08.05.2023

Michael Tojner im Interview: Warum Österreich jetzt Zuwanderung braucht

Interview. Michael Tojner ist einer der bekanntesten Unternehmer Österreichs. Mit Firmen wie Varta und Montana Tech baute er ein Milliardenimperium auf. Nun veröffentlicht er ein Buch gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Wirtschaftsuniversität Wien. Die These: Migration ist notwendig für Österreichs Wohlstand.
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Michael Tojner vor der Wirtschaftsuniversität Wien
Michael Tojner vor der WU Wien | Foto: Wirtschaftsuniversität Wien (Hintergrund) / Guenter Parth (Michael Tojner) / Montage: brutkasten

Für Michael Tojner ist es schon einmal besser gelaufen. Sein bekanntestes Unternehmen, der Batteriehersteller Varta, ist unter Druck und hat erst im März ein umfangreiches Sparpaket inklusive Jobabbau beschließen müssen. Zudem war Tojner wegen juristischer Vorwürfe, die er bestreitet, in den Schlagzeilen. Und auch beim Fußballverein SK Rapid Wien, wo Tojner im Präsidium sitzt, läuft es sportlich nicht nach Wunsch.

Das hält den Unternehmer jedoch nicht davon ab, sich öffentlich in Debatten einzubringen. Schon in der Vergangenheit hatte Tojner mehrfach Bücher gemeinsam mit Wissenschaftlern der Wirtschaftsuniversität Wien herausgegeben.

Nun erscheint ein weiteres – und darin widmen sich die Autoren einem der meistdiskutierten Themen der österreichischen Politik: Migration. Das Buch “Migration als Chance für Wachstum und Wohlstand” wird von Tojner gemeinsam mit den WU-Wissenschaftlern Jesús Crespo Cuaresma, Nikolaus Franke und Peter Vandor herausgegeben und erscheint am 9. Mai im Linde Verlag.


brutkasten: Was darf man sich vom neuen Buch erwarten?

Michael Tojner: Das Thema Migration ist in den letzten Jahren oft missbraucht worden. Da heißt es dann, die „Ausländer“ seien schuld an einem möglichen Wohlstandsverlust – nicht nur in Österreich, sondern auch im restlichen Europa oder in Amerika. Angesichts des akuten Fachkräftemangels kommt man nun aber doch drauf, dass gut ausgebildete Migrant:innen dringend gebraucht werden, um die Wirtschaft flotter zu machen, Wachstum zu kreieren und die Pensionen abzusichern.

Mein neues Buch ist gemeinsam mit der Wirtschaftsuniversität Wien entstanden und beleuchtet das Thema in mehreren wissenschaftlichen Beiträgen. Das Ergebnis ist klar: Es ist wissenschaftlich nachweisbar, dass Migration einen volkswirtschaftlichen Vorteil für jedes Land hat.

In unserem Buch haben wir auch Informationen zusammengetragen, die vielen nicht bekannt sind. In den USA sind etwa 50 Prozent der börsennotierten Unternehmen von Immigranten gegründet, aufgebaut und zum Erfolg geführt worden. Das ist ja auch naheliegend: Jemand, der die Sprache am Anfang nicht spricht, der sich in einem Land erst zurechtfinden muss, ist auch meistens motivierter, engagierter und arbeitet mehr. Weil er sich einfach beweisen muss. Und da schlafen wir alle in Österreich.

Welche Probleme sehen Sie konkret?

Auf der Wirtschaftsuniversität höre ich, dass Talente aus Deutschland oder Spanien nicht gerne nach Österreich kommen, weil sie ihre Pensionsansprüche nicht mitnehmen können. In Österreich werden Hürden aufgebaut, es gibt kein Konzept und die Stimmung ist gegen die Ausländer. Hier muss man dagegen halten – wir brauchen ein modernes Einwanderungsrecht mit klaren Regeln. Wer sich nicht daran hält, sich nicht integriert, die Sprache nicht lernt und nicht arbeitet, kann auch wieder ausgewiesen werden. 

Auch meine Familie hat Migrationshintergrund und stammt aus Böhmen. Mein Urgroßvater ist nach Stadt Haag ausgewandert und hat dort eine kleine Kupferschmiede gegründet. 

Ich bin in Steyr und in Stadt Haag aufgewachsen. Ich habe gesehen, wie die Türken und die Jugoslawen die österreichische Automobil-Zulieferindustrie mit aufgebaut haben. Zu Hause im Installateur-Betrieb waren sicher die Hälfte der Mitarbeiter:innen aus Serbien, dem Kosovo und aus Kroatien. Das sind Leute, die zum Teil heute noch in der Firma arbeiten. Trotzdem habe ich früh bemerkt, dass Migrant:innen oft nicht voll akzeptiert und ausgegrenzt werden. Hier möchte ich ansetzen und gegen diese Stimmung die Initiative ergreifen. 

Das ist jetzt geglückt – mit der Wirtschaftsuniversität und auch mit unserer Initiative „eXplore!” mit der B&C Stiftung. Ich bin Herausgeber des Buches, habe das Vorwort verfasst und auch bei einem der wissenschaftlichen Artikel mitgeschrieben.

In welchen Ländern funktioniert die Einwanderungspolitik Ihrer Meinung nach gut?

Wir haben uns Australien genauer angeschaut. Dort dürfte ich selbst nur noch einwandern, wenn ich über eine Million Euro investiere. Ich bin schon über 45 und Australiens Einwanderungspolitik sieht das eben so vor. Australien hat eine klare Quote und geht nach Qualifikationen vor. Asylsuchende sind ein anderes Thema, aber auch die müssen Englisch lernen und sich integrieren. In diese Richtung müssen auch wir gehen.

Auch der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz ist von einer intelligenten Einwanderungspolitik abhängig. In der Schweiz gibt es sogar mehr Ausländer als bei uns. Ich habe dort selbst mehrere Unternehmen und in der Fabrikhalle arbeiten heute eigentlich fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund. Die sind jedoch voll akzeptiert, weil es klare Regeln gibt. Auch Amerika ist nur deswegen so erfolgreich, weil ausländische Arbeitskräfte kommen.

In der Startup-Szene sind die Schwierigkeiten mit der Rot-weiß-rot-Card, also mit Arbeitsgenehmigungen für Schlüsselkräfte, ein Dauerthema. Wie beurteilen Sie die Situation?

Eine schnelle Arbeitsgenehmigung für 15 dringend benötigte Fachkräfte zu bekommen, kann in Österreich ein Problem sein. Es ist aber auch in anderen Ländern in Europa mühsam. Wenn wir modern sein wollen, müssen wir da viel schneller agieren.

Ich habe das selber mitgemacht mit der Rot-weiß-rot-Card: Das dauert sechs oder sieben Monate. Bis dahin sind die Leute längst woanders – z.B. in Deutschland. Ich kenne selbst jemandem, der in Österreich erfolgreich studiert hat, dann aber keine Rot-Weiß-Rot-Card erhalten hat.

Wir haben hochqualitative und sehr günstige Universitäten in Österreich. Und dann bauen wir Hürden auf, dass deren Absolvent:innen nicht dableiben können. Das ist irre. Gleichzeitig bilden wir österreichische Ärzt:innen aus und die gehen dann in die Schweiz oder nach Deutschland.

Vor kurzem hat in Oberösterreich ein Fall für Aufsehen gesorgt, als eine indische Familie abgeschoben wurde. Der Besitzer des Gasthauses, bei dem die Mutter beschäftigt war, hat daraufhin gesagt, dass er zusperren muss, weil er keine Köchin mehr hat. Wie beurteilen Sie diesen Fall?

Grundsätzlich muss man die Gesetze einhalten. Aber wenn jemand in Österreich arbeitet, Sozialversicherung zahlt und Österreich als Volkswirtschaft profitiert, dann würde ich so jemanden im Land halten. Ich bin sicher, dass das auch in der Bevölkerung akzeptiert wird. 

Aktuell ist ja überall die Rede vom Fachkräftemangel. Wie nehmen Sie das in Ihren eigenen Unternehmen wahr?

Wir haben natürlich auch in vielen Ländern akuten Fachkräftemangel. Das ist aus der Corona-Zeit noch übrig geblieben. In den USA, in Rumänien – überall suchen wir händeringend Leute. Und natürlich haben wir auch da die bürokratischen Hürden in Österreich zu überwinden.

Unternehmer:innen haben in Österreich nicht bei allen Bevölkerungsteilen das beste Image. Sie selbst waren zuletzt auch wegen juristischer Vorwürfe in den Schlagzeilen. Was ist Ihre Motivation, sich unter diesen Umständen in die politische Debatte einzubringen?

Ich sehe es als wichtige Aufgabe sich gesellschaftlich zu engagieren. Vor allem bei Themen, wo es Defizite gibt und wo man etwas beitragen kann. Ich möchte Aufklärungsarbeit leisten, neue wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich machen, deren Schlussfolgerungen einem breiten Publikum zugänglich machen. So können wir Verständnis in der Bevölkerung schaffen und politischen Populismus zurückdrängen.

Wie beurteilen Sie die Resonanz aus der Politik?

Wir haben ja schon mehrere Bücher herausgebracht gemeinsam mit der Wirtschaftsuniversität – zur Staatsquote, zur Pensionsreform, zum Euro. Die Politik hat das bisher noch nicht besonders wahrgenommen, aber ich hoffe, dass beim brennenden Thema Migration jetzt endlich agiert wird. Ich bin überzeugt, dass eine klare Einwanderungspolitik auch in der Bevölkerung ganz klar befürwortet würde.

Diejenigen, die arbeiten und uns etwas bringen, die holen wir ins Land, damit wir unsere Unternehmen stärken können, oder auch den Gesundheits- und Pflegebereich. Den gut Ausgebildeten aus der Universität machen wir es leicht. Für den Asyl-Bereich braucht es klare Regeln. Wenn man in Österreich ist, muss man sich auch den österreichischen Regeln unterwerfen – und das fängt bei der Sprache an.

Sie präsentieren Ihr Buch im “Club 20”, einem von Ihnen initiierten Diskussionsformat. Was ist Ihr Ziel mit dem “Club 20”?

Beim “Club 20” diskutieren wir politische Themen, volkswirtschaftliche Themen – und manchmal auch kulturelle Themen. Wir wollen eine Diskussionskultur etablieren, die es da und dort nicht mehr gibt – und die Leute zum Mitdiskutieren anregen.

Buchpräsentation

Das Buch “Migration als Schlüsselfaktor für den Wirtschaftsstandort Österreich” wird am Mittwoch, den 10. Mai, um 18.30 Uhr im Hotel InterContinental im Rahmen des “Club 20” (Vier Jahreszeiten) vorgestellt. Die Thesen des Buchs diskutiert Michael Tojner dort mit dem WU-Professor Crespo Cuaresma, mit EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna und mit dem Unternehmer und ehemaligen Neos-Politiker Sepp Schellhorn.

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Carsten Maschmeyer im brutkasten-Studio
Carsten Maschmeyer im brutkasten-Studio | Foto: brutkasten

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Printmagazins – “Kettenreaktion”. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.


Carsten Maschmeyer ist einer der bekanntesten Investoren Deutschlands – nicht zuletzt aufgrund der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“, bei der er seit 2016 in Startups investiert. Doch auch abseits der Kameras ist Maschmeyer als Investor aktiv: Er investiert in Europa und den USA; in Österreich ist er an mehreren Startups beteiligt, darunter Prewave und teamecho. Im brutkasten-Interview erläutert Maschmeyer unter anderem, welche Erfahrungen er bisher mit österreichischen Gründer:innen gemacht hat, wie es ihm gelungen ist, in den USA als Investor Fuß zu fassen und warum er der Vier-Tage-Woche etwas abgewinnen kann.

Mitt seinem in Berlin angesiedelten Venture-Capital-Fonds seed + speed hat Carsten Maschmeyer bisher über 70 Investments in frühphasige Startups getätigt. Die Ticketgrößen liegen in einem Bereich von 300.000 bis 500.000 Euro. In Later-Stage-Startups investiert er über seine Münchner Firma Alstin Capital, mit dieser hat er bisher rund 30 Investments vorgenommen. Dazu kommt noch die auf den US-Markt spezialisierte Investmentfirma Maschmeyer Group Ventures (MGV), die in knapp 50 Startups investiert ist.

Auch in Österreich ist Maschmeyer an mehreren Startups beteiligt, darunter auch am Cover-Startup der aktuellen Ausgabe des brutkasten-Printmagazins, Prewave. Zu den weiteren Beteiligungen in Österreich zählen das Grazer Startup Flasher, das eine Sicherheitslösung für Fahrrad- und Rollerfahrer entwickelt, das Wiener Datenunternehmen Visplore, das Linzer HR-Startup teamecho, das Wiener Food-Supply-Chain-Startup Orderlion und das niederösterreichische Legaltech-Unternehmen Netzbeweis. Als Maschmeyer im Sommer zwei seiner österreichischen Portfolio-Startups besuchte, schaute er auch auf einen Sprung bei brutkasten vorbei.


Die Video-Fassung des Interviews findet sich am Ende dieses Artikels.


brutkasten: In dieser Ausgabe haben wir Prewave am Cover. Du bist bei dem Wiener Scaleup schon seit Längerem investiert. Aus welchen Gründen bist du eingestiegen?

Carsten Maschmeyer: Für mich sind immer die Personen wichtiger als das Produkt. Prewave-Co-Founderin Lisa Smith habe ich im Frühjahr 2020 während des Corona-Lockdowns kennengelernt. Wir hatten nur Videocalls. Sie ist eine tolle Frau und sehr komplementär mit ihrem Co-Founder Harald Nitschinger.

Das Thema der Kontrolle von Lieferketten ist eine sensationelle Geschichte, sie haben mittlerweile Kunden wie BMW oder Lufthansa. Wir sind sehr glücklich, dass wir bereits früh zu einer Vier-Millionen-Bewertung eingestiegen sind, und haben in drei weiteren Runden weiter investiert. Prewave ist in Österreich unser umsatzstärkstes und höchstbewertetes Startup.

Du bist ja auch noch bei mehreren anderen österreichischen Startups beteiligt. Wie sind deine Erfahrungen mit österreichischen Gründer:innen?

Maschmeyer: Wir haben sehr gute Erfahrungen mit österreichischen Gründer:innen. Sie sind im Durchschnitt kommunikativ etwas stärker als ihre deutschen Pendants. Ich glaube, dass die Startups in Österreich am Anfang einen großen Vorteil haben: Es ist hier Nähe, man hält zusammen; Wirtschaft, Wissenschaft, die Gründerszene, die Politik – überall gibt es kurze Wege. Das ist sehr gut.

Was mir auch auffällt, ist, dass in Österreich oft Freunde gemeinsam gründen. Diese haben dann eine enorme Vertrauensbasis, die eine hohe psychologische Sicherheit bietet. Österreichische Startups haben auch den Vorteil der Nähe zu Zentralosteuropa, sie können dort in große Märkte gehen.

Du investierst sowohl in Europa als auch in den USA. Wie unterscheiden sich Gründer:innen aus Österreich oder Deutschland von jenen in den USA? Sind die Unterschiede noch groß oder haben sich die Dinge mittlerweile geändert?

In Deutschland ist die Kommunikation häufig schwierig, gerade wenn es technisch wird. Computer Scientists sind oft nicht gut in Sales und können auch keine begeisternden Bewerbungsgespräche führen. In Österreich ist das viel offener, viel positiver.

In Amerika wiederum lernen sie schon in der sechsten Klasse, vor 30 Mit schülern zu präsentieren. Dort haben sie nichts da gegen, wenn jemand sagt, dass man Verkäufer haben muss – man weiß, dass alles verkauft werden muss. In Deutschland sieht man Verkaufen als etwas Schlimmes. Die Amerikaner wollen, dass ihre Startups Weltmarktführer werden.

Da sagen auch die Investoren, dass die Unternehmen die besten Leute brauchen – denn nur mit den besten Leuten wird man das beste Startup in einer Nische oder einem Markt. In Deutschland und Österreich nehmen Startups oft lieber nicht so viel Geld auf – dann kriegt man die Finanzierungsrunde leichter hin, sagt man sich.

Man gibt lieber nicht so viel aus, man macht lieber weniger Marketing, damit das Geld länger reicht; man will sich eine tolle Bewerberin nicht leisten. Ich sage dazu immer: Ihr könnt euch schlechte Leute nicht leisten. Gute Leute machen ein Startup stärker, führen zu besseren Innovationen und einem höheren Umsatz.

Wie wichtig war es dir, als Investor auch in den USA Fuß zu fassen?

Es war bis zu einem gewissen Grad Zufall. Meine Frau und meine Tochter sind Schauspielerinnen und haben sehr viel in Kalifornien zu tun. Mein jüngerer Sohn lebt ebenfalls seit zwölf Jahren dort. Ich selbst war dann 2016 ein Jahr lang fast komplett in den USA. Dann haben wir ein Büro eröffnet, in San Francisco.

Es hat geholfen, dass ich sagen konnte, „Shark Tank“ (die US-Version von „Die Höhle der Löwen“, Anm. d. Red.) gibt es auch in Europa. Wenn jemand etwas mit „Shark Tank“ zu tun hat, geht die Tür einfach schneller auf. Am Anfang war es nicht leicht, tolle Mitarbeiter zu bekommen, weil man uns nicht kannte

Wir sind im Moment in den USA in 49 Startups investiert, davon vier Unicorns. Wenn man dann auf der Homepage deren Logos hat, wird es leichter. Es ist wie oft im Leben: Wenn man besser im Fußball ist, bekommt man auch bessere Mitspieler, besseren Rasen und bessere Trainings bedingungen. Aber bis dahin musst du einfach mehr kämpfen und dich mehr engagieren.

Welche Tipps hast du, wenn Startups in neue Märkte expandieren wollen?

Man braucht einen Mix. Man sollte Mitarbeitende hinschicken, die die Firma in- und auswendig kennen, um die Kultur auch zu transportieren. Zusätzlich sollte man aber Menschen hinzunehmen, die aus dem Land kommen, in das man hinwill, weil diese die Mentalität und den Markt kennen.

Man muss sich auf das Land einstellen: Die Verbraucher, die Mentalität, das Verhalten – das ist überall etwas anders. Man muss auch vorher Netzwerke aufbauen, um in dem Land Investoren zu finden; ohne ausreichenden Kapitalstock kann man nicht in ein anderes Land gehen. Man sollte vorher auch Kooperationen ausloten, beispielsweise Vertriebspartnerschaften.

Du bist heute Milliardär, kommst aber aus einfachen Verhältnissen. Inwiefern hat dich das geprägt? Und wie ist dein Blick auf Gründer:innen, was diesen Aspekt angeht?

Das Leben hat es unterm Strich später mit mir sehr gut gemeint, der Start war aber nicht gut: Ich habe meinen Vater nie gesehen, ich bin in einem Mutter-Kind-Heim aufgewachsen. Und wenn man nichts kriegt und nichts hat, dann muss man etwas tun. Ich habe keine psychische Geborgenheit gehabt, ich habe immer Armut erlebt, immer Enge. Aber dadurch ist eine Willenskraft entstanden, die mich die Extrameile hat gehen lassen.

Ich hätte mir vieles verziehen – beispielsweise, wenn ich Pech gehabt hätte. Aber ich hätte mir nie verziehen, wenn ich fleißiger hätte sein können, wenn ich abends länger aufbleiben oder morgens früher aufstehen hätte können. Gründer brauchen unendlichen Hunger. Sie müssen schon ein bisschen besessen sein. Wenn jemand gründet und sagt, das mit einem Acht-Stunden-Tag zu machen, sage ich: „Gute Nacht!“

Gründern, die viele Jahre volle Power geben, muss man eher mal sagen, dass sie ein Wochen- ende ohne Mails einlegen sollen, oder dass sie eine Woche Urlaub machen sollen. Aber den ab- soluten Ehrgeiz – all or nothing –, den müssen Gründer haben. Sie haben natürlich auch ein Ziel: Sie können in wenigen Jahren durch einen Exit zu so viel Geld kommen wie Professoren als Lebens- einkommen haben. Dafür kann man auch ein paar Jahre reinhauen.

Außerdem haben sie einen Purpose, was ich toll finde: Sie wollen einen Teil der Welt nachhaltiger, gesünder, günstiger oder bequemer machen.

Wie kann ich als Gründer:in sicherstellen, dass ich keine Mental-Health-Probleme be- komme?

Eine komplementäre Zusammensetzung im Team ist wichtig. Dominieren emotionale Menschen, fehlt das Planerische, das Strukturierte; sind es nur die Strukturierten, fehlt wiederum das Emotionale. Es braucht ein Team. Ich glaube nicht, dass eine One-Person-Show alles alleine erreichen kann.

Dass Gründer alles kennen, wissen und selber machen, ist zunächst ihre Stärke. Doch diese müssen sie später ablegen – und Delegieren, Kommunikation und Projektmanagement lernen. Sie müssen Manager werden, während sie zu Beginn Erfinder, Bastler und Improvisateure waren.

Zum Managen gehört Zeitmanagement; Ruhepausen sind erforderlich. Ich war Läufer, und wenn man übertrainiert ist, kann man nicht noch mehr trainieren, stattdessen gibt es drei Tage Trainingsverbot. Der Körper braucht Erholung, und mental brauchen wir sie auch. Daher empfehle ich Gründern den mail- und digitalfreien Sonntag.

Du hast dich auch für die Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Was ist der Hintergrund?

Ich bin nicht dafür, weniger Leistung zu bringen. Ich bin aber dafür, dass abgesessene Arbeitszeit 2024 kein Kriterium mehr sein sollte. Wir müssen Leistung honorieren. Es ist nicht die Zeitmenge, die honoriert werden sollte, sondern der Output.

Es gibt Berufe, wo eine Vier-Tage-Woche besser funktioniert. Wir haben Arbeitskräftemangel, etwa in Handwerksberufen oder Pflegeberufen. Oder nehmen wir die Gastronomie: Viele wollen nicht fünf Tage in der engen, heißen Küche stehen, und dann oft auch noch am Wochenende. Hier kann eine Vier-Tage-Woche hilfreich sein. In manchen Branchen ist die Frage ja auch nicht „Vier oder fünf Tage?“, sondern „Vier oder null Tage?“ – weil man sonst keine Leute kriegt.

Kommen wir wieder zurück zum Thema Investments: In den vergangenen Monaten gab es in Österreich wieder einige größere Startup-Investments. Ist die Talsohle im Venture-Capital-Bereich durchschritten und geht es jetzt wieder aufwärts?

Der Peak bei den Startup-Runden in Größe und Häufigkeit war im Herbst 2021. Dann ha- ben wir einen Giftcocktail bekommen: Ukrainekrieg, Inflation, Zinswende, Lieferkettenprobleme. Vom Startup-Hochsommer sind wir dann in den Startup-Winter gefallen. Zwischen dem dritten Quartal 2021 und dem Vorjahr, 2023, haben wir in Europa einen durchschnittlichen Bewertungsrückgang von 37 Prozent verzeichnet. Ich glaube aber, dass wir jetzt langsam wieder in einen Startup-Frühling kommen.

Die Investoren machen häufig den Fehler, dass sie nicht das nutzen, was man im Aktien- geschäft Cost-Average-Vorteil nennt. Du kannst aber nicht nur in Startups investieren, wenn sie gerade in und teuer sind; du musst auch in Phasen investieren, in denen die Bewertungen niedriger sind.

2023 und auch 2024 sehe ich daher als goldene Jahre für Investoren: Sie kommen zu nied- rigeren Bewertungen rein und haben investoren-freundliche Terms – Liquidationspräferenzen und Downside Protection. Wir Investoren haben für die gleichen Gelder mehr Startup-Anteile bekommen oder uns mit dem gleichen Geld an mehr Startups beteiligen können.

Gründer:innen können aber kein Dauer-Fundraising mehr betreiben, bei dem egal ist, wie hoch die Verluste ausfallen. Das ist vorbei. Die Investoren wollen, dass ein Break-even in Sicht ist. Natürlich kann man es mit den Investoren besprechen, wenn der Break-even-Point nicht erreicht wird, weil man beispielsweise einen neuen Markt erschließen will – aber die Möglichkeit muss da sein. Die guten Startups kriegen weiter Geld. Das sieht man auch hier in Österreich.

Du bist seit 2016 als Investor Teil der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“. Wie lange willst du das noch machen?

Das Wichtigste ist: Ich muss einen Sinn in meinem Tun sehen. Als ich vor neun Jahren gefragt wurde, ob ich mitmache, habe ich zugesagt. So viele sagen, dass sie die Startup-Szene unterstützen wollen, und machen dann nichts. Aber ich bringe diese 15 bis 20 Drehtage in meinem Terminkalender unter.

Mit der Sendung tun wir mehr für die Startup-Szene als viele andere Initiativen: Wir bringen einfach Gründertum, Selbstständigkeit, Umsatz, Margen und Prozentrechnung ins Wohnzimmer. Das ist fantastisch.

Solange ich bei „Die Höhle der Löwen“ tolle Gründer:innen sehe, mit Mega-Ideen und Innovationen, an die ich sonst nicht gekommen wäre, mache ich das gerne weiter. Wir haben ja auch einen riesigen Vorteil: Wenn ein Startup da präsentiert, hat es sofort ein Millionenpublikum. Viele, die zusehen, bestellen Produkte gleich parallel am Smartphone. Das ist auch ein Marketingkanal, das muss man ganz offen sagen.


Das vollständige Interview mit Carsten Maschmeyer als Video:

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