31.08.2021

Hochreiter, AI Austria & Co: KI-Vertreter kritisieren Regierungsstrategie

In der Vorwoche hat die Bundesregierung ihre offizielle Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) präsentiert. Aus der KI-Community kommt nun Kritik. KI-Pionier Sepp Hochreiter von der Johannes-Kepler-Universität Linz und Clemens Wasner von AI Austria haben die Kritikpunkte im brutkasten-Talk erläutert.
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Sepp Hochreiter von der Johannes-Kepler-Universität Linz und Clemens Wasner von AI Austria
Sepp Hochreiter von der Johannes-Kepler-Universität Linz und Clemens Wasner von AI Austria | Foto: brutkasten

Ursprünglich angekündigt worden war sie bereits 2018 – eine Neuwahl und eine Coronakrise später war es vergangene Woche dann wirklich soweit: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Infrastrukturministerin Leonore Gewessler präsentierten am European Forum Alpbach die Strategie der Bundesregierung für Künstliche Intelligenz (KI). Das rund 70 Seiten umfassende Dokumente sei mit 160 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen erstellt worden, hieß es bei der Präsentation. Aus der KI-Community kommt nun aber Kritik.

In einer Stellungnahme bezeichnete eine Gruppe verschiedener heimischer Organisationen, Institutionen sowie Einzelpersonen die Strategie als “bittere Enttäuschung und eine Gefahr für den Standort”. Das vorgelegte Strategiepapier lasse die österreichische KI-Community im Stich. Österreich sei auf dem besten Weg, sich aus dieser Hochtechnologie zu verabschieden.

Die Stellungnahme unterstützten AI Austria, die Austrian Society for Artifical Intelligence (asia), das Institute of Advanced Research in Artificial Intelligence (IARAI), Sepp Hochreiters LIT AI Lab an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), Hermann Hausers Gesellschaften I.E.C.T. und Amadeus Capital Partners, Herbert Gartners eQventure sowie Horst Bischof, Vizerektor der Technischen Universität Graz.

KI-Vorreiter Sepp Hochreiter und Clemens Wasner vom Interessensverband AI Austria erläuterten ihre Kritikpunkte an der Strategie im brutkasten-Studio: “Für mich war es eine herbe Enttäuschung”, sagt Hochreiter zur Präsentation des Strategiepapiers. Der Informatiker leitet neben dem LIT AI Lab an der JKU Linz auch das Institut für Machine Learning. Mit seiner Forschung hat er wesentliche Beiträge zu den heute dominierenden KI-Ansätzen geliefert und ist einer der am häufigsten zitierten Wissenschaftler in diesem Wissenschaftsfeld.

In der Strategie der Bundesregierung fehlt ihm der KI-Kernbereich, also die Grundlagenforschung: “Die Anwendungsfälle, die hervorgehoben worden sind, sind gut, aber man braucht auch die Kern-KI, um überhaupt die anderen Felder zu bedienen”. Man müsse die Technologie verstehen, bevor man sie einsetze. Der Begriff der Grundlagenforschung sei hier auch etwas irreführend, weil deren Ergebnisse häufig innerhalb weniger Monate in Produkte einfließen würden, wie die Beispiele Google oder Facebook zeigen würden.

Hochreiter kritisiert weiter, dass “keine neuen Gelder in die Hand genommen” wurden. Vielmehr seien “alte Gelder, die über die FFG gelaufen sind”, angegeben worden – weil diese auch für KI verwendet werden können. Hochreiters Schlussfolgerung: “Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, die in KI investiert haben, ist hier sehr wenig passiert”.

Dabei mangle es in Österreich derzeit an der KI-Infrastruktur, führt der Universitätsprofessor weiter aus und berichtet von der Zusammenarbeit mit Unternehmen: Man müsse derzeit Startups, aber auch größere Firmen wegschicken – weil man völlig ausgelastet sei. “Wir haben nicht genug Infrastruktur, das zu machen. Wir haben nicht einmal die Rechenkapazität, die Daten der Firmen durchzurechnen”, sagt Hochreiter. Auch fehle es an personellen Ressourcen, die nötig wären, um KI-Technologie in die Firmen hineinzubringen.

KI-Vertreter können genannte Zahlen nicht nachvollziehen

Die von der Wirtschaftsministerin genannte Zahl von 2 Mrd. Euro, die bis 2030 in KI investiert werden soll, kann AI-Austria-Mitgründer Clemens Wasner nicht nachvollziehen: “Ich glaube, dass sich diese Zahl unmöglich nur auf den Themenbereich KI beziehen kann – selbst, wenn man Big Data noch dazu nimmt. Die Zahl ist dafür viel zu groß”.

Die EU hat vor wenigen Monaten die Public-Private-Partnership Adra gestartet, die die EU-Strategie für KI mit Fördergeldern und Programmen ausstatten soll. “Auf EU-Ebene sind für den selben Zeitraum 2,6 Mrd. Euro vorgesehen, davon 50 Prozent aus der öffentlichen Hand und 50 Prozent aus der Privatwirtschaft”, erläutert Wasner. Er halte es für ausgeschlossen, dass ein 9-Millionen-Einwohner-Land mehr Geld in die Hand nehme als die EU.

Regulierungsthema bereits auf EU-Ebene intensiv behandelt

Wasner ist außerdem verwundert, dass das Regulierungsthema im Strategie-Dokument der Regierung vegleichsweise prominent vorkommt – weil hier bereits sehr viel auf EU-Ebene geschehe. Wie berichtet, ist die EU gerade dabei, ein umfassendes Regelwerk für den Einsatz von KI auszuarbeiten. “Dort zeichnet sich ab, dass ähnlich wie bei der Datenschutzgrundverordnung oder bei Abgasregulierungen 95 Prozent bis 99 Prozent der Regulierung von der EU-Ebene kommt und die Länder nur mehr gefordert sind, das zu implementieren”, erläutert der AI-Austria-Cofounder. “Mit anderen Worten: Eine nationale KI-Strategie muss sich nicht im Detail damit beschäftigen, was zu regulieren ist, weil es dazu ein mehrere Telefonbücher dickes Dokument der EU gibt”.

Hochreiter: “Es ist noch nicht zu spät”

Sepp Hochreiter im brutkasten-Studio

In der jetzigen Form ist die österreichische KI-Strategie jedenfalls nicht geeignet, um die notwendige Infrastruktur aufzubauen, sagt Universitätsprofessor Hochreiter. In der Vergangenheit habe er sowohl Google als auch Amazon davon abgeraten, ein Zentrum in Österreich zu errichten – weil die KI-Strategie und die Infastruktur noch gefehlt habe. “Jetzt haben wir die KI-Strategie und ich muss wieder nein sagen, weil die Infrastruktur damit nicht geschaffen wird”, sagt der Wissenschaftler. Es sei frustrierend, dass man Firmen aus Österreich wegschicken müsse.

Als Positivbeispiel nennt Hochreiter Amsterdam – dort habe Microsoft ein neues Zentrum gebaut, weil die niederländische Regierung ein entsprechendes Ökosystem geschaffen habe. Auch die zu Google gehörende KI-Firma DeepMind und andere Unternehmen seien nach Amsterdam gegangen. “Das brauchen wir hier auch”, sagt Hochreiter und fügt hinzu: “Es ist noch nicht zu spät. Wir können es noch machen, aber die Regierung muss auch ein bisschen Geld in die Hand nehmen, um das Ökosystem zu bauen”.

Österreich droht zum “Konsumenten von KI” zu werden

Geschehe dies nicht, würde Österreich zum bloßen “Konsumenten von KI”, führt Hochreiter weiter aus. Wenn man sich in Österreich nur auf Regulierungen und Anwendungsbeispiele – nicht aber auf die Grundlagenforschung – konzentriere, könne man KI letztlich nur mehr von anderen Ländern einkaufen. “Aber wir möchten sie doch selber machen, damit unsere Firmen die Technologie genau für ihre Zwecke adaptieren und damit Maktführer werden können”, sagt der JKU-Professor.

Wie es gehen könnte, hat Österreich selbst schon in anderen Bereichen gezeigt, sagt AI-Austria-Vorstandsmitglied Wasner – etwa mit dem Autocluster ACstyria in der Steiermark. “Dort findet nicht nur Produktion und Auftragsarbeit statt, sondern gemeinsame Forschung mit den größten Unternehmen der Welt – im Automobilbereich, aber auch in Materialwissenschaften”. Dasselbe gelte für den Halbleiter-Bereich in Villach oder auch für Produktion in Oberösterreich.

Klima-Aspekte in Strategie positiv bewertet

Bei aller Kritik sieht Wasner auch positive Aspekte am vorgelegten Strategiepapier der Regierung: “Was mir extrem gut gefällt, ist der sehr starke Fokus von KI im Kontext von Global Warming und Sustainability”. Hier sei bereits viel gedankliche Vorarbeit geleistet wurde, wie das Dokument zeige. Mit “AI for green” sei eines der ersten Projekte in diesem Bereich auch bereits gestartet, führt der AI-Austria-Mitgründer aus. Finanziell sei der Bereich noch relativ klein dimensioniert, aber dennoch: “Österreich ist damit eines der ersten Länder, das nicht nur auf das Thema setzt, sondern auch Geld hineinsteckt”.

Der komplette brutkasten-Talk mit Sepp Hochreiter und Clemens Wasner:

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Lanbiotic, Neurodermitis
(c) Oliver Wolf - Patrick Hart und Katrin Susanna Wallner von Lanbiotic.

Das Grazer Startup Lanbiotic stellt medizinische Hautpflege-Produkte mit lebensfähigen Bakterien speziell für die von Neurodermitis geplagte Haut her. Dabei verwenden die beiden Gründer:innen Patrick Hart und Katrin Wallner den zum Patent angemeldeten Bakterienstamm “Lactococcus Lanbioticus“.

Lanbiotic: “Skalierung als neue Normalität”

“Mit unseren probiotischen Hautanwendungen bringen wir gesundheitsfördernde Bakterien direkt auf die Haut, um die natürliche Balance des Hautmikrobioms wiederherzustellen und Hautprobleme gezielt an der Ursache zu bekämpfen”, erklärt Wallner.

Das letzte Jahr fühlte sich für die Gründerin an, als sei ein Traum nicht nur wahr, sondern sogar übertroffen worden. Andererseits sei es eine “neue Normalität” an der Skalierung des Unternehmens zu arbeiten.

“Wir haben weitere Produkte mit unserem einzigartigen Bakterienstamm ‘Lactococcus Lanbioticus’ entwickelt, um umfassender auf die Bedürfnisse von Menschen mit zu Neurodermitis neigender Haut eingehen zu können. Neu hinzugekommen sind Flora Bath und Flora Sun”, erklärt Wallner.

Flora Bath ist ein spezieller Badezusatz, der für Menschen entwickelt wurde, die großflächig oder an der Kopfhaut von Ekzemen betroffen sind – ein Bereich, in dem Pflegecremen oft an die Grenzen ihrer Praktikabilität stoßen.

“Der Fokus liegt wie immer bei Lanbiotic auf der Ergänzung des Hautmikrobioms, also ‘der lebende Teil’ der natürlichen Schutzbarriere der Haut, die den gesamten Körper bedeckt, mit probiotischen Bakterien”, so Wallner weiter. “Eine Ausgewogenheit des Hautmikrobioms ist, wie auch im Darm, entscheidend, um die Gesundheit der Haut zu bewahren und Beschwerden zu lindern.”

Flora Sun hingegen ist ein weiteres Produkt, das auf die besonderen Herausforderungen empfindlicher Haut unter UV-Strahlung eingeht. Studien hätten gezeigt, dass das Hautmikrobiom die natürliche Fähigkeit der Haut verbessern kann, mit den Effekten – und häufig auch Schäden – durch Sonneneinstrahlung umzugehen.

EHI-Siegel für Onlineshop

“Parallel dazu haben wir auch international expandiert: Der Eintritt in den deutschen Markt war ein großer Schritt, der mit der Anpassung unserer Produktions- und Logistikkapazitäten verbunden war, um langfristig weitere internationale Märkte beliefern zu können. Unser Webshop wurde außerdem mit dem EHI-Siegel zertifiziert, um unseren Kund:innen einen sicheren und vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen.”

Auch das Team wuchs 2024, zudem konnte durch zahlreiche Medienauftritte und Messeteilnahmen Aufmerksamkeit für die eigenen Produkte und die Marke gewonnen werden.

“Als weiteres Highlight wurden wir von der Apothekerkammer mit unserer Fachfortbildung akkreditiert, was Apotheker dazu motiviert, unsere Fortbildungen zu besuchen und mehr über das noch recht ‘nischige’ Thema Hautmikrobiom zu erfahren”, sagt Wallner.

Neue Märkte im Fokus

Aktuell arbeitet das Startup intensiv daran, Lanbiotic als Unternehmen und Marke weiterzuentwickeln, strategisch zu positionieren und zu skalieren. Das oberste Ziel ist es, die Lebensqualität von Menschen mit Neurodermitis über ihre mikrobiombasierten Produkte zu verbessern.

“Wir möchten Lanbiotic in weiteren Märkten etablieren, insbesondere natürlich in Ländern, wo die Prävalenz für Neurodermitis hoch ist. Dafür arbeiten wir an effizienten Marketingprozessen, um unsere Markenbekanntheit zu steigern, und bauen unsere Vertriebsstrukturen aus”, erklärt die Founderin. “Um diesen Schritt bestmöglich zu unterstützen, suchen wir gezielt nach vertrauenswürdigen Partnern für den internationalen Vertrieb, die unsere Werte und Qualitätsansprüche teilen. Die Kooperationen sollen es uns ermöglichen, unsere Produkte nachhaltig in weiteren europäischen und außereuropäischen Ländern anzubieten und das Thema Hautmikrobiom international bekannter zu machen.”

Daneben optimiert das Team Produktionsprozesse, um der wachsenden Nachfrage nachkommen zu können. In der Produktentwicklung liegt dabei der Fokus auf der Entwicklung weiterer wissenschaftsbasierten probiotischen Pflegeprodukten, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodermitis und empfindlicher Haut zugeschnitten sind. Dazu steht man intensiv mit Industrie und Spitzenforschung in Kontakt.

Lanbiotic: Strukturen und Prozesse schaffen

Intern sei man vor allem stark mit dem Aufbau der Organisation beschäftigt. Man arbeitet daran, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die das Wachstum langfristig stützen können. Ziel sei es, eine gesunde Organisation aufzubauen, die den Expansions- und Innovationszielen gerecht werde und das Unternehmen flexibel in die nächsten Entwicklungsstufen führt.

Lanbiotic wurde in der Vergangenheit unter anderem auch von der Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt. So absolvierte das Unternehmen den aws First Incubator und erhielt über aws Innovationsschutz eine Förderung, um sein geistiges Eigentum zu schützen. Später folgte eine Preseed- und Seed-Förderung über aws Innovative Solutions. Mit diesem Seed-Förderprogramm unterstützt die aws innovative Gründungsideen, die über die Unternehmensgrenzen hinaus einen positiven gesellschaftlichen Impact bewirken. Der Fokus liegt auf skalierbaren Geschäftsmodellen. Im Fall von Lanbiotic war die Förderung essentiell, um die Produktentwicklung und Markteinführung zu finanzieren und sich allgemein zu professionalisieren.

“Eine bessere Förderung als aws Seed Innovative Solutions könnte es derzeit, meiner Meinung nach, für uns nicht geben”, sagt sie. “Es handelt sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von 400.000 Euro, der für unterschiedlichste Aktivitäten in der Markteinführung und Produkteinführung verwendet werden kann. Naturgemäß ist das Programm sehr kompetitiv, aber wenn man für die Finanzierung ausgewählt wird, hat man wirklich einen gewaltigen Booster, um ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen.”

Die weiteren Ziele von Lanbiotic

Im Allgemeinen habe ihnen das Programm bereits jetzt weit mehr gebracht als Geld. “Ich empfand den Bewerbungsprozess per se als wertvolle Erfahrung, um mir unser Business Model noch einmal ganz genau anzusehen und unsere Ziele zu definieren”, präzisiert die Grazerin. “Dass wir sie jetzt so scheinbar ‘locker’ übertreffen konnten, ist natürlich die Draufgabe.”

Durch die positive Resonanz der stetig wachsenden Stammkundenbasis sieht sich Wallner in ihrer Mission bestätigt. “Wir wissen aber auch, dass viele Menschen Lanbiotic noch nicht kennen und Neurodermitis in vielen Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt”, sagt sie. “Daher wollen wir gezielt skalieren, den Umsatz und Gewinn steigern, innerhalb und außerhalb Europas expandieren und unser Produktportfolio weiter diversifizieren.”

In Sachen Umsatzentwicklung wird Lanbiotic 2024 das gesetzte Umsatzziel voraussichtlich verdoppeln, wie Wallner erzählt. “Unser für 2025 gestecktes Ziel ist ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich, dass wir hier wieder gute Arbeit leisten. Aktuell haben wir einen sechsstelligen Nettoumsatz erreicht, und dank der Unterstützung durch die aws Seed-Förderung werden wir auch heuer, wie jedes Jahr seit unserer Gründung, noch profitabler sein.”


* Disclaimer: Das Startup-Porträt erscheint in Kooperation mit Austria Wirtschaftsservice (aws)

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