19.11.2018

1 Mio. Euro Investment für Wiener Startup Mostly AI

Das Wiener Startup Mostly AI kreiert mit seiner Software synthetische Daten für Unternehmen. Nun gab es rund eine Million Euro Wachstumskapital von 42cap und Push Ventures. Wir sprachen mit Co-Founder Michael Platzer.
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Mostly AI: Michael Platzer
(c) Mostly AI: Michael Platzer

Gerhard Zauchinger, 37 Jahre, wohnhaft in Wien Leopoldstadt, verheiratet und Vater einer 1-jährigen Tochter, hat letzten Samstag 83,26 Euro im Supermarkt ausgegeben, davon entfielen 19,39 Euro auf Windeln. Er ist Teil einer umfassenden Studie, in der die Daten von tausenden Individuen detailliert ausgewertet werden, um Schlüsse über das Einkaufsverhalten in Österreich zu ziehen. Bloß: Gerhard Zauchinger und all die anderen existieren nicht. Sie sind allesamt Teil einer simulierten Population an synthetischen Kunden, die als Einzelne realistisch, und als Ganzes wiederum repräsentativ sind, aber keinerlei direkten Bezug zu real existierenden Menschen aufweisen. So ungefähr kann man sich das vorstellen, was die vom Wiener Startup Mostly AI entwickelte Technologie vermag.

+++ Fokus: Artificial Intelligence +++

Datenschutz vs. Innovation

Doch warum einen Gerhard Zauchinger synthetisch erstellen, wenn man doch einfach echte Kundendaten verwenden könnte? “Das allgemeine Bewusstsein zu Datenschutz ist aufgrund diverser Skandale und auch dank der Einführung der DSGVO stark gestiegen. Letztere setzt relativ enge Rahmenbedingungen für die Verarbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten. Und das ist auch gut so”, sagt Michael Platzer, Co-Founder und CEO von Mostly AI. Die Gesetzespakete im Rahmen der DSGVO-Umsetzung hätten Hand und Fuß und viele Länder, wie etwa die USA, setzen Schritte um dem europäischen Beispiel zu folgen. “Auf der anderen Seite kann die breite Verwendung dieser personenbezogenen Daten der Gesellschaft aber einen immensen Nutzen bringen, etwa für die Forschung, für die Produktentwicklung, oder aber auch für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen”, sagt Platzer.

“Wir lösen ein grundlegendes Dilemma”

Und hier kämen synthetische Daten ins Spiel. Dank generativer AI vermag die Software von Mostly AI anhand “echter” Datensätze Muster und Zusammenhänge erlernen und kreiert daraufhin ein Sample von “erfundenen” Datensätzen, die wieder weitestgehend dieselben Eigenschaften haben wie die Originaldaten. “Wir lösen damit ein grundlegendes Dilemma”, erklärt CEO Platzer. Denn man ermögliche es dadurch Informationen und somit den Wert von Daten zu erhalten, und diese – entgeltlich oder unentgeltlich – weiterzugeben unter gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre jeder einzelnen Person.

Namen schwärzen bringt nichts

Denn klassische Anonymisierung, wie sie häufig stattfinde, sei im Internetzeitalter unwirksam. “Es ist wie der Anonymitätsbalken auf Portrait-Fotos. Wenn man das Gesicht kennt, bringt der Balken über den Augen nichts. Und eine AI-basierte Bilderkennung könnte die Person selbst noch anhand der Ohrläppchen identifizieren”, sagt der CEO. Mit Datensätzen verhalte es sich ähnlich. Anhand von wenigen Datenpunkten – etwa der Anzahl der Kinder, der Postleitzahl und der gefahrenen Automarke – könne man bereits einen Großteil der Personen reidentifizieren. Ein paar Datenpunkte mehr und man könne ausnahmslos jeden zurückverfolgen. “Nur den Namen zu schwärzen bringt also nichts”, sagt Platzer.

Mostly AI-Software auf den Servern der Kunden

Und die Mostly AI-Kunden müssen ihre Daten für das Service nicht dem Startup geben. Man verfolgt ein Subscription-basiertes Modell, bei dem die Software auf den Servern der Kunden läuft – die personenbezogenen Daten verlassen also nicht das Unternehmen oder die Institution. Diese Kunden kommen bislang vorwiegend aus dem Bankensektor, wo Mostly AI erfolgreich mit Finanztransaktionsdaten arbeitet. “Weitere sehr spannende Anwendungsbereiche sind für uns auch die besonders sensiblen Gesundheitsdaten und Mobilitätsdaten”, erklärt Platzer. Letztlich ließe sich die Technologie aber überall dort anwenden, wo mit großen personenbezogenen Datensätzen gearbeitet wird. “Unser Produkt richtet sich also vorwiegend an Großkonzerne, aber auch an Unternehmen mit einem großen Kundenstock, die ihre Daten intern und extern besser nutzbar machen wollen”.

Rund 1 Mio. Euro von 42CAP und Push Ventures

Und nicht nur große Kunden konnte Mostly AI mit seiner Lösung überzeugen. Das Gründer-Team – Platzer ist Mathematiker und Ökonom, seine beiden Co-Founder, Klaudius Kalcher und Roland Boubela, medizinische Physiker – konnte nun auch zwei Investment-Gesellschaften für eine Kapital-Runde gewinnen. Rund eine Million Euro kommen von 42CAP und Push Ventures. “Ausschlag hat für uns ihre Erfahrung und die persönliche Betreuung durch die Investoren gegeben. Sie verstehen sowohl die Technik als auch den Markt”, sagt Platzer.

“Wir müssen den Markt erst mitentwickeln”

Das Data Science-erfahrene und eher wissenschaftslastige Team – Platzer wurde für die Forschungsergebnisse seiner Dissertation sogar vom US-Marketing-Verband als Forscher des Jahres ausgezeichnet – will sich mit dem Kapital nun auf wirtschaftlicher Seite stärker aufstellen. Positionen in den Bereichen Business Development und Marketing wurden gerade ausgeschrieben. Dann will man zunächst gezielt weitere Großbanken Europas ansprechen. “Wir müssen den Markt für KI-basierende synthetische Daten gewissermaßen erst mitentwickeln, da er so noch nicht existiert. Eine sehr spannende Herausforderung, und auch eine Frage des Timings. Daten-verarbeitende Organisationen gilt es einerseits über die neuen Möglichkeiten zu informieren, und andererseits natürlich von der Qualität unser Technologie überzeugen”, sagt der CEO. Gerhard Zauchinger und seine Mitgenossen könnten uns jedenfalls in Zukunft noch öfter begegnen.

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Das "Expedition Zukunft"-Team, Annamaria Andres (erste links) | (c) FFG

In Zeiten großer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen braucht es mutige Ideen, die nicht nur schrittweise verbessern, sondern bestehende Systeme grundlegend neu denken. Genau hier setzt das Förderprogramm „Expedition Zukunft“ der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) an. Annamaria Andres, die das Programm maßgeblich mitentwickelt hat, betont: “Die EU und auch Österreich sind sehr gut in inkrementellen Innovationen und Grundlagenforschung, doch es braucht auch disruptive Ansätze, um die Welt zu einem besseren, gerechteren und nachhaltigeren Ort zu verändern.”

Mehr als inkrementelle Verbesserungen

Das Ziel von “Expedition Zukunft” ist es, Projekte zu unterstützen, die einen echten Paradigmenwechsel bewirken können. Während traditionelle Innovationsprogramme oft auf Verbesserungen bestehender Technologien und Prozesse abzielen, sucht „Expedition Zukunft“ nach bahnbrechenden Ideen. Es geht darum, mit komplett neuen Ansätzen die jetzigen Herausforderungen anzugehen. Diese Herausforderungen könnten technologischer, gesellschaftlicher oder ökologischer Natur sein.

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Zwei Wege in die Zukunft: #START – Business Edition und #INNOVATION

Das Programm gliedert sich in mehrere Ausschreibungsschienen. Hier ein Überblick zu zwei Förderschienen, die sich besonders für Gründer:innen von Startups und KMU eignen:

  • #START – Business Edition: Hier können Gründer:innen und KMU einreichen, die ganz am Anfang stehen. Sie haben eine visionäre Idee, aber noch kein ausgearbeitetes Konzept. Es geht darum, die Durchführbarkeit zu testen – nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch in Bezug auf soziale Aspekte, strategische und rechtliche Rahmenbedingungen. Für diesen Schritt stellt die FFG bis zu 80.000 Euro zur Verfügung.
  • #INNOVATION: In dieser Schiene wurde ein Problem bereits klar definiert, die Lösung ist jedoch noch offen. Mit einer Förderung von bis zu 150.000 Euro bei einer Förderquote von 50 Prozent unterstützt das Programm die Lösungsfindung in Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern. Hier geht es um iterative Innovationsprozesse, wie zum Beispiel Open Innovation und Design Thinking, um eine optimale Lösung für eine Zielgruppe oder ein disruptives Geschäftsmodell zu entwickeln.

Weitere Ausschreibungsschienen findet ihr auf der Programm-Website.

Mut zum Risiko und zur Veränderung

Disruptive Innovationen sind riskanter als schrittweise Verbesserungen. Sie bewegen sich oft in unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen, müssen neue Märkte erschließen und kulturelle Veränderungen anstoßen. Diese bahnbrechenden Ideen haben ein höheres Umsetzungsrisiko. Deshalb bietet das Programm neben finanzieller Unterstützung auch umfassende Beratungsservices und Expeditionsguides.

Die Expeditionsguides sind Expert:innen, die die geförderten Projekte begleiten. Neben der individuellen Begleitung bietet das Programm auch Netzwerktreffen, bei denen sich die Fördernehmer:innen untereinander austauschen können.

Von der Vision zur Umsetzung

Ein zentrales Kriterium für die Förderung ist der Mut zur großen Vision. Dahingehend werden Fördernehmer:innen gesucht, die größer denken und bereit sind, neue Wege zu gehen. Diese Vision muss auch einen gesellschaftlichen oder ökologischen Mehrwert bieten. Es geht nicht nur um Profit, sondern um Impact – sei es in der Umwelt, der Gesellschaft oder der Wirtschaft.

Ein Beispiel für solche visionären Projekte sind Innovationen in der Raumfahrt, der Krebsbekämpfung, sozialen Inklusion oder Pflegekonzepte für eine alternde Gesellschaft.

Solche Ideen stoßen jedoch oft auf große gesellschaftliche Herausforderungen. So stellt beispielsweise die Bereitschaft der Menschen, eingefahrene Verhaltensmuster zu ändern, eine Hürde dar. Genau hier setzt das Programm an, um den notwendigen Wandel zu unterstützen und den Weg für zukunftsweisende Innovationen zu ebnen.

Unterstützung, die über Geld hinausgeht

Neben der finanziellen Förderung bietet „Expedition Zukunft“ auch umfangreiche Beratungsleistungen. Dazu gehören Workshops zu Geschäftsmodellen, Strategieberatung oder Hilfe bei IP-Fragen. So soll sichergestellt werden, dass die Projekte nicht nur technisch funktionieren, sondern auch erfolgreich umgesetzt werden können.

Das Programm „Expedition Zukunft“ vernetzt die Teilnehmenden gezielt mit relevanten Partner:innen aus Wirtschaft, Forschung und öffentlichem Sektor. Ein starkes Netzwerk aus Wirtschaftsagenturen, Ministerien und internationalen Partnern unterstützt dabei, die richtigen Kontakte zur richtigen Zeit zu knüpfen – oft der Schlüssel zum Erfolg eines Projekts.

Bewerbungsfrist und Kriterien

Die Einreichfrist für die #START Business Edition endet am 28. Januar um 12:00 Uhr. Die Schiene #INNOVATION ist als laufende Ausschreibung angelegt. Bewerber:innen müssen neben einer bahnbrechenden Idee auch den Willen mitbringen, Risiken einzugehen und groß zu denken. Diversität, gesellschaftlicher Impact und die Bereitschaft zur Veränderung sind entscheidend.

Abschließend merkt Andres an: “Wir suchen Visionär:innen, die bereit sind, die Welt zu verändern. Die Expedition Zukunft ist für diejenigen, die über den Tellerrand hinaus denken, die mutig sind und größer denken. Wer bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, findet in dieser Initiative der FFG nicht nur einen Förderer, sondern einen Partner auf dem Weg in die Zukunft.”

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