20.02.2018

Interview: “Wir werden die KI-Dividende ernten können”

Interview. Wir sprachen mit Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart, über Arbeit und Gesellschaft im Zeitalter der künstlichen Intelligenz.
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Fraunhofer-Institut Stuttgart: Wilhelm Bauer
(c) Fraunhofer-Institut Stuttgart: Wilhelm Bauer

Professor Wilhelm Bauer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Am 21. Februar hält er im Rahmen der Reihe “Horizonte” der Außenwirtschaft Austria einen Vortrag mit dem Titel “Arbeitswelt der Zukunft – Arbeiten in Zeiten künstlicher Intelligenz” (⇒ Hier geht’s zum Veranstaltungshinweis). Am 22. Februar leitet Wilhelm Bauer einen Workshop zum Thema “Welche Rolle spielt der Mensch in der Arbeitswelt von morgen?”. Wir haben den Experten vorab zum Interview über die Zukunft der Arbeitswelt und unserer Gesellschaft im Zeitalter der künstlichen Intelligenz gebeten. Er ist verhalten optimistisch.

+++ Horizonte: Fraunhofer- und Zukunftsinstitut zu “Zukunft des Arbeitens” +++


Sind Gesellschaft und Politik ausreichend auf die Transformation durch künstliche Intelligenz und Co. in den kommenden Jahren vorbereitet?

Nein, ich sehe hier großen Nachholbedarf und auch die Notwendigkeit für einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Einerseits hat das Thema einen hochgradig wettbewerblichen Charakter. Also: wer dazu keine Lösungen auf den Märkten anbieten kann, wird das Nachsehen haben. Andererseits sind neben den technischen Fragen natürlich auch rechtliche und ethische Aspekte zu adressieren. Hier ist es Aufgabe der Politik den entsprechenden Rahmen vorzugeben und im Dialog mit der Öffentlichkeit Akzeptanz zu schaffen.

Werden in den kommenden Jahren viele Jobs “ersatzlos gestrichen”? Oder werden, wie nach den vorangegangenen industriellen Revolutionen, wieder ausreichend neue Berufe entstehen?

Das kann man noch nicht verlässlich sagen. Die Prognosen reichen von massiven dauerhaften Arbeitsplatzverlusten bis hin zu ganz signifikanten Beschäftigungszuwächsen. Eines ist sicher: Die Digitalisierung wird in bestimmten Bereichen zu einer Rationalisierung führen, mit Künstlicher Intelligenz gepaart, womöglich auch zu verstärkten Arbeitsplatzverlusten. Diese werden allerdings durch den demografischen Wandel abgefedert werden. Wie gut und wie dauerhaft, das muss man sehen. Zudem ist klar: Wenn wir die neuen Technologien selbst für neue Produkte und Services nutzen und in den Märkten damit erfolgreich sind, dann kann auch viel neue Beschäftigung entstehen – aber eben nur dann. Also ist Innovation der Weg zu einer positiven zukünftigen Beschäftigungsentwicklung.

Überspitzt gefragt: Könnten wir in eine Situation analog zum alten Rom kommen, in der es einen Plebs gibt, für den keine Erwerbsarbeit da ist?

Nein, ich denke wir sind in unseren modernen Gesellschaften heute weiter. Wir wissen, dass das alte Rom auch an diesen Problemen zugrundegegangen ist. Daher sollten und werden wir alles tun, damit uns die Geschichte nicht einholt.

Können, auf der anderen Seite, künstliche Intelligenz und Co. das Problem der Ageing Society lösen?

Das ist stark anzunehmen. Künstliche Intelligenz und lernende Systeme können uns helfen, die Versorgung älterer Menschen in der gewünschten und angebrachten Qualität zu gewährleisten. Und möglicherweise werden sie ja auch dazu beitragen, dass wir noch länger leben werden. Dann ist der Nutzen im doppelten Sinne gegeben.

“Wir werden die KI-Dividende ernten können. An sich sind das insgesamt doch wunderbare Aussichten…”

Können Konservativismus, Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus angesichts der Entwicklungen noch passende Antworten liefern?

Ich denke, wir werden diese klassischen gesellschaftlichen und wirtschaftsbezogenen Prinzipien in Richtung einer digitalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung weiterentwickeln müssen. Und ich sehe große Chancen, dass wir mit den anstehenden Entwicklungen von immer mehr unterstützenden Maschinen und digitalen Systemen dem Paradies ein Stück näher kommen können. Im Ernst: eine Digitalgesellschaft – oder sprechen wir dann vielleicht vom Digitalismus? – kann uns sicherlich mehr Wohlstand, mehr Frieden und mehr gesellschaftliche Prosperität bringen.

Und zum Schluss gerade herausgefragt: Braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Wie auch immer wir es nennen werden. Intelligente Algorithmen und Maschinen werden dazu beitragen, dass eine Grundsicherung möglich und vielleicht auch nötig sein wird. Ob wir das als Grundeinkommen ausbezahlen, wir Busse und Bahnen umsonst nutzen, das Gesundheitssystem “for free” ist oder wir umsonst wohnen werden – wir werden die KI-Dividende ernten können. An sich sind das insgesamt doch wunderbare Aussichten…

+++ Grundeinkommen: Brot und Spiele für den neuen Plebs? +++


⇒ Zur Page des Fraunhofer-Instituts Stuttgart, dessen Leiter Wilhelm Bauer ist

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Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan
Wiener-Börse-CEO Christoph Boschan | Foto: brutkasten / Wiener Börse (Hintergrund)

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach, darunter etwa FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth, mit PlanRadar-Co-Founder Sander van de Rijdt und mit Storebox-Co-Founder Johannes Braith.

Zum Thema Kapitalmarkt haben wir nun bei Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, nachgefragt.


brutkasten: Die Regierungsverhandlungen befinden sich in der entscheiden Phase. Was sind die wichtigsten Maßnahmen, die in Österreich umgesetzt werden sollten, um Kapitalmarkt und Börse zu stärken?

Christoph Boschan: Die schnellste und einfachste Maßnahme wäre die Wiedereinführung der Behaltefrist für Wertpapiere bzw. die Einführung eines Vorsorgedepots. Das lag alles fix fertig auf dem Tisch und stand im letzten Regierungsprogramm.

Gewichtiger wäre eine bessere Abstimmung des Pensionssystems auf den Kapitalmarkt, also eine teilweise Veranlagung der ersten Säule am Aktienmarkt. Da spreche ich übrigens nicht mit dem reinen Blick durch die “Kapitalmarkt-Brille”. Das würde zugleich den Staatshaushalt entlasten und die Pensionsfinanzierung nachhaltig absichern und Geld für die Innovations- und Wachstumsfinanzierung bereitstellen.

Sie haben in einem brutkasten-Studiotalk im September gefordert, “zentrale, mächtige, große Kapitalsammelstellen zu errichten”. Was genau verstehen Sie darunter, beziehen Sie sich primär auf Pensionsfonds oder verstehen Sie das Konzept breiter?

In der teilweisen Veranlagung der ersten Säule am Kapitalmarkt liegt tatsächlich das größte Potenzial, ein bis zwei Prozent machen hier auf einige Jahre gesehen bereits viel aus. Die zweite Säule könnte mit einer verpflichtenden betrieblichen Vorsorge gestärkt werden. Oder man kreiert einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild.

Abseits davon gibt es in Österreich 330 Mrd. Euro an niedrigverzinstem privatem Kapital, die nicht nur keine Rendite abwerfen, sondern den Unternehmen auch bei der Innovationsfinanzierung fehlen. Die Liste an Möglichkeiten ist lang, wie auch jene der schon existierenden Blaupausen in Europa.

Welche Maßnahmen bräuchte es konkret? Welche dieser Schritte können in Österreich gesetzt werden und welche nur auf europäischer Ebene?  

Die entscheidenden Schalthebel sind tatsächlich bei den Nationalstaaten. Vorlagen, die für den österreichischen Anwendungsfall angepasst werden können, gibt es genug. Norwegen mit dem Staatsfonds, Schweden mit der teilweisen Veranlagung der Pensionen am Kapitalmarkt, die Schweiz mit der verpflichtenden betrieblichen Altersvorsorge. In Deutschland kommt nun das Vorsorgedepot mit steuerbegünstigter Wertpapierveranlagung. Alles, was eine zu befürwortende Harmonisierung betrifft, etwa beim Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht, ist auf EU-Ebene zu lösen.

Stichwort EU-Ebene. Sie sprechen auch oft von der “unvollendeten Kapitalmarktunion”. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um diese Kapitalmarktunion zu vollenden?

Das deckt sich mit den zuvor diskutierten Ansätzen, die jedoch in der langen Liste der – grundsätzlich zu befürwortenden – Ziele der Kapitalmarktunion nur unzureichend adressiert werden können, da derzeit die großen Kapitalsammelstellen nur durch die Mitgliedsstaaten geschaffen werden können. Ohne große Kapitalsammelstellen werden wir die europäische Konkurrenzfähigkeit nicht entscheidend ankurbeln können.

Inwiefern können Kapitalreserven in privaten Altersvorsorgesystemen oder Pensionsfonds als „Treibstoff“ für tiefe und liquide Märkte dienen? 

Indem sie in börsennotierte Unternehmen investieren. Damit schaffen wir die besagten großen Liquiditätspools bzw. Kapitalsammelstellen. Die Unternehmen haben somit eine umfassendere Kapitalquelle für Innovation und Wachstum. Das erklärt auch, warum wir in Europa mit Abwanderung von Listings in Richtung USA zu kämpfen haben. Wachstumsorientierte Unternehmen gehen dorthin, wo sie potenziell das meiste Kapital bekommen können.

Wenn wir wollen, dass das nächste Google, Meta oder Amazon aus Europa kommt, müssen wir hier anpacken. Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten wachsen schneller und erholen sich rascher von Krisen.

Sie haben bereits angesprochen, dass die nun scheidende Regierung die Wiedereinführung der Behaltefrist für Aktien im Regierungsprogramm vereinbart hatte, ohne sie dann tatsächlich umzusetzen. Für wie wichtig – verglichen mit anderen Möglichkeiten, Anreize zu schaffen – wäre diese Maßnahme, um die private Vorsorge über die Börse attraktiver zu gestalten?

Ich bin immer dafür, Individuen zu ermächtigen und zu stärken und genau das macht die Behaltefrist. Die Befreiung von der KESt (Kapitalertragssteuer) für die langfristige Altersvorsorge ist als Anreiz nicht zu unterschätzen. Sie ist längst überfällig.

Versteuertes Arbeitseinkommen wird in Unternehmen investiert, diese schütten mit Körperschaftsteuer besteuerten Gewinn aus, auf den nochmal 27,5 Prozent geltend werden. Diese steuerliche Eskalation ist immens. Wer vorausschauend agiert und für sein Alter vorsorgt, sollte dringend entlastet werden.

Sie vertreten mit der Wiener Börse die österreichische Nationalbörse. Aktuell kursieren einige Vorschläge, die einen anderen Bereich, nämlich den vorbörslichen Kapitalmarkt betreffen und diese attraktiver machen sollen, etwa die Schaffung eines Dachfonds, der in bestehende Venture-Capital-Fonds investiert, oder einen Beteiligungsfreibetrag für Business Angels und andere private Kapitalgeber. Wie blicken Sie darauf?

Ich halte Ansätze, die Innovation, junges Unternehmertum und Wachstum fördern immer für begrüßenswert. Von jungen Unternehmen, die am Beginn ihrer Reise mit genügend Kapital ausgestattet werden, wird in weiterer Folge auch die Börse, die am oberen Ende der Finanzierungsstufen steht, profitieren.


Aus dem Archiv: Christoph Boschan im brutkasten-Studiotalk (September 2024):


Aus dem brutkasten-Printmagazin: Warum ein Börsengang nicht nur etwas für Großkonzerne ist


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