09.01.2018

Interview: “Ich würde der Technologie eher trauen als meinen Eltern”

Interview. Vincent Nys vom belgischen Startup Newfusion erklärt, warum er sich einen Chip implantiert hat und was er von der Zukunft erwartet.
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Vincent Nys von Newfusion
(c) Juliane Fischer: Vincent Nys von Newfusion

Es ist ein unscheinbares Garagentor hinter dem es geschah. Desi Swartilé hält ihre Karte an den Summer. Sie könnte auch mit dem Schlüssel das Tor öffnen. Ihre Kollegen von Newfusion haben noch eine dritte Option. Bei ihnen reicht jetzt ein kurzes Heben der linken Hand. Sie haben sich nämlich neben dem Daumenknochen einen Mikrochip implantieren lassen. CEO Vincent Nys sieht sich als Pionier einer Smarten Welt und meint, Innovation sollte für alle verfügbar sein. Das Gerede von der Digitalisierung hatte er schon so satt. Vor vier Jahren als Startup begonnen, arbeiten heute zwölf Leute bei New Fusion. Nys folgt dem Motto von Linus Torvald “Talk of tech innovation is bullshit, shut up and get the work done”. Juliane Fischer hat im Rahmen der Aktion Eurotours sein Startup zwischen Brüssel und Antwerpen besucht.

+++ Große Tech-Trends für 2018 +++


Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eure Türen und Laptops mit einen Chip unter der Haut zu entsperren?

Es gibt viele Leute, die mit Digitalisierung zu tun haben, aber die wenigsten in der Ausführung. Keiner befasst sich wirklich in der Praxis damit. Während sie noch lernen, was das neue Marketing ist, es beschreiben und erklären, ist es schon wieder vorbei. Wir verwenden diese Technologie ständig, zum Beispiel bei Armbändern auf Festivals. Mit denen hat man Zugang zu den Bühnen, kann sich sein Geld darauf speichern, sein Bier kaufen. Das ist deine Identität auf dem Festival, zum Beispiel beim “Tomorrowland” in Belgien. Wenn du ein VIP bist, kommst du damit in andere Bereiche.

Wo bekommt man denn so einen Chip her?

Wir haben ihn auf dangerousthings.com gefunden. Dahinter steckt ein Biohacking-Unternehmen, das sich auf die menschliche Augmentation durch implantierbare Geräte spezialisiert hat. Der Geschäftsführer Amal Graafstra nennt sich selbst Biohacker. Zwischen denen und uns gibt es aber einen großen Unterschied. Biohacker sind die Typen, die riesige Piercings haben, ihren Körper optisch verändern – Biomodification-Guys. Es ist verrückt. Die machen Dinge mit ihren Körper, die ich nicht verstehe.

Warum?

Ich glaube, damit sie eine Identität haben. Das passt in die Millennial-Story. Du willst besonders, anders, unique sein.

Indem man sich einen Chip implantiert und sich eine Nummer gibt?

Wir sehen uns bei Newfusion als Tech-Innovators und -Believers und dachten uns, es sei ein guter Schritt, um etwas mit Technologie zu tun. Nach einer Woche wurden die Chips geliefert. Dann war es mehr so: “Oh, Mist, jetzt müssen wir das echt tun!”.

Wie war die Reaktion?

Das Medieninteresse war groß, innerhalb von zwei Stunden. Das haben wir nicht erwartet. Manche wollten es mitfilmen. Wir waren zur Primetime im Belgischen Fernsehen und in internationalen Medien.

Welche Unternehmensidee steckt hinter deinem Startup Newfusion?

Vor etwa neun Jahren ist Facebook richtig erfolgreich geworden. Damals war das Digitale nur an der Oberfläche. Getränkemarken haben weiterhin Kostproben an der U-Bahnstation verteilt. Was dazu kam, war der Hinweis: Like uns auf Facebook! Das hat Null zusätzlichen Nutzen erzeugt. Die Technologie war nicht eingebunden, sondern on top. Newfusion will Technologie mit Marketing fusionieren – daher der Name.

Wie sieht das konkret aus?

Wir machen viel auf Veranstaltungen oder im Brand Management, arbeiten in der Entwicklung, kreieren Dinge. Hauptsächlich Software in Richtung Internet of Things und Augmented Reality.

Ein Beispiel?

Foto-Booth ist schon fad. Für ein Spiel der Belgischen Fußball-Nationalmannschaft haben wir eine 360-Grad-Kamera auf der Trainerbank installiert und mit der VR-Brille verbunden. Damit fühlst du dich, wie am Spielrand sitzend. Ein anderes Unternehmen hat am Festivalstand Tattoos verschenkt. Man konnte es mit einer App scannen, dann bewegte sich das Löwentattoo. Einmal haben wir ein Quiz für drei Freunde auf einer kleinen Festivalnebenbühne inszeniert. Bei falschen Antworten taucht der Stuhl den Kandidaten unter Wasser, von oben kommt die Eisdusche, das Gesicht wird bunt angemalt. Alles festgehalten von zwei Slow-Motion-Kameras und in den Social Media dann erhältlich. Das haben wir innerhalb einer Woche konzipiert.

Was kostet der Spaß?

Das Marketingbudget ist mit 200-300.000 Euro meistens recht hoch, aber für die Ausführenden bleibt durch die vielen Zwischenschritte nicht viel. Newfusion macht das effizienter und billiger durch die neuen Technologien.

Habt ihr schon einmal Drohnen eingesetzt?

Ja! Wir hatten zwei Wochen Zeit und wollten über ein Festival fliegen. Das war im Sommer 2016. Drohnen waren the new hot shit. Das Problem: Nach zehn Minuten war die Batterie dieser Modelle schon wieder am Ende. Außerdem erlaubt das belgische Gesetz nicht, dass man über eine Menschenmasse fliegt.

Wie habt ihr das gelöst?

Wir haben selbst eine Art Drohne mit einer 360-Grad-Kamera gebaut und die Fernsteuerung an ein iPad gekoppelt. Die Drohne war acht Stunden lang in der Luft an einem langen Kabel – rechtlich gesehen war es ein langer Selfie-Stick. An einer Kletterausrüstung wurde man einen Meter in die Luft gehoben. Durch die VR-Brille sieht man den Livestream: das Festivalgelände aus der Vogelperspektive und deine Freunde unten winken.

Wie verändert die Digitalisierung?

Es geht um die Feedback-Kultur. Früher war eine Veranstaltung selbst die Attraktion. Heute gibt es schon Aktivitäten, um dich zum Event zu bringen. Du bekommst ein interaktives Email. Auf einer eigenen App siehst du, wer noch dort sein wird. Das verändert das Kundenverhalten. Online-Shopper sind gewohnt, dass das Paket in den kommenden Tagen ankommt. Wir haben ein Bedürfnis, eine Erwartungserhaltung erschaffen. Selbst wenn sie noch ins Fachgeschäft gehen, wissen sie oft schon – vorinformiert im Netz – was sie wollen. Was gute Bewertungen hat, haben sie in Foren gelesen.

+++ Digitalisierung in KMU: “Das Internet ist kein Modegag” +++

Und sie sind beeinflusst von Target Marketing.

Wenn Target Marketing funktionieren würde, würde es mir nichts ausmachen. Aber wenn ich jetzt die Werbung für die Waschmaschine auch noch lange nach meinem Kauf bekomme, nur weil ich einmal danach gesucht habe… Wir wollen keine Daten hergeben, weil sie sinnlos missbraucht werden. I want your cookie, heißt es immer.

Wie funktioniert der Handel mit Daten?

Für einen vollen Kontakt inklusive Name, Adresse, Email bekommst du circa 1, 20 Euro. Unternehmen verwenden diese Daten und verkaufen sie weiter. Große Konzerne können das nicht. Denen schaut jeder auf die Finger. Sie überlegen: Was kostet meine Kampagne? Wie viele Leute muss ich erreichen? Es ist ein Unterschied zwischen Big und Smart Data. Die meisten Unternehmen wissen nicht, was sie mit den Daten tun sollen. Sie sammeln sie einfach.

Was wollen sie wissen?

Alter, Geschlecht, Location, Reaktion. Sie müssen nicht wissen, ob es John oder Mark ist. Sie wolle nur wissen, ob ihr Produkt positiv bei ihrer Zielgruppe ankommt.

Blickst Du eigentlich eher optimistisch oder eher pessimistisch in die Zukunft?

Ich glaube in den kommenden fünf Jahren wird es einen neuen Shift geben. Wir müssen “smart” neu definieren und wirklich “smart” sein. Wer nutzt Smart TV? Sobald jemand aufsteht und sich bewegt, wechselt der Sender. Das ist nervig. Andererseits: Filme wie Matrix waren einst reine Science Fiction für uns. Nun ist das alles schon Realität. Wir können zwar keine Pistolenkugel mit unserem Gehirn stoppen, aber Touchsceens, Nanoroboter und selbstfahrende Autos gibt es mittlerweile. Das ist verrückt. Ich war ein Kind, als der Film in die Kinos kam. Die virtuelle Welt mit den Gedanken lenken – das funktioniert sicher auch bald.

Scheint, als wäre in Science Fiction mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten.

Entweder haben sie 1999 die Zukunft vorausgesagt, oder es ist so passiert, weil sie uns die Vision vorgegeben haben. Wahrscheinlich eine Kombination, im Sinne einer self-fulfilling prophecy. Das war auch unsere Idee bei Newfusion. Wenn du keine Angst hast, probierst du Dinge aus!

Apropos Angst: Keine Angst, gehackt zu werden?

Es ist eine einzigartige Nummer, die kann nicht gehackt werden. Aber seien wir uns ehrlich: Wir sind sowieso schon längst alle Nummern. Durch unsere Handys kann viel mehr nachverfolgt werden. Der Chip hat keine Batterie in sich. Es funktioniert auch nur bei Nahkontakt von weniger als zehn Zentimeter. In Amerika gibt es eine neue Hacking-Technik. Die können im Vorbeigehen den Inhalt deiner Kreditkarte auslesen und kopieren.

Werden sich Chipimplantate durchsetzen?

Vielleicht eher wearable Chips, die dann erkennen, wenn sich die Körpertemperatur nur geringfügig ändert. Dann weiß die dazugehörige App früher, wenn du krank wirst. Versicherungen könnten es auch verwenden.

Zu viel Wissen über die gesundheitliche Zukunft hat nicht nur Vorteile.

23 and me (Anmerkung: u.a. von Google finanziertes Unternehmen, das DNA-Tests für Zuhause verkauft) kann dich clonen mit den Daten. Was, wenn da rauskommt, dass dein Vater nicht dein Vater ist? Das Einzige, was sicher ist, ist dass deine Mutter deine Mutter ist. Der Vater könnte lügen.

Wen würdest du eher trauen: Deinen Eltern oder Google?

Der Technologie. Menschen lügen, um sich besser darzustellen. Schau dir die Darstellung auf Facebook an! Das ist nicht, wie wir sind. Wir verändern uns um besser zu erscheinen. In machen Dingen verliere ich das Vertrauen in die Menschen.

Wie wir auch unseren Ur-Instikt und Orientierungssinn etc. verlieren.

Gleichzeitig lernen Maschinen selbst zu lernen, damit nicht alles programmiert sein muss. Ein Chatbot lernt 100 Mal schneller als der Mensch. Wir sollten etwas finden, wo wir immer besser als die Maschinen sind. Aber das ist schwierig, wenn wir sie selbst denken lassen. Reynold Cruswell, ein verrückter Futurist und Ex-Google-Typ, schreibt in seinem Buch aus 1990 “Age of Intelligent Machines” über die Zukunft im Maschinenzeitalter. Von den 120 Vorhersagen sind schon 108 eingetreten.

Wie soll das Zusammenleben mit Robotern aussehen?

Roboter werden entweder neben uns leben als “intellectual beings”, die wie wir aussehen. Vielleicht werden sie aber auch klüger als wir werden und uns ausrotten und die dritte Variante: Wir vermischen uns mit ihnen. Das halte ich für am Wahrscheinlichsten. Es wird auch gar nicht aufzuhalten sein. An einem gewissen Punkt werden wir Liebe und Freundschaft neu definieren. In Japan verlieben sich manche Männer in Anime-Figuren. In Amerika kannst du auch Objekte heiraten. Ich bin überzeugt, es wird Leute geben, die eine Beziehung zu virtuellen Figuren haben. Warum soll das böse sein, wenn deine Freundin smarter ist und dir besser helfen kann als jedes menschliche Wesen?

Findest Du persönlich das seltsam?

Ja, schon. Wir müssen versuchen, den menschlichen Touch zu bewahren. Bei unseren Marketingaktivitäten versuchen wir es immer möglichst lebendig, physisch zu halten. Wir sind im Alltag ohnehin schon so viel virtuell, am Bildschirm klebend. Ich kaufe meine Lebensmittel online, aber Obst kaufe ich frisch. Das hat mit dem Geruch und der physischen Wahrnehmung von frisch zu tun, glaube ich. Wir verlernen ja auch, einzukaufen, zu wissen, was frisch ist, gerade saisonal, wie etwas riecht und sich anfühlt. Das könnte vielleicht Technologie ausgleichen.

Oder wir verlernen es einfach nicht. Was wäre deine Grenze?

Da halte ich es mir Asimov und seinem Buch “Laws of Robotics” (1942). Er hat damals schon überlegt, wie sie nicht zur Bedrohung werden. Die Story, dass die Roboter unsere Jobs wegnehmen – da gibt es eine lustige Simpson-Folge. Wir müssen mit den Maschinen Schritt halten, schon allein wegen unserer Jobs. So Dinge wie Fremdsprachen können wir uns unterstützend ja zum Beispiel auf einen Chip speichern.

Also das Gehirn hacken, um mit dem Zeitgeist mithalten zu können, den wir uns jetzt selbst bescheren?

Die AI, die gerade gebaut wird, kann schon fast alles wie wir, aber wir können noch besser werden. Vielleicht kann uns Technologie helfen, alles in unserem Gehirn zu nutzen, um besser zu sein.

Was ist „wir“ dann, wenn wir schon teilweise aus Technik bestehen? Dann kommen wir zurück zur Roboter-Definition…

Es geht nicht nur um meinen Chip. Man kann jetzt auch schon eine 3-D-Prothese haben. Der Chip im Gehirn verbindet sich mit deinen Nerven. Wir haben noch nicht unser ganzes Potenzial entschlüsselt. Das Nächste wird Sprachen lernen sein, das können Roboter schon viel schneller wie wir.

Siehst Du dich als Transhumanist?

In dem Sinn, dass ich glaube, dass Menschen durch Technologien noch optimierbar und transformierbar sind: Ja.

+++ Österreich-Studie: Roboter sollen im Haushalt helfen +++


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Diskussionsrunde der Folge 2: Harald Herzog, Moritz Mitterer, Carina Zehetmaier, Bernd Konnerth, Markus Fallenböck (c) brutkasten

„No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM AustriaIBMITSVMicrosoftNagarroRed Hat und Universität Graz.


Gut zwei Jahre ist es her, dass ChatGPT einen Hype rund um generative KI-Modelle auslöste. Doch es stellen sich auch viele kritische Fragen beim Einsatz von KI – besonders in sensiblen Bereichen. Klar ist: Künstliche Intelligenz bietet viele Vorteile und vereinfacht komplexe Prozesse. Gleichzeitig wirft sie jedoch auch Herausforderungen und Ängste auf, mit denen man sich kritisch auseinandersetzen muss.

Was KI in den Bereichen Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten kann, diskutierten in der zweiten Folge „No Hype KI”:

  • Bernd Konnerth (Microsoft Österreich | Public Sector Lead)
  • Carina Zehetmaier (Women in AI Austria | Präsidentin)
  • Harald Herzog (Österreichische Gesundheitskasse | Leiter Digitalisierung und Innovation)
  • Moritz Mitterer (ITSV | Aufsichtsratsvorsitzender)
  • Markus Fallenböck (Universität Graz | Vizerektor für Personal und Digitalisierung).
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Menschenzentrierter Ansatz im Mittelpunkt

Künstliche Intelligenz ist schon längst Teil unseres Alltags – ob bewusst oder unbewusst. Und obwohl KI bereits in vielen Lebensbereichen der Österreicher:innen präsent ist, bleibt die Skepsis bei vielen groß. Laut Carina Zehetmaier ist es daher ein besonders wichtiger Faktor, dass man jeder einzelnen Person KI näher bringt, sodass mehr Vertrauen in die Technologie entsteht: „Derzeit gibt es noch viele Ängste rund um KI. Aber es gibt auch noch gewisse Schwachstellen wie zum Beispiel das Halluzinieren, oder auch Vorurteile, die in den Systemen drinnen sind und widergespiegelt werden können. Es ist relevant, dass man sich hier von Anfang an mit den kritischen Fragenstellungen auseinandersetzt“.

Hierbei müsse an vorderster Stelle die öffentliche Hand hohe Standards setzen – vor allem aus menschenrechtlicher Sicht. Zehetmaier befürwortet in diesem Zusammenhang den AI Act, der klare gesetzliche Rahmenbedingungen schafft. „Die öffentliche Hand ist der direkte Adressat der Grund- und Menschenrechte“, sagt sie.

Ein weiterer wichtiger Punkt von Zehetmaier ist die Notwendigkeit, marginalisierte Gruppen nicht zu übersehen. Man müsse sich bemühen, geschlechtsspezifische und andere Vorurteile in Datensätzen zu vermeiden. „Wir wissen auch, dass Automatisierung den Gender-Pay-Gap öffnet anstatt schließt, das heißt, da müssen wir aktiv und gezielt gegensteuern“.

Verantwortungsvolle KI bedeute, aktiv an den Daten und Algorithmen zu arbeiten. Nur so könne sichergestellt werden, dass KI-Anwendungen nicht nur technologisch effizient, sondern auch ethisch und gesellschaftlich verantwortungsvoll gestaltet werden.

Responsible AI: Inklusivität, Fairness, Datenschutz

Dass die Anwendung von generativer KI nicht bloß Kosten senken soll, sondern den Menschen Nutzen bringen muss, ist auch für Bernd Konnerth von Microsoft klar. „Wir setzen auf Responsible-AI-Standards, bei denen es um Inklusivität, Fairness, Datenschutz und all diese Themen geht. Das sind Leitplanken in unserer Produktentwicklung“, sagt der Public Sector Lead von Microsoft Österreich.

Von der Unternehmenstransformation bis hin zum öffentlichen Dienst sei ein breites Umschulungsprogramm notwendig, um Ängste abzubauen: Es sei wichtig, „Umgebungen zu schaffen, die es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich machen, mit der Technologie zu interagieren, um den Berührungsängsten entgegen zu wirken”.

Universität Graz startete UniGPT für Mitarbeitende

Was Bildung angeht, betont Markus Fallenböck von der Universität Graz die Bedeutung einer breiten Wissensvermittlung. Es gehe nicht nur um Spezialist:innen für KI, sondern vor allem um die große Masse an Mitarbeitenden, die einen “sinnvollen Umgang mit KI erlernen” müssen: „Je mehr Wissen wir in die Bevölkerung kriegen, umso mehr können wir Chancen nutzen und Risiken minimieren“.

Die Universität Graz hat dazu eine eigene Micro-Credential-KI gestartet, um Studierenden ein Grundwissen zu KI zu vermitteln: “Das ist ein abgeschlossenes Studienpaket, das man in jedes Studium integrieren kann und das gerade in einer Pilotphase ist”, erläutert Fallenböck. Das Paket lasse sich in jedes Studium integrieren. “Da ist die Idee, dass in ein paar Jahren jeder Bachelor-Studierende, der in Graz einen Abschluss macht, ein Grundwissen hat zu KI-Bereich, Technik, Wirtschaft, Recht, Ethik”.

Für die eigenen Mitarbeiter:innen hat die Universität Graz im Mai 2024 außerdem den Chatbot UniGPT gestartet. Bereits mehrere hundert Mitarbeiter:innen wurden dafür bereits eingeschult. “Da sitzt die Universitätsprofessorin neben der Sekretariatskraft und beide interessieren sich für KI und werden es in ihrem Arbeitsalltag gut einsetzen”, schildert Fallenböck seine Eindrücke.

Über die eigenen Mitarbeitenden will die Universität Graz Wissensvermittlung aber auch in die Bevölkerung tragen. Dazu hat sie im Oktober etwa erstmals den Technology Impact Summit zum Thema KI in Graz veranstaltet. “Weil natürlich auch wichtig ist, dass wir die breite Öffentlichkeit mit dem Thema erreichen. Je mehr Wissen wir in die Bevölkerung kriegen, umso mehr, können wir auch das Chancennutzen und Risikominimieren wirklich schaffen”, erläutert Fallenböck.

ITSV: Künstliche Intelligenz im Gesundheitssystem

 Die ITSV wiederum steuert und koordiniert die IT-Aktivitäten der österreichischen Sozialversicherung – und beschäftigt sich schon länger mit dem KI-Thema. Aufsichtsratsvorsitzender Moritz Mitterer erzählt im Talk, dass das Unternehmen bereits 2018 mit der Erprobung von KI-Lösungen begonnen habe. In einem geschützten Umfeld wurden dabei erste Erfahrungen gesammelt, bevor die Systeme in den Echtbetrieb übergingen. Dieser schrittweise Ansatz habe wesentlich dazu beigetragen, das Vertrauen in KI-Modelle im Unternehmen zu stärken.

Besonders bei sensiblen Daten, wie etwa Gesundheitsdaten, ist die Gefahr von Missbrauch ein zentraler Risikofaktor. Mitterer erläutert die Bedeutung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit: „Man muss Patientinnen und Patienten mitnehmen, indem man entsprechend strenge Regeln hat und Compliance hat. Und indem man offen damit umgeht, falls doch was sein sollte“.

KI schafft Abhilfe bei steigendem Leistungsaufkommen bei ÖGK

Die ITSV arbeitet dabei unter anderem für die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Harald Herzog von der ÖGK erläutert, dass das steigende Leistungsaufkommen – etwa wachsende Fallzahlen, steigende Lebenserwartung, mehr Konsultationen – nach neuen Wegen verlangt: „Würden wir die Prozesse so weiterspielen wie bisher, bräuchten wir mehr Personal“, so Herzog. „Unsere Aufgabe ist es effizient zu arbeiten und alle technischen Möglichkeiten der KI auszunutzen“.

KI könne hier unterstützen, etwa bei der Wahlarztkostenerstattung. Ziel sei es, einen Großteil der Fälle automatisiert abwickeln zu können. Laut Herzog geht es aber nicht darum, den persönlichen Kontakt zu ersetzen, sondern lediglich zu ergänzen.

Zusätzliches Wirtschaftswachstum von bis zu 18 Prozent durch KI-Nutzung

Auch die öffentliche Verwaltung steht vor Herausforderungen, etwa aufgrund der Pensionierungswelle oder des Fachkräftemangels. Künstliche Intelligenz könnte dabei eine Rolle spielen. Bernd Konnerth von Microsoft Österreich sagt: „Künstliche Intelligenz kann eine Antwort sein – vielleicht nicht die Einzige, aber sie hat sehr viel Potenzial durch die Automatisierung wiederkehrender Tätigkeiten, viel Nutzen zu stiften“.

Aktuell befinde sich Österreich erst am Anfang, dieses Potenzial auszuschöpfen. Konnerth verweist auf eine Studie, dass Österreich ein Wirtschaftswachstum von bis zu 18 Prozent erzielen könnte, wenn das ganze Potenzial von KI ausgeschöpft werde.

Ausblick: KI-Nutzung in fünf Jahren

Wo steht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in fünf Jahren? „Ich hoffe, dass wir nicht mehr über die Technologie reden müssen, so wie wir heute auch nicht mehr über Strom sprechen, sondern dass sie einfach da ist“, so Microsoft-Experte Konnerth.

Carina Zehetmaier wiederum blickt auf die EU als Werteunion. In fünf Jahren solle man sehen, dass Österreich und Europa es geschafft haben, einen wertebasierten, menschengerechten KI-Einsatz umzusetzen. Für Österreich könne sich hier eine besondere Chance bieten, so Zehetmaier. Das Land könne sich als Vorreiter für einen vertrauenswürdigen, menschenzentrierten Umgang mit KI etablieren. Es gehe darum, „den menschenzentrierten Ansatz im Einklang mit Werten und Grundrechten umzusetzen“.

KI birgt enormes Potenzial

Die Diskussionsrunde ist sich einig, dass KI in sensiblen Arbeitsfeldern längst keine ferne Zukunftsvision mehr ist, sondern bereits eine zentrale Rolle darstellt. Die Chancen sind enorm – von effizienteren Verwaltungsprozessen über eine präzisere Gesundheitsversorgung bis hin zu einer gerechteren Bildung. Doch um diese Möglichkeiten zu nutzen, braucht es breites Verständnis, klare Regeln, vertrauenswürdige Technik und einen sensiblen Umgang mit Daten.


Folge nachsehen: No Hype KI – Was kann KI in den Bereichen Gesundheit, Bildung und im öffentlichen Sektor leisten?

Hier gehts es zur Nachlese von Folge 1: „No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?”


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