19.07.2017

Wo die großen Innovationen herkommen

Manager, die Innovation anstreben, müssen wissen, welche Quellen dafür am vielversprechendsten sind. Eine aktuelle Befragung von Entscheidungsträgern aus dem privaten und öffentlichen Sektor zeigt, dass hier eklatante Fehleinschätzungen vorherrschen.
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Die Fähigkeit zur Innovation ist in praktisch allen Branchen mittlerweile der entscheidenste Erfolgsfaktor im Wettbewerb. Wer die Fähigkeit hat, neue Produkte, neue Dienstleistungen, neue Geschäftsmodelle und neue Prozesse zu generieren und durchzusetzen, kann heute schneller wachsen und höhere Gewinne machen als je zuvor – wem Innovation fehlt, riskiert der schöpferischen Zerstörung zum Opfer zu fallen. Das Wissen, woher die nächsten radikalen und womöglich disruptiven Innovationen kommen, ist daher von entscheidender Bedeutung für alle Organisationen.

Die wichtigste Quelle für Innovationen: User

Es gilt seit einigen Jahren als gesicherte Erkenntnis der Innovationsforschung, dass User die wichtigsten Innovationsquellen sind. Zahllose Innovationen, vom Mountain Bike
über die Herz-Lungen-Maschine, „atmenden“ Schuhen, Flugzeugen, bis hin zum Internet stammen von NutzerInnen, die Trends angeführt und dringend eine Lösungen für ein Problem gesucht haben. Eric von Hippel (MIT) und Kollegen belegten in einer Reihe von Studien, dass ein großer Teil der jeweils wichtigsten Innovationen eines Marktes auf Ideen und Prototypen von Usern zurückgehen.

Redaktionstipps

User-Innovation

Im Zeitalter der „Connectedness“ hat sich diese Dominanz weiter verstärkt. Es ist heute so einfach, sich über Foren und Online-Communities mit Anderen zu vernetzen, auszutauschen und fehlendes Wissen zu erschließen. Die Österreichischen Bundesministerien für Verkehr, Innovation und Technologie sowie für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft haben 2016 aufgrund der Bedeutung von User-Innovation eine nationale Open-Innovation-Strategie erarbeitet.

Was denken Manager? Eine aktuelle Studie der WU Wien und TU Hamburg

Um zu untersuchen, wie weit diese Erkenntnis in der Praxis verbreitet ist, führten das Institut für Entrepreneurship und Innovation der WU Wien (Prof. N. Franke, P. Bradonjic, MSc.) und das Institut für Innovationsmarketing der TU Hamburg (Prof. C. Lüthje) eine
Befragung von 1.768 EntscheidungsträgerInnen in Unternehmen, Politik und Wissenschaft durch. Die Befragten wurden aufgefordert zu schätzen, wie sich die jeweils wichtigsten Innovationen in den Bereichen Medizin-Apps, Off-Label-Medikamente, disruptive Innovationen, wissenschaftliche Instrumente, Kajaksport, Windsurfen, Mobile Finanzdienstleistungen, Bankdienstleistungen für Firmenkunden sowie Bankdienstleistungen für Privatkunden auf die möglichen Quellen „User“, „Herstellerunternehmen“, „Universitäten/Forschungseinrichtungen“ und „Erfinder/sonstige Dienstleister“ verteilen. Für alle Innovationen liegen wissenschaftlich
abgesicherte Informationen über die tatsächliche Quelle vor. Die aggregierten Schätzwerte können damit mit den tatsächlichen Werten verglichen werden.

Eine drastische Unterschätzung der User

Insgesamt unterschätzten die befragten Entscheidungsträger User als Innovationsquelle um 58 Prozent – die wahre Bedeutung dieser wichtigsten Quelle wird also durchschnittlich nicht einmal zur Hälfte erkannt. Nur eine winzige Minderheit der 1.758 Befragten – genau neun Personen – schätzen die Bedeutung von Usern korrekt ein oder überschätzten sie leicht, 99,5 Prozent der Manager dagegen glaubten, dass auf User weniger Innovationen zurückgehen als dies tatsächlich der Fall war. Die Unterschätzung zieht sich dabei quer
durch alle Branchen, Organisationsgrößen, Hierarchieebenen, Funktionsbereiche und Bildungshintergründe. Man kann also sagen, dass es sich bei der Unterschätzung von User-Innovationen um eine stabile und systematische Wahrnehmungsverzerrung handelt.

Ursachen der Wahrnehmungsverzerrung

Als Gründe für diesen überraschend deutlichen Befund bieten sich zwei Erklärungen an. Zunächst fehlt es einfach an Wissen über aktuelle Erkenntnisse der Innovationsforschung. Traditionelle Lehrbücher vermittelten lange das Bild des Herstellerunternehmens als zentralem Innovationstreiber. Auch die Unternehmen, die User-Innovationen aufgreifen und kommerziell vermarkten, legen selten die Quelle der Innovation offen. So kommt es, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, wie mächtig und kreativ die große Masse der User
sein kann. Der zweite Grund ist, dass Innovationen von außerhalb des Unternehmens vielfach als Bedrohung empfunden werden. „Not invented here“ heißt die weitverbreitete Tendenz von Organisationen, die Kreativität außerhalb des Unternehmens aktiv abzuwerten.

Was kann man tun?

Wer sich die gewaltigen ökonomischen Potenziale von User-Innovationen nicht entgehen lassen möchte, sollte unbedingt Zugang zu neuen Methoden und Erkenntnissen suchen. Schlagworte wie „Lead User“, „Crowdsourcing“ und „Innovationscommunities“ haben wohl die meisten Manager schon gehört – aber wie macht man es konkret? Welche Methoden helfen in welcher Situation? Wie kann man die Suche nach Innovationen effizient organisieren? Wie baut man ein dauerhaftes Ökosystem mit User-Communities auf? Das
Wissen zu Methoden schreitet rasant voran. Wer die Chancen nutzen will, sollte rasch handeln.

Über den Autor

Nikolaus Franke ist Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation des WU Gründungszentrums und der User Innovation Research Initiative an der WU Wien. Er ist auch Akademischer Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation der von der TU Wien sowie der WU Executive Academy angeboten wird.

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Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith
Storebox-CEO und Cofounder Johannes Braith | Foto: brutkasten

Die neue EU-Kommission steht. Hierzulande laufen dagegen nach wie vor die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS mit ungewissem Ausgang. Währenddessen kommt nicht nur Österreich nicht aus der Rezession heraus und auch die Prognosen bleiben tendenziell negativ. Begleitet wird das Szenario von einer Häufung an dramatischen Appellen und Forderungen nach umfassenden Änderungen in der Wirtschaftspolitik.

Wie steht es wirklich um Österreich und die EU? Was sind nun die drängendsten Maßnahmen? brutkasten geht diesen Fragen gemeinsam mit führenden Köpfen der heimischen Innovationsszene nach.

Storebox-Co-Founder und -CEO Johannes Braith sieht im brutkasten-Interview auch Chancen, die die Krise biete, formuliert aber konkrete Maßnahmen, die dazu nun auf politischer Seite ergriffen werden müssten.


brutkasten: Düstere Prognosen und drastische Appelle stehen aktuell in der Wirtschaftsberichterstattung an der Tagesordnung. Wie beurteilst Du die Situation? Ist sie wirklich so dramatisch?

Johannes Braith: Ich beobachte die Großwetterlage natürlich laufend. Allerdings halte ich es für gut, wenn man sich in seinen daily Operations als Founder nicht zwangsläufig beunruhigen lässt. Gerade Startups sind es gewohnt Krisen zu managen bzw. mit ihnen umzugehen. In manchen Fällen kann dadurch sogar etwas Positives entstehen. Denn Krisen erzwingen oft Veränderungen, welche wiederum oft Chancen beinhalten.

Aber natürlich finde ich es beunruhigend, dass wir, was unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa angeht, so dramatisch den Anschluss verlieren. Ich hoffe, dass der steigende Schmerz dazu führt Regulierungen abzubauen und ein neues Selbstverständnis hinsichtlich Wirtschaft, Startups und Technologie einkehrt.

Welche gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen sollten in Österreich möglichst schnell umgesetzt werden? Was muss unbedingt ins Regierungsprogramm?

Das Thema ist leider ziemlich mühsam, da sehr, sehr gute Vorschläge seit langer Zeit am Tisch liegen, die allerdings nicht umgesetzt wurden. Ein wichtiger Punkt ist es bestimmt, Risikokapitalgeber zu incentivieren – Stichwort Beteiligungsfreibetrag.

Noch wichtiger wäre es allerdings die Steuern auf Arbeit deutlich zu reduzieren. Wir sind in einer Zeit, in der wir die Extrameile gehen müssen. Das sollte auch belohnt werden. Man könnte z.B. Überstunden steuerlich freistellen, Pensionisten incentivieren, wenn sie in der Rente arbeiten möchten – eventuell gänzlich steuerfrei, oder man kann über Modelle nachdenken, mit denen man Vollzeitarbeit nicht nur ermöglicht (Kinderbetreuung) sondern eventuell auch belohnt.

Generell stelle ich mir die Frage, wie Menschen den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit wieder zurückerlangen können. In vielen Gesprächen und Beobachtungen sehe ich, dass die Leistungebereitschaft extrem abgenommen hat. Ob das immer durch politische Maßnahmen geheilt werden kann, bezweifle ich. Ich halte viel von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Und was sollte die neue EU-Kommission unbedingt sofort angehen?

Regulierung massiv abbauen. Ich bin mit Storebox mittlerweile in sechs Ländern und mehr als 200 Städten operativ tätig. Es kann ja nicht sein, dass wir gefühlt hunderte unterschiedliche Regulierungen vorfinden, die das Prosperieren von Unternhemen extrem erschweren.

Was wären konkret für euch als Scaleup die wichtigsten Schritte auf nationaler und EU-Ebene?

Die Lohnkosten senken, Regulierungen massiv reduzieren und die Zuwanderung hochqualifizierter Personen massiv erleichtern.

Was bräuchte es, damit die Wiener Börse bzw. zumindest eine europäische Börse für einen IPO eines Scaleups wie Storebox attraktiv ist?

Große Anschlussfinanzierungen müssen in Europa mit europäischem Kapital getätigt werden, um ab einer gewissen Stage als logischen Schritt einen IPO auch in einem europäischen Heimatmarkt zu forcieren.

Aktuell wird nicht nur im Zusammenhang mit Börsengängen die Standortattraktivität stark diskutiert. War Abwanderung aus Europa für euch jemals ein Thema?

Aktuell noch nicht. Ich lebe sehr gerne in Österreich und sehe nicht alles nur negativ. Wir leben in einem tollen Land mit vielen Möglichkeiten, toller Infrastruktur und einigermaßen stabilen Verhältnissen. Die Verwaltung dieses Zustands wird allerdings nicht ausreichen. Es muss gestaltet werden, um den Standort attraktiv zu halten.

Bitte eine Prognose: Abhängig von den Entscheidungen, die in nächster Zeit getroffen werden – was ist das Worst- und was das Best-Case-Szenario für Europa?

Das Worst-Case-Szenario: Die EU zerfällt in unterschiedliche Lager, weil es nicht möglich war, Interessen zu alignen und die großen Hebel zu betätigen. Geopolitisch wäre das eine absolute Katastrophe!

Das Best-Case-Szenario: Die Wettbewerbsfähigkeit wird durch radikale Maßnahmen wieder hergestellt. Die Menschen spüren eine deutliche Entlastung, haben Perspektiven und glauben an eine bessere Zukunft. Europa wächst weiter zusammen und bleibt ein starker und wichtiger globaler Player.

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