„Gehst du zuhause auch so mit deinen Sachen um?“ Die Frage, die viele Lehrkräfte ihren Schüler:innen stellen, wenn Tische bemalt, Bücher angekritzelt oder Kaugummis unter Sesseln kleben. Wo bleibt denn da die Wertschätzung?

Wenn Kinder und Jugendliche alles was gratis ist, doch ohnehin nicht schätzen, wozu sollte man ihnen mehr kostenlose Möglichkeiten bieten? Insbesondere im Bildungsbereich empfinden Kinder und Jugendliche doch alles als Last, sie nehmen kostenlose Workshops oder Angebote nicht ernst, sie können nicht erkennen, was dahintersteckt und was sie für sie bedeuten können. Gratis-Angebote bieten keinen Anreiz, es gibt kein Verpflichtungsgefühl – man bekommt es ja ohnehin, ohne sich anzustrengen.

Bildung ist ein Privileg

Vor 1-2 Jahren hätten wir hier an dieser Stelle vielleicht ein „Ok, Boomer.“ eingefügt und uns auf unsere Arbeit fokussiert. Angesichts einer Inflationsrate von 10 %, einer Energiekrise und 368.000 armutsgefährdeten Kindern in Österreich ist es vielleicht mal wieder Zeit, unsere Privilegien zu checken.

Bildung wird in Österreich nach wie vor vererbt. Die Chancenungerechtigkeit geht auch nachmittags, nach dem Läuten der Schulglocke weiter, denn sinnvolle Freizeitbeschäftigung ist ein Privileg in unserer Gesellschaft. Dass zu Bildung mehr als nur Englisch-Vokabel, Mathematik-Formeln oder Hauptstädte auswendig lernen gehört, sollte unumstritten sein – so lernen wir doch 70% unseres Wissens im informellen Kontext. Weiterbildung in der Freizeit – sei es die Klavierstunde oder ein Sportverein – ist jedoch kostspielig. Kinder, deren Eltern sie finanzieren können, bauen hier ihren akademischen Vorsprung und ihre Kompetenzen noch weiter aus.

Außerdem werden soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein oder Resilienz häufig bei Teamsport im Verein oder Weiterbildungen in der Freizeit entwickelt. Wo bleibt aber all das für Kinder und Jugendliche, deren Eltern und Familien keine Kreativkurse oder Sportvereinsbeiträge bezahlen können?

Es ist wahnsinnig einfach aus einer finanziell privilegierten Position herauszusagen, es fehle der Jugend an Biss und man müsse sich für alles im Leben anstrengen, wenn sowohl Nachhilfe-Stunden, ein eigener Laptop für das Distance Learning und private Klavierstunden immer wie selbstverständlich bezahlt werden konnten.

Die subjektive Wahrnehmung von Anstrengung

Wofür müssen sich Kinder und Jugendliche denn dabei eigentlich anstrengen? Für ihr Recht auf Bildung, Unterstützung beim Lernen oder einen Ausgleich nach der Schule?

Kinder und Jugendliche aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien müssen sich ohnehin doppelt anstrengen: In ihrer Schullaufbahn wird ihnen nämlich häufig klar gemacht, dass sie zu den „Verlierer:innen“ gehören, dass ihre Zukunftsschancen eingeschränkt sind, dass Noten und Herkunft alles sind, was sie ausmacht. Diese Kinder und Jugendliche übernehmen zuhause oftmals viel Verantwortung, begleiten Termine, übersetzen, passen auf Geschwister auf – entwickeln „im Verborgenen“ Sozialkompetenzen, die nie honoriert werden.

Kostenlose Bildungsinnovationen haben die Aufgabe, die großartige Möglichkeit für diese Kinder Chancen zu ermöglichen und Zugänge zu schaffen – ohne ihnen einen Stempel aufzudrücken. Denn gerade die vergangenen beiden Pandemie-Jahre haben uns deutlich gezeigt, dass ganze Täler zwischen Lebensrealitäten liegen.

Beziehung zum Erfolg

Kostenlose Angebote für Kinder und Jugendliche – egal ob Mentoringprogramm, Fußball-Kurs oder Nachhilfeangebot – bedeuten nämlich keinesfalls weniger Ernsthaftigkeit und weniger Verpflichtungsgefühl – im Gegenteil. Kostenlose Angebote werden aus unserer Erfahrung – sogar mit besonders viel Dankbarkeit und Wertschätzung wahr- und aufgenommen.

Es geht nicht um Kinderbetreuung oder Beschäftigung, wenn TikTok gefühlt fertig durchgescrollt ist. Kinder und Jugendliche finden in diesen Angeboten neue Vorbilder und Bezugspersonen für die Kinder, die ihnen neue Perspektiven mitgeben, sie bestärken und ihnen auf Augenhöhe mit viel Wertschätzung begegnen.

Kaum eine erwachsene Person geht wirklich jede Woche zu der gebuchten Yoga-Stunde, weil sie so besonders teuer ist, sondern vielmehr wegen einem starken Community-Gefühl oder dem Wunsch, sich etwas Gutes zu tun. Ein Mitgliedsbeitrag schafft kein zusätzliches Verpflichtungsgefühl, er schafft für viele Druck und finanzielle Hürden. Beziehung, die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln oder sich willkommen zu fühlen, schafft Bindung und ersetzt, was ein Verpflichtungsgefühl sonst auslöst. Die kostenlosen Angebote regelmäßig wahrzunehmen, bedeutet in dem Zusammenhang Stabilität und Struktur für Kinder und Jugendliche, die sonst oftmals in ihrem Umfeld nicht gegeben sind. Wenn sonst alles schief läuft, können sie sich sicher sein, dass sie beispielsweise am Dienstag um 17:00 Uhr ihren Boxtrainer sehen, sich gemeinsam mit ihren Freunden auspowern und Erfolge sowie Weiterentwicklung erleben.

Diese Erfolgserlebnisse sind es, die Kinder und Jugendliche über sich hinauswachsen lassen – und dabei strengen sie sich mehr als genug an, es braucht keine zusätzlichen finanziellen Hürden.

Über die Vienna Hobby Lobby

Seit März 2019 bietet die Hobby Lobby kostenlose Kurse für Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien an, um ihnen ein Umfeld zur Verfügung zu stellen, in dem sie ihr volles Potential entfalten können. Das Gründer:innen-Team erkannte während ihrer Zeit als Lehrkräfte im Quereinstieg den Bedarf für niederschwellige Freizeitangebote. Sieben Kursphasen mit über 180 verschiedenen Freizeitkursen wurden bisher an vier Wiener Standorten umgesetzt und dabei mehr als 2.500 kostenlose Plätze vergeben und über 150 ehrenamtliche Kursleiterinnen begleitet. Mit März 2022 hat die Hobby Lobby ihren ersten Standort in Innsbruck, Tirol eröffnet. Im Oktober 2022 starteten erstmals Kurse in Mödling, Niederösterreich.