19.05.2021

Warum der Mittelstand echtes Company Building braucht

Matthias Friese, Managing Partner des Berliner Company Builders XPRESS Ventures schildert in einem Gastbeitrag warum KMU im Zusammenhang mit Innovationen nicht auf klassische Inkubatoren setzen sollten.
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Gastkommentar Matthias Friese/XPRESS Ventures
© AdobeStock/lily - Christoph Graefenstein /www.christophgraefenstein.com

Innovation ist gefragt wie selten zuvor, um mittelständische Unternehmen über die Krise hinaus am Markt zu halten. Und dennoch werden Inkubatoren, die zu diesem Zwecke ins Leben gerufen wurden, aktuell wieder zurückgefahren oder verkauft, wie die OGDS der OTTO Group oder Daimlers Lab1886. Während ihre Innovationskraft gerade jetzt dringend gebraucht wird, geraten Inkubatoren durch die aktuelle Situation noch stärker unter Druck. Die Brutstätten für Startups stehen schon länger im Ruf zu teuer zu sein und zu wenig konkrete Business Cases hervorzubringen. Es gilt Lösungsansätze zu finden, die einerseits den Bedarf nach Neuerungen decken und gleichzeitig wirtschaftlich rentabel sind. Aber wie?

Company Building statt klassischem Inkubator

Mittelständische Unternehmen, die unabhängig vom Bestandsgeschäft neue Geschäftsmodelle durch Ausgründungen entwickeln wollen, sollten zunächst einmal nicht auf klassische Inkubatoren setzen. Letztere sind zumeist in die Kernorganisation integriert und an deren gewachsene Prozesse gebunden. Klassische Unternehmensstrukturen machen die Kernorganisation eher wie einen Tanker, der ruhig und mit konstantem Tempo in eine Richtung fährt, wohingegen Startups eher wie unabhängige Schnellboote agieren, die kurzfristig und agil neue Richtungen einschlagen können. Investitionsprozesse in Corporates gestalten sich wesentlich langwieriger, wodurch Startups das Zeitfenster für Innovationen und damit die “First Mover Advantage” verpassen würden. Außerdem hätten die jungen Unternehmen durch eine zu enge Bindung an die Kernorganisation vermutlich nicht die notwendige Freiheit um gerade zu Beginn mit Geschäftsmodellen zu
experimentieren.

Aus diesen Gründen sollte eine eindeutige Trennung der Einheiten durch “Chinese Walls” angestrebt werden. Company Builder erfüllen diese Anforderung, in dem sie das Bindeglied zwischen der Kernorganisation und den Startups darstellen. So schaffen Company Builder einen hohen Grad an Freiraum und Unabhängigkeit, den Startups in dieser frühen Phase brauchen. Zudem vermittelt das Company Builder Team zwischen Startup und
Unternehmen, da es beide Welten verstehen und bewerten kann, welche infrastrukturelle Unterstützung und Kompetenzen des Mutterunternehmens bei der Entwicklung des Startups hilfreich sind.

Lernen aus den Fehlern von anderen

Ein häufiger Kardinalfehler bei Ausgründungen sind zu starre Eigentumsstrukturen. Hält das Mutterunternehmen 100 % der Anteile an einem Unternehmen und sind die Gründer:innen lediglich über Gehaltsstrukturen und nicht über Shares incentiviert, fehlt ein wichtiger Anreiz, um sich langfristig für den messbaren Erfolg des Startups zu engagieren. Gleichzeitig werden so externe Finanzinvestor:innen von vornherein ausgeschlossen. Doch die Öffnung für externes Kapital schafft ganz neue Wachstumschancen. Die wenigsten Unternehmen können all ihre Startups finanziell ausstatten, dass sie ihr volles Skalierungspotenzial erreichen. Es gilt das einfache Motto: Lieber einen kleinen Anteil an einem großen Kuchen, als einen großen Anteil an einem sehr kleinen Kuchen. Gleichzeitig muss immer die Option im Raum stehen, ein Startup aufzulösen, wenn sich abzeichnet, dass ein Geschäftsmodell keinen Erfolg verspricht. Nie sollte man in eine “sunk cost fallacy” verfallen und weiter an einem Startup festhalten, nur weil man bereits Summe X investiert hat.

Allzu häufig scheitern die Experimente mit Ausgründungen nicht zuletzt aufgrund fehlender Toleranz zwischen Mutterschiff und Startups. Wichtig sind vor allem ein offenes Mindset und die Förderung gegenseitigen Verständnisses. Wer glaubt, ein junges Unternehmen wie eine mittelständische Firma führen zu können, der verurteilt sich selbst zum Scheitern. Allerdings ist der beidseitige Austausch von Wissen und Assets auch das, was das Company-Building-Modell so erfolgreich macht.

Wie der Mittelstand mit Company Building erfolgreich sein kann

Die notwendige Umgebung für den Erfolg der Startups schaffen Company Builder, indem sie ein erfahrenes und gut vernetztes Management-Team aufbauen und eine klare Trennung zwischen Startups und Kernorganisation schaffen. Einem Corporate Manager die Hauptverantwortung zu übertragen, der durch seine mangelnde Erfahrung mit Startups wenig Glaubwürdigkeit gegenüber Gründer:innen oder der VC-Szene hat, ergibt wenig Sinn und lädt zu Fragen über die Ernsthaftigkeit des Vorhabens ein. Für die Auswahl des
Führungspersonals des Company Builders kommen vor allem Personen infrage, die sich einerseits mit der Corporate als auch der Startup-Seite auskennen und zwischen den beiden moderieren können. Um diese Brücke zu schlagen, gibt es viele Wege, wie z.B. komplementäre Teams, die zusammenkommen, um sich gegenseitig weiterzubilden.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die klare Trennung der Startups von konkreten Business Units des Mutterunternehmens und den Zielvorgaben von dessen Geschäftsführung. Verständlicherweise ist das Ziel der Geschäftsführung stets ein positiver Jahresumsatz. Wer sich allerdings auf das Experiment mit Ausgründungen einlässt, muss in Kauf nehmen, dass der Aufbau neuer Geschäftsmodelle und der Sprung in die Profitabilität mehrere Jahre in Anspruch nehmen und Investments relativ lang gebunden sind.

Fazit: Company Builder können Unternehmen “Disruption-proof” machen

Fest steht, dass sich kein Unternehmen Stagnation leisten kann. Gewachsene Unternehmensstrukturen sind dahingehend optimiert, das Bestandsgeschäft voranzutreiben. Für Innovationen im Bestand sind sie häufig zu starr und zu langsam. Deshalb sind gut geführte Company Builder eine wichtige Möglichkeit sich langfristig zukunftsfähig aufzustellen und die Zukunft der eigenen Branche zu gestalten, bevor es andere tun.

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Lanbiotic, Neurodermitis
(c) Oliver Wolf - Patrick Hart und Katrin Susanna Wallner von Lanbiotic.

Das Grazer Startup Lanbiotic stellt medizinische Hautpflege-Produkte mit lebensfähigen Bakterien speziell für die von Neurodermitis geplagte Haut her. Dabei verwenden die beiden Gründer:innen Patrick Hart und Katrin Wallner den zum Patent angemeldeten Bakterienstamm “Lactococcus Lanbioticus“.

Lanbiotic: “Skalierung als neue Normalität”

“Mit unseren probiotischen Hautanwendungen bringen wir gesundheitsfördernde Bakterien direkt auf die Haut, um die natürliche Balance des Hautmikrobioms wiederherzustellen und Hautprobleme gezielt an der Ursache zu bekämpfen”, erklärt Wallner.

Das letzte Jahr fühlte sich für die Gründerin an, als sei ein Traum nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen worden. Andererseits sei es eine “neue Normalität” an der Skalierung des Unternehmens zu arbeiten.

“Wir haben weitere Produkte mit unserem einzigartigen Bakterienstamm ‘Lactococcus Lanbioticus’ entwickelt, um umfassender auf die Bedürfnisse von Menschen mit zu Neurodermitis neigender Haut eingehen zu können. Neu hinzugekommen sind Flora Bath und Flora Sun”, erklärt Wallner.

Flora Bath ist ein spezieller Badezusatz, der für Menschen entwickelt wurde, die großflächig oder an der Kopfhaut von Ekzemen betroffen sind – ein Bereich, in dem Pflegecremen oft an die Grenzen ihrer Praktikabilität stoßen.

“Der Fokus liegt wie immer bei Lanbiotic auf der Ergänzung des Hautmikrobioms, also ‘der lebende Teil’ der natürlichen Schutzbarriere der Haut, die den gesamten Körper bedeckt, mit probiotischen Bakterien”, so Wallner weiter. “Eine Ausgewogenheit des Hautmikrobioms ist, wie auch im Darm, entscheidend, um die Gesundheit der Haut zu bewahren und Beschwerden zu lindern.”

Flora Sun hingegen ist ein weiteres Produkt, das auf die besonderen Herausforderungen empfindlicher Haut unter UV-Strahlung eingeht. Studien hätten gezeigt, dass das Hautmikrobiom die natürliche Fähigkeit der Haut verbessern kann, mit den Effekten – und häufig auch Schäden – durch Sonneneinstrahlung umzugehen.

EHI-Siegel für Onlineshop

“Parallel dazu haben wir auch international expandiert: Der Eintritt in den deutschen Markt war ein großer Schritt, der mit der Anpassung unserer Produktions- und Logistikkapazitäten verbunden war, um langfristig weitere internationale Märkte beliefern zu können. Unser Webshop wurde außerdem mit dem EHI-Siegel zertifiziert, um unseren Kund:innen einen sicheren und vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen.”

Auch das Team wuchs 2024, zudem konnte durch zahlreiche Medienauftritte und Messeteilnahmen Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte und die Marke gewonnen werden.

“Als weiteres Highlight wurden wir von der Apothekerkammer mit unserer Fachfortbildung akkreditiert, was Apotheker dazu motiviert, unsere Fortbildungen zu besuchen und mehr über das noch recht ‘nischige’ Thema Hautmikrobiom zu erfahren”, sagt Wallner.

Neue Märkte im Fokus

Aktuell arbeitet das Startup intensiv daran, Lanbiotic als Unternehmen und Marke weiterzuentwickeln, strategisch zu positionieren und zu skalieren. Das oberste Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Neurodermitis über ihre mikrobiombasierten Produkte zu verbessern.

“Wir möchten Lanbiotic in weiteren Märkten etablieren, insbesondere natürlich in Ländern, wo die Prävalenz für Neurodermitis hoch ist. Dafür arbeiten wir an effizienten Marketingprozessen, um unsere Markenbekanntheit zu steigern, und bauen unsere Vertriebsstrukturen aus”, erklärt die Founderin. “Um diesen Schritt bestmöglich zu unterstützen, suchen wir gezielt nach vertrauenswürdigen Partnern für den internationalen Vertrieb, die unsere Werte und Qualitätsansprüche teilen. Die Kooperationen sollen es uns ermöglichen, unsere Produkte nachhaltig in weiteren europäischen und außereuropäischen Ländern anzubieten und das Thema Hautmikrobiom international bekannter zu machen.”

Daneben optimiert das Team Produktionsprozesse, um der wachsenden Nachfrage nachkommen zu können. In der Produktentwicklung liegt dabei der Fokus auf der Entwicklung weiterer wissenschaftsbasierten probiotischen Pflegeprodukten, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodermitis und empfindlicher Haut zugeschnitten sind. Dazu steht man intensiv mit Industrie und Spitzenforschung in Kontakt.

Lanbiotic: Strukturen und Prozesse schaffen

Intern sei man vor allem stark mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. Man arbeitet daran, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die das Wachstum langfristig stützen können. Ziel sei es, eine gesunde Organisation aufzubauen, die den Expansions- und Innovationszielen gerecht werde und das Unternehmen flexibel in die nächsten Entwicklungsstufen führt.

Lanbiotic wurde in der Vergangenheit unter anderem auch von der Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt. So absolvierte das Unternehmen den aws First Incubator und erhielt über aws Innovationsschutz eine Förderung, um sein geistiges Eigentum zu schützen. Später folgte eine Preseed- und Seed-Förderung über aws Innovative Solutions. Mit diesem Seed-Förderprogramm unterstützt die aws innovative Gründungsideen, die über die Unternehmensgrenzen hinaus einen positiven gesellschaftlichen Impact bewirken. Der Fokus liegt auf skalierbaren Geschäftsmodellen. Im Fall von Lanbiotic war die Förderung essentiell, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu finanzieren und sich allgemein zu professionalisieren.

“Eine bessere Förderung als aws Seed Innovative Solutions könnte es derzeit, meiner Meinung nach, für uns nicht geben”, sagt sie. “Es handelt sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 400.000 Euro, der für unterschiedlichste Aktivitäten in der Markteinführung und Produkteinführung verwendet werden kann. Naturgemäß ist das Programm sehr kompetitiv, aber wenn man für die Finanzierung ausgewählt wird, hat man wirklich einen gewaltigen Booster, um ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.”

Die weiteren Ziele von Lanbiotic

Im Allgemeinen habe ihnen das Programm bereits jetzt weit mehr gebracht als Geld. “Ich empfand den Bewerbungsprozess per se als wertvolle Erfahrung, um mir unser Business Model noch einmal ganz genau anzusehen und unsere Ziele zu definieren”, präzisiert die Grazerin. “Dass wir sie jetzt so scheinbar ‘locker’ übertreffen konnten, ist natürlich die Draufgabe.”

Durch die positive Resonanz der stetig wachsenden Stammkundenbasis sieht sich Wallner in ihrer Mission bestätigt. “Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Lanbiotic noch nicht kennen und Neurodermitis in vielen Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt”, sagt sie. “Daher wollen wir gezielt skalieren, den Umsatz und Gewinn steigern, innerhalb und außerhalb Europas expandieren und unser Produktportfolio weiter diversifizieren.”

In Sachen Umsatzentwicklung wird Lanbiotic 2024 das gesetzte Umsatzziel voraussichtlich verdoppeln, wie Wallner erzählt. “Unser für 2025 gestecktes Ziel ist ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich, dass wir hier wieder gute Arbeit leisten. Aktuell haben wir einen sechsstelligen Nettoumsatz erreicht, und dank der Unterstützung durch die aws Seed-Förderung werden wir auch heuer, wie jedes Jahr seit unserer Gründung, noch profitabler sein.”


* Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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