22.08.2017

Hermann Hauser im Interview: „Habe vor Trump mehr Angst, als vor A.I.”

DerBrutkasten hat die Chance genutzt den IT-Pionier und Investor Hermann Hauser im Rahmen der I.E.C.T. Summer School in Wattens, zum Gespräch zu bitten. Dabei haben wir unter anderem erfahren, in welche Branche er im Moment vorwiegend investiert und welches Handy er benutzt.
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Hermann Hauser sucht bei der I.E.C.T. – Challenge nach Startups für ein Investment
(c) Johannes Felder

Hermann Hauser ist einer der erfolgreichsten Auslandsösterreicher und fördert aktuell mit seinem Institute for Entrepreneurship Cambridge –Tirol (I.E.C.T.) ausgewählte Entrepreneure und Startups, um sie zu nachhaltigem wirtschaftlichem Erfolg zu führen. Zudem blickt er mit seinen 68 Jahren auf ein ruhmreiches Leben als Serial Entrepreneur und IT-Visionär. Er hat das britische Silicon Valley gegründet und mit seinem ersten Unternehmen Acorn den weltweit meistverbreiteten Mikroprozessor-Chip ARM auf den Markt gebracht. Über 100 Milliarden Prozessoren wurden verkauft. Heute ist er als Investor sowie Business Angel aktiv dabei, die Startup-Szene in Zentraleuropa zu fördern. Im Gespräch mit dem Brutkasten erklärt Hauser unter anderem welches Potenzial er in Big Data sieht und wie er mit Vertretern der Generationen Y und Z zurechtkommt.

+++ Hermann Hauser bringt Startups aus der ganzen Welt nach Tirol +++


Was treibt Sie an? Was ist ihr Motor?

Als ich 18 Jahre alt war musste ich mich entschieden entweder Wirtschaftswissenschaften oder Physik zu studieren. Der Hauptgrund, warum ich Physik studieren wollte war ein Zitat aus Goethes Faust: “Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, Schau alle Wirkenskraft und Samen, und tu nicht mehr in Worten kramen”. Und diese Leidenschaft für Deep Technology ist mir mein ganzes Leben lang geblieben. Als Risikokapitalist sehe ich jetzt – das habe ich am Anfang nicht erwartet – dass es so viele neue, tiefe Technologien gibt, die immer faszinierender werden und ich lerne im Augenblick mehr DeepTech-Projekte kennen als jemals zuvor. Auch im Bereich der Genetik und Gene Sequencing. I am having a ball at the moment (Anm.: “Ich habe im Moment sehr viel Spaß”)! Der zweite Antrieb ist für mich, mit so vielen jungen Leuten zusammenarbeiten zu können, die die Energie und Freude haben, diese neuen, tiefen Technologien in kommerzielle Erfolge umzusetzen.

Das klingt sehr philanthropisch. Sie beschäftigen sich auch heute vorwiegend mit Zukunftsthemen, den neuesten technologischen Entwicklungen, IT-Anwendungen und Branchen. An welcher Zukunft arbeiten Sie hier konkret? Was wünschen Sie sich für die kommenden Generationen?

Das ist fast eine philosophische Frage. Ich bin eigentlich über die Jahre Utilitarist geworden. Da gibt es diesen berühmten Philosophen und Utilitaristen Jeremy Benthon, den ich vor kurzem in London getroffen habe. Er hat Mitte des 19. Jahrhunderts das University College London mitbegründet und sitzt heute noch ausgestopft bzw. einbalsamiert in einem Kasten in der Eingangshalle. Zudem war er der Erfinder des Utilitarismus und hat eben das Ziel der Menschheit dadurch definiert, dass er gesagt hat: “We should maximize the happiness for the maximum number of people”, das war damals noch sehr visionär und sehr abstrakt. (Anm.: Das Maximum-Happiness-Principle der Utilitaristen zu Deutsch: ‘Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht’)

Mit den neuen, tiefen Technologien wie Machine Learning, Blockchain oder Smart Contracts kann man nun vermuten, dass sich das in einer oder zwei Generationen tatsächlich verwirklichen lässt. Der Grund warum das in der Vergangenheit nicht umsetzbar war, ist dass man keine gesellschaftlichen Gesetze realistisch implementieren konnte, sodass diese auch wirklich jeder umsetzen, oder sich an diese Verhaltensweisen anpassen muss. Ich glaube, dass sich vor allem mit neuen Technologien wie Blockchain und Smart Contracts viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse abstrahieren und verwirklichen lassen – unter Kontrolle der Community.

Sie haben einen PHD in Physik. Was hat Sie damals an den frühen Computern fasziniert, sodass Sie sich unternehmerisch dieser Branche gewidmet haben?

Als ich mein Doktorat in Physik, an der Universität Cambridge fertig hatte, gab es eine Mikroprozessor-Gruppe und das war eine faszinierende Gesellschaft von jungen Menschen, die daran geglaubt haben – wie sich dann später herausgestellt hat war das ein realistischer Glaube – dass man die Computer den Massen beibringen und zugänglich machen kann. In den frühen 80er-Jahren waren Computer ausschließlich in klimatisierten Räumen zu finden und durften nur von den Doktoranden verwendet werden. Kein normaler Mensch hatte jemals Zugang zu einem Computer.

Es hat mich so fasziniert, dass der Computer normalen Menschen zugänglich gemacht werden kann.”

Doch die “Micorprocessor Group” an meiner Universität hat damals herausgefunden, dass normale Menschen diese kleinen Mikroprozessoren (verschiedenster Anbieter) auf kleinen Platinen zusammenbauen und sich so einen eigenen Heimcomputer erschaffen können. Es hat mich so fasziniert, dass der Computer normalen Menschen zugänglich gemacht werden kann, dass Chris Curry und ich gemeinsam Acorn Computers gegründet haben. Dass wir den erfolgreichsten Mikroprozessor der Welt produzieren werden, war damals noch nicht Teil des Programms. (schmunzelt)

Sie sind hier in Tirol aufgewachsen. Was verbindet Sie noch mit diesem Bundesland?

Meine Cousins (Anm.: Josef und Johannes Hauser). Ich habe 22 Cousins, aber zwei davon sind mit mir in Cambridge gewesen, haben Englisch gelernt und mit ihnen bin ich heute besonders befreundet. Josef hat vor ein paar Jahren gesagt, dass es die richtige Zeit ist, Hochtechnologie in Österreich zu fördern. Damals habe ich ihm gesagt, dass ich daran nicht glaube, aber ich veranstalte eine Summer School in Alpbach und ich werde ihm beweisen, dass es hier keine guten Projekte gibt – aber das war nicht so. Es waren im Gegenteil sehr gute Projekte dabei und daher machen wir das jetzt schon das dritte Mal und jedes Jahr werden die Projekte besser. Von den 27 Projekten, die wir dieses Jahr haben bin ich insbesondere beeindruckt und freue mich jetzt schon auf die Präsentationen am Ende der Woche.

Einer ihrer Vorträge trägt den Titel ”The six Waves of Computing”. Dabei betonen Sie, dass jede Technologie im Lauf der Zeit von einer neuen ersetzt wurde und es die größten Player nie geschafft haben, auch die nächste Welle zu reiten. War das 2016 mit ein Grund für den Verkauf von ARM?

Es gibt tatsächlich kein einziges Beispiel dafür, dass die Anführer einer Welle des Fortschritts, auch die nächste Welle angeführt hätten. Das erstaunlichste Beispiel ist mit der Smartphone-Welle gerade passiert, denn die PC-Welle war ja vollkommen von Microsoft und Intel dominiert. Wenn man zu dieser Zeit irgendjemandem gesagt hätte, dass weder Intel noch Microsoft irgendeinen Marktanteil bei Smartphones haben werden, hätte jeder gesagt, dass das unmöglich ist, aber es ist so passiert. Der Mikroprozessor in den Smartphones ist zu über 95 Prozent der ARM und die Operating Systems sind Android und IOS von Apple. Die nächste Welle wird wahrscheinlich eine Ausnahme meines Prinzips werden, denn die sechste Welle ist vom Internet of Things ausgelöst und in diesem Bereich werden schon jetzt zu über 90 Prozent ARMs verwendet – vielleicht bleibt in diesem Fall der Mikroprozessor ja der gleiche.

Ich war ja gegen den Verkauf von ARM, aber Masayoshi Son von SoftBank hat extrem viel Geld geboten. ARM ist eine private Firma gewesen, die an der New Yorker sowie der Londoner Börse dotiert war. Er hat einen 43-prozentigen Mehrwert geboten und da war es für die Aktionäre besser jetzt diesen Mehrwert zu kassieren, als nochmal drei bis fünf Jahre zu warten, bis es noch mehr wird. Ansonsten gab es keinen Grund die Firma zu verkaufen. Wir hatten eine Milliarde Dollar in Cash und ein Management Team “to die for”. Zum Glück hat Masayoshi Son das Management Team aber bestehen lassen und dort keine Änderungen durchgeführt. Er hat diese Vision einer globalen Firma für Internet of Things und das ist eine Vision, die ich teile. Er hat recht, dass man da noch eine viel größere Firma aufbauen kann.

Also können wir uns darauf einstellen, dass unsere Computer und ähnliche Devices, wie wir sie heute kennen, in einer nächsten Welle durch Anwendungen und Produkte des Internet of Things ersetzt werden?

Ja, ersetzt oder ergänzt!

Welches Potenzial sehen Sie in Big Data?

Ein Anwendungsbeispiel, das am nächsten liegt ist wohl das autonome Fahren mit selbstfahrenden Autos. Da hätte auch keiner geglaubt, dass dies so schnell möglich sein wird. Ich denke, dass das in den nächsten fünf bis zehn Jahren so ausgedungen sein wird, dass die meisten Autos selbstfahrend sind. Das ist auch ein Beispiel für die Disruption, die dadurch entsteht, dass diese technische Möglichkeit des autonomen Fahrens jetzt auch das Businessmodell ändert. Die Autoindustrie hatte mit dem Ford Modell T das letzte Mal eine große Disruption mit dem Aufkommen der Massenproduktion. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es in der Autoindustrie nicht wie in der Computerindustrie zugeht, wo bereits fünf Disruptionen vieles umstrukturiert haben.

Meine Vorlesung “The six Waves of Computing” gibt es mittlerweile schon so lange, dass sie als “The five Waves of Computing” angefangen hat. Erst seit einigen Jahren ist mir vollkommen klar, dass das auf alle Sektoren zutrifft, aber dass diese Disruptionen viel seltener oder weniger schnell passieren können. Die Autoindustrie hat jetzt besonders disruptive Zeit, weil sie zwei Disruptionen auf einmal bekommen, nämlich die Elektrifizierung und das autonome Fahren. Letzteres ist eine wesentlich gravierendere Änderung des Businessmodels. Von, ich kauf mir ein Auto, geht es jetzt hin zu dem Modell “Transport as a Service”, bei dem man sich nur mehr die Fahrt kauft.

Redaktionstipps

Wenn immer mehr Computer und Roboter die Arbeit und Aufgaben von Menschen übernehmen. Was bleibt dann noch für die Menschen bzw. warum machen nicht schon jetzt Maschinen unsere Arbeit?

Weil das nicht so lustig ist, auf der faulen Haut zu liegen! (lacht) Bis jetzt ist die Erfahrung so, dass wenn es diese disruptiven Technologien gegeben hat, die in gewissen Sektoren vieles fundamental geändert haben, immer viel mehr Jobs geschaffen wurden, als alte ersetzt. Ob das diesmal wieder passiert, weiß man nicht und man kann da utopische und dystopische Szenarien andenken. Mein Einstellung ist, dass wir mit diesen künstlichen Intelligenzen co-evolvieren werden.

Ich habe im Augenblick vor Trump viel mehr Angst als vor der künstlichen Intelligenz.”

Facebook musste erst Anfang August seine A.I. ausschalten, nachdem sie eine eigene Sprache entwickelt hat, die Menschen nicht verstehen konnten. Könnten uns die Maschinen, nach dem Vorbild von Matrix, nicht auch gefährlich werden?

Ja natürlich man kann da viele dystopische Szenarien bauen, bis zu einer wirklich schlechten, dass die Maschinen uns irgendwann alle umbringen. Ich habe im Augenblick vor Trump viel mehr Angst als vor der künstlichen Intelligenz.

Sie haben schon öfter gesagt, dass im Zuge der Digitalisierung laufend weitere Innovationen geben wird, die es vermögen, verschiedenste Industrien zu disrupten. Werden zukünftig auch althergebrachte Institutionen bzw. Banken durch Technologien wie etwa die Blockchain und digitale Währungen in ihrer Weltherrschaft herausgefordert?

Ja! (grinst)

Vor rund einem Jahr haben Sie angekündigt, dass Sie nun weniger in ICT und vermehrt in Life Sciences investieren. Warum?

Because they’re having all the fun at the moment! (Anm.: “Diese Branche hat im Moment den ganzen Spaß”). Die Fortschritte im Bereich der Life Sciences sind so viel gravierender und grundlegender, als im Bereich der ICTs – mit Ausnahme von A.I.. Life Science und A.I. sind meine zwei Hauptprojekte im Moment.

Seit 2015 haben Sie in 16 österreichische Startups investiert. Sie sind mit ihrem 1997 gegründeten  IECT als einer der ersten Business Angels aufs zentraleuropäische Parkett getreten. Wie hat sich die Szene seither entwickelt?

Unwahrscheinlich schnell und sehr positiv! Es entwickelt sich im Augenblick in Österreich mit irrsinniger Geschwindigkeit ein Ökosystem und ich habe am Anfang nicht verstanden, warum das so schnell geht. Inzwischen ist meine Erklärung dafür, dass sich erstens so eine Gruppe von intelligenten jungen Leuten in Österreich gefunden hat, die es ja jetzt in ganz Europa auch gibt, denen es völlig egal ist, ob sie Englisch oder Deutsch sprechen, und die in ihrem Sektor zweitens genau wissen, was jetzt im Silicon Valley los ist, oder in Cambridge, oder Tokyo – also dort wo die wichtigen Firmen sitzen mit denen sie sich vergleichen, oder mit denen sie zusammen arbeiten wollen. Diese jungen, cleveren Leute sind jetzt auch ziemlich Standort-unabhängig, weil sie sich eben von selbst automatisch vernetzen. In Österreich gibt es nur leider kein Geld und deswegen freut es mich, dass ich meinen kleinen Teil dazu beitragen kann.

Was sagen Sie zum Gendergap in der Startup-Szene und was müsste diesbezüglich getan werden?

Den gibt es nicht nur in Österreich, sondern auf der ganzen Welt. Wir sind mit Amadeus Capital meines Wissens der einzige Fonds in Europa, der von einer Frau geleitet wird, nämlich von Anne Glover. Ich habe das Gefühl, wenn mehr Frauen Venture Capital Fonds führen würden, dann würde das die Szene entsprechend bereichern.

Sie stammen aus der 68er Generation und agieren als Wegbereiter für eine hochtechnologische Zukunft, die von den Generationen Y und Z weitergeführt werden wird. Was denken Sie über Vertreter dieser Generationen als Gründer, Mitarbeiter, Geschäftspartner usw.?

Ich halte sehr viel von ihnen und habe ja zwei von ihnen auch selbst produziert (lacht). Die Generation gefällt mir sehr gut, sie ist sehr aufgeschlossen, sehr kollegial, sehr international und genauso energiegeladen wie wir es waren, als wir jung waren. Es freut mich immer sehr, die nächste Generation zu unterstützen, weil das die Zukunft ist, ob man will oder nicht.

Gemeinsam mit der Crowd-Investing Plattform CONDA, wo Sie auch investiert sind, wird ja am 13. Oktober wieder die I.E.C.T. – Challenge stattfinden. Was kann man in diesem Jahr erwarten?

Im letzten Jahr hatten 60 Bewerber, die wir immer auf die zehn bis 15 besten herunter filtern und das wird in diesem Jahr auch so werden.

“Ich lese oftmals nur das erste und das letzte Kapitel und das ist meistens gut genug.”

Was lesen Sie im Moment?

Wie immer viel zu viele Bücher auf einmal… Die wichtigsten zwei sind wohl ein Fachbuch zu Synthetic Biology und “Homo Deus” von Yuval Noah Harari. Ich lese oftmals nur das erste und das letzte Kapitel und das ist meistens gut genug.

Welches Handy und welchen Computer bzw. Laptop benutzen Sie aktuell?

Pixel von Google und ein Ipad Pro.

Was halten Sie vom Apple A10 Fusion und der Apple A10X Fusion, die ja auf der ARM Technologie basieren?

Das ist ein toller Chip und es ist auch signifikant für das Businessmodell von ARM, dass eben Apple den Chip mit der Lizenz von ARM bauen kann und nicht den Chip einkaufen muss.

Man sagt, dass man aus Fehlern mehr lernt als aus Erfolgen. Gibt es Entscheidungen in ihrem Leben, die Sie aus heutiger Sicht anders getroffen hätten?

Wahrscheinlich viele, aber es waren auch ein paar gute dabei. Es ist sehr schwer zu sagen, ob sich manche Dinge anders entwickelt hätte, wenn man etwas anders gemacht hätte. I have no great regrets (Anm.: “Ich bedauere nicht viel”). Die Entscheidung nach England zu gehen war eine gute Entscheidung, nach dem Physik Studium eine Firma aufzubauen war auch eine gute Entscheidung und ich habe ein Mordsglück mit meiner Frau – und das ist ja auch eine wichtige Entscheidung. Ich kann mich wirklich nicht beklagen.

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Ida Tin, Co-Founderin von Clue (c) Valerie Maltsev

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jubiläumsausgabe unseres Printmagazins. Ein Link zum Download findet sich am Ende des Artikels.

Bunte Hosenanzüge, gepaart mit hohen Absätzen, Sneakers, langen Locken und eleganten Kurzhaarschnitten – beim diesjährigen Global Leaders Summit, organisiert von the female factor und unterstützt von der Stadt Wien, gleicht das Publikum einem bunten Bällebad. An diesem ungewöhnlich warmen September­donnerstag füllt sich das Wiener Rathaus mit über 500 weiblichen Führungskräften aus 50 Nationen.

Is this how a leader looks like?

Mittendrin ragt die dänische Founderin Ida Tin aus der Menge. In einem grau-weiß gestreiften Blazer und mit elegantem Hair-Updo setzt sie kontrollierte Schritte auf den roten Teppich, der Besucher:innen den Weg ins Rathaus markiert. Links und rechts stehen weiß bezogene Stehtische, vor einer türkisen Fotowall tummeln sich Hosenanzüge. „This is how a leader looks like“ steht auf der Fotowand.

„Schriftstellerin“ ist die Berufsbezeichnung, die aus diverser Berichterstattung rund um die dänische Gründerin hervorgeht. In ihrem ersten Buch schrieb sie über Motorradreisen. In Dänemark wurde es zum Bestseller. Ihre Geschichte ist eine, die von vielen gehört und gelesen gehört – denn Ida heißt heute „Mother of Femtech“.

Mother of Femtech

Ida wurde im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro geboren und war einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens auf dem Motorrad unterwegs. Mit ihren Eltern und ihrem Bruder hat sie so mehrere Länder der Welt bereist.

Zusammen mit ihrem Vater ­arbeitete sie später für Moto Mundo, einen ­ Motorrad-Reiseveranstalter. In den frühen 2000ern organisierte sie Motor­radtouren durch Vietnam, die USA, Kuba, Chile oder die Mongolei; 2009 erschien ihr besagtes Buch „Direktøs“, in dem sie von ihren Reiseerfahrungen erzählt.

Weil auf Reisen kein Tag ist wie der andere, stand Ida vor einem Problem: Woher weiß sie, wann ihre Monats­blutung kommt? Händisch mitzuschreiben ging nicht, am Motorrad war kaum Platz. Sie brauchte etwas Handliches; etwas, das immer dabei ist. Und etwas, das selbst mitdenkt.

Ida kam auf eine Idee – ­ wenige Jahre später startete sie eine der weltweit ersten Tracking-Apps für Frauengesundheit. Ida gründete Clue als App für menstruierende Personen im Jahr 2012 in Berlin, gemeinsam mit Hans Raffauf, Moritz von Buttlar und Mike LaVigne. Über die Jahre wurde Clue zu einer der berühmtesten Apps unter Menstruierenden. Damit schuf Ida eine technologische Lösung zur Verbesserung von Frauengesundheit – eine Femtech-Lösung.

Forgive me, but I think there is a little bit of a lack of vision for Europe.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Zurück am Global Leaders Summit höre ich Ida zu, wie sie auf der Global Stage des Großen Festsaals im Wiener Rathaus spricht. Ida setzt ihre Worte gezielt; im Trubel des Summits sticht sie nicht mit Lautstärke hervor, sondern mit Präsenz. Ohne ihre Stimme zu heben, finden Idas Worte ihren Weg durch die Geräuschkulisse des Festsaaltreibens. Sie spricht von einer Reform unseres Ökosystems.

„Let’s invite men into our world“ und „Sense your body, pay tribute to your mental health“ sind nur zwei der Aussagen, die man selten von Gründer:innen im Business-Kontext hört. Mit dem Aufbau ihres Unternehmens hat sie den Begriffen „Gründung“ und „Unternehmensführung“ eine neue Bedeutung verliehen. Sie hat sie menschlicher gemacht.

Nach dem Panel bleibt Zeit für ein kurzes Interview. Wieder schafft es Ida, mit bewusst gesetzten Wortkombinationen eine wichtige Message zu kommunizieren: „Wir müssen aufpassen, was wir als erfolgreich betrachten. Früher war Erfolg Geld, ein hoher Return on Investment; noch größere Finanzierungsrunden. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der eigent­liche Reichtum unsere Gesundheit.“

Wie ein System funktioniert

Unverkennbar geht es in unserem Gespräch nicht nur um Geld: „Mehrere Studien zeigen, dass Investitionen in die Gesundheit von Frauen die Wirtschaft ankurbeln. Erst dieses Jahr hat McKin- sey einen Report herausgebracht, der zeigt: Wir würden uns jedes Jahr eine Billion Dollar sparen, wenn die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen an- gemessen erfüllt würden.“

Ida zeigt in unserem Interview, dass sie das Thema bewegt: „Frauengesundheit ist teuer, gar keine Frage. Aber wir wissen mittlerweile auch: Wenn es Frauen gut geht, geht es ihren Unternehmen gut, ihren Familien und schließlich auch der Gesellschaft. Viel­fältige Teams begünstigen integrative Unternehmen, bringen weniger Voreingenommenheit und tatsächlich bessere Geschäftsergebnisse.“

Als ob das nicht schon selbsterklärend genug wäre, betont Ida mit einem Kopfnicken: „Wenn wir also Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.“

“Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und engstirnig.”

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Gesundheit!

Dass das in der Corporate-Bubble schwierig umzusetzen ist, weiß Ida. Auch alle bunten Hosenanzüge, die sich zum Global Leaders Summit im Wiener Rathaus versammelt haben, wissen es. Dass nicht tatenlos zugesehen werden darf, wie Frauen, ihre Gesundheit und ihr Potenzial im Unternehmertum vernachlässigt werden, weiß auch jede vor Ort.

„Wir wissen doch alle, dass man mehr Perspektiven in Führungsebenen bringt, wenn man Frauen dort reinsetzt. Wenn man sie einfach machen lässt und niemanden zu formen versucht. Wir leben in einer Kultur, vor allem in der Tech-Szene, in der wir Menschen formen. Du stellst jemanden an, du formst dir deine Arbeitskraft so, wie du sie willst, drückst sie in interne Strukturen. Du etablierst Arbeitsmodelle, die sich nach 40 Wochenstunden richten und Menschen gesundheitlich belasten. Und nicht selten endet das im Burnout. Ich denke, wir müssen uns in dieser Hinsicht mehr am Gesundheitsaspekt unserer Arbeit orientieren. Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“, so Ida.

Wenn wir Frauen in den Aufbau der Welt miteinbeziehen, funktioniert das System.

Ida Tin, Co-Founderin von Clue

Langsam lasse ich mir Idas Worte durch den Kopf gehen. „Wenn wir uns kaputtarbeiten, was bleibt dann vom Leben übrig?“ Ja, der Satz kommt wahrlich aus dem Mund einer der erfolgreichsten Founder:innen unserer Zeit. Das ist das Mindset jener Unternehmerin, die mit ihrer Tracking-App den Begriff Femtech prägte und den Grundstein für eine ganze Branche schuf. Sogar Apple war von Idas Technologie begeistert und bat um Zusammenarbeit.

Idas Mindset kommt nicht von irgendwo: „Meine Eltern waren ein Beispiel für Menschen, die genau das taten, was sie wirklich gerne machten; auch, wenn das in den Augen mancher als verrückter kleiner Traum schien. Mit ihrem Traum haben sie sich immerhin ihren Lebensunterhalt verdient. Und ich denke, wenn einem als Kind die Chance gegeben wird, die Welt zu sehen, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele Realitäten es da draußen gibt; und wie viele Dinge miteinander verknüpft sind.“

Der Mangel an Vision

Stichwort Verknüpfung: Sollten wir nicht zuerst anfangen, auf nationaler Ebene zu denken, bevor wir uns die ganze Welt vorknöpfen? Ida sieht das anders:

„Wie soll ein kleines, noch so starkes Land in einem schwachen Europa überleben? Wenn es zu politischen Unruhen auf europäischer Ebene kommt, sind wir alle verwundbar. Wenn die Wirtschaft in Europa zusammenbricht, werden auch einzelne Staaten zusammenbrechen. Es macht keinen Sinn, in nationalen Einheiten zu denken. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft versorgen können. Wir müssen ein bisschen mehr an unseren Planeten denken. Ich glaube, es mangelt an einer Vision für Europa; und an gutem Storytelling.“

Der neue Erfolg

Ida redet Klartext über Tatsachen, die eigentlich jeder kennt, aber niemand wirklich wahr­ haben möchte. Mit einem weiteren Kopfnicken teilt sie Lösungsansätze:

„Wenn wir unsere Wirtschaft in etwas Nachhaltiges verwandeln wollen, müssen wir Erfolg neu definieren. Zurzeit feiern wir Investments, wir feiern finanzielle Rendite. Wir feiern Unicorns. Aber die Welt verlangt nach einer mehrdimensionalen Vorstellung von Erfolg.“

Ida meint: sich selbst nach eigenen Maßstäben als erfolgreich zu bezeichnen; Gesundheit als Erfolg zu bezeichnen. Und: „Unternehmen aufzubauen, in denen Menschen gesund sein können, in denen Menschen offen queer sein können, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen; in denen man sie nicht zwingt, Alkohol zu trinken – und in denen eine integrative Kultur geschaffen wird.“

Wir brauchen weniger

Mit Clue hat Ida genau das versucht, und zwar mit einem der wohl umstrittensten New-Work-Themen unserer Zeit: der Vier-Tage-Woche. „Wir haben gesehen, dass unsere Leute an vier Tagen in der Woche genauso viel geleistet haben wie an fünf.“

Ida bot ihrem Team neben vier Arbeitstagen damit auch drei freie Tage, die Möglichkeit für Side Projects und mehr Zeit für Sport, Familie und Ruhe. „Viele hatten das Gefühl, dass ihr Leben eine ganz neue Qualität gewonnen hat. Und zusätzlich gibt es auch eine Menge an Studien und Daten, die zeigen, dass das funktioniert“, so Ida.

Wie in Island

So wie in Island, wo seit 2020 51 Prozent der Arbeitnehmenden reduzierte Wochenarbeitszeiten von 35 bis 36 Stunden bei gleichem Lohn wie zuvor hatten. Heute soll der Anteil noch etwas höher liegen, heißt es von einer Studie des britischen Autonomy Institute und der isländischen Association for Sustainability and Democracy (Alda). Im vergangenen Jahr soll die Wirtschaft Islands um fünf Prozent gewachsen sein – damit verzeichnet der Staat eine der höchsten Wachstumsraten in Europa.

In Idas Office gab es an den vier Arbeitstagen außerdem schuhfreie Zonen, einen Meetingraum ohne Tisch sowie Schwimm- und Fitnessstunden für ihre Mitarbeiter:innen. „Es sind die kleinen Dinge, die die Leute zusammen und zum Lachen bringen. Irgendwann hatten wir sogar eine Vorstandssitzung im tischlosen Raum.“

Kannst du acht Stunden am Tag sitzen?“ Ida reißt mich aus meinem kurzen Tagtraum. „Ich kann es nicht!“, wirft sie hinterher. „Auch jeder Sportler weiß, dass man Erholung braucht, um Höchstleistung zu erbringen. Warum sollte man das als arbeitender Mensch also vernachlässigen?“

Die Planeten-Perspektive

Nach fast 40 Minuten werden wir von zwei bunten Hosenanzügen unterbrochen. Die Zeit für das Interview ist um, das nächste steht an. Eine Frage fehlt uns aber immer noch: Wie lässt sich unsere Gesellschaft nun nachhaltig umbauen?

„Die Besessenheit mit Geld macht unser Leben sehr arm. Und sie macht uns engstirnig. Niemand auf diesem Planeten muss exorbitant viel besitzen. Alles über einem bestimmten Betrag könnte in Klimafonds fließen, in Sozialprojekte, in die gerechte Verteilung von Vermögen. Die Monopolisierung von Reichtum schafft ein großes demokratisches Problem; und schließlich auch ein Problem für Innovation.“

Was uns Ida sagen will: Man kann keine Gesellschaft aufrechterhalten, in der zu wenige zu viel und zu viele zu wenig haben. „Ich wünsche mir, dass wir an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Manchmal frage ich mich: Warum haben wir nicht eine gemeinsame Marke für unseren Planeten? Einen gemeinsamen Plan mit einer gemeinsamen Perspektive. Das wäre etwas, das uns in unserem Tun sicherlich einiges an Klarheit und Ambition geben würde.“

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