29.03.2021

IPO-Boom: Anzahl von Börsengängen in Europa um 240 Prozent gestiegen

Trotz der Unsicherheit um die Pandemie drängen Unternehmen an die Börsen. In Europa hat sich die Zahl der IPOs im ersten Quartal mehr als verdreifacht.
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Börsengänge boomen derzeit
Börsengänge boomen derzeit. | Foto: Adobe Stock

Die wirtschaftliche Lage ist schwierig – und die Unsicherheit hoch. Nicht die besten Zeiten für einen Börsengang – möchte man meinen. Die Realität sieht jedoch anders aus: Initial Public Offerings (IPO) boomen weltweit. Auch die Handelsplätze in Europa verzeichneten starkes Wachstum, wie eine aktuelle Auswertung des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY zeigt.

Im ersten Quartal 2021 stieg die Zahl der Börsengänge in Europa von 20 auf 68 – ein Plus von 240 Prozent. Dabei nahmen Unternehmen insgesamt 20,1 Milliarden US-Dollar ein. Im ersten Quartal des Vorjahres waren es weit geringere 1,2 Mrd. Dollar gewesen. Weltweit waren es 391 Unternehmen, die den Sprung aufs Parkett wagten – ein Plus von 68 Prozent.

Tech-Unternehmen treiben Börsen-Boom

Getrieben wird der aktuelle Boom vor allem von Tech-Unternehmen. Jeder vierte Börsengang weltweit kam von einem Unternehmen aus dieser Branche. Mit 37,4 Mrd. Dollar machten Tech-Börsengänge sogar 41 Prozent des weltweiten Emissionsvolumens aus. Unternehmen aus der Branche nahmen damit überdurchschnittlich viel Geld ihren jeweiligen Börsengängen ein. Sechs der zehn größten IPOs entfielen auf den Tech-Sektor.

“Der Tech-Hype ist derzeit der wichtigste Treiber des weltweiten IPO-Markets”, sagt Gerhard Schwartz, Partner und Leiter des Assurance-Bereichs bei EY Österreich. “Die Pandemie hat weltweit zu einem gewaltigen Digitalisierungsschub geführt und digitale Geschäftsmodelle noch stärker in den Vordergrund treten lassen”. Das zweitstärkste Segment war im ersten Quartal der Gesundheitssektor mit einem Anteil von 17 Prozent an der weltweiten Transaktionszahl.

Besonders viele Börsengänge gab es in China – inkusive der Börse in Hongkong waren 134 Unternehmen, deren Aktien erstmals gehandelt wurden. In den USA wiederum verdreifachte sich die Anzahl der Börsengänge von 24 auf 82. Am österreichischen Aktienmarkt gab es im Hauptsegment keine IPOs.

Hype um SPACs intensiviert sich weiter

Natürlich wäre kein Rückblick auf Börsengänge in diesem Quartal komplett ohne dem Phänomen Special Purpose Acquisition Companies (SPACs). Diese bereits börsennotierten und fusionswilligen Mantelgesellschaften ohne operativem Geschäft waren so populär wie nie zuvor – was sich schon daran zeigt, dass wir alleine im März dazu hier, hier, hier, und hier berichtet haben.

Nun aber zu den Zahlen: Bei 267 SPAC-Emissionen wurden im ersten Quartal 83 Mrd. US-Dollar eingenommen. Sowohl von der Anzahl als auch vom Volumen ist das Gesamtjahr 2020 nach drei Monaten bereits übertroffen. Im Vorjahr waren von Jänner bis Dezember 255 SPACs an die Börse gegangen und hatten 81,5 Mrd. Dollar eingesammelt.

Weltweit größter Börsengang in Hongkong

Der größte Börsengang im bisherigen Jahresverlauf war – gemessen am eingenommenen Kapital – jener des chinesischen Tech-Unternehmens Kuaishou Technology in Hongkong. 6,2 Mrd. US-Dollar wurden dabei eingenommen. Auf Platz 2 folgt die Erstnotiz des südkoreanischen E-Commerce-Unternehmens Coupang an der New York Börse, über die hier berichtet haben. Dabei wurden 4,6 Mrd. Dollar eingenommen.

Immerhin 3,9 Mrd. Dollar holte sich der polnische Paketdienstleister InPost bei seinem IPO in Amsterdam – der größte Börsengang in Europa. Die US-Dating-Plattform Bumble wiederum nahm im Februar an der Nasdaq 2,5 Mrd. Dollar ein.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer)
Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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