14.07.2021

Infineon-CEO Herlitschka: „Wir brauchen Globalisierung, aber …“

Nur drei von 20 großen Halbleiterherstellern werden aus Europa gesteuert. Einer davon ist Infineon.
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Sabine Herlitschka ist CEO von Infineon Austria © brutkasten/schauer-burkart
Sabine Herlitschka ist CEO von Infineon Austria © brutkasten/schauer-burkart

Der Halbleitermangel hat derzeit vor allem die Automobilbranche fest im Griff. Infineon ist einer der größten Hersteller und Infineon-Austria-CEO Sabine Herlitschka erklärt im Interview mit dem brutkasten, wie es zu dem Chipmangel kam, welche Rolle europäische Player am Weltmarkt spielen und was Österreich braucht, um zu den Innovation Leaders in Europa aufzuschließen.

Infineon produziert als einer der größten Halbleiterhersteller in Asien, aber auch in Europa – unter anderem in Villach. Wie hat sich die Coronazeit auf die Produktion ausgewirkt?

Sabine Herlitschka: Wir setzen derzeit die größte Investition in der Firmengeschichte um und stecken 1,6 Milliarden Euro in die Erweiterung unserer Chipproduktion in Villach. Das ist in dieser Branche derzeit die größte Investition in Europa. Das durch die Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen plangemäß umzusetzen, war eine besondere Herausforderung. Es freut mich deshalb umso mehr, dass wir jetzt mit der Produktion sogar ein Quartal früher starten können.

Wie ist der Halbleitermangel, der derzeit viele Branchen unter Druck bringt, entstanden?

Mehrere Effekte sind zusammengekommen. Die Automobilindustrie ist derzeit vom Wandel in Richtung Elektrifizierung getrieben, Ende 2019 gab es eine Reduktion der Nachfrage. Dann kam die Pandemie und mit ihr Home-Office, Home-Schooling & Co. Dadurch ist die Nachfrage nach elektronischen Geräten und damit die Nachfrage nach Halbleitern sehr stark gestiegen. Hinzu kamen geopolitische Verwerfungen zwischen den USA und China, was zusätzlich zu Einschränkungen geführt hat. So hat sich die Situation zugespitzt. Wir haben 2018 die große Investition in unsere wissensintensive Produktion angekündigt, während viele andere damit noch gewartet haben..

Der Halbleitermarkt ist weltweit ein Milliardenmarkt – welche Rolle spielt Europa in diesem Gefüge?

Von den 20 größten Halbleiterunternehmen werden nur noch drei aus Europa heraus gesteuert. Und das, obwohl unser tägliches Leben so stark von Mikroelektronik und Halbleitern geprägt ist. Ein Leben, wie wir es kennen, gibt es ohne Halbleiter nicht. Infineon steckt in zwei der drei am weitesten verbreiteten Smartphones. Die Zuspitzung am Markt hat sich durch Konsolidierungen bereits abgezeichnet. Die Pandemie hat da vieles noch verschärft. Die Pandemie hat nochmal deutlicher gezeigt, wie systemrelevant Halbleiter sind. Wir finden uns heute in der Situation, dass China massiv auf Halbleiter und Mikroelektronik setzt und auch kräftig investiert. Die USA haben erst kürzlich ein großes Paket beschlossen. In Europa gibt es gute Strategiepapiere, einige Maßnahmen und eine europäische Allianz von Unternehmen, EU-Kommission und Mitgliedsländern. Es ist aber jetzt schon allen deutlich geworden, dass man noch mehr auf systemrelevante eigene Technologiekompetenzen setzen muss. Das Stichwort ist die technologische Souveränität. Diese in Europa zu stärken muss nicht dazu führen, sich der Globalisierung zu verschließen. Wir brauchen Globalisierung, die viel Wohlstand gebracht hat. Sie muss aber auf Stärken aufbauen, die wir auch in Europa haben und weiterentwickeln.

Was produziert Infineon in Österreich genau und in dem neuen Villacher Werk im Speziellen?

Wir sind in Österreich seit 50 Jahren tätig. Wir haben als verlängerte Werkbank begonnen. Damals ging es darum, billig zu produzieren. Heute sind wir eines der forschungsstärksten Unternehmen in Österreich und kombinieren F&E, Produktion und globale Geschäftsverantwortung. Im Wesentlichen stellen wir Produkte her, die Energieeffizienz verbessern, nachhaltige Mobilität, aber auch viel im Bereich Sensorik. Bei den Energiespar-Chips geht es darum, Strom intelligent zu schalten und so CO2 zu reduzieren. Diese Chips kommen zum Beispiel in Photovoltaik-Paneelen zum Einsatz. Damit ist Infineon auch in rund 50 Prozent der globalen Serverfarmen vertreten und trägt damit zu deutlichen Stromeinsparungen bei. Das ist unsere technologische Antwort auf den Klimawandel – eine der großen Zukunftsfragen.

Infineon hat in Linz ein neues Forschungsgebäude errichtet – woran wird dort genau geforscht?

In Linz sind wir vor allem mit Hochfrequenz-Technologien vertreten. Auf der einen Seite bei Smartphones. Bei der Gründung als Spin-off der Johannes-Kepler-Universität Linz war der Grundgedanke schon da, dass Telefonie im Mobilfunk wichtig ist, aber dass der Datentransfer noch wichtiger werden wird. Seit damals entwickeln wir Technologie dafür. Antennen und Verstärker in Handys basieren auf Hochfrequenztechnologie. In Linz geht es auch um Sensorik im Auto. Radar kann das Autofahren noch sicherer machen und unterstützt automatisiertes bzw. autonomes Fahren. Auch das beruht auf Hochfrequenz-Technologie.

Sie sind auch stellvertretende Vorsitzende des Forschungsrats in Österreich, der die Regierung in Sachen Innovations- und Forschungspolitik berät. Es gibt einen aktuellen Leistungsbericht – was sind denn die dringendsten politischen Empfehlungen?

Forschung und Entwicklung wird in Reden immer gerne als wichtig bezeichnet. In der Praxis sieht es dann immer wieder mal anders aus. Die Regierung hat erst im Dezember die neue Technologie- und Forschungsstrategie beschlossen und auch den Forschungs- und Innovations-Pakt, der damit Planungssicherheit gibt. Das ist in der Krise ein guter und richtiger Schritt gewesen. Wir als Rat haben seit 2012 die Aufgabe, jährlich einen Leistungsbericht zu formulieren. Er beruht auf einem Set an Indikatoren, mit denen Österreich mit anderen Ländern verglichen wird. Wir haben Stärken in der Ausstattung des Systems in der Breite. Auch die Unternehmensforschung schneidet zum Beispiel sehr gut ab. Wo wir deutlich und seit Jahren Nachholbedarf haben ist in der Gründerdynamik und in der Digitalisierung. Digitale Infrastruktur und Fachkräfte sind da ganz wichtige Themen.

Das sind Themen, über die wir seit Jahren reden. Was braucht es da ganz konkret?

Bei Digitalisierung und Breitband-Infrastruktur ist viel im Recovery-Plan der Regierung vorgesehen. Das ist gut. Es muss aber rasch umgesetzt werden. Geschwindigkeit ist ein Wettbewerbsfaktor. Das gilt auch bei der Bildung. Wie lange reden wir bereits über die Digitalisierung in der Bildung? Die Pandemie hat gezeigt, dass es da noch viel Potenzial gibt und – mit allen Einschränkungen – was alles möglich ist. Ich würde mir wünschen, dass man diesen Rückenwind bei der Digitalisierung in der Bildung jetzt nutzt. Wir haben seit Jahren einen Mangel an Technikbegeisterung in Österreich. Auch da kann die Digitalisierung helfen, die Chancen für spannende Karrierewege aufzuzeigen.

Spürt Infineon den Fachkräftemangel?

Wir haben aktuell an die 170 offene Stellen. Für viele Unternehmen ist das Thema Fachkräftemangel wachstumslimitierend und das ist gerade jetzt besonders bedauerlich. Wir haben hohe Arbeitslosenzahlen und Menschen in Kurzarbeit und gleichzeitig in anderen Branchen einen Fachkräftemangel. Diesen Mismatch gilt es zu adressieren. Es geht da um ganz konkrete Berufschancen für Menschen.

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AI Landscape 2024, Wasner, Hochreiter
(c) Stock.Adobe/GamePixel - Die AI Landscape 2024 ist da.

Die Austrian AI Landscape von Clemens Wasner (EnliteAI, AI Austria) zeigt AI-Startups und -Unternehmen aus der heimischen Startup-Szene. Das Branding dazu wurde von Andreas M. Keck, Kopf und Gründer von “beamr. brand consulting studio” pro-bono durchgeführt. Es ist bereits die insgesamt achte Ausgabe der österreichischen KI-Landschaft.

AI Landscape 2024 wird größer als ihre Vorgänger

“Heuer gibt es 70 neue Unternehmen, ein Novum in dieser Größenordnung. Es ist ein internationales Phänomen, denn die Eintrittsbarriere für die Gründung eines KI-Unternehmens ist gesunken. Ein Grund ist, dass viele Basistechnologien als ‘open source’ verfügbar sind und nicht mehr von Grund auf selbst entwickelt werden müssen”, erklärt Wasner die gestiegene Anzahl an KI-Unternehmen in Österreich.

Besonders im Bereich “Corporate Early Adopters” zeigt sich eine starke Steigerung. “Unternehmen, die teilweise 100 Jahre alt sind, haben eigene AI-Business-Units aufgebaut, eigene Teams zusammengestellt und sind Joint Ventures eingegangen. AI ist schlussendlich in der Realwirtschaft angekommen”, so der AI-Experte weiter.

Die AI Landscape Austria 2024

(c) EnliteAI, AI Austria, Andreas M. Keck (beamr) – Die gesamte Austrian AI Landscape.

Cybersecurity-Bereich steigt

Allgemein ist festzustellen, dass sich – entgegen der letzten Jahre – mehr Firmen mit “Cybersecurity & Defence” beschäftigen. Die Gründe dafür sind, dass es einerseits, wie erwähnt, mehr Open-Source-Modelle gibt, auf die man zurückgreifen kann, ohne selbst Basis-Modelle entwickeln zu müssen. Andererseits hat der Ukraine-Krieg ein Bewusstsein für diese Branche geschaffen.

Die EU hat etwa am 15. März 2024 das Arbeitsprogramm für den European Defence Fund veröffentlicht. Die offizielle Ausschreibung wurde am 20. Juni geöffnet, eine Einreichung war bis zum 5. November 2024 möglich. Diese Ausschreibung war mit 1,1 Milliarden Euro dotiert, wovon 40 Millionen Euro für disruptive Technologien und 67 Millionen Euro für KMU vorgesehen sind.

AI Landscape: GenAI als Treiber

Einen anderen Faktor für die Steigerung der Anzahl an KI-Firmen in Österreich sieht Wasner darin, dass viele Unternehmen in der Vergangenheit auf Automatisierung gesetzt hätten. Belege erkennen, den E-Mail-Posteingang lesen und ins CRM schieben – das sei mit der eigenen Technologie natürlich limitiert gewesen, durch Generative AI und LLMs (Large Language Models) wären nun sehr viele in diesem Bereich tätig. “Das ist etwas, das weltweit parallel passiert”, so Wasner. “Und Chatbots oder Dashboards beinhaltet.”

Auch bemerkenswert ist, dass im Bereich “Life Science” mittlerweile 30 Unternehmen aus Österreich vertreten sind. Für den KI-Experten “wenig verwunderlich”, da es hierzulande mit LISAvienna, INITS und mit dem Science Park Graz gleich drei Ökosysteme gibt, die in diesem Feld “Firmen produzieren”.

Zudem ist der Proptech-Bereich auffällig stark geworden, was wiederum an der Nutzung von LLMs liegt, zum Beispiel wenn es um die Auswertung von Dokumenten rund um Bauprojekte geht. Überall dort, wo man auf unstrukturierte Daten treffe – Baupläne, etc. – sei nun GenAI vermehrt einsatzbar und das ganze Proptech-Feld gehe “durch die Decke”. Insgesamt, so Wasner, gebe es heuer einfach mehrere große Themenfelder in der heimischen AI Landscape.

Beachtlich sei zudem, dass in der KI-Branche wenig Firmen pleite gegangen sind. “Dieses Jahr habe ich im Vergleich zum Vorjahr nur drei, vier Firmen herunternehmen müssen”, sagt er. “Davor waren es rund 30.”

Doch der KI-Experte warnt vor zu großer Euphorie. Er sieht den Moment jetzt als “Ruhe vor dem Sturm” und erwartet eine Konsolidierungswelle für das kommende Jahr. In diesem Sinne prognostiziert er einen Akquise-Trend, der uns bevorsteht. Größere Firmen würden, so seine Einschätzung, Unternehmen aus der Sparte “Operations & Search” aufkaufen, weil sich deren Angebot als replizierbares Business für Dienstleister auszeichne (Knowledge-Management, Bots, Suche mit LLMs).

Mehr Deregulierung, aber…

Was den europäischen Standort betrifft, wünscht sich Wasner mehr Deregulierung, allerdings nicht unbedingt auf der KI-Seite, wie er sagt. Europas KI-Problem liege vor allem im Umstand begründet, dass es hier schwieriger sei, zu gründen bzw. etwa Mitarbeiterbeteiligungen schwerer zu implementieren wären. “In Europa gibt es 27 Rechtsformen bei der Unternehmensgründung, das ist einfach nicht ‘investible'”, sagt er. Auch seien die Finanzierungen zu gering, vor allem dann, wenn man eine KI-Foundation baue. Mistral aus Frankreich wäre da der einzige Ausreißer, was europäische Top-KI-Firmen betreffe.

Als zweiten Punkt nennt Wasner, dass sich die “Compute-Infrastruktur” als zu klein für den europäischen Raum zeige und es von der EU-Seite Investitionen von mindestens 20 Milliarden Euro – wenn nicht mehr – bräuchte, um im KI-Konzert der Großen eine Chance zu haben. Der dritte und letzte Faktor, den Wasner in Sachen Wettbewerbsfähigkeit erwähnt, ist, auf “skilled immigration” zu setzen, um die besten Talente ins Land zu holen, wie er sagt: “Das allerdings geht nur, wenn man die ersten beiden Punkte löst.”

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