Man könnte argumentieren, dass die Positionen zur Vier-Tage-Woche längst geklärt sind und es keine Aussendung von Industriellenvereinigung (IV)-Präsident Georg Knill braucht, um seine Meinung dazu zu kennen. Er hat es trotzdem getan – und bringt dabei eine Reihe von Argumenten und ein wenig scharfe Rhetorik gegen eine mögliche Arbeitszeitverkürzung vor.
“Die wieder aufgeflammte Debatte rund um eine Arbeitszeitverkürzung in Österreich zeugt von unüberlegter Herangehensweise und ignoriert die grundlegenden wirtschaftlichen Realitäten und Herausforderungen, denen die Industrie und Wirtschaft gegenüberstehen”, heißt es in der Aussendung. Stattdessen brauche es eine ” ideologiebefreite und ehrliche Leistungsdebatte”. “Wir erwarten aufgrund des demografischen Wandels, dass auch ohne Arbeitszeitverkürzung rund 540.000 Arbeitskräfte in den nächsten zehn bis zwölf Jahren fehlen werden. Der Hausverstand zeigt einem, dass sich das nicht ausgehen kann. Eine Arbeitszeitverkürzung – egal ob sofort oder erst in den nächsten Jahren –, wäre unter diesen Umständen brandgefährlich”, meint Knill.
Tatsächliche Vollzeit-Wochenarbeitszeit bereits unter EU-Schnitt
In Österreich liege laut Eurostat-Daten die tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Vollzeit-Jobs mit 37,65 Stunden bereist “weit” unter dem EU-Schnitt von 38,35 Stunden. “Die Wochenarbeitszeit in Österreich liegt bereits an der Untergrenze im europäischen Vergleich – Rufe nach einer weiteren Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich schaden dem Standort und verteuern die Kosten für den Stundenlohn schlagartig um 20 Prozent. Die aktuellen Signale deuten außerdem auf eine Rezession im Winter. Ein weiterer Preisauftrieb durch eine Arbeitszeitverkürzung wäre geradezu absurd”, so Knill.
Anreize für Menschen im Pensionsalter, mehr zu arbeiten
Der IV-Präsident will stattdessen, dass “ungenutzte Potenziale am Arbeitsmarkt gehoben werden”. “Wir sollten viel mehr über schnell umsetzbare Anreize sprechen, um die Leistungspotenziale am Arbeitsmarkt zu heben. Eine Streichung der Pensionsversicherungsbeiträge für Menschen, die über das Pensionsantrittsalter hinaus arbeiten, wäre ein starker Hebel am Arbeitsmarkt – ein Win-Win für Beschäftigte und Arbeitgeber”, meint Knill. Zudem wiederholt er die Forderung nach einer Erhöhung der Anzahl begünstigter Überstunden auf 20 Stunden.
Ist die aktuelle wirtschaftliche Situation wirklich so dramatisch? Und was braucht es jetzt, damit Österreich und die EU wirtschaftlich wieder nach vorne kommen? Storebox-Co-Founder Johannes Braith im Interview.
Ist die aktuelle wirtschaftliche Situation wirklich so dramatisch? Und was braucht es jetzt, damit Österreich und die EU wirtschaftlich wieder nach vorne kommen? Storebox-Co-Founder Johannes Braith im Interview.
Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.
Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.
Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.
brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?
Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.
Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.
Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?
Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.
Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.
Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.
Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?
Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.
Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?
Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.
Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?
Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.
Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?
Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.
Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?
Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!
Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.
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