicht bald, wirklich Fahrt aufzunehmen, wird man den Markt, der über ein kostspieliges Tochterunternehmen bearbeitet wird, überdenken müssen.
EDIT: N26 sendete uns in Reaktion auf diesen Beitrag folgendes Gegenstatement:
“Wir müssen der Darstellung unseres USA-Geschäftes entschieden widersprechen. Die USA sind und bleiben einer unserer wichtigsten Wachstumsmärkte. Nachdem wir den britischen Bankenmarkt aus rein marktspezifischen Gründen verlassen haben, werden wir uns nun noch stärker auf die weitere Expansion in den USA fokussieren. Die Entscheidung für einen größeren Fokus wird im Gegenteil unser Wachstum in unseren anderen Ländern stärken, insbesondere in den USA”.