27.11.2015

Harald Mahrer über Österreich als Startup-Land

Staatssekretär Harald Mahrer über Startup-Visa und fehlendes Tech-Talent.
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(c) Sebastian Judtmann: Harald Mahrer

Staatssekretär Harald Mahrer ist fixer Bestandteil der Startup-Community in Österreich. Vor inzwischen über einem Jahr kam Harald Mahrer aus der Privatwirtschaft in die Politik mit einem klaren Ziel: Österreich soll Gründerland Nummer eins in Europa werden. Der Brutkasten hat nachgefragt, was bis jetzt passiert ist und was sich noch tun muss. Das Ergebnis ist ein ehrliches Gespräch mit klar definierten Zielen.

DerBrutkasten: Sind Sie zufrieden mit dem, was bisher am Weg zum Gründerland No 1 geschehen ist?

Mahrer: Mit der Gründerlandstrategie ist ein Ruck durchs Land gegangen, das ist sehr positiv. Bei allen 40 Maßnahmen der Strategie tut sich was. Einige Punkte sind schon abgehakt, andere hinzugekommen. Im Ökosystem ist ein Netzwerk entstanden, dass sich für die Startups und Gründer einsetzt. Das ist schon ein Erfolg. Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass mir manches noch zu langsam geht. Gute Ideen politisch umzusetzen, positive Veränderung herbeizuführen ist in Österreich noch schwieriger als ich angenommen hatte. Es laufen zu viele Bedenkenträger herum, einige wollen nicht raus aus der Komfortzone. Das wird uns aber nicht bremsen, denn wir haben ein klares Ziel vor Augen: wir wollen zurück in die Gruppe der “Innovation Leader”.Das ist ein sehr hoch gestecktes Ziel. Aber wer sich mit dem Durchschnitt zufrieden gibt, wird es nie in die Champions League schaffen.

DerBrutkasten: Ein Schüler, der im Herbst ins Schulsystem eingetreten ist, wird erst in einem Vierteljahrhundert die Wirtschaft maßgeblich beeinflussen. Ist das nicht zu spät?

Mahrer: Es gibt ein Sprichwort: Selbst für eine tausend Meilen weite Reise, musst du den ersten Schritt setzen. Die Digitalisierung beeinflusst intensiv und disruptiv unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Veränderungen im Jetzt sind nicht notwendig, sondern zwingend. Es gibt ein Pflichtprogramm, das Österreich fahren muss, um vorne bei Innovation mitmischen zu können und dann folgt die Kür. Das Fundament bilden Bildung, Forschung, Innovationsprogramme und die Begleitung der Wirtschaft in die Digitalisierung. Die Sahne “on top” wäre, wenn wir es schaffen, uns in ein paar Bereichen aus Österreich heraus international einen Namen zu machen. In Teilen der Forschung haben wir das bereits erreicht: bei den Life Sciences, erneuerbaren Energien oder Greentec-Lösungen.

DerBrutkasten: Die Startup-Community klagt über zu wenig Tech Talent in Österreich, steht das ebenfalls auf der Agenda?

Mahrer: Ein Startup-Visum soll genau diese Lücke schließen. Einerseits soll es Menschen aus dem Ausland die Gründung in Österreich erleichtern, andererseits sollen fähige Mitarbeiter für einen bestimmten Zeitraum ohne viel Aufwand geholt werden können. Wir dürfen nicht vergessen: Im Osten geht die Sonne auf und scheint dort jeden Tag heller. Die asiatischen Länder investieren massiv in Forschung und Entwicklung, die Innovationsdynamik ist dort viel stärker.Hinzu kommt das Gesetz der Zahl: China hat einen Markt mit 1,4 Milliarden potentiellen Kunden, bei Indien sprechen wir von 1,2 Milliarden. Diese Länderinvestieren viel mehr in ihre Entwicklung und in innovative Pilotprogramme. Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht zurückfallen.

DerBrutkasten: Ist das dann nicht eher eine europäische Herausforderung?

Mahrer: Absolut. Mit 28 Teilmärkten sind wir in Europa die Spezialisten für Segmentierung.Wir brauchen dringend den echten EU-Binnenmarkt – sowohl im Kapital- als auch im Digitalbereich. Sonst haben wir gegenüber USA, Indien und China keine Chance.

DerBrutkasten: Ist Österreich nicht nur ein kleiner Fisch im Becken?

Mahrer: Österreich zeichnet seine hervorragende Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft aus. Laut dem Global Entrepreneurship Monitor sind wir auf Platz 1 fürs beste Fördersystem bei Gründungen. Gerade wegen unserer Größe sind wir außerdem ein toller Testmarkt. Es kann sehr spannend sein, Produkte in Österreich zu testen, da wir zwar klein, aber sehr technologisiert sind. Wenn es ums hinaus skalieren geht, kommt wieder der europaweite Binnenmarkt ins Spiel, dessen Umsetzung für uns wichtig ist. Aktuell haben wir einen zersplitterten Markt von 500 Millionen potentiellen Kunden, bei dem der regulatorische Aufwand gewaltig ist, wie 28 Mal Mehrwertsteuer.

DerBrutkasten: Wird Österreich als Startup-Land ernst genommen?

Mahrer: Die Frage ist, wo. In der Scientific-Community auf alle Fälle, wo wir einen hohen Stellenwert für unsere Anstrengungen in der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Forschung, Industrie und Startups haben. Das Crowdfunding-Gesetz wird international beachtet und auch unsere internationalen Kooperationsbestrebungen fallen auf. Wir haben aber auch eine ganz andere Geschichte, als Israel mit Tel Aviv, England mit London, Cambridge und Oxford oder Berlin. Obwohl ich der klaren Überzeugung bin, dass wir in Kontinentaleuropa, wenn wir London außen vor lassen, die Chance haben, uns mittelfristig, als das Gründerzentrum durchzusetzen. Österreich ist ein top Forschungsstandort, aber auch das “Innovation Triangel” mit Tschechien und der Slowakei, wo auch das Tech Talent ist, ist ein echter Vorteil. Als ehemaliges Gründerzentrum des 19.Jh ist das sogar sehr geschichtsträchtig: Erfindungen, die in dem Raum in der Gründerzeit entstanden sind, sowie wissenschaftliche Grundekenntnisse, bilden nach wie vor die Basis nahe zu aller wissenschaftlichen Disziplinen. Wien war “Melting Pot” – und mit dem Fall des eisernen Vorhangs und der Multikulti-Richtung, haben wir die große Chance, es wieder zu werden.

DerBrutkasten: Tel Aviv, Berlin, London, können wir uns von anderen Startup-Cultures etwas abschauen?

Mahrer: Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob wir das überhaupt sollen. Eine Startup-Kultur muss von unten herauf entstehen, die kann der Staat nicht verordnen – und das ist auch gut so. Die öffentliche Hand muss sich darauf beschränken, die Voraussetzungen zu schaffen, Markt und Community erledigen den Rest. In spezifischen Phasen, wo es ein Marktversagen gibt, kann der Staat finanziell unterstützen. Er soll das unternehmerische Mindset fördern und eine Kultur des Scheiterns etablieren.

DerBrutkasten: Viele haben Angst vorm Platzen der Startup-Blase, gibt es ein Worst-Case Szenario?

Mahrer: Der entscheidende Unterschied ist unsere Zielsetzung: Unsere Strategie heißt nicht Startup-Land Nummer eins, sondern Gründerland Nummer eins. Die Startup-Community ist nur ein Teil der Gründercommunity – wenn auch sehr wichtig für die Stimmung und Dynamik. In Österreich haben wir eine sehr nachhaltige Gründercommunity, auf die sich das “Platzen” wenig bis gar nicht auswirken wird. Den Goldgräber-Gründer mit Dollarzeichen in den Augen, den brauchen wir für eine nachhaltige Entwicklung nicht. 70 Prozent der Gründer, die vor fünf Jahren gegründet haben, sind immer noch am Markt. Die Überlebensrate ist extrem hoch, trotz der schwierigen ersten Phase. Mir geht es um die nachhaltige Veränderung von Entrepreneurship in Österreich – ob da nun irgendwelche Bewertungen im Silicon Valley stimmen, tangiert uns peripher.

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Doris Lippert (Microsoft | Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung) und Thomas Steirer (Nagarro | Chief Technology Officer) | Foto: brutkasten

“No Hype KI” wird unterstützt von CANCOM Austria, IBM, ITSV, Microsoft, Nagarro, Red Hat und Universität Graz


Mit der neuen multimedialen Serie “No Hype KI” wollen wir eine Bestandsaufnahme zu künstlicher Intelligenz in der österreichischen Wirtschaft liefern. In der ersten Folge diskutieren Doris Lippert, Director Global Partner Solutions und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Österreich, und Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, über den Status Quo zwei Jahre nach Erscheinen von ChatGPT.

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„Das war ein richtiger Hype. Nach wenigen Tagen hatte ChatGPT über eine Million Nutzer”, erinnert sich Lippert an den Start des OpenAI-Chatbots Ende 2022. Seither habe sich aber viel geändert: “Heute ist das gar kein Hype mehr, sondern Realität“, sagt Lippert. Die Technologie habe sich längst in den Alltag integriert, kaum jemand spreche noch davon, dass er sein Smartphone über eine „KI-Anwendung“ entsperre oder sein Auto mithilfe von KI einparke: “Wenn es im Alltag angekommen ist, sagt keiner mehr KI-Lösung dazu”.

Auch Thomas Steirer erinnert sich an den Moment, als ChatGPT erschien: „Für mich war das ein richtiger Flashback. Ich habe vor vielen Jahren KI studiert und dann lange darauf gewartet, dass wirklich alltagstaugliche Lösungen kommen. Mit ChatGPT war dann klar: Jetzt sind wir wirklich da.“ Er sieht in dieser Entwicklung einen entscheidenden Schritt, der KI aus der reinen Forschungsecke in den aktiven, spürbaren Endnutzer-Bereich gebracht habe.

Von erster Begeisterung zu realistischen Erwartungen

Anfangs herrschte in Unternehmen noch ein gewisser Aktionismus: „Den Satz ‘Wir müssen irgendwas mit KI machen’ habe ich sehr, sehr oft gehört“, meint Steirer. Inzwischen habe sich die Erwartungshaltung realistischer entwickelt. Unternehmen gingen nun strategischer vor, untersuchten konkrete Use Cases und setzten auf institutionalisierte Strukturen – etwa durch sogenannte “Centers of Excellence” – um KI langfristig zu integrieren. „Wir sehen, dass jetzt fast jedes Unternehmen in Österreich KI-Initiativen hat“, sagt Lippert. „Diese Anlaufkurve hat eine Zeit lang gedauert, aber jetzt sehen wir viele reale Use-Cases und wir brauchen uns als Land nicht verstecken.“

Spar, Strabag, Uniqa: Use-Cases aus der österreichischen Wirtschaft

Lippert nennt etwa den Lebensmittelhändler Spar, der mithilfe von KI sein Obst- und Gemüsesortiment auf Basis von Kaufverhalten, Wetterdaten und Rabatten punktgenau steuert. Weniger Verschwendung, bessere Lieferkette: “Lieferkettenoptimierung ist ein Purpose-Driven-Use-Case, der international sehr viel Aufmerksamkeit bekommt und der sich übrigens über alle Branchen repliziert”, erläutert die Microsoft-Expertin.

Auch die Baubranche hat Anwendungsfälle vorzuweisen: Bei Strabag wird mittels KI die Risikobewertung von Baustellen verbessert, indem historische Daten zum Bauträger, zu Lieferanten und zum Bauteam analysiert werden.

Im Versicherungsbereich hat die UNIQA mithilfe eines KI-basierten „Tarif-Bots“ den Zeitaufwand für Tarifauskünfte um 50 Prozent reduziert, was die Mitarbeiter:innen von repetitiven Tätigkeiten entlastet und ihnen mehr Spielraum für sinnstiftende Tätigkeiten lässt.

Nicht immer geht es aber um Effizienzsteigerung. Ein KI-Projekt einer anderen Art wurde kürzlich bei der jüngsten Microsoft-Konferenz Ignite präsentiert: Der Hera Space Companion (brutkasten berichtete). Gemeinsam mit der ESA, Terra Mater und dem österreichischen Startup Impact.ai wurde ein digitaler Space Companion entwickelt, mit dem sich Nutzer in Echtzeit über Weltraummissionen austauschen können. „Das macht Wissenschaft zum ersten Mal wirklich greifbar“, sagt Lippert. „Meine Kinder haben am Wochenende die Planeten im Gespräch mit dem Space Companion gelernt.“

Herausforderungen: Infrastruktur, Daten und Sicherheit

Auch wenn die genannten Use Cases Erfolgsbeispiele zeigen, sind Unternehmen, die KI einsetzen wollen, klarerweise auch mit Herausforderungen konfrontiert. Diese unterscheiden sich je nachdem, wie weit die „KI-Maturität“ der Unternehmen fortgeschritten sei, erläutert Lippert. Für jene, die schon Use-.Cases erprobt haben, gehe es nun um den großflächigen Rollout. Dabei offenbaren sich klassische Herausforderungen: „Integration in Legacy-Systeme, Datenstrategie, Datenarchitektur, Sicherheit – all das darf man nicht unterschätzen“, sagt Lippert.

“Eine große Herausforderung für Unternehmen ist auch die Frage: Wer sind wir überhaupt?”, ergänzt Steirer. Unternehmen müssten sich fragen, ob sie eine KI-Firma seien, ein Software-Entwicklungsunternehmen oder ein reines Fachunternehmen. Daran anschließend ergeben sich dann Folgefragen: „Muss ich selbst KI-Modelle trainieren oder kann ich auf bestehende Plattformen aufsetzen? Was ist meine langfristige Strategie?“ Er sieht in dieser Phase den Übergang von kleinen Experimenten über breite Implementierung bis hin zur Institutionalisierung von KI im Unternehmen.

Langfristiges Potenzial heben

Langfristig stehen die Zeichen stehen auf Wachstum, sind sich Lippert und Steirer einig. „Wir überschätzen oft den kurzfristigen Impact und unterschätzen den langfristigen“, sagt die Microsoft-Expertin. Sie verweist auf eine im Juni präsentierte Studie, wonach KI-gestützte Ökosysteme das Bruttoinlandsprodukt Österreichs deutlich steigern könnten – und zwar um etwa 18 Prozent (brutkasten berichtete). „Das wäre wie ein zehntes Bundesland, nach Wien wäre es dann das wirtschaftsstärkste“, so Lippert. „Wir müssen uns klar machen, dass KI eine Allzwecktechnologie wie Elektrizität oder das Internet ist.“

Auch Steirer ist überzeugt, dass sich für heimische Unternehmen massive Chancen eröffnen: “Ich glaube auch, dass wir einfach massiv unterschätzen, was das für einen langfristigen Impact haben wird”. Der Appell des Nagarro-Experten: „Es geht jetzt wirklich darum, nicht mehr zuzuwarten, sondern sich mit KI auseinanderzusetzen, umzusetzen und Wert zu stiften.“


Folge nachsehen: No Hype KI – wo stehen wir nach zwei Jahren ChatGPT?


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