19.08.2022

Warum wir die Negativität hinter uns lassen müssen

In seiner aktuellen Kolumne erläutert Mic Hirschbrich, warum wir trotz der Krisen unserer Zeit, unseren Anspruch an Fortschritt und Wohlstand nicht verlieren dürfen.
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Beeindruckend große Namen berichteten am Salzburg Summit vor wenigen Wochen wortgewandt von dem Dilemma, in dem wir alle stecken, – wirtschaftlich, geopolitisch, ökologisch, you name it. Ein paar rangen um Aufmerksamkeit, in dem sie Begriffe wie „Zeitenwende“ nochmal zu übertrumpfen suchten. Ein paar andere aber appellierten an unsere Kraft, unseren Verstand, unsere Fähigkeit, mit Innovation die anstehenden Probleme zu lösen. Neben dem IV Präsidenten Knill, fiel auch Infineon-Chefin Sabine Herlitschka mit dem Ausbrechen aus den dystopischen Frames unserer Zeit auf. Fast schon ungewohnt, wenn jemand derart Zuversicht und Selbstbewusstsein verbreitet, ohne die Realität zu beschönigen. Man fühlt sich fast an vergangene Zeiten erinnert, als Optimismus und eine Hands-on-Mentalität noch selbstverständlich schienen.

Verlust der Pax Americana

Die Kommentatoren der darauffolgenden Tage festigten zumeist die dystopische Analyse, vielleicht in ihrem eigenen politischen Duktus, jedoch kaum milder im Urteil. Joschka Fischer etwa, jener deutsche Grüne, der vor Habeck und Co über Parteigrenzen hinweg Anerkennung erntete, sprach in einem Gastkommentar von „planetaren Konsequenzen“, die der Verlust der Pax Americana für unsere (westliche, Anm.) Welt bedeuten würde. Dieser „Ordnungsverlust“ würde zur Rückkehr großer Kriege führen, einer Gefährdung der Welternährung, der Unterbrechung des Welthandels und natürlich der offenkundigen Energiekrise. So weit so aufbauend. Der Westen sei obendrein naiv und der Klimawandel unterschätzt, China übermächtig. – Das durfte nicht fehlen.

intellectual lazyness

Wolf Lotte setzte eines drauf und erteilte unserer Hoffnung, dies alles irgendwie bewältigen zu können, mehr oder weniger eine Abfuhr. Unsere Leistungsfähigkeit sei abhandengekommen. Wir hätten eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne, kriegten nicht genug von Ferien, Urlaub, Auszeit, und anstatt sich richtig anzustrengen, um Probleme zu lösen, ortet Lotte eine ausgeprägte “intellectual lazyness”, Denkfaulheit oder geistige Trägheit bei uns Bürger:innen.

Vielleicht hat Lotte recht. In unseren Breiten fallen bei Diskursen zum Thema vor allem Forderungen nach einer 4-Tage Woche und einer besseren Work-Life-Balance auf. Eine kollektive Hybris scheint unser Abendland befallen zu haben und der Schweiß in Vergessenheit geraten, wie hart man für Freiheit und Wohlstand arbeiten und zuweilen auch kämpfen muss. Es fehlen zumindest die klar wahrnehmbaren Beistandsbekundungen, den ganzen Mist gemeinsam aufzuräumen, der sich aus den diversesten Sorten vor unseren Fenstern türmt.

Es könnte auch sein, dass wir dennoch dem Prinzip Hoffnung frönen und das nur (zu) selten verbalisieren. Und dass es auch genug Gründe für eben diese Hoffnung gibt.

Mic Hirschbrich

Die Fortschritts-Illusion

Aber, es bleibt uns immerhin noch unsere Innovationskraft, die uns bei Klimawandel, Wohlstandsverlust und Co zur Hilfe eilt. Der Kunst- und Kultur-beflissene Investor und Milliardär Peter Thiel widerspricht und beschreibt die „Fortschritts-Illusion“ als das Leugnen des ins Stocken geratenen materiellen Fortschritts. Dass was viele von als Fortschritt ansehen würden, sei vor allem Ablenkung. Und als Symbol dafür nennt er das iPhone, das uns sowohl von unserer Umwelt ablenken würde als auch davor, wie sich selbige veränderte. Die Großmutter, die ein neues iPhone erhielte, müsste zeitgleich Katzenfutter essen, weil für richtige Nahrung kein Geld mehr da sei. Abseits dessen was uns die Nachrichten und Experten also vermitteln, seien wir in einer Entwicklungs-Stagnation gefangen. So weit so motivierend.

Haben wir uns emotional abgekoppelt?

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen damit geht, aber eigentlich dürfte das alles kaum auszuhalten sein. Die Einschätzungen zu unserer Lage sind so divers wie desaströs und werden in unserer Aufmerksamkeits-Ökonomie obendrein fatalistisch vorgetragen; nicht von irgendwelchen Youtube-Rowdies, sondern von bekannten Intellektuellen unserer Zeit. Nur es passiert nichts. Keine Panik. Keine Reaktion. Wie gibt es das? Es ist, als hätten wir uns großteils von der Realität unserer Zeit emotional abgekoppelt.

Die Mehrheit, davon bin ich überzeugt, möchte an ein starkes und sicheres Europa glauben

Mic Hirschbrich

Beim Dinner in der Residenz waren die Filets zeitgleich medium-rare serviert worden, zusammen mit hervorragendem Wein. Der Abend war großartig, die Stimmung keineswegs getrübt, trotz der zuweilen schweren Kost untertags. Auch die Tage danach, als sich die Nachrichten immer noch düsterer ausnahmen, fuhren viele auf Urlaub oder packten für den See. Die Terrasse brauchte vielleicht eine kleine Renovierung und Bortolotti lockt mit dem besten Eis.

Die allgemeine Nachrichtenlage und unsere Tagesverfassung und Tun, sie scheinen so überhaupt nichts mehr miteinander zu tun zu haben. Die Welt ist aus den Fugen, aber der Jedermann war wieder Mal hervorragend und „mei is´ dieses Salzkammergut sche“. Nur, wie ist das zu erklären? Entweder die meisten Menschen haben ein Urvertrauen aus Kryptonit. Oder sie glauben die Nachrichten nicht oder nicht in dem Ausmaß, wie sie auf uns einprasseln. Oder wir schimpfen zwar gewohntermaßen auf die Politik, glauben aber tief in uns und unbewusst ganz fest, dass unser Vollkasko-Staat das schon irgendwie alles regeln kann. Oder es ist, wie so oft, eine Mischung aus all diesen Varianten?

Die Resilienz der westlichen Institutionen

Es könnte auch sein, dass wir dennoch dem Prinzip Hoffnung frönen und das nur (zu) selten verbalisieren. Und dass es auch genug Gründe für eben diese Hoffnung gibt. Wir sehen nämlich auch genügend Schwächen beim System-Konkurrenten China, die nur geschickt unter dem Mantel der Zensur gehalten werden. Wir sehen, dass die Institutionen der USA, trotz gewaltiger Umbrüche und Angriffe auf ebendiese, standhalten und uns immer wieder aufs Neue überraschen. Und ich weiß nicht, ob alle europäischen Verfassungen so klug und schön verfasst sind wie die unsrige, aber auch unsere Institutionen haben in den großen Krisen erstaunliche Resilienz bewiesen.

Und ja, bei manchem Bewerber möchte man sich fragen, ob Ansprüche und Vorstellungen noch in einem guten Verhältnis zu Kompetenz und Leistung stehen, aber wir alle haben auch sehr viele junge Menschen als Kolleg:innen gewinnen können, die sehr hart arbeiten und sehr wohl beweisen, dass sie bereit sind, auch große Verantwortung zu schultern und Leistung zu erbringen. Wir haben zwar genügend Schwurbler und Radikale die uns (online) ärgern, aber auch unzählige Menschen die sich (leise) in Vereinen und neuen Bewegungen engagieren, um einen Beitrag zu leisten, unsere Welt und die Art, wie wir leben, zu retten. Die Klugen sind oft nicht so laut, das liegt in ihrer Natur.

Was die Mehrheit möchte

Die Mehrheit, davon bin ich überzeugt, möchte an ein starkes und sicheres Europa glauben. Daran, dass wir auch unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt hinterlassen. Wir alle wollen im Winter heizen und unseren Wohlstand halten können. Wir wollen Kriege abwenden und unseren historisch hart erkämpften Frieden auch weiterhin sichern. Wir wollen fair zusammenleben und unser kulturelles Erbe weitergeben. Wir wollen uns mit unseren Freunden weiterentwickeln und uns nicht über neue Feindschaften definieren. Wir wollen Innovation und Technologie dafür einsetzen, dass es der Menschheit besser geht. Und wir wollen das Offensichtliche nicht verdrängen, sondern bewältigen.

Wir wollen unseren Beitrag leisten, wissend, dass sich manches ändern wird. Wir wollen uns nicht von Angst lähmen, aber auch nicht von der Wirklichkeit ablenken lassen. Wir wollen das schaffen. Unsere Ur- und Großeltern haben nach dem zweiten Weltkrieg unglaubliches geleistet. Und jetzt sind wir an der Reihe. Nächste Woche startet das European Forum Alpbach. Mal sehen, ob der Befund zu Realität und Stimmung gleich bleibt. Man sieht sich!


Zum Autor

Mic Hirschbrich ist CEO des KI-Unternehmens Apollo.AI, beriet führende Politiker in digitalen Fragen und leitete den digitalen Think-Tank von Sebastian Kurz. Seine beruflichen Aufenthalte in Südostasien, Indien und den USA haben ihn nachhaltig geprägt und dazu gebracht, die eigene Sichtweise stets erweitern zu wollen. Im Jahr 2018 veröffentlichte Hirschbrich das Buch „Schöne Neue Welt 4.0 – Chancen und Risiken der Vierten Industriellen Revolution“, in dem er sich unter anderem mit den gesellschaftspolitischen Implikationen durch künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

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Die Kurstafel:

📈 Bitcoin erstmals über 90.000 US-Dollar

In der Folgewoche hatten wir an dieser Stelle schon das Bitcoin-Rekordhoch thematisiert, das unmittelbar nach den Wahlen in den USA erreicht worden ist. Seither ging es weiter deutlich nach oben - zwischenzeitlich sogar über die 90.000-Dollar-Marke. Auf 7-Tage-Sicht liegt der Bitcoin-Kurs 18 Prozent im Plus. Und das nach einer bereits starken Vorwoche, die schon einen klaren Kursanstieg gebracht hatte.

Der Hintergrund ist klar: Die US-Kryptobranche hofft auf einen Kurswechsel in der Politik, nach dem Donald Trump die Präsidentschaftswahl für sich entschieden hatte. Trump hatte sich im Wahlkampf als Bitcoin- und Krypto-Befürworter positioniert. Dabei hatte er auch immer wieder den Kurs der Biden-Regierung kritisiert. Die Börsenaufsicht unter dem von Biden eingesetzten Behördenchef Gary Gensler war insbesondere in den vergangenen beiden Jahren scharf gegen viele Akteure aus der Branche vorgegangen. 

Gensler wird nun abgelöst werden, so viel ist klar. Wer ihm nachfolgt, ist noch offen. Die Stimmung in der US-Kryptobranche könnte so beschrieben werden: Jede andere Person ist besser als Gensler. Die Hoffnung ist aber natürlich, dass möglicherweise sogar eine explizit krypto-affine Person den Posten erhält. Noch ist dies aber offen. Wie auch vieles andere, was die neue Trump-Regierung angeht. 

Aber es geht nicht nur um die Regierung. Denn gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen wurden auch zahlreiche Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus neu gewählt. Und Auswertungen der US-Kryptobörse Coinbase zufolge reüssierten dabei viele Kandidat:innen, die der Branche aufgeschlossen gegenüber stehen (siehe Crypto Weekly #151). Dies erhöht die Chancen, dass die Regulatorik in den USA in den kommenden Jahren günstiger für die Branche werden wird.

🤔 Wann knackt Bitcoin die 100.000-Dollar-Marke? 

Zusammenfassend kann man sagen: Die US-Kryptobranche hofft auf einen Kurswechsel in der Politik - und damit auf bessere Zeiten. Wirklich Konkretes weiß man aber noch nicht. Der Markt ist aktuell also primär von Hoffnung getrieben. Diese ist durchaus berechtigt, aber eben auch mit viel Unsicherheit verbunden. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich nach und nach zeigen, was alles Realität werden wird. Die Position des Chefs der Börsenaufsicht wird dabei sicherlich eines der zentralen Themen sein. Aktuell preist der Markt aber einfach eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo ein.

Mit zwischenzeitlich über 90.000 US-Dollar hat sich der Bitcoin-Kurs auch schon der immer wieder beschworenen Marke von 100.000 Dollar angenähert. Im Bullenmarkt von 2021 entstand etwa der Social-Media-Trend, dass Bitcoiner:innen ihre Augen in ihren Profilbildern durch Laseraugen ersetzen - und zwar, so die Ankündigung, bis der Bitcoin-Preis 100.000 Dollar erreiche. 

Im damaligen Cycle war allerdings dann bei knapp über 70.000 Dollar Endstation - und ein “Kryptowinter” brach an, der auch den Bitcoin-Kurs massiv nach unten drückte. Im Zuge des Debakels rund um die Pleitebörse FTX sank er bis auf deutlich unter 20.000 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt schien die 100.000-Dollar-Marke völlig unerreichbar.

Zwei Jahre später sieht die Situation ganz anders aus. Nach dem bereits starken Jahr 2023 mit einem Plus von rund 150 Prozent ging es 2024 noch einmal weiter nach oben. Schon im März wurde der Höchststand aus 2021 überschritten. Im November dann neuerlich. Dazwischen lag kein spektakulärer Bullenmarkt, der die Schlagzeilen dominierte - aber nach und nach rückte die 100.000er-Marke plötzlich näher. 

🤭 Warum die Antwort darauf egal ist

Mit einem Bitcoin-Kurs von aktuell knapp unter 90.000 Dollar bräuchte es nur noch einen Kursanstieg von etwas mehr zehn Prozent. Und einen solchen kann es am Kryptomarkt durchaus schon einmal an nur einem (starken) Tag geben. Dass die Marke in den nächsten Wochen überschritten wird, ist also durchaus wahrscheinlich. 

Zeigen wird sich dann aber auch wieder einmal etwas anderes: Dass es sich bei allen vielbeschworenen und genau beobachteten Kursschwellen um völlig willkürlich gewählte Marken handelt, deren Überschreiten in Wirklichkeit keine große Bedeutung hat. Klar, ein Bitcoin-Kurs über 100.000 Dollar ist schon ein Statement und zeigt natürlich auch, wie etabliert Bitcoin mittlerweile ist. Aber das tut ein Bitcoin-Kurs von 99.741 Dollar oder von 102.743 Dollar genauso. Zusammenfassend könnte man also sagen: Die 100.000er-Marke wird früher oder später erreicht werden - es bedeutet nur nichts. 


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