KI in der Medizin: Digitaler Zwilling soll Medikamentenfriedhöfe beenden
KI in der Medizin ist eine nahende Zukunft, über die noch nicht viel bekannt ist. Während manches noch erst gedacht und organisiert werden muss, so deuten Zeichen darauf hin, dass bald Patient:innen einen digitalen Zwilling haben werden. Der dabei helfen soll, Krankheitsverläufe zu simulieren und Arzneiwirkungen zu testen.
Während Regierungen dieser Welt damit hadern, wie man mit Künstlicher Intelligenz (KI) und deren rasanter Entwicklung umgehen soll, wirkt sie bereits in andere Bereiche stark ein. Unternehmen können womöglich bald repetitive Arbeiten an die KI auslagern, das gesamte Feld des Programmierens muss eventuell neu gedacht werden, auch die Entertainment-Branche darf sich wohl getrost auf Neuerungen einstellen. Doch bei einem Feld wird es vermutlich relativ schnell spürbare Veränderungen geben, wie Ghazaleh Gouya Lechner – CEO Gouya Inisghts, Vorstandsmitglied und Mitglied des “Research Innovation Circle” bei der GPMed (Gesellschaft für pharmazeutische Medizin) sowie Vorstandmitglied der IFAPP, (International Federation of Pharmaceutical Physicians and Pharmaceutical Medicine) – betont: in der Medizin.
KI in der Medizin kann Entwicklung beschleunigen
“KI in der Medizin bedeutet allgemein, durch Instrumente das Arbeiten in der Dokumentenerfassung zu erleichtern”, präzisiert Gouya Lechner. “Bei repetitiven Arbeiten etwa. Wir selbst versuchen auch festzustellen, wie die Künstliche Intelligenz die klinische Entwicklung von Medikamenten beschleunigen kann.”
Die Arzneimittelproduktion jedoch ist ein langwieriges und kostspieliges Metier – Covid-19 war da die Ausnahmeerscheinung, so die Forscherin. Auch wenn manche Firmen bereits Avatare besitzen, um den präklinischen “proof of concept” zu erbringen, stecke das Ganze noch in den Kinderschuhen. Künftig werde, überall wo “Big Data” existiere, KI eine gewichtige Rolle spielen. Besonders einen “digitalen Zwilling” zu haben, würde zeitnah zur ultimativen Zukunft werden.
“Dazu brauche ich jedoch gewisse Parameter”, so Gouya Lechner weiter, “und Versuche dadurch eine digitale Kontrolle zu modellieren. Dafür benötigt es Daten mit einer gewissen Qualität.”
Digitaler Zwilling: Simulation von Krankheit und Arzneiwirkung
Ein digitaler Zwilling würde es vor allem ermöglichen, einen Krankheitsverlauf zu simulieren, zu sehen, welche Auswirkungen eine Blockade von Mechanismen im Körper auslöst und den Erfolg eines Medikaments zu prüfen, bevor es an den Menschen geht.
All dies ginge mit einer Kostenersparnis einher und würde “Medikamentenfriedhöfe”, wie bei Alzheimer, verhindern. “Die Designs und Patientenzahlen waren in diesem Bereich falsch”, erklärt Gouya Lechner. “Hier hätten KI-Simulatoren leiten können, anstatt Geld, Patienten und Ressourcen zu involvieren.”
KI in Österreichs Medizinbranche erst am Anfang
Während man in Österreich bereits dran ist, KI in der Medizin einzusetzen, die Forscherin hebt hier das AIT hervor, würden die USA mit einer derartigen rapiden Geschwindigkeit in diesem Feld arbeiten, die man hier als “Pace” nicht habe.
“Bei uns herrscht noch sehr viel Unwissen”, betont Gouya Lechner. “Wir haben eigentlich erst begonnen, uns mit der Thematik zu befassen. Allerdings können wir uns bereits bei ‘Prediction Models’ einbringen, sind auf der Suche nach Personen mit Softwareskills und KI-Expert:innen – aktuell suchen wir auch nach Startups für Kooperationen”, sagt sie.
Und weiter: “Eine schöne Zukunft wäre, dass ich keine Studie mit 10.000 Patienten machen muss, sondern eine sinnvolle kleine Kohorte plus eine simulierte Kontrolle einreichen kann. Die Folge wäre: günstigere Medikamente und man könnte schneller am Markt sein. Das Ziel muss es sein, durch KI nicht Dekaden an Medikamenten arbeiten zu müssen.”
Gouya Lechner weiß, dass wir noch nicht das Level, das für digitale (Patient:innen)-Zwillinge benötigt wird, erreicht haben. Dieses würde man durch Fütterung der Systeme mit Daten erlangen. Das aber nicht in allzu weit entfernter Zukunft, denkt sie.
Keine Angst vorm KI-Twin
“Angst vor dieser Veränderung zu haben, ist hinderlich”, betont Gouya Lechner, wenn es um den Einsatz von KI in der Medizin und etwaige Skepsis darüber geht. “Wenn ich die Augen schließe, dann setzt das jemand anderer um. Natürlich kann ich nicht einem System blind vertrauen, da braucht es Validierung. Behauptungen zu Medikamenten müssen in einem Modell geprüft werden. Aber die Vorteile von KI in der Medikamentenentwicklung stehen deutlich im Vordergrund. Es ist extrem wichtig, sich aktiv damit zu befassen, um die Risiken zu erkennen.”
Allgemein denkt Gouya Lechner, dass KI-Anwendungen Mediziner:innen gut unterstützen werden. “Es hilft mir ja alles, was repetitive Arbeiten übernehmen und alles, was ein System sicherer machen kann, etwa bei Nebenwirkungen. Damit bin ich ja ein besserer Arzt oder eine bessere Ärztin. Und schlussendlich können wir bessere Medikamente entwickeln.”
“Das Startup-Leben hier ist Gold wert”: Wie ein Grazer Spin-off den Life Science Sektor transformiert
Life Science ist etwas, das uns alle betrifft. Und etwas, das lange Entwicklungszyklen, viel Kapital und noch mehr Know-how benötigt. Wie das Grazer Spin-off BRAVE Analytics mit diesem Balance-Akt umgeht und auf welche Unterstützung es zurückgreift.
“Das Startup-Leben hier ist Gold wert”: Wie ein Grazer Spin-off den Life Science Sektor transformiert
Life Science ist etwas, das uns alle betrifft. Und etwas, das lange Entwicklungszyklen, viel Kapital und noch mehr Know-how benötigt. Wie das Grazer Spin-off BRAVE Analytics mit diesem Balance-Akt umgeht und auf welche Unterstützung es zurückgreift.
Das Grazer Spin-off BRAVE Analytics wurde von Christian Hill und Gerhard Prossliner im Jahr 2020 gegründet. Den Gedanken an ein gemeinsames Unternehmen gab es schon einige Zeit davor an der MedUni Graz. Nach erfolgreicher Dissertation und dem FFG Spin-off Fellowship kam es zur Ausgründung, zu ersten Kund:innen und einem Standortwechsel. Und schließlich zur erfolgreichen Einbindung in den Life Science Cluster Human.technology Styria unterstützt von der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG.
Mittlerweile zählt BRAVE Analytics ein 14-köpfiges Team und sitzt im ZWT Accelerator in Graz, einem Kooperationsprojekt zwischen SFG und Medizinischen Universität Graz.
Mut in der Geschäftsphilosophie
BRAVE Analytics steht für Mut in der Geschäftsphilosophie der beiden Gründer und des gesamten Teams: Christian Hill und Gerhard Prossliner fühlen sich “zu Entdeckungen hingezogen und lieben es, die Dinge aus einem völlig neuen Blickwinkel zu betrachten. Und genau diesen Spirit leben wir auch im Team.”
Wahrlich hat das Gründerduo mit seinem Spin-off das Forschungsgebiet Life Science in ein neues Licht gerückt: Denn BRAVE Analytics beschäftigt sich mit der automatisierten Qualitätssicherung für Pharma-, BioTech-Produkte, Wasser, Mineralien und Chemikalien. “Und das auf Partikel-Ebene. Das Ganze nennt sich Partikel-Charakterisierung und -Analytik”, erklärt Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten.
Neu ist die Technologie insofern, als dass die Partikel-Analyse direkt im Herstellungsprozess von Pharmaprodukten passiert. Also integriert, das heißt weder vor- noch nachgelagert, und damit effizient und kostensparend. “Damit machen wir eine sogenannte Prozessanalytik im Nano-Bereich”, erklärt Co-Founder Hill.
Die Lösung für ein Bottleneck
Damit haben die beiden Gründer zusammen mit ihrem Team eine Lösung für ein bis dato bestehendes “Bottleneck in der Industrie” geschaffen. Mit den modularen Messgeräten von BRAVE Analytics kann die Qualität von Produkten im Pharma- und BioTech-Sektor nämlich in Echtzeit gemessen werden. Das Kernstück der Lösung bildet die vom Spin-off eigens entwickelte, mehrfach patentierte OF2i Technologie.
Doch bekannterweise benötigen Life-Science-Lösungen wie diese einen breiten Umfang an Forschungsinfrastruktur, der sich gerade für frisch gegründete Spin-offs schwer stemmen lässt. Und: Es braucht die richtigen Verträge, das richtige Kapital und das richtige Team. Auf der Suche danach gab es für BRAVE Analytics einige Schlüsselmomente, wie Co-Founder Hill im Gespräch mit brutkasten erzählt.
Der Standort für Life Science Startups
Die ersten Hardware-Aufbauten und Experimente fanden an der Medizinischen Universität Graz statt, die von den Anfängen mit Infrastruktur und Forschungspersonal unterstützte, die Universität Graz deckte die Bereiche Theorie und physikalisches Modelling und in Kooperation mit dem FELMI/ZFE der Technischen Universität Graz wird seit 2022 ein Zusatzmodul entwickelt.
Beim Schutz des geistigen Eigentums standen die Medizinische Universität Graz, die Steirische Wirtschaftsförderung SFG und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG als helfende Hände zur Seite. Konkret mit Unterstützung für die Erarbeitung von Exklusiv-Lizenzen, Agreements und generell mit dem Know-how, wie man eine Firma aufbaut. Hier waren uns auch das Unicorn der Universität Graz, die Gründungsgarage und der Science Park Graz eine große Hilfe”, so Prossliner.
“Wir sind klassische Science-Preneure”
Die fachspezifische Unterstützung kam im richtigen Moment: “Wir sind die klassischen Science-Preneure. Unser Background ist das Universitäts- und Ingenieurswesen. Für uns war es wichtig zu lernen, wie man in das Unternehmertum reinkommt und den Produkt-Market-Fit findet. Man muss diese Produktverliebtheit, die man als Erfinder meistens hat, loswerden. Und das passiert ganz viel durch Learning by Doing.”
Besonders hilfreich habe sich vor allem das Bootcamp des FFG-Spin-off-Fellowship und das LBG Innovator’s Road Programme erwiesen, welche “eine schrittweise Einführung für den Weg von der Wissenschaft in Richtung Unternehmung” geboten haben, so Hill. Förderungen erhielt das Spin-off außerdem von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Austria Wirtschaftsservice aws, der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG und auf EU-Ebene.
Die Szene, die “Gold wert” ist
Nicht nur “by doing”, sondern vor allem auch “von anderen, die die gleichen Themen, Probleme und Potenziale haben”, hat das Startup im Aufbau sehr viel an Know-how und Erfahrung gewonnen. “Das Peer-Learning ist für uns einer der wichtigsten Wissensfonds”, so Co-Founder Prossliner im Interview.
Ein dafür zugeschnittenes Netzwerk gibt es in der Grazer Life Science Szene: “Auch abseits institutioneller Veranstaltungen befinden wir uns hier in einem sehr lebendigen Startup-Umfeld. Vieles passiert auf Eigeninitiative von Gründer:innen. Das Startup-Leben hier ist wirklich Gold wert.”
Global Player nur “fünf Rad-Minuten entfernt”
“Wir sind Hardware-Hersteller, wir brauchen Hochpräzisionsfertiger für unsere Prozesstechnologie. Die Steiermark und insbesondere Graz haben sich zu einem Stakeholder-Nest der besonderen Vielfalt entwickelt. Kooperationspartner aus Industrie, Wirtschaft und Forschung sitzen hier in unmittelbarer Nähe. Wir finden Experten, Lieferanten und Fertiger mit extremer Präzision und einer super Verlässlichkeit”, erzählt Prossliner und meint weiter: “Wir arbeiten hier in einem sehr engen Umfeld mit einer sehr schnellen Dynamik. Das ist unglaublich wertvoll.”
Ein ganzes Stakeholder-Feld mit internationaler Spitzenstellung findet sich also im Grazer Becken. Oder, wie es Gründer Prossliner erneut unterstreicht: “Da sind Global Player dabei, die wir in wenigen Rad-Minuten erreichen. Man muss also nicht gleich nach Asien oder in die USA, das Netzwerk gibt es hier auch.” Nicht umsonst spricht man seit geraumer Zeit von der “Medical Science City Graz” – mit Playern wie der Medizinischen Universität und dem Zentrum für Wissens- und Technologietransfer ZWT im Netzwerk.
Besenrein eingemietet
Grund genug auch für BRAVE Analytics, sich hier als aufstrebendes Life-Science-Startup niederzulassen. Nach seinen Anfängen in den Räumlichkeiten der MedUni Graz hat sich BRAVE Analytics nämlich im ZWT Accelerator einquartiert: “Wir waren unter den Ersten, die hier eingezogen sind. Als alles noch ziemlich besenrein war.”
Mittlerweile wird auch mit anderen dort sitzenden Startups stockwerkübergreifend genetzwerkt. Sei es im Stiegenhaus, bei Weihnachtsfeiern oder informellen ZWT-Treffen. Manchmal wird auch gemeinsam gefrühstückt und in den Abendstunden philosophiert. Daneben gibt es regelmäßige Get-Together-Formate wie das ZWT-Frühstück. Im Zuge der Startupmark finden auch themenspezifische Kooperationsformate wie der Life Science Pitch Day, ein exklusives Pitchingevent für Startups und Investor:innen aus dem Life Science-Bereich, statt.
Fußläufig flexibel
Thomas Mrak, Geschäftsführer des ZWT, erzählt dazu: “Vernetzung steht bei uns an erster Stelle. Und zwar nicht nur unter Foundern, sondern auch zwischen bereits etablierten Firmen, Unis, Instituten, Professor:innen und Ärzt:innen, die alle flexibel und fast fußläufig zu erreichen sind. Ich würde sagen, das ist die Essenz der Medical Science City Graz und bildet das optimale Umfeld, um als Spin-off Fuß zu fassen.”
Unterstützung gibt es im Grazer ZWT auch mit einer optimalen Infrastruktur und “startup freundlichen” Mietverträgen und Mietkonditionen: “Wir bieten Startups, die bei uns einziehen, ein einzigartiges Preis-Leistungsverhältnis, eine perfekte Ausstattung und sehr flexible Bedingungen. Vor allem hohe Investitionskosten und lange Bindungszeiten sind für Startups schon aufgrund ihrer dynamischen und teils volatilen Entwicklungen sehr kritisch, dabei helfen wir. Je nach Möglichkeit stellen wir nicht nur Büros und Laborinfrastruktur, sondern auch Seminar- und Besprechungsräume zur Verfügung.”
“Wir verstehen uns hier einfach sehr gut”
Unverkennbar gestaltet sich der Life Science Bereich in Graz als multidimensionaler Hub für Startups und Spin-offs – und das nicht nur auf akademischer Ebene: “Wir verstehen uns hier alle untereinander sehr gut. Es gibt kurze Wege, kurze Kommunikationswege und wir arbeiten zusammen auf Augenhöhe. Es klappt einfach zwischenmenschlich”, so Mrak.
BRAVE Analytics-Co-Founder Prossliner empfiehlt dahingehend: “Nutzt das tolle österreichische Förderungssystem. Wir haben hier vonseiten der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, des Austria Wirtschaftsservice aws und der Steirischen Wirtschaftsförderung SFG tolle Unterstützung erhalten. Vom ZWT, der MedUni Graz, der Uni Graz und der TU Graz ganz zu schweigen.”
Und: “Bindet schon frühzeitig Kund:innen ein. Nur so ermittelt man die real-life Kundenbedürfnisse potentieller Märkte, und man kann vielleicht auch erste Umsätze generieren, die man wiederum mit Förderungen hebeln kann. Man muss sich schließlich auch finanziell stabilisieren, um für Investor:innen attraktiv zu sein.”
Der Asia Pull für Life Science
Aktuell erarbeitet BRAVE Analytics eine Investitionsrunde. Mittlerweile hält das Spin-off unterschiedliche Produkte und Kunden am Markt. Auch Industriepartner sind vorhanden. Aktuell befinde man sich in der Prescaling-Phase – mit einem starken “Asia Pull”. Interesse kommt nämlich zunehmend von Abnehmern aus Asien, wie Christian Hill erzählt:
“Unsere Technologie eignet sich nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern auch für Wasser, Kläranlagen und Mikroplastik – und sogar für die Halbleiterindustrie. Wir bewegen uns hier in einem multidimensionalen Anwendungsfeld, gerade für das Umwelt- und Wassermonitoring. Das zieht viele Kunden aus Übersee an. Jetzt heißt es: die richtigen Schritte setzen und klug skalieren.”
Damit Christian Hill und Gerhard Prossliner ihre Ziele auch weiter verfolgen können, braucht es Menschen, die in den Life Science Sektor investieren: “Life Science ist ein Technologie- und Wissenschaftsfeld, das uns in Zukunft noch viel intensiver begleiten wird. Und auf das wir angewiesen sind”, so Thomas Mrak. Der ZWT-Geschäftsführer appelliert indes: “Es arbeiten so viele tolle Menschen mit persönlicher Motivation in diesem Feld. Diese haben das Potenzial, die Zukunft maßgeblich zu verändern. Doch dafür braucht es finanzielle Unterstützung, fundierte Netzwerke und noch mehr Aufmerksamkeit.”
Mehr Informationen zum steirischen Startup-Ökosystem und der Startupmark sind hier zu finden.
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