28.04.2023

Lithium: 5 Wege aus der Abhängigkeit des weißen Goldes

Wir brauchen es für Handys, Laptops, zum Speichern von Energie, aber auch für Elektroautos. Die Rede ist von Lithium - einem Metall, von dem wir uns immer mehr abhängig gemacht haben. Es gibt aber auch Wege aus dieser Abhängigkeit. Hier ist ein möglicher Fahrplan.
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Bis 2030 sollen mehr als 60 Prozent der weltweit verkauften Fahrzeuge E-Autos sein, schätzt die Internationale Energieagentur (IEA). Aber nicht nur für E-Autos, auch für Energiespeicher oder Handys und Laptops braucht man Lithium, auch weißes Gold genannt. Das weiß-silberne Metall wird in Lithium-Ionen Batterien benötigt, welche als eine der besten Optionen für das Halten der Ladung und die effiziente Stromabgabe gesehen werden.

Von der EU wird der Rohstoff als kritisch kategorisiert, weil Lithium für die Industrie sehr wichtig ist und die Gefahr von einem Versorgungsrisiko bestehen kann. Selten ist Lithium auf der Erde nicht, aber “Lithium ist in Gesteinen selten so stark konzentriert, dass es sich für den Bergbau rentieren würde”, erklärt Frank Melcher von der Montanuniversität Leoben.

Vor allem Australien, Chile und China beliefern die Welt mit Lithium. Gestörte Lieferketten haben die heimische Industrie schon häufiger vor Herausforderungen gestellt. Welche Möglichkeiten hat also die EU, sich unabhängiger von Lithium-Importen zu machen? Brutkasten hat bei vier Wissenschafter:innen nachgefragt – hier ist ein möglicher Fahrplan aus der Lithium-Abhängigkeit.

Ein Blick in den Rückspiegel

“Noch vor 20 Jahren ist Lithium ein Rohstoff mit relativ geringer Bedeutung gewesen”, sagt Melcher. Doch mit dem Aufkommen der Lithium-Ionen-Batterien und der Zunahme von Elektroautos, hat Lithium einen hohen Stellenwert eingenommen.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten das weiße Gold abzubauen: Zum einen findet sich Lithium in Festgesteinen, zum Beispiel in Australien. Die zweite Möglichkeit ist Lithium aus Salzseen zu gewinnen. Diese findet man beispielsweise im sogenannten Lithium-Dreieck in Chile, Argentinien und Bolivien. In den ohnehin trockenen Gegenden sorgt der Abbau des weißen Goldes für Grundwassermangel, da es zahlreiche Verdunstungsschritte braucht, um Lithium verfügbar zu machen.

Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die Welt bis 2040 rund 40 mal mehr Lithium braucht, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Außerdem erwartet sie, dass Hersteller bis 2030 nur die Hälfte des Bedarfs der Lithium-Industrie decken und gleichzeitig die Klimaziele erreichen können. Für die Herstellung von einer Tonne Lithium würden zwischen drei und 17 Tonnen Kohlendioxid verbraucht. Das sei bis zu elf mal so viel, wie für die Herstellung von einer Tonne Stahl ausgestoßen wird. 70 Prozent dieser Emissionen fallen bei der Verarbeitung von Lithium an.

Station 1: Reserven in Europa nutzen

Die Reise beginnt in Wolfsberg in Kärnten. Dort soll sich eines der größten Lithium-Vorkommen in Europa befinden. Die Rechte für den Abbau wurden 2011 an das australische Unternehmen European Lithium verkauft, das dort auch Lithium gewinnen will, wie der Standard berichtete.

In Europa selbst mehr Lithium abzubauen, wäre durchaus möglich. Von der Entdeckung bis zur Produktion von Lithium vergehen im Durchschnitt aber rund 16 Jahre. Wir wissen aber schon heute, dass es Lithium-Vorkommen in Europa gibt. Beispielsweise in Serbien oder Portugal, doch Bürgerproteste verhindern dort den Fortschritt der Projekte.

In einer Analyse der Fachzeitschrift Nature schreiben Expert:innen: “Langfristig ist die Inbetriebnahme weiterer Minen und Verarbeitungsanlagen der einfachste Weg, die Energiesicherheit zu gewährleisten.” Auch Melcher sieht in der Nutzung der europäischen Lithiumreserven großes Potential. So könne man mit drei oder vier Lithium-Projekten in Europa relativ schnell bis zu 30 Prozent der Weltproduktion erreichen.

“Es ist meiner Meinung nach absolut sinnvoll, wenn wir auf Elektromobilität setzen – und das ist offensichtlich der politische Wille, dass man diese Batterien auch in Europa baut. Denn wir machen uns sowieso bei sehr vielen Bauteilen stark abhängig vom Import, vor allem von China”, erklärt Melcher.

Station 2: Abfall besser nutzen

Mehr Lithiumabbau in Europa ist also ein möglicher Weg, aber das alleine dürfte für die Unabhängigkeit noch nicht reichen: “Wenn man den prognostizierten Bedarf auf die Ziele hochrechnet, werden wir bis 2050 insgesamt etwa 15 mal mehr Lithium abbauen müssen als bisher in den vergangenen 40 Jahren gewonnen wurden”, rechnet Melcher vor.

Der Abfall sei auf jeden Fall auch ein Problem, das mit Lithium einhergehe und werfe die Frage auf: Was machen wir mit den Abfällen? Laut Melcher geht mit einem Prozent Lithium im Erz 99 Prozent Reststoffe einher. “Die Strategie im Bergbau ist, aus allem ein Produkt zu machen. Das bedeutet, dass man diese Reststoffe soweit aufbereitet, um sie wieder verkaufen zu können, denn Deponien sind in Europa schwer vorstellbar”, so Melcher.

In der Lithium-Ionen-Industrie könnten laut Nature Experten außerdem im Jahr 2030 fast acht Millionen Tonnen Natriumsulfat als Abfall produziert werden. Noch werde der Abfall entweder auf Deponien gelagert oder nach Übersee verschifft. Dieses Natriumsulfat könne man aber wieder aufbereiten und für die Lithium-Ionen Batterieherstellung nutzen. “Das ist aber alles noch Zukunftsmusik, aber technisch möglich wäre vieles”, erklärt Florian Part von der Universität für Bodenkultur Wien.

Station 3: Repurposing und das zweite Leben

Auch Part sieht in der effizienteren Nutzung von Abfall einen Teil des Weges in die Unabhängigkeit. Eine Grundsatzregel sei: “Je länger die Stoffe bzw. Produkte im Umlauf sind, desto besser für die Umwelt”, so Part. Er beschäftigt sich unter anderem damit, wie man Lithium-Ionen-Batterien ein zweites Leben einhauchen kann. Hersteller sprechen momentan von einer Lebensdauer der Batterien von sieben bis zehn Jahren.

Aufgrund von Gewährleistungsverpflichtungen der Automobilhersteller müssen Lithium-Ionen-Batterien in Elektroautos bei einer Restkapazität von derzeit 70 Prozent ausgetauscht werden. Der Grund dafür sei, dass diese nicht mehr die gewünschte Leistung erbringen. “Da ist die Idee, dass man diese Batterien durch ein Repurposing länger im Umlauf halten kann. Zum Beispiel kann man diese für Second-Life-Batteriespeicher nutzen”, erklärt Part.

Die Lithium-Ionen-Batterien aus Autos werden also wiederverwendet. Teilweise würde das auch schon im größeren Maßstab umgesetzt werden, hauptsächlich befinde man sich aber im Pilotmaßstab. “Es gibt da beispielsweise einen Second-Life-Speicher von Saubermacher in der Steiermark. Die großindustrielle Umsetzung scheitert derzeit aber an diversen Marktmechanismen”, so Part.

Dabei gehe es vor allem um die Frage: Sind Second-Life Speicher profitabel? “Derzeit ist die klare Antwort: Nein. Das kann sich auch ändern. Meiner Meinung nach müsste man den Einsatz mit Subventionen oder auch strengen Vorgaben der EU forcieren”, meint Part. Der freie Markt könne dieses Problem nicht regeln, da Second-Life-Batterien mit billigen Neubatterien aus China konkurrieren müssen. “Bei der Importabhängigkeit von Lithium kann Repurposing einen Beitrag leisten, weil man das Problem etwas hinauszögert. Erst nach dem Repurposing gehen die Stoffe in das Recycling”, so Part.

Station 4: Recycling von Lithium-Ionen-Akkus

Auf der Reise in die Unabhängigkeit von Lithium-Importen könnten schon bald zahlreiche Elektroautos in den Ruhestand gehen. Doch was macht man dann mit all den Lithium-Ionen-Batterien? Eine Möglichkeit ist, Inhaltsstoffe wie Lithium zu recyceln.

“Elektromobilität ist auf jeden Fall ein wichtiger Beitrag zur Klimawende, darüber brauchen wir gar nicht diskutieren. Es kann aber natürlich nur dann funktionieren, wenn wir einen geschlossenen Recyclingkreislauf haben”, erklärt Eva Gerold von der Montanuniversität Leoben. Die Technologien dafür gäbe es schon, in Bezug auf den großflächigen Einsatz, handle sich im Moment aber vor allem um eine Frage der Wirtschaftlichkeit.

Laut Gerold wird sich aber nicht die Frage stellen, ob recycelt werden soll oder nicht. Die neue Battery Directive der EU, die kommen wird, mache klare Vorgaben: “Diese Richtlinie wird vorgeben, dass man bis 2030 90 Prozent des Nickels und Kobalts und 70 Prozent des Lithiums aus einer verbrauchten Lithium-Ionen-Batterie zurückgewinnen muss”, so Gerold.

Wichtig sei, die Forschung konstant zu fördern, um am Ball zu bleiben. “Ich glaube, es passiert natürlich schon viel in Bezug auf die Förderung der Forschung, aber es passiert noch zu wenig, um Europa strategisch abzusichern”, so Gerold. Für die Unabhängigkeit von Lithium-Importen könne man mit Recycling eine gewisse strategische Unabhängigkeit erreichen. “Da dies zumindest einen Teil der Lithium-Abhängigkeit abändern kann. Der gesamte Bedarf an Lithium lässt sich allerdings nie durch Recycling abdecken, da der Bedarf weiter steigt”, so Gerold.

Station 5: Die Suche nach Alternativen

Am Ende des Weges aus der Abhängigkeit stellt sich auch die Frage nach Alternativen. Forscher der TU Wien haben beispielsweise eine Sauerstoff-Ionen-Batterie erfunden. Diese soll extrem langlebig sein, ohne seltene Erden auskommen und das Problem der Brandgefahr lösen. Statt Lithium wird Keramik verwendet und wo andere Batterietypen an Kapazität verlieren, könne sich die Sauerstoff-Ionen-Batterie selbst regenerieren.

Für Elektroautos oder Smartphones sei das Batteriekonzept nicht gedacht. “Es gibt bestimmte Bereiche, für die es nicht absehbar ist, Lithium-Batterien leicht ersetzen zu können. Dafür gibt es andere Bereiche, wo es geht und wo der Einsatz von Lithium-Batterien Verschwendung wäre”, sagt Alexander Schmid von der Technischen Universität Wien.

Für große Energiespeicher könne die Sauerstoff-Ionen Batterie eine gute Lösung sein. “Wenn wir in absehbarer Zeit weg von fossiler, teilweise weg von Kernenergie und hin zu Solar- und Windenergie gehen, braucht es sehr große Speicher”, so Schmid. Die Batterie-Idee wurde bereits als Patent angemeldet.

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Konflikte, Konflikte in Unternehmen, Mediation, Mediator, ostal
(c) Stock.Adobe/gnublin - Es gibt verschiedene Arten von Unternehmenskonflikten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Jubiläum-Printmagazins – “Wegbereiter”. Eine Downloadmöglichkeit findet sich am Ende des Artikels.


Es war nur eine Bemerkung am Rande – doch sie schwillt an und gärt wie verfaulendes Obst. Und sie wird bleiben, wird weitere Verletzungen aufnehmen und wachsen; sich steigern, bis sie zum Problem und dann klar benennbar für alle zu einem fassbaren Begriff wird. Erst dann wird man es Konflikt nennen, obwohl der Beginn schon viel früher vollzogen war. Mit dieser einen Bemerkung am Rande.

Laut Definition im Duden ist ein Konflikt „das Aufeinanderprallen widerstreitender Auffassungen, Interessen oder eine ähnlich entstandene schwierige Situation, die zum Zerwürfnis führen kann“. Dies ist auch die allgemeine Auffassung im kollektiven Bewusstsein von Gesellschaften. Dabei wird aber oft übersehen, dass ein Konflikt je nach Bereich weitaus mehr Ebenen hat.

Für Jürgen Dostal, Konfliktexperte und Gründer von Proconsens.at, sind es im unternehmerischen Umfeld andere Dynamiken als im Privaten, die vor allem das Arbeitsklima massiv beeinflussen können. Personen fühlen sich seinen Erkenntnissen nach in ihren Werten oder im Handeln eingeschränkt oder gar gemobbt, während anderen oftmals gar nicht bewusst sei, dass es eine Art von negativer Interaktion gegeben hat. Da kann es zu interpersonellen oder gar IntergruppenKonflikten (Abteilungen, Teams) kommen, mit der möglichen Folge, sich gegeneinander auszuspielen – ohne die wahren Gründe für die Unstimmigkeiten zu thematisieren.

Die Konfliktarten

Passend dazu hat das HR-Startup Personio eine Unterteilung des Begriffs in verschiedene Punkte vorgenommen. Konflikte können in Unternehmen zwischen Mitarbeiter:innen gleicher Ebene (Kolleg:innen) entstehen, zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden oder zwischen ganzen Teams bzw. Abteilungen. Das Konfliktmanagement unterscheidet daher zwischen einer ganzen Reihe von Konfliktarten.

Bei Sachkonflikten handelt es sich um unterschiedliche Auffassungen in Sachfragen, etwa um die beste Methode, eine Aufgabe zu erledigen, oder welches Feature als Nächstes in ein Produkt eingebaut werden soll.

Beziehungskonflikte nennt man den Zustand, wenn das zwischenmenschliche Verhältnis gestört ist. Sie fußen meist auf negativen Erlebnissen oder Vorurteilen und sind oft nur Ausdruck anderer, unterbewusster Konflikte. Missverständnisse in der Kommunikation sind eine weitere Konfliktart, in der beteiligte Parteien schlicht falsche Schlüsse aus dem Gesagten ziehen.

Ressourcenkonflikte nennt man es, wenn Mitarbeiter:innen die Verteilung der Unternehmensressourcen persönlich als ungerecht empfinden.

Bei Zielkonflikten wiederum prallen verschiedene Abteilungen aufeinander – etwa wenn eine mit Kürzungen zu hadern hat, die andere jedoch auf die Arbeit ihrer Kolleg:innen angewiesen ist, um Firmenziele zu erreichen (z. B. Development vs. Vertrieb).

Wertekonflikte sind indes geprägt von persönlichen Moralvorstellungen, die zu Zwistigkeiten führen können, wenn Führungskräfte oder die Belegschaft entgegen persönlicher Einstellungen handeln.

Die Studie „Konfliktkultur in Österreichs Unternehmen“, die Jürgen Dostal und sein Team mit 300 Teilnehmer:innen (66 Prozent Führungskräfte) ausgearbeitet haben, zeigt eines der Grundprobleme in unternehmensspezifischen Konfliktfällen: Leader subsumieren im Wesentlichen unterschiedliche Interessenslagen (77 Prozent) bzw. Interaktionen, bei denen sich mindestens zwei Akteur:innen beeinträchtigt sehen, als Konflikt. Nur 48 Prozent der Befragten folgen der Auffassung, dass ein Konflikt auch dann vorliegt, wenn sich von mehreren Personen lediglich eine beeinträchtigt sieht. Damit würden rund die Hälfte der Manager:innen spezielle Vorfälle wie Mobbing oder das „Getroffensein von Bemerkungen“ nicht als Konflikt ansehen – mit möglichen weitreichenden Folgen.

Was innen passiert, bleibt innen

Hier geht es, in anderen Worten, um Beispiele, in denen sich Personen durch vereinzelte Aussagen von Kolleg:innen oder Führungskräften irritiert fühlen und ihre Irritation nicht artikulieren; oder, falls doch, die Situation nicht als „Konflikt aus dem Inneren“ wahrgenommen wird. Ungelöste und unterbewusste (unerkannte) Konflikte beeinträchtigen das Arbeitsklima, weiß Dostal. Sie senken die Zufriedenheit am Arbeitsplatz und auch die Produktivität, erhöhen die Fluktuation im Team, erzeugen Stress und gefährden die Gesundheit (Anstieg der Krankenstände); was schlussendlich zu einer schlechteren Qualität im Unternehmen führt und stark dem Firmenimage schadet.

Konflikte
(c) Proconsens.at – Jürgen Dostal von Proconsens.at

„Dort, wo Konflikte bestehen, ziehen sich Menschen zurück“, sagt er, „mit negativen Auswirkungen. Spannend ist ja, dass über 60 Prozent unserer Befragten sagen, dass sie nicht mit entsprechenden Skills ausgestattet sind, um Konflikte zu lösen.“ Dabei wären es laut dem Mediator ganz einfache Kommunikationsfähigkeiten, die es braucht, um Probleme anzugehen. „Es ist nicht kompliziert“, führt Dostal weiter aus. „Man muss sich Zeit nehmen und kommunizieren. Es geht nicht darum, den Konflikt ‚wegzureden‘, sondern um ein aktives Zuhören und ein Verstehen, worum es den beteiligten Personen geht. Das Problem hier ist, dass jahrzehntelang Führungskräfte bestellt wurden, nicht um zu führen; sie wurden aus einer traditionellen Rolle des Expertentums heraus rekrutiert, aber ohne in Führungsskills zu investieren. Viele Gründe für Konflikte liegen jedoch spezifischer vergraben und brauchen Skills, um erkannt zu werden.”

Für Diana-Maria White, Rechtsanwältin, Verteidigerin in Zivil- und Strafsachen und Wirtschaftsmediatorin, sind Konflikte im Job-Kontext etwas „strukturell Normales, wie sie bereits im Oktober 2023 im brutkasten-Talk erklärte. Man gehe mit fremden Menschen eine Bindung ein, die man privat gar nicht kenne. „Die Eskalation des Konflikts kommt dann durch subjektive Befindlichkeiten“, sagte sie damals. „Er geht manchmal aus Nichtigkeiten los und schaukelt sich auf. Wenn der Konflikt verfestigt ist, bekomme ich ihn teilweise nicht mehr gelöst.“

Eskalationsstufen beim Konflikt

Der Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt in diesem Sinne die Eskalation eines Konflikts in neun Stufen, die sich in drei Hauptphasen gliedern. Die erste Phase ist geprägt von gelegentlichen Spannungen bis hin zu heißen Debatten, in denen sich Streitende gegenseitig unter Druck setzen. Hier können dem Forscher zufolge Konflikte noch konstruktiv gelöst werden.

Die zweite Phase öffnet das Persönliche – das Ziel ist nun, den Konflikt zu gewinnen; dabei werden Werkzeuge wie Drohungen, Sanktionen und Machtspiele eingesetzt. In so einem Fall wird eine Partei als „Verlierer“ aus dem Konflikt scheiden, was zu einem zerrütteten Arbeitsklima und gestörtem Arbeitsverhältnis führt – mit Auswirkungen auf die Produktivität.

In der dritten und heftigsten Phase wollen alle Beteiligten einander nur noch schaden – und sie riskieren damit sogar den eigenen Untergang und den des ganzen Unternehmens. In Zahlen können laut Dostal 72 bis 75 Prozent aller Konflikte gelöst werden.

„Eine Führungskraft kann allerdings nur bis zur Eskalationsstufe 4 helfen, darüber braucht es Mediatoren“, sagt er. „Bei Stufe 7 bis 9 braucht es Expertenteams, da geht es nur mehr ums Vernichten des anderen.“

Für Dostal ist eine Unternehmensmediation unparteiisch und ermöglicht die Entwicklung eines Spektrums von Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven mit den größtmöglichen Überschneidungen zwischen Streitenden.

„Wir sprechen unterschiedliche Sprachen, geben Worten unterschiedliche Bedeutungen mit, je nach Erfahrung, Werten, Alter, Hintergrund“, erklärt Dostal. „Am Arbeitsplatz, mit all dem Konkurrenzdenken, kann Emotion eine ganz riesige Rolle spielen. Mediatoren übersetzen, paraphrasieren und stellen die Umstände für die Parteien klarer dar. Es geht darum, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erzeugen.“

Ein ungelöster Konfliktfall

Der Konfliktexperte erinnert sich an einen Fall, der nicht gelöst werden konnte, um präziser zu erläutern, was Unternehmer:innen heute fehlt. Die Causa damals befasste sich mit der Auflösung eines Dienstverhältnisses eines jungen Mitarbeiters, der mehr als 50 Prozent Fehlzeiten zu Buche stehen hatte. Das Spannende an dem jungen Mann war sein Selbstbild, das jedoch nicht mit der Außenwahrnehmung übereinstimmte.

„Die Person hat gedacht, sie könne Dinge viel besser als die anderen, müsse nichts Neues lernen und sei zum Führen bestimmt“, erinnert sich Dostal. „Sie konnte aber nicht nachweisen, dass sie diese Dinge tatsächlich beherrscht.“

Der Mediator sieht in dem jungen Mann von einst ein typisches „Goldlöffelkind“, dem man ständig unreflektiert positives Feedback gegeben hatte – und damit die „Self Perception“ fütterte, fehlerfrei zu sein.

„Niemand agiert fehlerfrei“, betont Dostal. „Doch der junge Mann konnte Kritik nicht annehmen. Es war spannend zu beobachten, denn die Wahrnehmung des jungen Mitarbeiters ist seine persönliche Realität; und das müssen Arbeitgeber realisieren und lernen, mit Menschen umzugehen.

Konkret geht es öfter auch darum, gewisse Dinge aus der Vergangenheit einer Person zu kompensieren. Dazu muss man eine neue Art des Führens lernen. Als ‚Arschloch-Chef’ – Sternekoch Tim Raue hat den Begriff geprägt – hat man heute keinen Erfolg mehr. Es braucht keinen mehr, der brüllt, sondern einen, der konstruktives Feedback liefern kann; auch bei Menschen, die Schwierigkeiten haben, mit Kritik umzugehen.“

„Konflikte benötigen Reife“

Alles andere könne zu einer veritablen Persönlichkeitskrise führen, in der sich vor allem junge Personen verletzt zurückziehen. „Um Konflikte zu lösen, benötigt es Reife“, so Dostal. Eine Reife, über die Lisa Smith vom Lieferketten-Startup Prewave verfügt, ruft man sich ihre Worte aus dem November 2023 in Erinnerung: Ein Jahr zuvor war sie mit ihrem Scaleup in ein größeres Office gezogen und musste mit ihrem FlexDesk-System über 100 Leute unter einen Hut bringen.

„Da sind ein paar Sachen aufgekommen und wir haben versucht, aufeinander zuzugehen“, erzählte sie damals über den Firmenumzug. Für die Gründerin war es in diesen Konfliktsituationen wichtig, das Gespräch zu suchen und als ersten Schritt herauszufinden, was überhaupt passiert ist, so ihr Zugang: „In größeren Firmen wird das aber immer schwieriger. Wichtig ist, das Gegenüber zu verstehen, damit man konstruktiv zusammenarbeiten kann; um den gemeinsamen Blick auf den Weg in die Zukunft zu richten und den Konflikt zu begraben.“

Prewave hat in der Vergangenheit bei Streitfällen konkret die HR-Abteilung involviert und die Parteien zu direkten Gesprächen geladen. „So direkt wie möglich und nicht über die Team-Leads“, betonte Smith. „Wir überlegen uns immer, was eine rasche, pragmatische Lösung sein kann.“

Kämpfe und Warnzeichen

Weniger pragmatisch war ein anderes Beispiel aus Dostals Erlebnisrepertoire: Ein Unternehmen hatte es für eine gute Idee gehalten, konkurrierende Ziele zwischen den Abteilungen auszurufen, und hat die einzelnen Abteilungen gegeneinander ausgespielt. „Man wollte sehen, ob sie in der Lage sind, mehr Energie aufzubringen“, erinnert sich der Mediator. „Sie haben sich jedoch hart bekämpft; letztendlich gab es nur Stillstand.“

Deswegen sei es gemäß eines modernen Leaderships nicht nur essenziell, sich Konfliktlösungsskills, wie oben beschrieben, anzueignen, sondern auch auf Warnzeichen zu achten – wie es Personio in seiner Ausführung vorschlägt.

Warnzeichen sind: Mitarbeiter:innen reden nicht mehr miteinander. Sie äußern sich negativ und herablassend übereinander. Mitarbeitende zeigen in ihrer Mimik und ihrer Körpersprache Ablehnung. Sie missachten bewusst Entscheidungen oder Arbeitsanweisungen – und reagieren aggressiv; beim kleinsten Anlass gibt es Streit.

„Wenn Konflikte am Arbeitsplatz frühzeitig erkannt und konstruktiv behandelt werden, wirken sie sich durchaus positiv auf ein Unternehmen aus“, rät Personio. „Konflikte zeigen, wo Veränderungsbedarf besteht, und erhöhen den Druck auf die Beteiligten, zu handeln. Sie zwingen, sich im Konfliktmanagement mit möglichen Lösungen auseinanderzusetzen. Dabei werden oft neue, kreative Ansätze gefunden.“

Positiv sei, so Dostal, dass sich Führungskräfte und Mitarbeitende im DACH-Raum entsprechende Skills zur Konfliktlösung wünschen. „Es gibt eine hohe Bereitschaft, besser mit Konflikten umzugehen“, sagt er. „Wenn die Effektivität im Umgang mit Konflikten nicht besteht, führt dies zu schwerwiegenden Problemen, die in Unternehmen für weitaus höhere Kosten sorgen können, als wenn man Grundlagen schafft und Führungskräfte mit Konfliktlösungsskills ausstattet – und zwar mit jenen, die auch mit unterschiedlichen Werten, Emotionen und Hintergründen umgehen können.“


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