16.08.2018

Mit dem Masterplan “digiNATION” gegen den IT-Fachkräftemangel in Österreich

Österreichs IT-Branche wächst rasant, und dennoch besteht akuter Handlungsbedarf. Alfred Harl, Obmann des Fachverband UBIT (Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT) der Wirtschaftskammer Österreich, geht von einem gegenwärtigen IT-Fachkräftemangel in einer Größenordnung von 5000 bis 10.000 IT-Fachkräfte aus. Das ist ein Problem. Nun soll der digiNATION-Masterplan des Fachverband UBIT gemeinsam mit der Bundesregierung und Bundesministerin Margarete Schramböck umgesetzt werden.
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Alfred Harl
(c) Caro Strasnik. Alfred Harl.

Schon jetzt fehlen in Österreich ca. 5000-10.000 IT-Fachkräfte, und dieser Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Das ist erschreckend, sind doch IT-Betriebe zweifelsohne wichtige – vielleicht sogar die wichtigsten – Motoren der österreichischen Wirtschaft. Dies beweisen einige erstaunliche Zahlen: “Die Mitgliedsbetriebe der UBIT boomen, weil Kunden österreichische Beratung stark nachfragen, vor allem die IT-Berufe explodieren”, erklärt Alfred Harl, Obmann des Fachverband UBIT. Doch nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland kommt die heimische Expertise gut an: “Wir sind stolz darauf, dass österreichisches Know-how auch über die Landesgrenzen hinaus von Kunden stark nachgefragt wird”, betont Harl. Mit einem Exportanteil von 24,9 Prozent weist die IT-Branche die höchste Quote auf. “Seit 2008 verzeichnet unsere Branche steigende Umsatzzahlen, diese haben sich mehr als verdoppelt. Der Fachverband UBIT ist die dynamischste Branche in der Wirtschaft und hat einen wesentlichen Anteil am österreichischen Konjunkturmotor”, erklärt Alfred Harl.

c) Pamela Graf. UBIT-Obmann Alfred Harl im Gespräch mit Dennis Reppnack, Redakteur von der brutkasten.
(c) Pamela Graf. UBIT-Obmann Alfred Harl (r.) im Gespräch über den Masterplan digiNation mit Dennis Reppnack (l.), Redakteur von der brutkasten.

UBIT: 31,23 Mrd. Euro Umsatz und 13 Prozent Wachstum im Jahr 2017

Der Fachverband Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (kurz: UBIT) fasst knapp 68.000 Mitglieder. Er nimmt die Interessen der UnternehmerInnen aus diesen Bereichen wahr und hat zum Ziel, berufsrelevante Rahmenbedingungen zu verbessern. Die zum UBIT dazugehörigen Betriebe konnten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 31,23 Mrd. Euro erwirtschaften. Während die gesamte österreichische Wirtschaft 2017 nominell “nur” um 4,6 Prozent wuchs, verzeichnete der Fachverband UBIT hingegen für seine Branchen ein Umsatzwachstum von 13 Prozent. Hiervon entfallen 23,98 Mrd. Euro bzw. 13,4 Prozent Wachstum allein auf die IT-Branche. Und die Stimmung ist auch in diesem Jahr sehr positiv. So wollen IT-Betriebe ihr Personal im Schnitt um 13,6 Prozent aufstocken.

+++ Fachverband UBIT: Neuerlich Rekorde beim Export und bei Umsätzen +++

Masterplan: digiNation

Doch Alfred Harl weiß auch: “Die Konkurrenz schläft nicht. Bundesministerin Margarete Schramböck hat mit der Schaffung von neuen Ausbildungsberufen wie Anwendungsprogrammierer/Coder schon gute Impulse gesetzt. Aber wir müssen noch weiter gehen. Deshalb drängt der Fachverband UBIT auf rasche Umsetzung des digiNATION-Masterplans. Wir wollen damit vor allem dem Fachkräftemangel im IT-Bereich entgegentreten und Österreich als innovativen Standort nach vorne bringen.”

Der Masterplan setzt unter anderem darauf, das Thema IT fester im Bildungsweg von Kindern bis MaturantInnen zu verankern. Schon ab dem Kindergarten und der Volksschule sollen sich Kinder in einer verpflichtenden Stunde bzw. in einem ordentlichen Unterrichtsfach mit der digitalen Welt befassen. “Die heranwachsende und die kommenden Generationen müssen die Bildung im IT-Bereich quasi mit der Muttermilch aufsaugen”, so Harl weiter. Zudem fordert er auch ein transparentes Studierendenleitsystem für Universitäten und Fachhochschulen. IKT-Studienplätze sollen zudem deutlich ausgeweitet und Zugangsbeschränkungen durch mehr Budgets vermieden werden, und Studierende sollen besser verteilt werden, sodass vorhandene Kapazitäten bestmöglich genützt werden. Dazu wäre es hilfreich, wenn das Studierendenleitsystem unterjährig den Wechsel von einer Uni auf eine andere zuließe.

Förderung von KMU, Startups und der Risikofreude

Ein weiterer Schritt ist die Innovationskraft von Unternehmen zu stärken. Ein Beispiel hierfür ist das Förderprogramm KMU DIGITAL. “Die DSGVO hat die Betriebe sehr stark beschäftigt, auch brauchen viele Unternehmen Unterstützung, wenn es darum geht, sich für die Digitalisierung fit zu machen. Deshalb ist es gut, dass es Förderprogramme wie KMU DIGITAL gibt, das nicht nur direkte finanzielle Mittel bietet, sondern auch den Unternehmen bei Bedarf mit mehr als 400 Beratern zur Seite steht. Dieses Programm muss in jedem Fall 2019 fortgesetzt bzw. ausgebaut werden”, erläutert Harl.

Auch müssten sich die Rahmenbedingungen für Startups dringend verbessern, denn: “das, was Startups leisten, hat eine ungemein hohe Bedeutung. Sie sind oftmals Vorreiter in Sachen IT und agieren auf diesem Gebiet schnell und wendig. Beispielsweise finden sich bei unserem weltweiten Constantinus Award, Österreichs größtem Beratungs- und IT-Preis, unter den Nominierten und Preisträgern überwiegend Startups”, so Harl. Hierzulande krankten aber viele Startups an fehlenden Investitionen, was auch an der risikoscheuen Art der österreichischen Bevölkerung liege. Startups müssten einfacher an Investitionen kommen. Dies könne man erreichen, indem man durch absetzbare Investitionen und zum Teil abschreibbare Verluste die Risikofreude steigert.

Die Digitalisierung gestalten: Forderung Österreich rasch zur digiNation machen

Alfred Harl erinnert sich an einen Besuch in Indien: “Programmierer genießen in Indien ein extrem hohes Ansehen und bekommen eine Top-Bezahlung. Es gibt dort ein eigenes IT-Ministerium, und der Anteil der Frauen in der IT-Branche beträgt in Indien 50 Prozent. Solange die Rahmenbedingungen in Österreich so sind, wie sie sind, brauchen wir nicht darauf hoffen, dass qualifizierte Programmierer nach Österreich kommen. digiNATION ist ein Schritt in die richtige Richtung, um eine höhere Qualität in der Ausbildung und Qualifizierung von IT-Kräften zu erreichen und diesen Zweig interessanter zu gestalten. Eine klare Vision, wohin sich Österreich entwickeln soll und eine transparentes Ausbildungskonzept, das Universitäten, Fachhochschulen und die duale Ausbildung aufzeigt, müssen rasch auf den Tisch. Damit wir den digitalen Wandel aktiv mitgestalten können.”


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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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