16.04.2018

Magdalena Hauser und Markus Breitenecker über AI, Blockchain und Startups

Sie ist Tech- und Entrepreneurship-Expertin. Er ist Medien-Manager. Doch zu AI und Blockchain haben beide viel zu sagen. Wir haben Magdalena Hauser und Markus Breitenecker zur Zukunft unserer Gesellschaft mit künstlicher Intelligenz, zum Krypto-Boom und zu ihrem Engagement im Startup-Bereich befragt.
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Markus Breitenecker und Magdalena Hauser
(c) Valerie Voithofer: Markus Breitenecker und Magdalena Hauser

Magdalena Hauser ist die frischgebackene Geschäftsführerin des von ihrem Onkel, Tech-Pionier Hermann Hauser, gegründeten Institute for Entrepreneurship Cambridge –Tirol (I.E.C.T.). Dort hat sie auch die Leitung der Startup-Programme inne. Im Tech-Bereich lässt sich die studierte Ökonomin und Innenarchitektin nichts vormachen. Denn auch bei den Startups, die am I.E.C.T andocken wollen, sind “Artificial Intelligence” und “Blockchain” oft nicht mehr als Buzzwords.

Bereits zum zweiten Mal wurde Puls4-Gründer und nun ProSiebenSat1Puls4-Geschäftsführer Markus Breitenecker 2017 zum “Medienmanager des Jahres” gekürt. Den “Startup-Spirit” aus den Anfangsjahren will er auch im Medien-Konzern mit 500 Mitarbeitern und zuletzt rund 150 Millionen Euro Jahresumsatz hochhalten. Mit dem 4GAMECHANGERS Festival versucht Breitenecker den technologischen State of the Art einzufangen. Und dieses Jahr – wie sollte es anders sein – stehen dabei auch AI und Blockchain im Zentrum.

Wir haben die beiden für unser Brutkasten Magazin #6 zum Interview gebeten.


Bei Artifical Intelligence ist von sehr vielen gesellschaftlichen Implikationen auszugehen. Eine kurze Zukunftsvision: Wie schaut die Welt in zehn, fünfzehn Jahren aus?

Hauser: Es gibt natürlich die Angst, dass von heute auf morgen viele Jobs verloren gehen werden. Ich denke unberechtigt. AI wird nicht nur Job überflüssig machen, sondern genauso neue Berufe entstehen lassen. Das haben wir in der Vergangenheit bei allen großen wirtschaftlichen Revolutionen gesehen – neue Technologien machen einige menschliche Tätigkeiten überflüssig und andere neue notwendig. Der Unterschied ist: Früher hatten wir bei solchen Veränderungen mehr Zeit zu reagieren.

Ein Beispiel aus der Medizin, die im Moment neben dem Retail eins der größten Anwendungsfelder für AI ist: Hier wird die Behandlungsqualität steigen. Einem Radiologen kann die AI zum Beispiel helfen, auffällige Stellen in Scans zu finden, außerdem kann mit der Hilfe von AI auf das Wissen unzähliger in der Vergangenheit diagnostizierter und behandelter Fälle, zurückgreifen. Das bedeutet nicht, dass der Radiologe bzw. der Arzt redundant werden, sondern nur, dass die AI ihn bei einer differenzierten Diagnose unterstützen kann und ihm Zeit spart. Sein Berufsbild wird sich wandeln. Er wird sich mehr auf die Behandlung konzentrieren können, auch vielleicht mehr auf die schwierige Kommunikation mit dem Patienten.

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(c) Valerie Voithofer: Magdalena Hauser

Der Radiologe im Beispiel gehört zum hochqualifizierten Bereich. Wie sieht es im niedrigqualifizierten Bereich aus?

Hauser: Das kommt auf die Branche an. In den USA gibt es zum Beispiel heute tatsächlich das große Problem, dass es bald zu wenig LKW-Fahrer geben wird, weil den Job keiner mehr machen möchte. Hier wird AI eine große Lücke füllen, die auf uns zukommt. Mit Autonomous Driving löst AI ein Problem, das wir in den kommenden Jahren sonst haben würden.

Die Aufgabe, die auf uns zukommt, ist es, sich Gedanken darüber zu machen, welche Auswirkungen diese neuen Entwicklungen auf unsere Arbeitswelt haben werden und wie wir damit umgehen. In den USA zum Beispiel beschäftigt man sich über die vom Weißen Haus initiierte Initiative AI Now mit den sozialen und ökonomischen Folgen von AI. Elon Musk fördert mit OpenAI Forschung und Entwicklung für eine sichere Artificial General Intelligence. Und Nick Bostrom diskutiert mit seinem Future of Humanity Institute über die ethischen Auswirkungen von AI. Aus diesen Überlegungen heraus müssen Strukturen entstehen, in denen wir alle Platz haben – das auch in Österreich!

Breitenecker: Artificial Intelligence ist nicht das Problem. Wichtiger sind Fragen wie: Wer programmiert die Systeme? Wem gehören die Programme? Wem gehören die Codes? Wer hat die Intelligenz erfunden und wer ist der Eigentümer? Wenn wir bei den amerikanischen Entwicklungen nur Trittbrettfahrer sind, bekommt Europa ein Problem, auch was die Arbeitsplätze betrifft. Europa muss stärker investieren, sowohl in AI-Themen als auch beim Thema Blockchain. Das ist für die Wirtschaft ein größeres Problem als die Erfindung an sich.

Die AI-Diskussion ist mit einer Diskussion zum Bildungsbereich verknüpft. Vor kurzem ist der CEO von Alibaba, Jack Ma, mit der Aussage viral gegangen, wir sollten unseren Kindern Dinge beibringen, die niemals durch Computer ersetzt werden können. Wir sollten ihnen einen kreativen Zugang ermöglichen. Was ist eure Meinung dazu?

Breitenecker: Da hat er Recht. Wir haben am 4GAMECHANGERS Festival 2018 im April einen ganzen Tag für diese Themen reserviert und beschäftigen uns mit den Fragen: Was bedeutet das für die Next Generation? Was bedeutet das für unser Ausbildungssystem? Gerade in diesem Punkt ist sein Statement sicher richtig. Das ist auch das, was in der humanistischen Lehre seit jeher im Vordergrund stand. Sich reines Fachwissen anzueignen war ja generell nie etwas, was der Meinung der Bildungsexperten entsprach.

“Wir haben in der Vergangenheit vorrangig Factory Worker ausgebildet.”

In den vergangenen Jahren haben sich aber Wirtschaftsexperten in der Bildungsdiskussion lautstark zu Wort gemeldet. Sie sind der Meinung, dass Fächer wie Betriebswirtschaftslehre und Programmieren in der Schule stärker vertreten sein sollen – auf Kosten klassischer, humanistischer Bildungsinhalte.

Breitenecker: Betriebswirtschaftslehre und Programmieren sollte natürlich ein Teil der Ausbildung sein, aber nicht alleine im Fokus stehen.

Hauser: Wir haben in der Vergangenheit vorrangig Factory Worker ausgebildet. Wir lernen in der Schule wie man stillsitzt und Inhalte wiederholt. Das brauchen wir in Zukunft noch weniger als heute. Wir brauchen Menschen, die grenzübergreifend denken können, immer komplexer werdende moralische und auch politische Entscheidungen treffen können. Auf Basis einer Kommunikation, zu der auch die Programmiersprachen gehören werden. Deswegen bin ich der Meinung, dass die Informatik durchaus ein wichtiger Teil der Schulbildung sein sollte.

Breitenecker: Wobei Jack Ma auch gemeint hat, dass Programmieren lernen nicht zwingend ist, da das die intelligenten Maschinen übernehmen.

Hauser: Das stimmt schon. Man muss selbst nicht jeden Code eingeben, aber wissen, wie es grundsätzlich funktioniert.

Und ganz konkret gefragt: Elon Musk und Mark Zuckerberg haben sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen. Findet ihr diese Idee sinnvoll?

Breitenecker: Das ist eine höchst spannende Debatte. Ich persönlich bin der Meinung, dass das eine sinnvolle Idee ist. Allerdings muss das langsam, schrittweise und behutsam eingeführt werden. Es sollte aber am Ende eines digitalen Transformationsprozesses stehen. Die Frage ist natürlich, ob sich das tatsächlich finanzieren lässt.

Hauser: Grundsätzlich kann man in alle Richtungen denken. Es gibt leider zu wenig Beispiele, wie so etwas bereits funktioniert. Aber wenn es funktioniert – warum nicht! Es gibt aus meiner Sicht jedenfalls keinen Grund das bedingungslose Grundeinkomen kategorisch abzulehnen.

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(c) Valerie Voithofer: Markus Breitenecker und Magdalena Hauser

Kommen wir von einer Revolution zur anderen. Bei der AI-Revolution ist es relativ offensichtlich, dass sie für uns alle spürbar sein wird. Wird auch die Blockchain Technologie für den Endverbraucher spürbar sein?

Breitenecker: Die Silicon Valley Giganten haben derzeit einen großen Vorsprung gegenüber Europa. Zu diesen ganz wenigen globalen, marktbeherrschenden Unternehmen, die zentral alle Daten haben und horten und mit ihren Servern weltweit die Macht über die jeweiligen Segmente haben, aufzuholen, ist extrem schwierig für Europa. Deswegen müssen wir auf die nächste technologische Entwicklung setzen. Hier bietet sich mit der Blockchain eine Chance, diese zentralen Machtstrukturen aufzubrechen und die derzeit herrschende Ungleichheit auszugleichen. Das dezentrale Netzwerk entspricht auch eher der europäischen Public Value-Denkweise.

Aber spüren die Verbraucher den Umstieg von einer Technologie zur nächsten? Etwa den Umstieg einer Cloud-basierten Technologie auf eine dezentrale Technologie?

Breitenecker: Es kommt nicht darauf an, ob es eine andere Technologie ist oder eine Weiterentwicklung. Es ist ein Next Step, den die Verbraucher genauso spüren werden, wie sie zurzeit das Internet spüren. Zunächst werden Transaktionen und dann vielleicht auch die Kommunikation, die zwischenmenschlichen, digitalen Beziehungen anders gemanaget.

Bleiben wir beim Beispiel Transaktion: Ich drücke auf den Knopf, um eine Transaktion bei meiner Bank durchzuführen. Was ändert sich?

Hauser: Wenn wir etwa zur Bank gehen, dann ist uns doch egal wie die Transaktion funktioniert. Die Hauptsache ist, am Ende das Geld am Konto ist. Schon heute setzen viele Banken auf Blockchain-Technologie – den Endverbraucher merken das gar nicht.

Aber es ist alles noch so neu. Gerade wird ausgelotet, wo Blockhain überall eingesetzt werden kann. In den Bereichen Smart Contracts und Internet of Things wird die Blockchain vermutlich eine viel größere Rolle spielen, als tatsächlich beim Endverbraucher. Ob dieser mit Fiat-Geld oder Crypto Currency zahlt, wird für ihn keinen großen Unterschied machen.

Ich stimme Markus zu: Es ergibt sich eine Chance für die Wirtschaft in Europa. Wir haben hier die Möglichkeit, etwas aufzubauen und sinnvolle Use Cases zu schaffen.

Also Blockchain auf der einen Seite, Kryptowährungen auf der anderen Seite. Haben Kryptowährungen dann überhaupt eine Zukunft, oder werden die etablierten Währungen im Hintergrund auf Blockchain oder andere Distributed Ledger Systeme umgestellt?

Hauser: Die Technologie hat Zukunft. Und wenn du jetzt Crypto Currencies kaufst, wettest du ja auf die Technologie, die dahintersteckt. Ob Kryptowährungen in Zukunft Bestand haben und sie tatsächlich ein Trading-System werden, das für die ganze Welt interessant ist, weiß ich nicht. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich die Technologie im Hintergrund durchsetzen wird.

Markus, du hast vorhin die Zukunft des Medienbereichs angesprochen. Du hast gesagt, AI und Blockchain werden auch hier ein Thema werden. Inwiefern wird das konkret bei euch bei Puls4 spürbar sein?

Breitenecker: Noch hat es keine starken Auswirkungen, da diese Technologie stark transaktionsorientiert ist. Uns interessiert eher der Spirit, der dahintersteht. Der Wandel von zentralen zu dezentralen Vertrauensnetzwerken und was das für die Medienindustrie bedeuten könnte. Ich meine eben die Medienindustrie, die ins Hintertreffen gerät gegenüber den amerikanischen Mediengiganten aus dem Silicon Valley. Make Europe great again. “Disrupt the Disrupters” ist auch unser Motto beim 4GAMECHANGERS-Festival.

Inwiefern sind Google, Facebook und Amazon Mitbewerber von Puls4?

Breitenecker: Das sind unsere neuen Hauptkonkurrenten. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, unsere bisherigen Konkurrenten, wie der ORF oder RTL, sind keine mehr. Mit diesen Medienhäusern werden/müssen/sollten wir in Zukunft eher Allianzen schließen und versuchen, gegen unsere drei großen Konkurrenten aus dem Silicon Valley zu bestehen und vor allem zu überleben.

Beim 4GAMECHANGERS Festival seid ihr thematisch sehr vielfältig aufgestellt. Wolltet ihr bewusst so breit bleiben oder ist es einfach schwierig einen Fokus zu setzen? Wo seht ihr den Fokus?

Breitenecker: Genau die Breite des Festivals ist unser USP. Wir haben 3 unterschiedlich fokussierte Tage mit dem “4STARTUPS Tag”, dem “4GAMECHANGERS Tag” und dem neuen “4FUTURE Tag” und bieten damit für alle Zielgruppen ansprechendes Programm. Beispielsweise der 4STARTUPS Tag deckt natürlich ein breites Themenfeld ab, aber genau diese Breite macht die Zukunft für die Startup-Szene aus. Beim komplett neuen 4FUTURE Tag dreht sich alles um die next generation, und wie wir aus Kids & Youngsters die Gamechanger von morgen machen. Dazu haben wir wieder die namhaftesten Influencer & Webstars vor Ort wie auch das große Finale der offiziellen Austrian eSports League. Startups, Entrepreneure, Investoren, Corporates und Studenten, das Who is Who aus Wirtschaft, Industrie, Politik, Medien-, Kunst- und Kulturszene sowie Influencer, E-Gamer, Spitzen-Sportler, Kids & Jugendliche und viele Erziehungsberechtigte – diese Vielfalt macht unser Festival besonders.

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(c) Valerie Voithofer: Markus Breitenecker

Auf Puls 4 werden regelmäßig unterschiedliche Formate zum Thema Startups ausgestrahlt, wie etwa 2 Minuten 2 Millionen. Woher kommt diese Affinität?

Breitenecker: Wir als Puls 4 sind selbst als kleiner Sender gestartet. Über die Jahre haben wir uns vom Startup zum größten Fernsehanbieter hinaufgearbeitet. Wir versuchen den Startup Spirit am Leben zu erhalten, auch wenn das nicht immer gelingt. Durch die Kooperationen mit Startups versuchen wir, diesen Spirit möglichst tief im Unternehmen zu verankern. Und natürlich machen wir es auch wegen der Quote. Die erste Staffel von „2 Minuten 2 Millionen“ war noch nicht so erfolgreich, aber mittlerweile ist das unsere meistgesehene Primetime-Show und bereits in der 5. Staffel. Die Einschaltquote ist höher als bei Austria’s Next Topmodel. Man sieht: Das Startup-Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist cool ein Gründer zu sein.

Genau das wollen wir auch erreichen, da wir dadurch auch unsere Werbekunden von morgen heranziehen. Wir investieren ja mit SevenVentures auch in diese Startups mit Media for Equity oder Media for Revenue Programmen. Drittens tun wir mit dem Startup-Fokus auch etwas, dass die Wirtschaft und den Standort Österreich belebt, weil in dem arbeiten wir.

Bei 2 Minuten 2 Millionen werden sehr oft greifbare Dinge gezeigt: Duschtabs, Rösti-Rollen, eine Fräsmaschine. Spiegelt das die österreichische Startup-Szene wider?

Breitenecker: Es spiegelt nicht die Tech- oder B2B-Startup-Szene wider, aber den österreichischen Erfindergeist und die österreichische Gründermentalität. Wir wollen auch “normale” Zuschauer erreichen und bilden daher auch Mainstream-Produkte ab. Das Ganze ist aber keine Casting Show, in der Juroren mit Daumen rauf oder Daumen runter entscheiden. Da sitzen echte Investoren, die ihr eigenes echtes Geld investieren.

Bleiben wir beim Thema Startups. Magdalena, du bist mit dem I.E.C.T. ja auch mitten im Startup-Bereich. Was sind aus deiner Sicht große Entwicklungen im AI- und Blockchain-Bereich, die in nächster Zeit aus Österreich kommen werden?

Hauser: So ziemlich jeder zweite Business Plan, der bei uns auf dem Tisch landet, enthält die Begriffe Machine Learning oder AI. Es gib ein paar Ausnahmen, aber bei näherer Betrachtung steht oft nicht viel mehr dahinter, als eine Social Media-Anwendung, API-Abfragen oder irgendeinen Standard-Algorithmus von Google zu nutzen. Im AI- und Blockchain-Bereich sind wir insgesamt noch etwas hinten. Es gibt natürlich auch bei uns interessante Startups in den Bereichen. Was uns jetzt gelingen muss, ist ein Ökosystem zu schaffen, um die Talente und die Exzellenz, von der so gern gesprochen wird, bei uns zu behalten.

Das versuchen wir zum Beispiel mit der I.E.C.T. Summer School on Entrepreneurship: Wir holen international erfolgreiche Serial Entrepreneurs nach Tirol und setzen sie eine Woche lang mit Early-Stage Startups und Forschern aus Technologie und Wissenschaft aus der ganzen Welt zusammen. Das soll einerseits den Startups weiterhelfen, ihre Ideen schneller und mit weniger Stolpersteinen umzusetzen und andererseits Österreich auch als mögliche Option für den Sitz ihrer späteren Firma vorzustellen. So kann etwas entstehen. Dann gibt es zum Beispiel noch eine Initiative, die heißt AI Austria, an der wir uns auch bald beteiligen werden. In dieser Initative sollen Startups und wichtige Influencer im AI-Bereich zusammengeführt werden und darüber diskutieren, wo die Zukunft Österreichs im AI Bereich liegen wird.

Das Eco-System im Bereich AI für Startups – kann das was?

Hauser: Es steckt noch in Kinderschuhen, aber es ist schon etwas da. Clemens Wasner von enlite.ai hat sich mal die Arbeit angetan, das österreichische Ökosystem in einer Map zu skizzieren. Wir haben zum Beispiel großartige Forschung in diesem Bereich an der JKU in Oberösterreich – da sitzen Jürgen Schmidhuber und Sepp Hochreiter mit ihrer Long Short-Term Memory – das sind geniale Köpfe. Dann gibt es ein Startup in Graz, das an Mikroskopen arbeitet, die automatisch Zellen oder Bakterien zählen können. Das ist eben so eine repetitive Arbeit von Forschern, die unglaublich zeitaufwendig ist und die man leicht durch AI ersetzen kann. Spannend ist im Moment, dass gerade ganz viele Daten zugänglich werden, von denen AI-Startups lernen können. Etwa medizinische Daten und Daten offener Universitäten. Das Eco-System beginnt darauf zu reagieren und wird sich in Zukunft auch stärker ausprägen.


Dieser Artikel erschien in gedruckter Form im aktuellen Brutkasten Magazin #6.

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“Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?”

Am diesjährigen Global Leaders Summit haben wir mit der dänischen Founderin Ida Tin gesprochen. Wie sie zur Mother of Femtech wurde und warum sie glaubt, Europa fehle die Vision.
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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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